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Elf Worte, Schnipsel und das Leistungsschutzrecht der Presse

Der EuGH zeigte sich bekanntlich bei der Auslegung der Richtlinien der Europäischen Union zum Schutz des geistigen Eigentum gnädig: »Wörter als solche stellen keine vom Schutz erfassten Bestandteile dar.« Das exklusive Recht steht in der Theorie und auf dem Papier ja den Urhebern oder — bei einer Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers — deren Enkel zu (in der Wirklichkeit den Rechteverwertern). Die europäischen Bürger sind dem EuGH für das Urteil wohl auch (un-)ausgesprochen dankbar. Schließlich hat der EuGH geurteilt, dass wir all die neumodischen Wortkreationen wie Transistor, Relativitätstheorie, E-Mail oder telefonieren bereits jetzt benutzen können, ohne den jeweiligen Urheber um Erlaubnis zu fragen. Die Kommunikation wäre doch erheblich erschwert, wenn man nur den Wortschatz aus der Zeit vor 1900 frei benutzen dürfte. Auch die Abfassung des Urteils (Text hier) wäre vermutlich schwerer gefallen, weil der EuGH dann die Worte Datenbank, Scanner, TIFF-Format oder Optical Character Recognition nicht benutzen dürfte, ohne die kreativen Urheber dieser Wortschöpfungen (oder Erwerber des geistigen Eigentums) um Erlaubnis zu fragen. Einzelne Wörter sollen offenbar nicht unter das Urheberrecht fallen, obwohl manche Wortschöpfungen durchaus geeignet sein können, den schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen und nach dem Verständnis des EuGH eine geistige Schöpfung darstellen können (die dann zum Exklusivrecht führt).

Aber so ganz sicher war sich der EuGH offenbar nicht, denn sonst hätte er es ja nicht in das Urteil geschrieben und dieser Feststellung die ganze Randnummer 46 gewidmet. Wir haben es insoweit mit kreativer Tätigkeit zu tun und das Hauptziel der Regelungen zum Urheberrecht besteht bekanntlich darin, ein hohes Schutzniveau unter anderem zugunsten der Urheber sicherzustellen und diesen eine angemessene Vergütung für die Nutzung einschließlich der Vervielfältigung ihrer Werke zu ermöglichen, damit sie weiterhin schöpferisch und kreativ tätig sein können. Und wie jeder weiß, stellt das Urheberrecht heutzutage ja sicher, dass die Urheber angemessen entlohnt werden (zumindest für ihre Tätigkeit als Musiklehrer, Taxifahrer oder Professorin).

Da aber das Schutzniveau hoch zu sein hat, so der EuGH, könne nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Sätze oder sogar Satzteile urheberrechtlich geschützt sind. Solche Splitter eines Textes könnten dazu geeignet sein, dem Leser die Originalität einer Publikation wie etwa eines Zeitungsartikels zu vermitteln, indem sie ihm einen Bestandteil mitteilen, der als solcher Ausdruck der eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers dieses Artikels ist. Bei dieser verqueren ,,Schutz hier, Schutz da, Schutz dort“-Logik ist zu beachten: Nur das Schutzniveau muss hoch sein, nicht das Niveau des Geschützten.

Man muss sich nun genau überlegen, ob man noch »Wir sind Papst« verwendet, oder doch lieber »Unsereiner ist Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche« schreibt. Aber dafür ist es jetzt, nach dem Lesen, schon zu spät, denn diese originelle Schöpfung gehört nun dem Verfasser (und seinen Erben bis ins dritte Glied).

Nach dem EuGH kann jedenfalls ein Ausdruck eines Auszugs aus einem geschützten Werk, der aus elf aufeinander folgenden Wörtern des Werkes besteht, bereits urheberrechtlich geschützt sein. Die Rechtsinhaber haben damit nach dem (im Urteil nicht zitierten) Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 das ausschließliche Recht, die Verbreitung in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten. Man müsste also vorher eine Genehmigung einholen, es sei denn, die Nutzung des Schnipsel ist durch das Zitatrecht gedeckt. Kann geschützt sein bedeutet in diesem Fall, dass man sich im Zweifel darüber vor Gericht über mehrere Instanzen trefflich streiten kann.

Eine besondere Gefahr sah der EuGH darin, dass die Nutzer nichts besseres zu tun haben, als sich aus einzelnen Schnipseln von jeweils elf Worten eine längere Textpassage zusamenzureimen, die dann Originalität des betreffenden Werkes widerspiegeln kann. Diese Schnipsel-Rätselei könne dazu führen, dass eine geistige Schöpfung des Urhebers zum Ausdruck gebracht werde (es geht, wie gesagt, um Zeitungsartikel), was ja, wie gesehen, ohne Zustimmung des Rechtsinhabers nicht erlaubt ist. Das Recht gebietet es also, dass keinem Leser ohne Erlaubnis des Rechtsinhabers die Originalität einer Publikation wie etwa eines Zeitungsartikels durch Schnipsel aus dem Text vermittelt wird.

Verleger wollen dort ernten, wo andere gesät haben

Nun mag man sich fragen, wieso die deutsche Presse sich so für ein eigenes Leistungsschutzrecht stark macht, wenn bereits das Kopieren solcher kurzer Auszüge aus Texten verboten sein kann. Das Problem liegt darin, dass der EuGH mit seiner originellen Schnipsel-Logik immer noch eine gewisses Maß an Originalität (des Schnipsels) fordert. Mag diese Hürde inzwischen auch auf das Niveau Unterkante Bordstein (wo der Unrat in die Kanalisation gespült wird) gesunken sein, Sätze wie Oderhochwasser steigt weiter, Siemensaktie sinkt auf Jahrestief oder BND-Agenten-Affäre weitet sich aus überspringen selbst diese niedrige Messlatte nicht. Deutlich wird der Unterschied bei den Leistungsschutzrechten der Tonträgerhersteller. Von dem Leistungsschutzrecht werden die kleinsten Partikel erfasst, was bei den Schnipseln aus den genannten Gründen nicht feststeht und einzelne Worte, was man nochmals betonen muss, nach dem EuGH noch kein Verbotsrecht begründen.

Zauberformel Leistungsschutzrecht?

Dass diese Schnipsel nicht geschützt wurden, war lange Zeit nicht tragisch, denn damit konnte man kein Geld verdienen. Zwischen den Suchmaschinen und den von der Suchmaschine gefundenen Websites liegt eher ein symbiotisches Verhältnis vor. Zunächst waren die Produzenten (Verleger) froh, wenn ihnen jemand die Kundschaft (Leser) besorgte — die Angestellten in der Werbebranche und den Marketingabteilungen leben davon. Als im Internet die Suchmaschinen diese Tätigkeit (Kunden und Anbieter zusammenzubringen) unentgeltlich übernommen haben, wurden Millionen in SEO investiert — in die Optimierung der eigenen Website, damit sie in den Suchmaschinen möglichst gut gefunden wird. Zu dieser Zeit wurden seitens der Presse — wenig erstaunlich — keine Rufe laut, die Presse würde unentgeltlich von den Leistungen der Suchmaschinenbetreiber profitieren. Jetzt verdienen die Suchmaschinenbetreiber auf andere Art Geld und da wächst die Begehrlichkeit. Die Begründung, mit der man entsprechende Rechte durchsetzen kann, ist bekannt: Die Unternehmer müssten es derzeit hinnehmen, dass Dritte ihre Wertschöpfung unentgeltlich zur eigenen Gewinnzerzielung ausnutzen. Anders gesagt: Mit der nämlichen Argumentation, mit der der Bundesverband der Zeitungsverleger ein Leistungsschutzrecht fordert, könnten auch Suchmaschinenbetreiber ein Leistungsschutzrecht fordern, denn die Verleger profitieren auch von den Suchmaschinen. Die beiden Verlegerverbände behaupten, sie würden ein Verbotsrecht benötigen, aber sie wollen das Tun der Suchmaschinenbetreiber (etc.) gar nicht verbieten, sondern sich — ganz im Gegenteil — möglichst prominent unter den am häufigsten angezeigten Links befinden. Widersprüchlicher geht es kaum.

Worum es nun bei dem Leistungsschutzrecht geht, liegt auf der Hand. Solange kein Geld mit den Links verdient wurde, gab es auch kein Interesse an dem Recht. Die Forderung gründet also in dem Wunsch, dort zu ernten, wo man nicht gesät hat. Das macht jeder gern, weil der andere arbeitet, während man selbst kassiert. ,,Natürlicherweise“, wie etwa Fichte feststellte, ,,will jeder an dem anderen gewinnen, soviel als möglich, und den anderen an sich gewinnen lassen, sowenig als möglich; jeder will den anderen soviel als möglich für sich arbeiten lassen, und dagegen sowenig als möglich für ihn arbeiten.“

Viel mehr gibt es hierzu nicht zu sagen, außer vielleicht: Manche Tätigkeiten werden vom Markt nicht bezahlt. Wenn diese Leistung unter Marktbedingungen überhaupt nicht erbracht wird, muss man sich Gedanken machen, ob diese Leistung notwendig ist und ob sie auf andere Art zu finanzieren ist. Die Verleger engagieren sich jedoch scheinbar auf einem bereits weitgehend gesättigten Markt. Ihre besondere Leistung, mit der sie sich geltend machen wollen, wird jedenfalls von den Kunden offenbar als wertlos eingeschätzt (andernfalls würden die Kunden ja etwas dafür bezahlen). Modelle, bei denen die die Nutzer etwas für die Leistung der Verleger bezahlen, sind im Internet kein Unding. Ein Unding ist in einer freien Marktwirtschaft eher die Vorstellung der Verleger, dass ihre von den Kunden als wertlos eingeschätzte Leistung vom Staat durch die Hintertür versilbert wird.

