Kommission fordert Pfandsysteme für Einwegverpackungen zu ändern

Die Europäische Kommission hatte Deutschland im Oktober 2003 um Auskünfte über die deutschen Pfand- und Rücknahmesysteme für bestimmte Arten von Einwegverpackungen (in der Regel Dosen und Plastikflaschen) ersucht. Nach Prüfung der Antwort der deutschen Behörden hat sie jetzt beschlossen, Deutschland formell aufzufordern, die entsprechenden Vorschriften der Verpackungsverordnung zu ändern.

Die Kommission stellt den ökologischen Nutzen der Pfanderhebung und der Rücknahme von Verpackungen zwar nicht in Frage, sie vertritt aber die Ansicht, dass die Art und Weise, in der die entsprechenden Systeme in Deutschland betrieben werden, den Handel mit verpackten Getränken aus anderen Mitgliedstaaten unverhältnismäßig stark behindert und somit gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt (Artikel 28 EG-Vertrag) und gegen Artikel 7 der Richtlinie 94/62/EG (Verpackungsrichtlinie) verstößt. Importierte Getränke sind besonders stark betroffen, weil diese – in erster Linie wegen langer Lieferwege – zu ca. 95 Prozent in Einwegverpackungen angeboten werden. Die Aufforderung der Kommission ergeht in Form einer ,mit Gründen versehenen Stellungnahme‘ (zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 226 EG-Vertrag). Wenn die deutschen Behörden binnen zwei Monaten keine zufrieden stellende Antwort geben, kann die Kommission den Fall an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften verweisen.

Wenn einzelstaatliche Vorschriften den freien Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union behindern (dieser Binnenmarktgrundsatz ist in Artikel 28 EG-Vertrag verankert), wird das Recht von Unternehmen beschnitten, eine Ware in der gesamten EU zu vertreiben. Dies kann durchaus dazu führen, dass der Wettbewerb auf den einzelstaatlichen Märkten eingeschränkt wird, so dass der Verbraucher weniger Auswahl hat und unter Umständen sogar höhere Preise zahlen muss.

Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein kommentierte: „Die Kommission hat diese Angelegenheit mehrfach auf hoher Ebene mit den deutschen Behörden erörtert, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Dabei konnten die Bedenken der Kommission nicht hinreichend ausgeräumt werden, dass das deutsche System gegen EU-Recht verstößt, welches Deutschland zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten einvernehmlich gesetzt hat. Es bleibt der Kommission somit keine Wahl. Sie muss den Fall weiterverfolgen, obwohl sie zuversichtlich bleibt, dass noch eine Lösung gefunden werden kann, die die Anrufung des Gerichtshofs überflüssig macht.“

Nach Maßgabe der deutschen Verpackungsverordnung müssen auf Mineralwasser, Bier und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke in Einwegverpackungen (in der Regel Dosen und Plastikflaschen) je nach Füllvolumen mindestens 0,25 ? bzw. mindestens 0,50 ? Pfand erhoben werden. Gleichzeitig sind die Vertreiber verpflichtet, gebrauchte Verpackungen zurückzunehmen, die nach Art, Form und Größe denjenigen entsprechen, die sie in ihrem Sortiment führen.

Es gibt aber bis heute noch kein funktionierendes landesweites Rücknahmesystem, das es den Verbrauchern erlauben würde, solche Einwegverpackungen bei jeder beliebigen Verkaufsstelle zurückzugeben und sich dort das bezahlte Pfand zurückerstatten zu lassen. Die Einzelhändler sind stattdessen nur verpflichtet, Verpackungen zurückzunehmen, die nach Art, Form und Größe mit denjenigen identisch sind, die sie selbst im Angebot haben. Die Annahme anderer Arten von Leergut dürfen sie verweigern. Auf diese Weise sind verschiedene „Insellösungen“ entstanden, weil besondere Verpackungen für bestimmte Einzelhändler entwickelt wurden, die sich nach Art, Form und Größe geringfügig von den Verpackungen anderer Einzelhändler unterscheiden. So verringern Einzelhändler ihre finanziellen Verpflichtungen, denn sie nehmen nur Verpackungen der Produkte zurück, die sie selbst verkauft haben, und erstatten auch nur dafür das Pfand.

