Dreht Basel II den KMU den Geldhahn zu?

Europäisches Parlament äußert Bedenken gegen Basel II

Das als Basel II bekannt gewordene internationale Abkommen wird das von Banken bereitzustellende Eigenkapital strenger berechnen. Wesentlich ist die Bewertung von Krediten und die Steuerung von Risiken. Der Vorschlag der internationalen Kommission für Basel II wird bis Ende des Jahres verabschiedet werden. Das Europäische Parlament (EP) sieht besondere Nachteile für Unternehmensgründer, KMUs und kleiner bzw. nur regional tätige Banken.

Die EU-Kommission wird im Laufe des Jahres 2004 eine Richtlinie zur Einbeziehung dieses Abkommens in den gemeinschaftlichen Besitzstand vorschlagen. Bis dahin nimmt das EP formell nicht an dem Verfahren teil. Da eine Einflussnahme auf das abgeschlossene Abkommen so gut wie unmöglich ist, nehmen die Abgeordneten schon jetzt auf Basel II Bezug.

Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass die Auswirkungen der neuen Regeln auf die Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie insbesondere von Start-ups nicht hinreichend untersucht wurden. Wenn Banken Kredite an KMU vorsichtiger bewerten müssen, werden KMU weniger leicht an Kredite kommen; deswegen müssen sie ihr Eigenkapital aufstocken, um Investitionsvorhaben tätigen zu können. Wenn sie dies nicht können, werden sie von Investitionen Abstand nehmen.

Das geplante Abkommen Basel II versucht die Probleme für KMU zu begrenzen, die Abgeordneten würden jedoch gerne weitergehen. Sie fordern auch eine Untersuchung der volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Basel II. Schließlich fordern sie mehr demokratische Kontrolle für Durchführungsmaßnahmen.


Begründung zu dem Entschließungsantrag des europäischen Parlaments

Das Verfahren zur Bildung neuer Eigenkapitalregeln in Europa ist ziemlich kompliziert. In langwierigen Diskussionen wurden seit 1999 etliche Konsultationspapiere, Arbeitsdokumente, Übersichten und dergleichen veröffentlicht. Im europäischen Zusammenhang sind die Papiere des Baseler Ausschusses und der Kommission relevant. Das neue Baseler Abkommen zu Eigenkapitalmindestvorschriften für Banken, die bis zum Jahresende 2003 fertig gestellt sein soll, wird einen weltweiten Rahmen für international tätige Banken bilden. Die Kommission plant, im Frühjahr 2004 einen Richtlinienvorschlag vorzulegen, um das Baseler Abkommen in EU-Recht zu übertragen.

Am 29. April 2003 legte der Baseler Ausschuss in Vorbereitung des endgültigen Abkommens, das für das vierte Quartal dieses Jahres geplant ist, sein drittes Konsultationspapier vor. Die Ergebnisse des Quantitative Impact Survey (QIS3) wurden am 5. Mai veröffentlicht.

Auch die Kommission hat mit ihrer dritten und letzten Konsultationsrunde begonnen. Obwohl sich der Ansatz der Kommission eng an den des Baseler Papiers im Hinblick auf den generellen Duktus und einen Großteil der technischen Details anlehnt (die Kommission nahm an den Baseler Verhandlungen als Beobachter teil), kann eine eins-zu-eins-Übertragung der Baseler Vorschläge in EU-Recht weder erwartet werden, noch wäre dies wünschenswert.

Da das Europäische Parlament offiziell nicht in den Baseler Prozess eingebunden war, ist es von größter Bedeutung, unseren Standpunkt im Umsetzungsprozess des neuen Baseler Abkommens in eine EU-Richtlinie klar darzulegen.