Ein weiterer Aspekt ist die bestehende Aufsplitterung der Interessen der Leser, die sich in dem Medium Zeitung nicht spiegelt.  In der klassischen Zeitung findet man Politik, Sport, Kultur, Wirtschaft oder etwa Regionales. Die meisten Leser interessieren sich nur für einen Teil der in einem Medium vereinigten Themen. Das Internet erlaubt eine Spezialisierung, die es der alten Methode, viele Interessen unter einem Dach zu vereinigen, schwer macht. Durch das Internet sind die Möglichkeiten der Leser, ihre eigene Bewertung durch  Annahme oder Ablehnung des jeweiligen Angebots zum Ausdruck zu bringen, größer geworden. Die Leser haben an Macht hinzugewonnen. Erst dies erlaubt einen Wettbewerb, der nach unterschiedlichen Kriterien unterscheiden kann. Man kann auf Masse achten, man kann auf hochwertige Beiträge setzten,  man kann aber nicht einfach die Zeitung ins Netz stellen.

Für die meisten (ehemaligen) Universalanbieter bedeutet dies, dass sie in jedem Bereich ihres Angebots wettbewerbsfähige Leistungen anbieten müssen. Wenn sie das nicht tun, entscheiden sich die Leser durch Nichtbeachtung gegen das Angebot. Das bedeutet aber keinesfalls, dass damit diese Leistung aus Sicht der Konsumenten entfällt — sie wird nur von jemand anderen besser angeboten. Erst dies bietet die Möglichkeit, sich (auch) durch Qualität geltend zu machen. Dieser Wandel (den manche Verleger alter Schule anscheinend noch nicht nachvollzogen haben) führt dazu, dass breite, eine Vielzahl von Interessen abdeckende Angebote nur bestehen können, wenn sie in allen Bereichen auch die entsprechende Leistung erbringen. Große und thematisch weit greifende Angebote aus der Hand einzelner Pressemogulen haben es ohne entsprechende journalistische Leistung schwerer, während die Chancen der spezialisierten Angebote gestiegen sind. Presse(-industrie-)betriebe bekommen infolge des Wettbewerbs Schwierigkeiten, wollen aber diese ehemalige Position nicht aufgeben und hoffen nun auf das Leistungsschutzrecht.

Unsere Regierung wird dem Begehren der Verleger nach mehr Geld — natürlich für den guten Zweck (Demokratie, Qualitätsjournalismus) — wahrscheinlich nachgeben: Einen weiterer Rückschritt in eine Zukunft, in der sich wie in guten alten absolutistischen Zeiten die einflussreichen Königstreuen ihre Privilegien sichern. Die Demokratie schützt man wohl kaum, indem man einer Handvoll Konzernen, die 80 % der Zeitungslandschaft beherrschen, mehr Geld verschafft. Was Demokratie mit der Verteilung der Gewinne zwischen Google und Co. und den Pressekonzernen zu tun haben soll, das steht sowieso in den Sternen.

Das Schutzrecht verdrängt Qualitätsjournalismus

Und Qualitätsjournalismus beruht wohl im wesentlichen auf guten Journalisten, die die Verlage durch gute Bezahlung gewinnen können. Das hat aber alles nichts mit dem Leistungsschutzrecht zu tun, denn das unterscheidet nicht zwischen

  1. kaum geändert weitergegebenen Pressemitteilungen;
  2. den neusten Fußballergebnissen und
  3. Berichten welches Sternchen mit wem und wo und wie gekleidet gesehen wurde, obwohl sie doch vor drei Wochen mit dem (Sie wissen’s schon) geturtelt haben soll.

Der Qualitätsjournalismus dieser Qualität würde wahrscheinlich 99,9 % der Einnahmen der Presseverleger ausmachen, die sich aus dem Leistungsschutzrecht ergeben. Dass man keinen sinnvollen — gestritten wird um’s liebe Geld — wirtschaftlichen Anreize für Qualitätsjournalismus setzt, indem man Masse statt Qualität belohnt, liegt auf der Hand. Der schludrig zusammengeschnipselte Artikel bringt bei dem Leistungsschutzrecht finanziell das gleiche ein wie ein sorgfältiger Beitrag, den ein Autor möglicherweise im Laufe von Wochen ausgearbeitet hat. Im Ergebnis setzt man mit dem Leistungsschutzrecht also Anreize, den Qualitätsjournalismus zu verdrängen, weil bessere Arbeit in der Regel mehr kostet — auf der Einnahmenseite aber das Gleiche einbringt wie ein schnell geschriebener Beitrag.

Das eigentliche Problem

Das eigentliche Problem der Verleger liegt auf einer vollkommen anderen Ebene. Deutlich wird dies, wenn man  das Privatfernsehen mit dem Internet vergleicht. Die über Werbung finanzierten Fernsehsender können die Lieferung von Inhalt und Werbung kontrollieren. Beides liegt in einer Hand und reine Werbesender sind nicht sonderlich erfolgreich.  Im Internet funktioniert das System,  Werbung und Inhalt miteinander zu verknüpfen nur beschränkt. Die Aufspaltung der ehemals  in einem Medium geeinten Kosten- und Einnahmefaktoren wird im Privatfernsehen am deutlichsten. Werbung bringt Einnahmen, der Inhalt verursacht Kosten.

Auch die Zeitungen haben früher zahlreiche Anzeigen geschaltet und so die Einnahmen nicht nur über das Entgelt für die einzelne Zeitung, sondern sogar zum überwiegenden Teil über Werbung finanziert. Im Internet gelten andere Regeln: Nach und nach haben sich einzelne Websites die Rosinen der Zeitungen rausgepickt: Stellenangebote, Bekannschaftsanzeigen, Immobilien oder Mietwohnungen, die Internetwerbung überhaupt, werden im Internet in besonderen Portalen geschaltet, die den Presseverlegern diese Einnahmequellen sogar (zumindest zum Teil) auch im Druckbereich abgenommen haben. Allen voran scheint dies in Deutschland die Scout24-Gruppe zu sein.

Achtung

Da im Internet die Verknüpfung von Inhalt und Werbung in einem Medium eines Anbieters kaum noch funktioniert, ergeben sich die von den Verlegern monierten Probleme aus einer gänzlich anderen Sphäre, als derjenigen, auf die das Leistungsschutzrecht reagieren soll. Die Verleger konnten die Kontrolle über eine ehemals bedeutende Einnahmequelle, die sich aus der früher an Druckexemplare gebundenen Verbindung von Werbung und Inhalt ergab,  nicht erlangen und sind nunmehr in der unangenehmen Situation, in der sich der Großteil der Bevölkerung befindet, die — wenn überhaupt — nur noch mit geringen Gewinnen rechnen können.

Hieraus ergeben sich Umschichtungen in dem Gefüge der Gewinner und Verlierer des Marktsystems. Verleger sind plötzlich auf das Niveau zurückgeworfen worden, auf dem sich bislang vor allem die freiberuflichen Autoren befanden. Sie setzen nun auch einem mächtigen Gegner gegenüber. Die Symbiose von Verleger und Autor führte in der Regel zu folgender Aufteilung: Die Ehre, zur Kenntnis genommen zu werden, kam dem Urheber zu, während der Verleger die Gewinne hatte.

Diese Verschiebungen des Ertrags sind dem marktwirtschaftlichen System eigen, bei dem in der Verwertungskette regelmäßig derjenige sich den Löwenanteil sichert, der die letzte Position in der Verwertungs- oder Wertschöpfungskette innehat, die zugleich noch mit Marktmacht verbunden ist. Das sind nicht die Verleger, denn in der Kette der Vermarktung der Werbung haben sie keine besondere Position.


Ergänzung: [28. Okt. 2010]
Wie der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG am 14. 9. 2010 in der Neuen Züricher Zeitung erklärte, erwägen die deutschen Verlage, ihre (bislang nicht existenten) Online-Rechte für gewerbliche Nutzung von einer Verwertungsgesellschaft wahrnehmen zu lassen, eine Art ,,Online-GEMA„, die Lizenzverträge zwischen der Verwertungsgesellschaft und Unternehmen, die Online-Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften gewerblich nutzen, erzwingen können soll. wie Hans-Peter Siebenhaar im Handelsblatt darlegte.

Verwertungsgesellschaften haben mit ,,Rechten“ im eigentlichen Sinne oder Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun. Sie dürfen eine Art private Sondersteuer für abstrakte Tatbestände erheben, bei denen das zu schaffende ,,Recht“ nur eine Legitimationsfunktion hat und den eigentlichen Tatbestand der Subvention der Rechtsinhaber verdeckt.

Auch die GEZ, die für die öffentlich-rechtlichen Sender die Gelder beitreibt, knüpft nicht an die Nutzung von bestimmten durch das Recht erfasste Inhalte an, sondern an den Besitz eines Empfangsgeräts. Ab 2013 soll dies durch eine ,,Wohnungsabgabe“ ersetzt werden, so dass der Tatbestand, dass man in Deutschland wohnt zum Anknüpfungspunkt wird. Immerhin — Taubblinde werden auf Antrag von der Wohnungsabgabe zugunsten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten befreit.


Ergänzung: [31. Dez. 2010]

Was konkret  Gegenstand des Leistungsschutzrechts sein soll, ist selbst zum Ende 2010 nicht klar.