Dies hat dazu geführt, dass es in Deutschland derzeit kein landesweites Rücknahmesystem gibt, sondern ein Mosaik unterschiedlicher Systeme, die in sich geschlossen und miteinander nicht kompatibel sind. Die beiden Rücknahmesysteme die sich landesweit durchsetzen könnten, decken derzeit nur einen sehr begrenzten Teil des einschlägigen Getränkemarktes in Deutschland ab. In der Zwischenzeit haben viele Geschäfte Produkte in Einwegverpackungen aus den Regalen genommen.

Insellösungen tragen zur Erhöhung der Produktionskosten bei und behindern die Einfuhr von Bier, Mineralwasser und Erfrischungsgetränken aus anderen Mitgliedstaaten.

Nach geltendem EU-Recht können Beschränkungen des freien Warenverkehrs aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, z. B. aus Gründen des Umweltschutzes, gerechtfertigt sein, solange sie für einheimische und importierte Produkte unterschiedslos gelten und solange sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem erstrebten Ziel stehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt allerdings unter anderem, dass die Maßnahmen den Handel innerhalb der EU so wenig wie möglich beeinträchtigen.

Darüber hinaus verlangt die Verpackungsrichtlinie von Mitgliedstaaten, die Pfand- und Rücknahmesysteme einführen, dass sie dabei keine Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Handel errichten. Die Erfahrungen aus anderen Mitgliedstaaten haben gezeigt, dass sich Pfandsysteme einführen lassen, ohne den Handel im Binnenmarkt zu beeinträchtigen.

Nach Auffassung der Kommission führt aber die Art und Weise, in der die Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht der Verpackungsverordnung in Deutschland umgesetzt wurde, zu einer unverhältnismäßigen Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels. Darüber hinaus bezweifelt sie, dass das Umweltschutzziel mit den getroffenen Maßnahmen auf dem bestgeeigneten Weg erreicht wird.

Keines der zusätzlichen Argumente, die die deutschen Behörden im Anschluss an das Aufforderungsschreiben der Kommission vom Oktober 2003 vorgebracht haben, ist geeignet, die Bedenken der Kommission auszuräumen.

Kommentar

Die Mitteilung der Kommission überzeugt wenig. Ziel des deutschen Pfand- und Rücknahmesystems für Einwegverpackungen ist die Reduzierung von Einwegverpackungen. Eben dieses Ziel wurde mit der Verpackungsverordnung erreicht — wenn auch verbunden mit bedeutenden Änderungen der Marktanteile einzelner Produkte. Die Kommission stellt dementsprechend fest: Importierte Getränke sind besonders stark betroffen, weil diese – in erster Linie wegen der langen Lieferwege – zu ca. 95 Prozent in Einwegverpackungen angeboten werden.

Die Schwierigkeit bei der vorliegenden Argumentation liegt darin, dass man die Nutzung von Einwegverpackungen nicht ohne Benachteiligung von ausländischen Produkten reduzieren kann, wenn 95 Prozent der ausländischen Produkte in Einwegverpackungen angeboten werden. Entweder müssen die ausländischen Anbieter die Verpackung ändern oder Deutschland muss den Verkauf von ausländischen Produkten in Einwegverpackungen gestatten. Beides stellt keine zufriedendstellende Lösung dar.

Ob allein eine Umstellung des Verfahrens bzw. eine – nach Ansicht der Kommission – bessere Regelung genügt, um eine Benachteiligung zu beseitigen, ist zweifelhaft. Die Transportwege – die als einer der wesentlichen Gründe angeführt werden – lassen sich dadurch nicht verkürzen. Insoweit darf man auch nicht übersehen, dass etwa der Weg von Belgien oder den Niederlande nach Köln um einiges kürzer ist als der von Bayern nach Köln. Dass das Angebot n Köln aber hiervon wesentlich beeinflusst wird, ist nicht feststellbar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert