Kommission schlägt Änderung “Mutter Tochter Richtlinie” vor

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag zur Änderung der so genannten Mutter-/Tochter-Richtlinie (90/435/EWG) vorgelegt. Darin schlägt sie im Einzelnen vor, den Anwendungsbereich der Richtlinie auszuweiten, damit eine größere Anzahl von Unternehmen abgedeckt ist, die vorgeschriebene Mindestbeteiligung für die Inanspruchnahme der Steuervorteile von 25 % auf 10 % herabzusetzen und die Mechanismen zur Verhinderung von Doppelbesteuerung zu verbessern. Neben anderen Rechtsformen soll auch die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea — SE), die ab 2004 gegründet werden kann, in das Verzeichnis der von der Richtlinie erfassten Gesellschaften aufgenommen werden.

Die Mutter-/Tochter-Richtlinie, die steuerliche Hindernisse für Unternehmensgruppen in der EU beseitigen soll, indem sie bei Dividendenzahlungen zwischen verbundenen Gesellschaften in unterschiedlichen Mitgliedstaaten eine Befreiung von der Quellensteuer vorsieht und verhindert, dass Gewinne der Tochter bei der Mutter nochmals besteuert werden, ist in ihrer jetzigen Form wegen ihres eng gefassten Anwendungsbereichs nur von begrenzter Wirksamkeit. Der Vorschlag ist Teil der Unternehmensteuerstrategie, die die Kommission 2001 vorstellte. In diesem Zusammenhang hatte die Kommission eine Reihe steuerlich bedingter Hindernisse für die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt ermittelt und kurz- und langfristige Maßnahmen der Gemeinschaft zur Beseitigung dieser Hindernisse angekündigt.


„Dieser Vorschlag ist ein wichtiges Element unserer Strategie zur Beseitigung aller Formen der Doppelbesteuerung sowie aller anderen steuerlichen Hindernisse, mit denen Unternehmen heute konfrontiert sind, die von ihrer Freiheit zur grenzüberschreitenden Tätigkeit im Binnenmarkt Gebrauch machen“,

erklärte der für Steuern zuständige EU-Kommissar, Frits Bolkestein.
„Die Kommission ist entschlossen zu gewährleisten, dass die Steuerpolitik der EU dazu beiträgt, die EU bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“.

Der Vorschlag

Der Vorschlag besteht im Wesentlichen aus drei Elementen, die die Anwendung der Mutter-/Tochter-Richtlinie verbessern sollen.

Erstes Element ist die Aktualisierung des Verzeichnisses im Anhang zur Richtlinie, in dem die Rechtsformen aufgeführt sind, für die die Richtlinie gilt. Das Verzeichnis wird um neue, namentlich genannte Rechtsformen ergänzt, darunter Genossenschaften, Gesellschaften auf Gegenseitigkeit, bestimmte Körperschaften, die keine Kapitalgesellschaften sind, Sparkassen, sowie wirtschaftlich tätige Fonds und Vereinigungen. Aufgenommen wird auch die Europäische Gesellschaft, die ab Oktober 2004 gegründet werden kann. Sie bietet Unternehmen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, die Möglichkeit, eine Unternehmensverfassung nach dem Gemeinschaftsrecht zu wählen.

Zweites Element des Vorschlags ist die Herabsetzung der Anforderungen für die Anwendung der Richtlinienbestimmungen, nach denen Dividendenzahlungen einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat an eine Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat von der Quellensteuer befreit sind. Die vorgeschriebene Mindestbeteiligung, die die Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft besitzen muss, um in den Genuss dieser Befreiung zu kommen, soll von 25 % auf 10 % herabgesetzt werden.

Drittes Element ist die Vervollständigung des in der Richtlinie vorgesehenen Mechanismus zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Dividenden, die eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft erhält. Da bei der Tochtergesellschaft die Gewinne besteuert werden, aus denen diese die Dividenden zahlt, muss derzeit der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft entweder die von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne von der Steuer befreien oder die im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft bereits gezahlten Steuern anrechnen. Dem Vorschlag zufolge sollen künftig auch alle Steuern, die Töchter der Tochtergesellschaft („Enkelgesellschaften“) bereits auf die fraglichen Gewinne gezahlt haben, auf die Steuern angerechnet werden, die die Muttergesellschaft auf ihre Gewinne zahlen muss, so dass eine vollständige Beseitigung der Doppelbesteuerung erreicht wird.