Mario Sixtus vermutet, dass die Verleger nicht etwa die Texte selbst honoriert haben wollen, sondern das Zusammentragen und online stellen der Texte. Nach dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger soll das Leistungsschutzrecht ,,seiner Natur nach Inhalte (Texte, Textausschnitte etc.) nur in ihrer Eigenschaft als Element des Presseerzeugnisses schützen“, was wohl auf ein  Sonderrecht der Zunft der Hersteller von Presseerzeugnissen hinauslaufen müsste.

Ob das bloße Übernehmen einer Textpassage ohne entsprechenden Link auf den vollständigen Text oder einen anderen Hinweis das entsprechende Unternehmen auch von dem Tatbestand erfasst sein soll, ist nicht erkennbar. Wenn man die von den Presseverlegern als Parallele herangezogenen Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller betrachtet, können eigentlich nur irgendwelche Wortreihen oder gar einzelne Worte erfasst werden, dies allein, weil sie in einem Presseerzeugnis veröffentlicht wurden (und der eigentliche Text — etwa ein Text aus dem 19. Jahrhundert — bereits seit langem gemeinfrei ist).


Metall auf Metall: kleinste Tonfetzen geschützt

Eine etwa zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ der Gruppe Kraftwerk wurde elektronisch kopiert („gesampelt“) und einem Titel der Interpretin Sabrina Setlur („Nur mir“) unterlegt. Es wurde — wie das OLG Hamburg es ausdrückte — die Keimzelle von „Metall auf Metall“ — ein bestimmtes Rhythmusgefüge mehrerer Schlaginstrumente von zwei Takten Dauer — übernommen. Das war rechtswidrig, so der BGH.

In erster Linie geht es in dem Urteil um Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller. Tonträgerhersteller ist jemand, der die wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung erbringt, das Tonmaterial erstmalig auf einem Tonträger aufzuzeichnen. Diese sind nach der Wertung des Gesetzes besonders schutzwürdig (im Gegensatz zu den anderen anderen Unternehmern, die die organisatorische Verantwortung für die Herstellung von Nicht-Tonträgern getragen haben).

Schildbürger bei der Arbeit
Schildbürger transportieren Baumstämme

Schutzrechte bedeuten, dass man einen Rechtsinhaber um Erlaubnis fragen muss, bevor man rechtmäßig eine bestimmte Handlung vornehmen darf.  Erfasst ist praktisch jede Microsekunde, denn, so der BGH: Wenn nicht die kleinsten Partikel der Aufnahme erfasst werden würden, liefe der Schutz des Tonträgerherstellers weitgehend leer. Qualität oder Quantität der von einem Tonträger entnommenen Töne sei kein taugliches Kriterium für die Beurteilung, ob die Übernahme von Ausschnitten eines Tonträgers in die Rechte des Tonträgerherstellers eingreift. Es käme nicht darauf an, ob es sich bei der Tonfolge um ein schöpferisches Werk oder eine künstlerische Darbietung handelt und ob sie dementsprechend Urheberrechtsschutz oder Leistungsschutz genießt. Ein Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers besteht beispielsweise auch an Tonträgern, auf denen Tierstimmen aufgenommen sind. Wie bei dem Leistungsschutzrecht an Fotografien, bei dem das Betätigen des Auslösers zum Schutzrecht führt, genügt es für ein Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers, dass der Aufnahmeschalter gedrückt wurde.

Nachdem so der Maßstab für die  Beurteilung (Qualität und Quantität sind vollkommen belanglos) festgelegt wurde, stellt sich für den BGH die Frage, ob irgend etwas die Nutzung selbst kleinster Partikel einer Aufnahme rechtfertigen könnte.

Es käme jedenfalls nicht darauf an, ob derjenige, der in die Rechte des Tonträgerherstellers eingreift, dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt oder eigenen Aufwand erspart oder ob der Tonträgerhersteller durch diesen Eingriff einen messbaren und nachweisbaren wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Dies könnte den unbefugten Eingriff in die unternehmerische Leistung des Herstellers (d. i. Aufnahmeschalter betätigen) nicht rechtfertigen.

Auch wenn Samples in der modernen Musikproduktion wesentliche Bausteine des musikalischen Schaffens seien, gebe dies den Musikschaffenden keinen Freibrief für die ungenehmigte Entnahme von Tonfolgen aus fremden Tonträgern. Es sei nicht zu befürchten, dass die musikalische Entwicklung in vielen Musikbereichen schlagartig zum Erliegen käme. Wer auf einem fremden Tonträger aufgezeichnete Töne oder Klänge für eigene Zwecke verwenden möchte, sei — soweit diese keinen Urheberrechtsschutz genießen — nicht daran gehindert, sie selbst einzuspielen.
Ownership
Sei er hierzu nicht willens oder imstande, könne er den Rechteinhaber um eine entsprechende Erlaubnis ersuchen. Dadurch ließe sich eine angemessene Beteiligung an dem unternehmerischen Aufwand des Rechteinhabers sicherstellen, ohne dass die Freiheit der musikalischen Entwicklung behindert werde. Die Möglichkeit der freien Benutzung scheint im Ergebnis auf die Nutzung von sogenannten O-Tönen, also einmalige und nicht reproduzierbare, aufgezeichnete akustische Ereignisse, beschränkt zu sein, auch wenn der BGH das nicht ausdrücklich bestätigt. Wieso allerdings die Tonträgerhgersteller „eine angemessene Beteiligung an ihrem unternehmerischen Aufwand“ bekommen sollen, während der Wettbewerb gerade darauf beruht, dass fremde Leistungen übernommen werden können, das bleibt im Dunkeln.

Schildbuerger Rathaus
Die Schildbürger tragen das Licht ins Rathaus

Welchen Zweck das Schutzrecht hat, wenn jemand gezwungen wird, die gewünschte Abfolge von Tönen oder Geräuschen selbst einzuspielen (zu lassen)? Die erzwungene doppelte Arbeit scheint wirtschaftlich zumindest ähnlich sinnvoll zu sein, wie manch andere Tätigkeiten: Die Schildbürger fingen den Sonnenschein in Eimer und Kessel, Kannen und Töpfe. Andre hielten Kartoffelsäcke ins Sonnenlicht, banden dann die Säcke schnell zu und schleppten sie ins Rathaus. Dort banden sie die Säcke auf, schütteten das Licht ins Dunkel und rannten wieder auf den Markt hinaus, wo sie die leeren Säcke wieder vollschaufelten. So machten sie es bis zum Sonnenuntergang. Aber im Rathaus war es noch dunkel wie am Tag zuvor.

Mehr produziert wird bei Umsetzung der Rechtsprechung des BGH auch nicht, allenfalls Geld umverteilt und die Produktion neuer kultureller Produkte überflüssig verteuert oder verhindert. Aber immerhin bleiben uns die Werke der unwilligen oder unfähigen Künstler erspart; jedenfalls dann, wenn sie kein Geld haben, eine angemessene Beteiligung an dem unternehmerischen Aufwand des Rechteinhabers sicherzustellen (oder wenn die Suche nach dem oder den Rechteinhabern ergebnislos verläuft).


Ergänzung [5. Feb. 2011]

Die Problematik wird  in diesem Beitrag von Philipp Otto (vor allem den dortigen Videos) dargestellt. Die Nutzung der Beispiele in den Videos ist übrigens grundsätzlich auch eine rechtswidrige Verbreitung. Ob sie ausnahmsweise zulässig ist? — wir hoffen, die Spezialisten wissen, was sie tun.


BGH, Urt. v. 20. November 2008 – I ZR 112/06

Leitsätze

  1. Ein Eingriff in das durch§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG geschützte ausschließliche Recht des Tonträgerherstellers ist bereits dann gegeben, wenn einem Tonträger kleinste Tonfetzen entnommen werden.
  2. Die Regelung des § 24 Abs. 1 UrhG ist im Falle der Benutzung eines fremden Tonträgers grundsätzlich entsprechend anwendbar. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung kommt allerdings nicht in Betracht, wenn es möglich ist, die auf dem Tonträger aufgezeichnete Tonfolge selbst einzuspielen oder es sich bei der erkennbar dem benutzten Tonträger entnommenen und dem neuen Werk zugrunde gelegten Tonfolge um eine Melodie handelt.

Tatbestand

  1. Die Kläger sind Mitglieder der Musikgruppe „Kraftwerk“. Diese veröffentlichte im Jahre 1977 einen Tonträger, auf dem sich unter anderem das Stück „Metall auf Metall“ befindet. Die Beklagten zu 2 und 3 sind die Komponisten des Titels „Nur mir“, den die Beklagte zu 1 mit der Sängerin Sabrina Setlur in zwei Versionen eingespielt hat. Diese Musikstücke befinden sich auf zwei im Jahre 1997 erschienenen Tonträgern.
  2. Die Kläger behaupten, die Beklagten hätten eine etwa zwei Sekunden lange Rhythmussequenz aus dem Titel „Metall auf Metall“ elektronisch kopiert („gesampelt“) und dem Titel „Nur mir“ in fortlaufender Wiederholung unterlegt. Sie meinen, die Beklagten hätten damit ihre Rechte als Tonträgerhersteller und ausübende Künstler sowie das Urheberrecht des Klägers zu 1 verletzt, der den Titel komponiert und sein Urheberrecht in den von ihnen gemeinsam betriebenen Musikverlag eingebracht habe.
  3. Die Kläger haben die Beklagten auf Unterlassung, Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zwecke der Vernichtung in Anspruch genommen.
  4. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen (OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 3 = ZUM 2006, 758). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Kläger beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

    Entscheidungsgründe

  5. I.
    Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagten seien den Klägern gemäß § 97 Abs. 1 UrhG (a.F.) zur Unterlassung, zum Schadensersatz und zur Auskunftserteilung sowie gemäß § 98 Abs. 1 UrhG (a.F.) zur Herausgabe der Tonträger zum Zwecke der Vernichtung verpflichtet, weil sie den Titel „Nur mir“ durchgängig mit dem Rhythmusgefüge zweier Takte aus dem Titel „Metall auf Metall“ unterlegt und dadurch die Tonträgerherstellerrechte der Kläger aus § 85 Abs. 1 UrhG verletzt hätten. Hierzu hat es ausgeführt:
  6. Die Kläger seien Tonträgerhersteller der Aufnahme „Metall auf Metall“, weil sie die maßgebliche organisatorische Verantwortung für deren Herstellung getragen hätten. Das den beiden Aufnahmen des Titels „Nur mir“ durchgängig unterlegte Schlagzeugsample sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme den Takten 19 und 20 der Aufnahme „Metall auf Metall“ entnommen worden. Grundsätzlich greife auch die ungenehmigte ausschnittweise Vervielfältigung und Verbreitung eines Tonträgers in die Rechte des Tonträgerherstellers ein. Es könne dahinstehen, ob eine Verletzung der Tonträgerherstellerrechte zu verneinen sei, wenn lediglich kleinste Tonpartikel einer fremden Tonaufnahme verwendet würden. Im Streitfall sei die „Keimzelle“ der Tonaufnahme „Metall auf Metall“ — ein bestimmtes Rhythmusgefüge mehrerer Schlaginstrumente, das fortlaufend wiederholt werde — im Wege des Sampling übernommen worden. Dieses Rhythmusgefüge sei in seiner charakteristischen Ausprägung noch deutlich in dem Lied „Nur mir“ wahrnehmbar. Die Beklagten hätten sich dadurch, dass sie gerade dieses Element komplett übernommen und dem Stück „Nur mir“ ebenfalls fortlaufend unterlegt hätten, im Ergebnis die ganze Tonaufnahme, die aus der ständigen Wiederholung dieses prägenden Teils bestehe, angeeignet und eigenen Aufwand erspart.
  7. II.
    Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  8. 1.
    Gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Kläger seien Tonträgerhersteller der Aufnahme „Metall auf Metall“, weil sie die maßgebliche organisatorische Verantwortung für deren Herstellung getragen hätten, erhebt die Revision keine Einwände. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Tonträgerhersteller und Inhaber des Leistungsschutzrechts aus § 85 UrhG ist, wer die wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung erbringt, das Tonmaterial erstmalig auf einem Tonträger aufzuzeichnen (vgl. Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl., § 85 UrhG Rdn. 4; Schricker/Vogel, Urheberrecht, 3. Aufl., § 85 UrhG Rdn. 31).
  9. 2.
    Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht angenommen, dass die Beklagten in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger eingegriffen haben, indem sie dem von den Klägern hergestellten Tonträger im Wege des Sampling zwei Takte einer Rhythmussequenz des Titels „Metall auf Metall“ entnommen und diese dem Stück „Nur mir“ unterlegt haben. Durch die Verwendung der fremden Tonaufnahme bei der Herstellung des eigenen Tonträgers und das anschließende Inverkehrbringen dieses Tonträgers haben die Beklagten in das ausschließliche Recht der Kläger eingegriffen, den von ihnen hergestellten Tonträger zu vervielfältigen und zu verbreiten (§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG i.V. mit §§ 16, 17 UrhG).
  10. a)
    Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass grundsätzlich bereits die ausschnittweise ungenehmigte Vervielfältigung oder Verbreitung der auf einem Tonträger aufgezeichneten Tonaufnahmen in die Rechte des Tonträgerherstellers eingreift (ebenso Schulze in Dreier/Schulze aaO § 85 UrhG Rdn. 25; Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 42; Wandtke/Bullinger/Schaefer, Urheberrecht, 3. Aufl., § 85 UrhG Rdn. 25, jeweils m.w.N.). Die vereinzelt vertretene Gegenauffassung, die Rechte des Tonträgerherstellers seien nur bei einer ungenehmigten Vervielfältigung oder Verbreitung des gesamten Tonträgers verletzt (so Hoeren, GRUR 1989, 580 f.; anders aber ders., Festschrift Hertin, 2000, S. 113, 128), ist mit den Bestimmungen der Art. 2 und 1 des Genfer Tonträger-Abkommens unvereinbar, wonach die Tonträgerhersteller bereits vor einer Vervielfältigung und Verbreitung wesentlicher Teile der in dem Tonträger festgelegten Töne zu schützen sind (Häuser, Sound und Sampling, 2002, S. 109, 114 f.; Wegener, Sound Sampling, 2007, S. 238; Ullmann in jurisPR-WettbR 10/2006, Anm. 3). Wäre nur die ungenehmigte Vervielfältigung und Verbreitung des gesamten Tonträgers untersagt, liefe, wie die Revisionserwiderung zutreffend bemerkt, der Schutz des Tonträgerherstellers — gerade im Hinblick auf moderne digitale Aufnahme-, Vervielfältigungs- und Wiedergabetechniken — weitgehend leer.
  11. b)
    Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann die Rechtsfrage, ob in die Rechte des Tonträgerherstellers auch dann eingegriffen wird, wenn einem Tonträger lediglich kleinste Tonpartikel entnommen werden, im Streitfall nicht offenbleiben. Dem von den Klägern hergestellten Tonträger sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lediglich zwei Takte einer Rhythmussequenz des Titels „Metall auf Metall“ und damit nur kleinste Tonpartikel entnommen worden. Soweit das Berufungsgericht weiter ausgeführt hat, „im Ergebnis“ sei die ganze Tonaufnahme übernommen worden, handelt es sich nicht um eine gegenteilige Tatsachenfeststellung, sondern um die rechtliche Beurteilung, dass die Entnahme dieser Tonpartikel unter den im Streitfall gegebenen Umständen nicht anders als eine Übernahme der Gesamtaufnahme zu bewerten sei. Die vom Berufungsgericht für diese Bewertung gegebene Begründung vermag rechtlich zwar nicht zu überzeugen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts stellt sich jedoch im Ergebnis als richtig dar. Ein Eingriff in das durch § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG geschützte ausschließliche Recht des Tonträgerherstellers ist bereits dann gegeben, wenn einem Tonträger kleinste Tonfetzen entnommen werden (Schulze in Dreier/Schulze aaO § 85 UrhG Rdn. 25; Fromm/Nordemann/Hertin, Urheberrecht, 9. Aufl., § 85 UrhG Rdn. 8; Wandtke/Bullinger/Schaefer aaO § 85 UrhG Rdn. 25; Hertin, GRUR 1989, 578; Schorn, GRUR 1989, 579, 580; Hertin, GRUR 1991, 722, 730 f.; Spieß, ZUM 1991, 524, 534; Schulze, ZUM 1994, 15, 20; Müller, ZUM 1999, 555, 558; Weßling, Der zivilrechtliche Schutz gegen digitales Sound-Sampling, 1995, S. 159 ff.; Dierkes, Die Verletzung der Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers, 2000, S. 23 ff.; a.A. Bortloff, ZUM 1993, 476, 478; ders., Der Tonträgerpiraterieschutz im Immaterialgüterrecht, 1995, S. 110 f.; Münker, Urheberrechtliche Zustimmungserfordernisse beim Digital Sampling, 1995, S. 252 f., 257 f.; Häuser aaO S. 113; Wegener aaO S. 238 ff.; Hoeren, Festschrift Hertin, 2000, S. 113, 128 ff.; vgl. auch Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 43; vgl. weiter United States Court of Appeals for the Sixth Circuit — Bridgeport Music, Inc., et al. v. Dimension Films, et al., 383 F. 3d 390 [6th Cir. 2004] zum Recht der Vereinigten Staaten).
  12. aa)
    Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Rechte der Kläger als Tonträgerhersteller seien verletzt, weil im Ergebnis die ganze Tonaufnahme übernommen worden sei, im Wesentlichen wie folgt begründet: Bei der den Takten 19 und 20 des Titels „Metall auf Metall“ entnommenen Rhythmussequenz handele es sich um den prägenden Teil (die „Keimzelle“) dieser Tonaufnahme; diese bestehe aus dessen ständiger Wiederholung. In dem Titel „Nur mir“ sei dieser Teil der Tonaufnahme noch deutlich in seiner charakteristischen Ausprägung wahrnehmbar; er sei auch diesem Stück fortlaufend unterlegt. Das Berufungsgericht hat es zur Beurteilung der Frage, ob die Übernahme von Ausschnitten eines Tonträgers in das Recht des Tonträgerherstellers eingreift, demnach als maßgebend erachtet, ob qualitativ oder quantitativ wesentliche Teile der auf dem Tonträger fixierten Tonfolge übernommen werden (ebenso Hoeren, Festschrift Hertin, 2000, S. 113, 129; ähnlich Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 43; vgl. auch Knies, Die Rechte der Tonträgerhersteller in internationaler und rechtsvergleichender Sicht, 1999, S. 193; Wegener aaO S. 240 ff.). Dem kann nicht zugestimmt werden.
  13. Die Qualität oder die Quantität der von einem Tonträger entnommenen Töne kann, wie die Revision mit Recht rügt, kein taugliches Kriterium für die Beurteilung sein, ob die Übernahme von Ausschnitten eines Tonträgers in die Rechte des Tonträgerherstellers eingreift. Die Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers bestehen unabhängig von der Qualität oder der Quantität der auf dem Tonträger festgelegten Töne und erstrecken sich auf Tonträger mit Tonaufnahmen jeglicher Art (Schulze in Dreier/Schulze aaO § 85 UrhG Rdn. 15; Hertin, GRUR 1989, 578; ders., GRUR 1991, 722, 730; Häuser aaO S. 109 f.). Es kommt nicht darauf an, ob es sich bei der Tonfolge um ein schöpferisches Werk oder eine künstlerische Darbietung handelt und ob sie dementsprechend Urheberrechtsschutz oder Leistungsschutz genießt. Ein Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers besteht beispielsweise auch an Tonträgern, auf denen Tierstimmen aufgenommen sind. Desgleichen ist die Länge der Tonaufnahme ohne Bedeutung. Das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers umfasst auch Tonträger, die nur wenige Töne enthalten. Nicht nur der Tonträger mit der Aufnahme einer mehrsätzigen Sinfonie, sondern auch der Tonträger mit der Aufnahme eines kurzen Vogelgezwitschers ist geschützt (Schulze, ZUM 1994, 15, 20). Darüber hinaus würde ein Abstellen auf qualitative oder quantitative Kriterien — wie beispielsweise darauf, ob ein substantieller Teil des Tonträgers vervielfältigt wird, in dem sich seine wettbewerbliche Eigenart widerspiegelt (Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 43), oder ob der entnommene Teil im übernehmenden Stück erkennbar bleibt (Ullmann in jurisPR-WettbR 10/2006, Anm. 3; Wegener aaO S. 240 ff.) — zu Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu Rechtsunsicherheit führen (Dierkes aaO S. 26).
