Kommission leitet Verfahren gegen Verwertungsgesellschaften ein

Die Europäische Kommission hat sechzehn Verwertungsgesellschaften, die Lizenzgebühren im Namen von Musikautoren einsammeln, gewarnt, dass ihr so genanntes Santiago-Agreement gegen EU-Wettbewerbsrecht verstoßen könnte.

Mit ihren Gegenseitigkeitsvereinbarungen zur wechselseitigen Lizenzgewährung haben die Verwertungsgesellschaften die im Offline-Bereich seit jeher bestehenden nationalen Monopole auf das Internet übertragen, die dazu führen, dass es auch im Online-Bereich zu einem exklusiven Gebietsschutz entlang nationaler Grenzen kommt.

Nach Auffassung der Kommission sollte jedoch zwischen den Verwertungsgesellschaften Wettbewerb im Interesse sowohl der Unternehmen, die Musik über das Internet anbieten, als auch der Verbraucher, die diese Musik abrufen, entstehen. Dies bildet zum gegenwärtigen Zeitpunkt lediglich eine vorläufige Stellungnahme der Kommission und den Verwertungsgesellschaften wird jetzt Gelegenheit gegeben, ihren Standpunkt schriftlich und in einer Anhörung mündlich darzulegen.

Das Santiago Agreement war ursprünglich im April 2001 von den Verwertungsgesellschaften aus dem Vereinigten Königreich (PRS), Frankreich (SACEM), Deutschland (GEMA) und den Niederlanden (BUMA) bei der Kommission angemeldet worden. Der Vereinbarung schlossen sich in der Folge alle Verwertungsgesellschaften im Europäischen Wirtschaftsraum (mit Ausnahme der portugiesischen SPA) sowie die schweizerische Verwertungsgesellschaft SUISA an.

Auf der Grundlage dieser Vereinbarung können alle angeschlossenen Verwertungsgesellschaften kommerziellen Online-Nutzern eine in allen von ihnen vertretenen Gebieten allgemein gültige Nutzungslizenz für das Musikrepertoire aller Gesellschaften erteilen.

Die Überwindung von Landesgrenzen durch das Internet sowie das digitale Format der Produkte wie Musikdateien lassen sich nur schwer mit der herkömmlichen, auf rein nationale Verfahren gestützte Vergabe von Urheberrechtslizenzen vereinbaren. Ist ein Musikwerk erst im Internet, ist es von praktisch allen Orten der Welt aus zugänglich. Nach den klassischen Lizenzierungsbestimmungen müsste ein kommerzieller Nutzer, der seinen Kunden solche Musikwerke anbieten möchte, von jeder einzelnen nationalen Verwertungsgesellschaft eine Urheberrechtslizenz erwirken. Mit dem Santiago Agreement sollen diese Bestimmungen der Online-Nutzung angepasst werden, indem eine allgemein gültige Lizenz für die Bereitstellung von Dienstleistungen wie Downloading oder Streaming von Musikstücken angeboten wird.

Die Kommission befürwortet voll und ganz den im Santiago Agreement verankerten Grundsatz der Einmallizenz sowie die Notwendigkeit eines angemessenen Urheberrechtsschutzes (vgl. Entscheidung der Kommission vom 8.10.2002 in der Sache IFPI Simulcasting).

Dessen ungeachtet ist die Kommission aber auch der Meinung, dass solche entscheidenden Entwicklungen im Online-Bereich mit mehr Wahlmöglichkeiten für Verbraucher und kommerzielle Nutzer in Bezug auf die Anbieter solcher Leistungen in Europa einhergehen müssen, damit ein echter europäischer Binnenmarkt geschaffen werden kann. Dem Santiago Agreement zufolge beschränkt sich die Wahlmöglichkeit für die kommerziellen Nutzer auf die monopolistische Verwertungsgesellschaft im eigenen Mitgliedstaat.

Jüngste Entwicklungen im Bereich der kollektiven Verwertung von Urheberrechten zeigen, dass die monopolistischen Strukturen, die traditionell in Europa auf nationaler Ebene vorherrschen, zum Schutz der Interessen von Rechteinhabern im Online-Bereich nicht erforderlich sind. 2002 genehmigte die Kommission das IFPI Simulcasting Agreement, mit dem eine europaweite Lizenzierung ohne Gebietsschutz eingeführt wurde. TV- und Radiosender können danach von einer beliebigen Verwertungsgesellschaft im EWR eine Lizenz für die zeitgleiche Verbreitung ihrer Musiksendungen im Internet erwirken. Es steht ihnen somit frei, sich in Bezug auf die Lizenzerteilung an die effizienteste Verwertungsgesellschaft in Europa zu wenden. Auch die Tonträger-Verwertungsgesellschaften kündeten 2003 den Abschluss einer Standardvereinbarung für Webcasting³-Lizenzen an, wonach kommerziellen Nutzern in gleicher Weise in Europa Wahlfreiheit in Bezug auf die Verwertungsgesellschaften geboten werden soll.

Der mangelnde Wettbewerb zwischen nationalen Verwertungsgesellschaften in Europa behindert die Vollendung des Binnenmarkts im Bereich der Urheberrechtsverwaltung und kann zu unbegründeten Effizienzverlusten beim Online-Musikangebot führen, die letztlich zu Lasten der Verbraucher gehen. Nach Ansicht der Kommission ist der den angeschlossenen Verwertungsgesellschaften im Santiago Agreement garantierte Gebietsschutz technisch nicht gerechtfertigt und mit dem globalen Charakter des Internet nicht vereinbar.

Die Kommission wird alle Vorschläge, die die Verwertungsgesellschaften vorlegen, um die derzeitigen Vereinbarungen mit dem EU-Wettbewerbsrecht in Einklang zu bringen, sorgfältig und unvoreingenommen prüfen. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte nimmt den Ausgang der Untersuchung keinesfalls vorweg und gewährleistet das Anhörungsrecht sowohl der Anmelder als auch der übrigen Beteiligten.

Die Verwertungsgesellschaften müssen sich innerhalb von zweieinhalb Monaten zu den Einwänden der Kommission äußern. Sie können zudem eine Anhörung beantragen, bei der sie ihre Argumente den Vertretern der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden direkt vortragen können.

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