Der jetzt vorgelegte Vorschlag ersetzt den früheren Vorschlag zur Änderung der Mutter-/Tochter-Richtlinie von 1993, und die Kommission hat den älteren Vorschlag folglich zurückgezogen.

Hintergrund

Die Richtlinie 90/435/EWG vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (die so genannte „Mutter-/Tochter-Richtlinie“) dient der Beseitigung der Doppelbesteuerung von Gewinnen, die eine in einem Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft in Form von Dividenden an ihre in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft ausschüttet.

Der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Tochtergesellschaft steuerpflichtig ist, muss jede Form der Quellensteuer abschaffen, während der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft die vereinnahmten Dividenden entweder befreien oder die im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft bereits gezahlte Steuer anrechnen muss.

Diese Formulierung ist schwer verständlich. Gemeint ist, dass der Staat, in dem die Tochtergesellschaft sitzt, die Gewinnausschüttungen nicht besteuern darf. Vielfach werden Gewinnausschüttungen — etwa mit einer Kapitalertragsteuer — bei der Auszahlung besteuert. Die Gewinne sind solche der Muttergesellschaft und sollen nur von der Muttergesellschaft besteuert werden.

Zugleich hat die Tochtergesellschaft bereits selber Steuern auf Gewinne (die eigenen Gewinne der Tochtergesellschaft) gezahlt. Diese Steuern sollen bei der Muttergesellschaft berücksichtigt werden.

Ziel der Regelung ist, dass die Gewinne nur in einem Land besteuert werden sollen. Wenn eine Tochtergesellschaft in einem Staat Gewinne erwirtschaftet, so hat es die Gewinne zu versteuern. Wenn diese Gesellschaft dann Gewinne an die Muttergesellschaft ausschüttet, so hat die Muttergesellschaft diese Gewinne, die ja eine Einnahme darstellen, grundsätzlich nochmals zu versteuern. In Deutschland wurde dieses Verfahren der Anrechnung der Körperschaftssteuer gerade erst abgeschafft.

Die Vorlage eines Vorschlags zur Aktualisierung der Mutter-/Tochter-Richtlinie war eines der Ziele, die sich die Europäische Kommission im Oktober 2001 setzte, als sie ihre Strategie für die Unternehmensteuern in der EU vorstellte. Sie äußerte damals die Auffassung, dass die Unternehmensteuersysteme in der EU mit Entwicklungen wie der Globalisierung und der wirtschaftlichen Integration im Binnenmarkt und in der Wirtschafts- und Währungsunion nicht Schritt gehalten haben, und ein neuer Anstoß nötig ist.

Die Kommission nannte in ihrer Strategie eine Reihe steuerlich bedingter Hindernisse für die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt, bei denen sie Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene sieht, und schlug vor, diese Hindernisse im Wege eines zweigleisigen Vorgehens zu beseitigen. Sie erklärte auch, dass sie eine Reihe gezielter Maßnahmen plant, darunter der jetzige Vorschlag zur Ausweitung der Richtlinie zur Dividendenbesteuerung und eine vergleichbare Ausweitung des Anwendungsbereichs der Fusionsrichtlinie sowie weitere Maßnahmen betreffend den grenzübergreifenden Verlustausgleich, die Verrechnungspreise und die Doppelbesteuerungsabkommen.

Zum anderen war die Kommission der Auffassung, dass den Unternehmen langfristig die Möglichkeit gegeben werden müsste, für ihre grenzüberschreitenden Tätigkeiten innerhalb der EU eine konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer zu verwenden, um so den kostenträchtigen und ineffizienten Umgang mit 15 verschiedenen steuerlichen Regelwerken zu vermeiden.

Die Kommission ermittelte im Rahmen einer Studie verschiedene Wege zur Schaffung einer konsolidierten Besteuerungsgrundlage und erklärte, dass sie eine umfassende und tiefgreifende Diskussion dieser Angelegenheit einleiten wird. Die Kommission beabsichtigt, gegen Ende dieses Jahres über ihre politischen Schlussfolgerungen zum Thema einer konsolidierten Bemessungsgrundlage zu berichten.


Vorschlag in englischer Sprache (PDF)


Deutschland hat mit allen Mitgliedstaaten Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen (auch mit den verbleibenden EFTA-Staaten Island, Norwegen und der Schweiz, nicht jedoch mit Liechtenstein).


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