  14. bb)
    Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist jedoch im Ergebnis zutreffend. Selbst die Entnahme kleinster Tonpartikel stellt einen Eingriff in die durch § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG geschützte Leistung des Tonträgerherstellers dar. Schutzgegenstand des § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG ist nicht der Tonträger oder die Tonfolge selbst, sondern die zur Festlegung der Tonfolge auf dem Tonträger erforderliche wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung des Tonträgerherstellers (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. IV/270 in UFITA 45 [1965], 240, 314; Schulze in Dreier/Schulze aaO § 85 UrhG Rdn. 15; Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 18; Wandtke/Bullinger/Schaefer aaO § 85 UrhG Rdn. 2). Da der Tonträgerhersteller diese unternehmerische Leistung für den gesamten Tonträger erbringt, gibt es keinen Teil des Tonträgers, auf den nicht ein Teil dieses Aufwands entfiele und der daher nicht geschützt wäre (vgl. zum Leistungsschutz des Filmherstellers nach §§ 94, 95 UrhG BGHZ 175, 135 Tz. 18 f. — TV-Total). Die für die Aufnahme erforderlichen Mittel müssen für den kleinsten Teil der Aufnahme genauso bereitgestellt werden wie für die gesamte Aufnahme (Schulze in Dreier/Schulze aaO § 85 Rdn. 25); selbst der kleinste Teil einer Tonfolge verdankt seine Festlegung auf dem Tonträger der unternehmerischen Leistung des Herstellers (Spieß, ZUM 1991, 524, 534; Weßling aaO S. 161; Bindhardt, Der Schutz von in der Popularmusik verwendeten elektronisch erzeugten Einzelsounds nach dem Urheberrechtsgesetz und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 1998, S. 129 f.). In diese unternehmerische Leistung greift auch derjenige ein, der einem fremden Tonträger kleinste Tonfetzen entnimmt.
  15. Es kommt nicht darauf an, ob derjenige, der in die Rechte des Tonträgerherstellers eingreift, dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt oder eigenen Aufwand erspart oder ob der Tonträgerhersteller durch diesen Eingriff einen messbaren und nachweisbaren wirtschaftlichen Nachteil erleidet (Hertin, GRUR 1991, 722, 730 f.; a.A. OLG Hamburg GRUR Int. 1992, 390, 391 und NJW-RR 1992, 746, 748; Münker aaO S. 252 f.; Bindhardt aaO S. 131 f.; Häuser aaO S. 111). Selbst wenn, wie die Revision vorbringt, die Übernahme kurzer Sequenzen, die nicht als Samples aus anderen Tonträgern erkennbar sind, regelmäßig keine Auswirkungen auf die Verwertung des Original-Tonträgers hätte (Münker aaO S. 253; Bindhardt aaO S. 133; Häuser aaO S. 111 ff.; Wegener aaO S. 239 f.) und die Übernahme längerer Sequenzen, die als Samples aus anderen Musikproduktionen erkennbar blieben, sogar häufig eine Nachfrage nach dem Original-Tonträger auslöste (Hoeren, Festschrift Hertin, 2000, S. 113, 129), könnte dies den unbefugten Eingriff in die unternehmerische Leistung des Herstellers nicht rechtfertigen. Es ist im Streitfall daher, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, ohne Bedeutung, ob sich die Übernahme eines Teils der Aufnahme „Metall auf Metall“ in die Aufnahme „Nur mir“ nachteilig auf den Absatz des von den Klägern hergestellten Tonträgers ausgewirkt hat oder ob dies, wie die Revision geltend macht, schon deshalb ausgeschlossen erscheint, weil sich die beiden Aufnahmen an völlig unterschiedliche Hörerkreise wenden. Im Übrigen wird dem Hersteller des Tonträgers durch die ungenehmigte Übernahme selbst kleinster Teile einer Tonaufnahme regelmäßig eine mit seiner unternehmerischen Leistung geschaffene Verwertungsmöglichkeit entzogen (a.A. OLG Hamburg GRUR Int. 1992, 390, 391 und NJW-RR 1992, 746, 748). Auch kleinste Teile von Tonaufnahmen haben — wie der Handel mit Sound-Samples zeigt — einen wirtschaftlichen Wert (vgl. Münker aaO S. 253; Dierkes aaO S. 25; zum Samplingvertrag vgl. Zimmermann, in Moser/Scheuermann, Handbuch der Musikwirtschaft, 6. Aufl., S. 1180 ff.).
  16. cc)
    Die Revision wendet ohne Erfolg ein, der Tonträgerhersteller erhielte, wenn er gegen die Übernahme kürzester Teilstücke einer Tonfolge vorgehen könnte, weitergehende Schutzrechte als der Urheber der musikalischen Werke (so aber Hoeren, GRUR 1989, 581; Bortloff, ZUM 1999, 476, 478; ders., Der Tonträgerpiraterieschutz im Immaterialgüterrecht, 1995, S. 110 f.; Münker aaO S. 252). Entgegen der Ansicht der Revision liegt kein Wertungswiderspruch darin, dass selbst kleinsten Tonpartikeln eines Tonträgers Leistungsschutz zukommt, während Teile eines Musikwerkes nur dann Urheberrechtsschutz genießen, wenn sie für sich genommen den urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen genügen (vgl. zum Schutz von Werkteilen BGHZ 9, 262, 266 ff. — Lied der Wildbahn I; BGHZ 28, 234, 237 — Verkehrskinderlied; BGH, Urt. v. 23.6.1961 — I ZR 105/59, GRUR 1961, 631, 633 — Fernsprechbuch; zum Werkteilschutz bei Musikwerken Schricker/Loewenheim aaO § 2 UrhG Rdn. 122 m.w.N.). Der von der Revision angestellte Vergleich ist nicht stichhaltig, da der Leistungsschutz für Tonträger und der Urheberrechtsschutz für Musikwerke unterschiedliche Schutzgüter haben (Wandtke/Bullinger/Schaefer aaO § 85 UrhG Rdn. 25; Hertin, GRUR 1989, 578; Müller, ZUM 1999, 555, 558; Weßling aaO S. 161; Dierkes aaO S. 25 f.; von Lewinski in Schricker, Urheberrecht auf dem Weg zur Informationsgesellschaft, S. 230 f.; vgl. BGHZ 175, 135 Tz. 20 ff. — TV-Total, zum Verhältnis zwischen dem Leistungsschutz für Filmträger nach §§ 94, 95 UrhG und dem Urheberechtsschutz für Filmwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 UrhG). Während § 85 UrhG den Schutz der wirtschaftlichen, organisatorischen und technischen Leistung des Tonträgerherstellers zum Gegenstand hat, schützt § 2 Abs. 1 Nr. 2 UrhG die persönliche geistige Schöpfung des Komponisten (vgl. § 2 Abs. 2 UrhG). Wegen ihres gänzlich unterschiedlichen Schutzgegenstands sind das Leistungsschutzrecht am Tonträger und das Urheberrecht am Musikwerk einem Vergleich des Schutzumfangs nicht ohne weiteres zugänglich.
  17. dd)
    Entgegen der Ansicht der Revision ist es dem Tonträgerhersteller aus Rechtsgründen nicht zuzumuten, im Interesse einer freien musikalischen Entwicklung generell auf einen Leistungsschutz für kleinste Teile von Tonaufnahmen zu verzichten (so aber Bindhardt aaO S. 132; vgl. auch Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 43). Es mag sein, dass — wie die Revision geltend macht — Samples in der modernen Musikproduktion wesentliche Bausteine des musikalischen Schaffens geworden sind. Das gibt den Musikschaffenden aber keinen Freibrief für die ungenehmigte Entnahme von Tonfolgen aus fremden Tonträgern. Anders als die Revision meint, ist nicht zu befürchten, dass die musikalische Entwicklung in vielen Musikbereichen schlagartig zum Erliegen kommt, wenn den Berechtigten insoweit Leistungsschutz gewährt wird. Wer auf einem fremden Tonträger aufgezeichnete Töne oder Klänge für eigene Zwecke verwenden möchte, ist — soweit diese keinen Urheberrechtsschutz genießen (vgl. dazu Schulze in Dreier/Schulze aaO § 2 UrhG Rdn. 136; Schricker/Loewenheim aaO § 2 UrhG Rdn. 122; Wandtke/Bullinger/Loewenheim § 2 UrhG Rdn. 71, jeweils m.w.N.) — nicht daran gehindert, sie selbst einzuspielen. Ist er hierzu nicht willens oder imstande, kann er den Rechteinhaber um eine entsprechende Erlaubnis ersuchen, dem Tonträger diese Töne oder Klänge zu entnehmen. Dadurch lässt sich, wie die Revisionserwiderung zutreffend anmerkt, eine angemessene Beteiligung an dem unternehmerischen Aufwand des Rechteinhabers sicherstellen, ohne dass die Freiheit der musikalischen Entwicklung behindert wird.
  18. ee)
    Die Revision macht schließlich ohne Erfolg geltend, trotz der überwältigenden Zunahme des Einsatzes von Samples gebe es kaum einen Fall, in dem ein Tonträgerhersteller gegen die Übernahme kurzer Bestandteile aus einem von ihm hergestellten Tonträger gerichtlich vorgehe. Es mag sein, dass gerichtliche Auseinandersetzungen dieser Art (jedenfalls bislang) nicht besonders häufig sind. Das kann zahlreiche Gründe haben (vgl. Weßling aaO S. 161 ff.; Wegener aaO S. 248 ff.) und dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass der Rechteinhaber die Übernahme kleinster Tonpartikel oft gar nicht bemerken wird oder nur schwer beweisen kann (vgl. Schricker/Vogel aaO § 85 UrhG Rdn. 43; Wandtke/Bullinger/Schaefer aaO § 85 UrhG Rdn. 25). Schwierigkeiten bei der Feststellung und dem Nachweis einer Rechtsverletzung können aber kein Grund für eine Einschränkung des Rechtsschutzes sein. Den Klägern kann es jedenfalls nicht zum Nachteil gereichen, dass andere Inhaber von Tonträgerherstellerrechten — aus welchen Gründen auch immer — von einer Durchsetzung ihrer Rechte absehen.
  19. 3.
    Die Revision rügt jedoch mit Erfolg, dass das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob die Beklagten sich hinsichtlich des Eingriffs in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger auf das Recht zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG berufen können. Nach § 24 Abs. 1 UrhG darf ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.
  20. a)
    Die Vorschrift ist hier allerdings nicht unmittelbar anwendbar, weil sie nach ihrem Wortlaut die Benutzung des Werkes eines anderen voraussetzt. Diese Voraussetzung ist bei der — vorliegend gegebenen — Benutzung eines fremden Tonträgers nicht erfüllt. Ein Tonträger ist nach § 85 Abs. 1 UrhG — wie bereits oben unter II 2 b bb ausgeführt ist — nicht als Werk, also als persönliche geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG), sondern wegen der in ihm verkörperten unternehmerischen Leistung geschützt.