1. Allgemeine Beurteilung

Eine korrekte Risikobeurteilung auf der Mikro-Ebene ist für die Stabilität des Bankensystems von größter Bedeutung. Versteckte Risiken in den Kreditbüchern der Banken können zu einem Teufelskreis und unvorhersehbaren Ansteckungsgefahren führen, wenn ein derart schwaches Finanzsystem von gegenläufigen Entwicklungen getroffen wird. Japan dient als abschreckendes Beispiel. Daher ist das übergeordnete Ziel des neuen Abkommens, nämlich eine verbesserte Risikobeurteilung der Banken zu stärken, zu begrüßen. Die Frage, inwieweit dieses Ziel mit dem gegenwärtigen Ansatz erreicht werden kann und welche Kosten damit verbunden sind (Implementierungskosten und negative Nebenwirkungen) ist noch weitgehend ungeklärt.

So sind noch viele Fragen offen. Bedenken gibt es hinsichtlich der mikroökonomischen Auswirkungen auf kleine und mittlere Banken und Unternehmen (KMU). Ein anderer Bereich betrifft ungewollte Implikationen auf der Makro-Ebene, nämlich hauptsächlich die drohende Prozyklizität.

Aber zuerst sollte darauf hingewiesen werden, dass der gesamte Basel-Prozess aus Sicht der demokratischen Legitimation problematisch ist. Die Kommission nahm an den Verhandlungen lediglich als Beobachter teil und weder das Europäische Parlament noch die nationalen Parlamente waren an den Verhandlungen beteiligt. Es gibt schwerwiegende Bedenken, falls das Zustandekommen von Vereinbarungen wie das Baseler Abkommen, die inhaltliche Vorgaben für die Gesetzgebung machen, künftig vollends technischen Ausschüssen wie demjenigen in Basel überlassen bliebe. Eine besondere Herausforderung wird die Frage sein, wie das neue Baseler Abkommen in EU-Recht übertragen wird. Im Augenblick gibt es ernsthafte Versuche, das Komitologieverfahren auf alle Bereiche der Finanzmarktgesetzgebung auszudehnen. In diesem Verfahren werden grundsätzliche politische Fragen (Stufe 1) von eher technischen Regelungen (Stufe 2) getrennt. Beim Lamfalussy-Komitologieverfahren, das augenblicklich für die Wertpapiergesetzgebung angewendet wird, ist das Parlament nur auf der Stufe 1 beteiligt. Es ist jedoch oft sehr schwierig, zwischen technischen Fragen (Stufe 2) und politischen Grundsatzfragen (Stufe 1) zu unterscheiden.

Nach den Plänen der Kommission kann das Europäische Parlament beim ursprünglichen Richtlinienvorschlag über den Inhalt der Anhänge beraten und abstimmen und hat so Einfluss auf die technischen Details. Künftige Änderungen der Anhänge sollen jedoch dem Komitologieverfahren unterliegen. Da das Parlament solche Änderungen nicht beeinflussen kann, wäre es schlicht inakzeptabel, Sachverhalte von potentiell politischer Tragweite der Stufe 2 zu überlassen. Das Parlament braucht ein formelles Rückholrecht (call-back-option) sowie eine Änderung des Artikels 202 EG-Vertrag um die demokratische Kontrolle durch das Parlament auch auf Stufe 2 zu sichern.

2. Auswirkungen auf das Bankensystem

Das Baseler Abkommen zielt auf international tätige Banken ab, die Risiken für die Stabilität des internationalen Finanzsystems darstellen. Einige Wertpapierfirmen in den USA jedoch sind nicht vom jetzigen Basel-Vorschlag erfasst, obwohl sie solche Tätigkeiten ausüben, die in den meisten europäischen Ländern als Bankaktivitäten angesehen werden. Betrachtet man die Marktstellung dieser Wertpapierfirmen und ihre Rolle auf den Finanzmärkten, so stellen sie doch ein Risiko für das internationale Finanzsystem dar. Eine solche unterschiedliche Behandlung von Banken in den USA und in Europa ist nicht dazu geeignet, international gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