  21. b)
    Die Regelung des § 24 Abs. 1 UrhG ist jedoch im Falle der Benutzung eines fremden Tonträgers grundsätzlich entsprechend anwendbar (Rehbinder, Urheberrecht, 15. Aufl., Rdn. 815 und 379; Wegener aaO S. 245; vgl. BGHZ 175, 135 Tz. 24 ff. — TV-Total, zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf eine Benutzung von Filmträgern; a.A. Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 4. Aufl., Rdn. 624; Dierkes aaO S. 23 f.). Auf die Verwertungsrechte des Tonträgerherstellers sind nach § 85 Abs. 4 UrhG die für das Urheberrecht geltenden Schrankenregelungen im 6. Abschnitt des 1. Teils des UrhG entsprechend anzuwenden. Auch bei der Bestimmung des § 24 Abs. 1 UrhG handelt es sich der Sache nach um eine, wenn auch an anderer Stelle des Urheberrechtsgesetzes geregelte Schranke des Urheberrechts. Die Revision weist zudem mit Recht darauf hin, dass es Sinn und Zweck des § 24 Abs. 1 UrhG, eine kulturelle Fortentwicklung zu ermöglichen, zuwiderliefe, wenn zwar der Urheber eine freie Benutzung des Werkes hinnehmen müsste, der Tonträgerhersteller aber eine freie Benutzung des das Werk enthaltenden Tonträgers verhindern könnte. Muss selbst der Urheber eine Beschränkung seines Urheberrechts hinnehmen, ist auch dem Tonträgerhersteller eine Einschränkung seines Leistungsschutzrechts zuzumuten (vgl. Bindhardt aaO S. 132).
  22. c)
    Eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG kommt allerdings in den beiden folgenden Fällen nicht in Betracht:
  23. aa)
    Aus dem Sinn und Zweck des § 24 Abs. 1 UrhG, eine Fortentwicklung des Kulturschaffens zu ermöglichen, ergibt sich nicht nur der Grund, sondern auch eine Grenze für eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung. Ist derjenige, der die auf einem fremden Tonträger aufgezeichneten Töne oder Klänge für eigene Zwecke verwenden möchte, imstande, diese selbst herzustellen, stehen die Rechte des Tonträgerherstellers einer Fortentwicklung des Kulturschaffens nicht im Wege. In diesem Fall gibt es für einen Eingriff in seine unternehmerische Leistung keine Rechtfertigung. Die Regelung des § 24 Abs. 1 UrhG ist daher nicht entsprechend anwendbar, wenn es möglich ist, die auf dem Tonträger aufgezeichnete Tonfolge selbst einzuspielen. Es kann nicht abschließend beurteilt werden, ob im vorliegenden Rechtsstreit aus diesem Grund eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG ausscheidet. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Beklagten die übernommene Rhythmussequenz selbst hätten erzeugen können.
  24. bb)
    Eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG ist ferner ausgeschlossen, wenn es sich bei der auf dem Tonträger aufgezeichneten Tonfolge um ein Werk der Musik handelt und diesem durch die Benutzung des Tonträgers erkennbar eine Melodie entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird (§ 24 Abs. 2 UrhG). In einem solchen Fall kann sich derjenige, der in das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers eingreift, ebenso wenig wie derjenige, der in das Urheberrecht des Komponisten eingreift, auf ein Recht zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG berufen. Auch insoweit kann mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht beurteilt werden, ob eine entsprechende Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG ausgeschlossen ist.
  25. d)
    Bei der entsprechenden Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG auf Tonträger gelten grundsätzlich keine anderen Anforderungen als bei der unmittelbaren Anwendung auf Werke. Auch die Benutzung fremder Tonträger ist ohne Zustimmung des Berechtigten nur erlaubt, wenn dabei ein selbständiges Werk geschaffen wird (vgl. BGHZ 175, 135 Tz. 25 ff. – TV-Total, zur Benutzung eines Filmträgers). Einer entsprechenden Heranziehung der nach § 24 UrhG geltenden Anforderungen an eine freie Benutzung steht, anders als die Revisionserwiderung meint, nicht entgegen, dass der zur Beurteilung der Selbständigkeit erforderliche Vergleich zwischen dem schöpferischen Gehalt des benutzten Tonträgers und dem schöpferischen Gehalt des neuen Werkes nicht möglich ist, weil die durch § 85 Abs. 1 UrhG geschützte unternehmerische Leistung des Tonträgerherstellers keinen eigenschöpferischen Gehalt hat (vgl. Dierkes aaO S. 23 f.). Die für eine freie Benutzung nach § 24 UrhG erforderliche Selbständigkeit des neuen Werkes gegenüber dem benutzten Werk setzt zwar voraus, dass das neue Werk einen ausreichenden Abstand zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werkes hält, wobei dies nur dann der Fall ist, wenn die entlehnten eigenpersönlichen Züge des älteren Werkes angesichts der Eigenart des neuen Werkes verblassen (BGHZ 122, 53, 60 — Alcolix; 141, 267, 280 — Laras Tochter; 175, 135 Tz. 29 — TV-Total). Bei der Beurteilung der Benutzung eines Tonträgers kann jedoch in entsprechender Weise geprüft werden, ob das neue Werk einen ausreichenden Abstand zu den dem benutzten Tonträger entnommenen Tonfolgen wahrt. Selbst wenn diese für sich genommen nicht den urheberrechtlichen Schutzanforderungen genügen, steht dies nicht dem zur Beurteilung der Selbständigkeit erforderlichen Vergleich entgegen, ob das neue Werk zu der aus dem benutzten Tonträger entlehnten Tonfolge einen so großen Abstand hält, dass es seinem Wesen nach als selbständig anzusehen ist (vgl. BGHZ 175, 135 Tz. 36 zur einem Filmträger entlehnten Bildfolge).
  26. 4.
    Die Revision rügt ohne Erfolg, dass das Berufungsgericht sein Urteil auch hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Herausgabe der Tonträger an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung für vorläufig vollstreckbar erklärt hat. Auch insoweit handelt es sich bei der Entscheidung des Berufungsgerichts um ein Berufungsurteil in einer vermögensrechtlichen Streitigkeit, das nach § 708 Nr. 10 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären ist. Dabei hat das Berufungsgericht gemäß § 711 ZPO ausgesprochen, dass die Beklagten eine Vollstreckung der Kläger wegen dieser Verurteilung gegen Sicherheitsleistung von 10.000 € abwenden können, sofern nicht die Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
  27. Die Revision macht ohne Erfolg geltend, aus dem Umstand, dass bei Maßnahmen nach § 98 Abs. 1 UrhG a.F. gemäß § 98 Abs. 3 UrhG a.F. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten sei, ergebe sich, dass durch eine Vernichtung vor der Rechtskraft eines entsprechenden Urteils keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden dürften (so aber Dreier in Dreier/Schulze aaO § 98 UrhG Rdn. 7; Schricker/Wild aaO §§ 98/99 UrhG Rdn. 12; Möhring/Nicolini/Lütje, UrhG, 2. Aufl., § 98 UrhG Rdn. 21). Die Revision berücksichtigt nicht, dass die frühere Bestimmung des § 98 Abs. 4 Satz 2 UrhG, wonach Vernichtungsmaßnahmen erst vollzogen werden dürfen, nachdem dem Eigentümer gegenüber rechtskräftig darauf erkannt worden ist, bei der Neufassung des § 98 UrhG durch das am 1. Juli 1990 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7. März 1990 (BGBl. I S. 422) ersatzlos entfallen ist. Diese gesetzgeberische Wertung würde unterlaufen, wenn eine Vollstreckung von Vernichtungsmaßnahmen vor Rechtskraft des Urteils nach wie vor unzulässig wäre. Den schutzwürdigen Interessen des Vollstreckungsschuldners ist zudem, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, durch die Möglichkeit hinreichend Rechnung getragen, einen Schutzantrag nach den §§ 712, 714 ZPO zu stellen (falls die Vollstreckung den Nachteil bringen würde) und Schadensersatzansprüche nach § 717 Abs. 2 ZPO geltend zu machen (falls das für vorläufig vollstreckbar erklärte Urteil aufgehoben oder abgeändert wird). Soweit die Revision geltend macht, die Vollstreckung eines später abgeänderten oder aufgehobenen Urteils könne nicht nur die nach den §§ 712, 714, 717 Abs. 2 ZPO geschützten Interessen des Schuldners, sondern auch Interessen Dritter — hier etwa die des Urhebers oder des darbietenden Künstlers — betreffen (vgl. nunmehr § 98 Abs. 4 Satz 2 UrhG in der Fassung des am 1.9.2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7.7.2008 [BGBl. I S. 1191]), haben die Beklagten bereits nicht konkret dargelegt, inwieweit im vorliegenden Fall berechtigte Interessen Dritter beeinträchtigt sein könnten.
  28. III.
    Das Berufungsurteil ist danach auf die Revision der Beklagten aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  29. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die Beklagten sich hinsichtlich des Eingriffs in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger (§ 85 Abs. 1 Satz 1, §§ 16, 17 UrhG) auf das Recht zur freien Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG berufen können. Sollte dies der Fall sein, ist die Klage unbegründet, weil dann auch die vom Berufungsgericht bislang nicht geprüften Ansprüche aus einem Urheberrecht des Klägers zu 1 (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, §§ 16, 17 UrhG) und aus Künstlerleistungsschutzrechten der Kläger (§§ 73, 77 Abs. 2 Satz 1, §§ 16, 17 UrhG) jedenfalls im Hinblick auf § 24 Abs. 1 UrhG ausscheiden. Sollten die Voraussetzungen einer freien Benutzung nicht vorliegen, ist die Klage dagegen begründet. Gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagten den Klägern — im Falle einer Verletzung ihrer Rechte als Tonträgerhersteller — gemäß § 97 Abs. 1 UrhG a.F. zur Unterlassung, zum Schadensersatz und zur Auskunftserteilung sowie gemäß § 98 Abs. 1 UrhG a.F. zur Herausgabe der Tonträger zum Zwecke der Vernichtung verpflichtet sind, hat die Revision keine Einwände erhoben und es sind insoweit auch keine Rechtsfehler ersichtlich.

Urheberrecht, Empirie und Zauberlehrlinge

Nach Art. 16 Abs. 3 der Datenbankrichtlinie sollte die Kommission innerhalb von drei Jahren (ab dann alle drei Jahre) nach Inkrafttreten der Richtline (1998) einen Bericht über die Wirkung des neuen Instruments auf die Produktion von Datenbanken erstatten. Diese Fristen wurden versäumt. Im Dezember 2005 veröffentlichte die Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen schließlich eine Bewertung der EU-Datenbankrichtlinie von 1996, die der Frage nachging, ob die mit ihr eingeführten Schutzmaßnahme positive Auswirkungen auf die Datenbankproduktion innerhalb der EU hatten. Der bislang einzige Bericht zeigt — aus verständiger Sicht — kein erstaunliches Ergebnis: In Europa hat sich die Umsetzung der Richtlinie nachteilig ausgewirkt: Die USA — die kein entsprechendes besonderes Recht kennen (allerdings mit dem Copyright großzügiger sind) — haben Europa abgehängt, da dort der Markt wuchs (und nicht, wie in der EU, stagnierte).

Nach Maßgabe der Richtlinie werden Datenbanken, sofern sie hinreichend kreativ strukturiert sind durch das Urheberrecht geschützt. War die Zusammenstellung kostenintensiv und arbeitsaufwändig (wie beispielsweise die Erstellung eines Telefonbuchs) fallen sie unter das neu kreierte Schutzrecht „sui generis“, ein spezielles Schutzrecht für Datenbanken (Investitionsschutz).

Die deutschen Bestimmungen des Urhebergesetzes unterscheiden dementsprechend zwischen den Datenbanken, die aufgrund iher Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung darstellen sollen (§ 4 UrhG) und solchen, bei denen die Investition geschützt wird (§ 87a UrhG):
§ 4 Sammelwerke und Datenbankwerke

(1) Sammlungen von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die aufgrund der Auswahl oder Anordnung der Elemente eine persönliche geistige Schöpfung sind (Sammelwerke), werden, unbeschadet eines an den einzelnen Elementen gegebenenfalls bestehenden Urheberrechts oder verwandten Schutzrechts, wie selbständige Werke geschützt.

(2) Datenbankwerk im Sinne dieses Gesetzes ist ein Sammelwerk, dessen Elemente systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind. Ein zur Schaffung des Datenbankwerkes oder zur Ermöglichung des Zugangs zu dessen Elementen verwendetes Computerprogramm (§ 69a) ist nicht Bestandteil des Datenbankwerkes.

Sollten diese Sammlungen persönliche geistige Schöpfungen sein, gilt der lange Schutz von 70 Jahren post mortem. Für andere Sammlungen gelten hingegen unter anderem folgende Bestimmungen:
§ 87a Begriffsbestimmungen

(1) Datenbank im Sinne dieses Gesetzes ist eine Sammlung von Werken, Daten oder anderen unabhängigen Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder auf andere Weise zugänglich sind und deren Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert. Eine in ihrem Inhalt nach Art oder Umfang wesentlich geänderte Datenbank gilt als neue Datenbank, sofern die Änderung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert.

(2) Datenbankhersteller im Sinne dieses Gesetzes ist derjenige, der die Investition im Sinne des Absatzes 1 vorgenommen hat.

§ 87b Rechte des Datenbankherstellers

(1) Der Datenbankhersteller hat das ausschließliche Recht, die Datenbank insgesamt oder einen nach Art oder Umfang wesentlichen Teil der Datenbank zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. Der Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe eines nach Art oder Umfang wesentlichen Teils der Datenbank steht die wiederholte und systematische Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe von nach Art und Umfang unwesentlichen Teilen der Datenbank gleich, sofern diese Handlungen einer normalen Auswertung der Datenbank zuwiderlaufen oder die berechtigten Interessen des Datenbankherstellers unzumutbar beeinträchtigen.

(…)

§ 87d Dauer der Rechte

Die Rechte des Datenbankherstellers erlöschen fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung der Datenbank, jedoch bereits fünfzehn Jahre nach der Herstellung, wenn die Datenbank innerhalb dieser Frist nicht veröffentlicht worden ist. (…)

Die Richtlinie sollte die Rechtsgrundlage für den Schutz eines breiten Spektrums von Datenbanken im Informationszeitalter bilden. Dies wurde dadurch erreicht, dass originelle Datenbanken durch ein starkes Urheberrecht geschützt wurden; darüber hinaus wurde für „nichtoriginale“ Datenbanken, die keine Eigenschöpfung des Urhebers darstellen, ein Recht „sui generis“ eingeführt. Aufgrund dieser Harmonisierung waren das Vereinigte Königreich und Irland, die bei der Originalität eine niedrigere Schwelle ansetzten und das „sweat of the brow“-Urheberrecht anwendeten, gezwungen höhere Maßstäbe anzusetzen. Als Ausgleich für den Wegfall des „sweat of the brow“-Schutzes wurde das Recht „sui generis“ als eine vollkommen neue Form des Schutzes geistigen Eigentums eingeführt. Das Schutz nach dem Prinzip „sweat of the brow“ besagt im Prinzip, dass die Arbeitsleistung geschützt wird, unabhängig von der — nach welchen Kriterien auch immer bestimmten — Qualität des Ergebnisses. In Deutschland kennt man solche Leistungsschutzrechte auch. So wird beispielsweise jede Fotografie für ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen des Lichtbildes gegen unberechtigte Kopien geschützt, sofern das Lichtbild durch einen bestimmten Vorgang (Auslöser der Kamera gedrückt) zustande gekommen ist (§ 72 UrhG).

Allerdings zeichnen Datenbanken sich noch durch einen anderen Aspekt aus, auf den bspw. Christine Würfel hinweist: Die Gewährung eines sui generis Schutzes für Datenbanken werfe das Problem des zeitlich unbegrenzten Schutzes auf, da durch ständige Aktualisierung der Datenbanken das Schutzrecht theoretisch bis in alle Ewigkeit verlängert werden könne. Damit werde auch der Zugang zu den in der Datenbank enthaltenen Daten monopolisiert.

Die Überprüfung der Kommission konzentrierte sich jedoch auf die Frage, ob die Einführung dieses Schutzrechtes zu höheren Wachstumsraten in der europäischen Datenbankindustrie und bei der Datenbankproduktion geführt hat. Die Bewertung stützte sich auf eine Online-Erhebung aus dem Jahr 2005, die sich an die europäische Datenbankindustrie richtete, und auf das Gale Directory of Databases (GDD), das größte existierende Datenbankverzeichnis.