In einigen Mitgliedstaaten spielen kleine, lokal tätige Banken eine wichtige Rolle. Obwohl sie kein systemisches Risiko darstellen, sollten sie dennoch vom Anwendungsbereich von Basel II erfasst werden, um gleiche Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen, wie im Arbeitsdokument der Kommission vorgesehen. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die durch neue Aufsichtsregeln entstehenden Kosten für kleinere Institute beherrschbar bleiben. Eine weitere, durch die neuen Eigenkapitalvorschriften verursachte Konsolidierung der Bankenwelt muss vermieden werden. Die Hauptaspekte sind hier mögliche Unterschiede in den Eigenkapitalanforderungen zwischen dem Standardansatz und den IRB-Ansätzen, was die Ermittlung des Kreditrisikos betrifft.

Beim Standardansatz werden die Eigenkapitalanforderungen in bezug auf das Kreditrisiko durch Schuldnerevaluierung durch Ratingagenturen ermittelt. Die Tatsache, dass Ratingagenturen eine immer größere Rolle im Finanzdienstleistungsbereich spielen, wirft die Frage auf, wie sichergestellt werden kann, dass diese unabhängig arbeiten und angemessene Qualitätsstandards erfüllen.

Alternativ zum Standardansatz ist künftig auch die Anwendung eines bankinternen Ratingansatzes (IRB) möglich, den es als einfachen (foundation) und als fortgeschrittenen (advanced) Ansatz gibt. Das soll systematische Benachteiligungen in denjenigen Ländern verhindern, wo der Rückgriff auf Ratingagenturen weniger üblich ist.

Die IRB-Ansätze sind nur für solche Banken machbar, die eine gewisse Anzahl an Transaktionen durchführen, da mit diesem Ansatz nicht unerhebliche Fixkosten verbunden sind. Aufgrund der hohen Kosten für die Implementierung komplexerer Verfahren könnten einige kleinere, lokal tätige Banken gezwungen sein, den Standardansatz zu verwenden, es sei denn, sie können auf Verbandslösungen zurückgreifen (wie es z.B. bei einigen Sparkassen und Genossenschaftsbanken der Fall sein dürfte). Es scheint, als hätte die Kommission einen flexibleren Ansatz gewählt als der Baseler Ausschuss im Hinblick auf die fallweise Anwendung (partial use) des IRB-Ansatzes. Die partial-use-Option würde die Implementierung der IRB-Verfahren für kleinere Banken erheblich erleichtern. Ein erklärtes Ziel des Baseler Ausschusses ist es, für den Umstieg vom Standardansatz auf den IRB-Ansatz nur maßvolle Anreize zu geben. Die QIS3 hat jedoch gezeigt, dass Banken, die den Standardansatz verwenden, deutliche Nachteile im Hinblick auf Eigenkapitalanforderungen gegenüber Instituten haben, die den IRB-Ansatz verwenden.

3. Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

Die in den Basler Verhandlungen erzielten Kompromisse tragen den vielerorts vorhandenen Befürchtungen Rechnung, die Finanzierungsbedingungen von KMU würden sich als Folge des neuen Ansatzes verschlechtern. So werden Kredite an KMU bis zu einer Höhe von 1 Mio. € unter bestimmten Bedingungen in das regulatorische Retailportfolio einbezogen, die Folge sind geringere Kapitalanforderungen sowohl in den IRB-Ansätzen als auch im Standardansatz, wo sie ein Risikogewicht von nur 75% erhalten. Möglicherweise sollte mit Marktteilnehmern weiter diskutiert werden, ob die 1 Mio. € Grenze hoch genug ist. In den IRB-Ansätzen gilt für Unternehmen mit bis 50 Mio. € Umsatz eine präferentielle Risikokurve, die die höhere Diversifikation eines solchen KMU-Kreditportfolios widerspiegelt.

Die zugunsten der KMU-Finanzierung erreichten Verbesserungen sind jedoch durch die Einführung eines sogenannten „Granularitätskriteriums“ gefährdet. Es setzt die Kreditposition gegenüber jedem KMU zur Gesamtgröße des Retailportfolios in Beziehung und begrenzt damit die Möglichkeiten gerade der kleineren Banken, eine günstigere Behandlung für ihre KMU-Kredite in Anspruch zu nehmen, da ihr Retailportfolio einfach nicht groß genug ist, damit die 1 Mio. € Grenze vollständig genutzt werden kann.

Obgleich Vertreter des Baseler Ausschusses öffentlich verkündet haben, das Kriterium würde entfernt werden, ist es immer noch im Dritten Konsultationspapier enthalten, wenn auch lediglich als Option für die nationalen Aufseher, die ausreichende Diversifikation zu prüfen. Da sich der Basler Akkord an international aktive Banken wendet, macht es aber keinen Sinn, kleineren Banken, die keinerlei Gefahr für das Finanzsystem darstellen, zusätzliche Bürden aufzulasten. Die Kommission sollte ein solch starres Kriterium nicht übernehmen, weder auf EU-Ebene, noch als Option für die nationalen Aufseher.

Unzweifelhaft bietet der Neue Akkord wesentlich mehr Möglichkeiten, Sicherheiten einzusetzen als das alte System. In Bezug auf Hypothekarkredite wurde viel erreicht. Bei der Finanzierung von KMU spielen jedoch auch dingliche Sicherheiten eine große Rolle. Leider ermöglicht Basel die Anerkennung der dinglichen Sicherheiten nur in den IRB-Ansätzen und nicht im Standardansatz, den viele kleinere Banken anwenden werden müssen. Gerade die kleineren Banken sind jedoch von entscheidender Wichtigkeit bei der KMU-Finanzierung. Die Kommission sollte weiter prüfen, ob nicht eine breite Anerkennung der dinglichen Sicherheiten auch im Standardansatz ermöglicht werden sollte.

Gegenwärtig leiden besonders Unternehmensgründer unter der restriktiven Kreditvergabe der Banken. Dies gefährdet die Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Die Baseler Regelungen drohen besonders im Bereich der Beteiligungsfinanzierung neue Hürden aufzubauen. Insgesamt haben weder der Basler Ausschuss, noch die Kommission bisher kohärente Ansätze zur Berücksichtigung der speziellen Problematik von Unternehmensgründern entwickelt, z.B. der kurzen Unternehmensgeschichte und den Mangel an Sicherheiten.

4. Auswirkungen auf die Konjunktur

Eine ernstzunehmende Kritik am neuen Eigenkapitalregime betrifft dessen Auswirkungen auf die makro-ökonomische Stabilität. Prozyklizität, die Verstärkung zyklischer Abweichungen vom Produktionspotential, ist möglicherweise eine direkte Konsequenz genauerer Risikomessung. Im wirtschaftlichem Abschwung steigen die Kreditrisiken typischerweise an; dies könnte die Banken zwingen, die Kreditvergabe einzuschränken, der Abschwung würde verstärkt. Durch den Zertifizierungsprozess der internen Modelle könnte weiterhin eine Homogenisierung der Kreditnehmerbeurteilung erfolgen. All dies könnte in Krisen destabilisierend wirken.

Keinesfalls wäre es eine Lösung, Kreditrisiken in den Büchern zu verbergen. Deshalb sollte das übergreifende Ziel von Basel II, eine bessere Messung der Risiken, begrüßt werden. Aber wir sollten Sorge dafür tragen, dass die Kapitalanforderungen nicht einen bestehenden konjunkturellen Abschwung verschlimmern.

Wir sollten die Auswirkungen der neuen Regeln in dieser Hinsicht weiter untersuchen. Eine zu starre Regelung ist sicherlich nicht vernünftig. Ziel sollte ein flexibler Regelungsrahmen sein, der offen ist für Verbesserungen. Das bedeutet auch, dass es eine regelmäßige Beurteilung der neuen Regeln geben sollte. Das Europäische Parlament darf nicht von dieser Debatte ausgeschlossen werden. Art. 202 EGV muss deshalb so verändert werden, dass das Parlament ein „call-back“-Recht erhält.

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