Aus dem GDD ist ersichtlich, dass die Datenbankproduktion in der EU im Jahr 2004 auf das Niveau vor Einführung der Richtlinie zurückgefallen ist: 2004 wurden 3 095 EU-Datenbanken in das GDD eingetragen, 1998 waren es 3 092 und 2001 wurden 4 085 Einträge gezählt. Die Überprüfung bewertet das Ergebnis freundlich, nämlich dass das Recht „sui generis“ keinen wirtschaftlichen Einfluss auf die Datenbankproduktion hat. Diese Schlussfolgerung ist falsch: Tatsächlich muss man wohl eher einen Vergleich mit den Vereinigten Staaten ziehen und der Richtlinie nachteilige Folgen zuschreiben, denn keine Steigerung in der Zeit 1998 bis 2004 ist in dem schnell wachsenden Bereich eine Schrumpfkur.

Nachdem der erste Bericht der Kommission — die ja immer noch alle drei Jahre berichten müsste — eindeutig ausgefallen ist, hat man sich offenbar entschlossen, die Interessenten nicht mehr mit der Wirklichkeit und den nachteiligen Folgen der Umsetzung der Ideologie des geistigen Eigentums zu konfrontieren. Neue Berichte trotz Pflicht zur Veröffentlichung im Dreijahres-Rhythmus: Fehlanzeige.

Statt dessen verweist man auf die Unternehmen: Empirisch lässt sich der Nutzen des neuen Rechts nicht belegen, doch die europäische Verlagsindustrie bezeichnet das Schutzrecht „sui generis“ als wesentlichen Faktor für den Erfolg ihrer Tätigkeit. Das mag durchaus sein, ist aber genauso wenig erstaunlich, denn schließlich strebt jeder Unternehmer eine Monopolposition an, weil er dann mehr verdient. Dementsprechend sind auch zahlreiche Meldungen bei der Kommission eingegangen, die die Vorteile der Richtlinie preisen, von den Nachteilen für andere selbstverständlich schweigen.

Zugleich nutzten andere Unternehmen die Umfrage, um eine Erweiterung der Schutzrechte auf ihre Leistung zu fordern, auch wenn sie keine Datenbanken produzieren, so beispielsweise die DFL Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL). Sie nimmt u. a. die wirtschaftlichen Interessen der 36 Vereine und Kapitalgesellschaften der Fußball-Bundesliga und der 2. Fußball-Bundesliga in Deutschland wahr. Die DFL hielt in ihrer Stellungnahme eine Klarstellung für geboten und erforderlich, dass nicht nur die Hersteller, deren Hauptaktivität die Schaffung von Datenbanken ist, Schutzrechte geltend machen können, sondern insbesondere auch diejenigen Hersteller, die eine Datenbank im Rahmen und im untrennbaren Zusammenhang mit der Durchführung einer anderen Hauptaktivität erschaffen. Die als Nebenprodukt einer Hauptaktivität hergestellten Datenbanken würden sich weder in der Originalität im Sinne einer geistigen Schöpfung noch im Maß der Investition im Sinne der Bereitstellung von finanziellen Mitteln oder im Einsatz von Zeit, Arbeit und Energie von den als Hauptaktivität geschaffenen Datenbanken unterscheiden.

Die Argumentation folgt dabei dem bekannten Muster. Die DFL führte aus:

Der Verband, der den Wettbewerb organisiert und vermarktet sowie mit einem aufwändigen Lizenzierungsverfahren die Zulassung zu diesem Wettbewerb regelt und damit die Durchführung des Spielbetriebes in der Liga über eine ganze Spielzeit sicherstellt, und die Teilnehmer des Wettbewerbs schaffen als Mitveranstalter unter Einsatz erheblicher wirtschaftlicher Mittel ein Sportprodukt, das einen eigenen Vermögenswert darstellt. Sie müssen jedoch derzeit hinnehmen, dass Dritte, insbesondere die Veranstalter von Sportwetten, ihre Wertschöpfung unentgeltlich zur eigenen Gewinnzerzielung ausnutzen, ohne dass die Wettveranstalter einen eigenen Beitrag zu der Leistung der Verbände erbracht hätten.

Es ist die in sich schlüssige moralische Argumentationskette, die allerdings unter einem erheblichen Mangel leidet: Der Erfolg des einen beruht immer zum Großteil auf einem Gesamtsystem und dieses Gesamtsystem funktioniert ohne solche Leistungsschutzrechte besser. Die Wettbüros nutzen die angebliche Wertschöpfung der Fußballvereine, Fußballvereine nutzen ebenso unentgeltlich die Wertschöpfung der Medien, der Reporter, der kleinen Fußballvereine, die als Talentscouts tätig sind, oder der Sportlehrer usw. Dieses Ausnutzen der angeblichen Wertschöpfung anderer ist immanenter Bestandteil der Marktwirtschaft. Beispielsweise wird man wohl kaum leugnen können, dass Rechtsanwaltskanzleien, Notare, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder Architekten in einem erheblich höheren Ausmaß die Wertschöpfung der staatlichen Ausbildung unentgeltlich nutzen als Handwerksbetriebe (die noch dazu — unter Umständen — Gewerbesteuer bezahlen müssen).

Auf politischer Ebene schafft man mit solchen wirtschaftlich unsinnigen Leistungsschutzrechten vor allem neue Begehrlichkeiten. Andere Unternehmen fordern Gleichbehandlung, weil es ja — wie die DFL zutreffend feststellt — keinen logisch nachvollziehbaren Unterschied gibt, wieso nun gerade bei Datenbanken ein Schutzrecht nach dem Muster des geistigen Eigentums etabliert werden soll, während es bei anderen Leistungen (noch) fehlt. Wieso sollte beispielsweise ein Unternehmen, das ein nicht patentiertes Produkt neu auf den Markt bringt und mit erheblichem Aufwand bewirbt nicht auch ein Leistungsschutzrecht zugesprochen bekommen? Wenn der Konkurrent ein vergleichbares Produkt auf den Markt bringt, nutzt er auch die Wertschöpfung (Werbung) des Erstanbieters unentgeltlich zur eigenen Gewinnzerzielung aus.

Zu schnell scheint sich das Recht zu verselbständigen und zu laut klagen die Unternehmer (die bislang auch ohne das Schutzrecht ausgekommen sind) über angebliche Schäden, Entlassung von Mitarbeitern etc. Es sind die Jahrhunderte alten Jammerklagen der Zunftmeister und Priviliegieninhaber und sie stoßen noch heute auf Gehör bei den Politikern. So hat die Kommission zwar in einer Konsultationsrunde unter anderem die Frage gestellt, ob man die Richtlinie wieder aufheben oder den Anwendungsbereich stark reduzieren solle. Allerdings — so das Max Planck Institut (MPI) für geistiges Eigentum, Wettbewerb und Steuerrecht — sei bereits anhand der allgemeinen Bemerkungen klar geworden, dass eine Aufhebung (trotz des offenkundigen Misserfolges) als nicht realistisch eingestuft wurde. Dementsprechend hat das MPI zu der Feigenblatt-Frage auch überhaupt keine Stellung genommen, obwohl die Rücknahme offenbar die richtige Entscheidung gewesen wäre.

Der Zauberlehrling
Der Zauberlehrling von Ferdinand Barth

Die Äußerungen der Kommission sind wenig hoffnungsvoll. Beim geistigen Eigentum scheint man in den Industriestaaten inzwischen eine neue Rechtfertigungsmethode gefunden zu haben. Sie ist wohl ganz im Sinne von Fritz Machlups Äußerungen aus der Zeit um 1960: Wenn wir im 19. Jahrhundert gewusst hätten, was wir heute wissen (1960), dann hätten wir das Patentrecht wohl nicht eingeführt. Jetzt, wo wir es haben, können wir es aber schwerlich wieder abschaffen, scheint die Devise zu sein. Das alles klingt nun nicht nach Innovation oder Dynamik in der Politik, sondern verheißt vor allem Stillstand. Die Kommission reagiert mit Nichtstun: Man führt ein abstraktes Schutzrecht „auf Probe“ ein — zur Evaluierung — und entschuldigt sich hinterher, dass man den neuen Besen nicht mehr kontrollieren kann. Da wird auch verständlich, wieso es bislang anstelle von drei oder vier Berichten über die Erfolge der Datenbankrichtlinie nur einen über den Misserfolg gab. Die Berichte über die Erfolge fallen offenbar sehr kurz aus, nämlich gar nicht: Wenn es keine Erfolge zu vermelden gibt, wird geschwiegen.

Wo bleibt der Hexenmeister, der dem Spuk der Lehrlinge ein Ende bereitet?


Der Zauberlehrling
Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort’ und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch.

Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
bist schon lange Knecht gewesen;
nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
oben sei ein Kopf,
eile nun und gehe
mit dem Wassertopf!

Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder,
wahrlich! ist schon an dem Flusse,
und mit Blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
deiner Gaben
vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
er das wird, was er gewesen!
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
bringt er schnell herein,
ach! und hundert Flüsse
stürzen auf mich ein.

Nein, nicht länger
kann ichs lassen;
will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!

Willsts am Ende
gar nicht lassen?
Will dich fassen,
will dich halten
und das alte Holz behende
mit dem scharfen Beile spalten.

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
gleich, o Kobold, liegst du nieder;
krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
stehn in Eile
schon als Knechte
völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach, ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Naß und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

»In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur, zu diesem Zwecke,
erst hervor der alte Meister.«

Johann Wolfgang von Goethe