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Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards

Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates

vom 19. Juli 2002

betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards
Amtsblatt Nr. L 243 vom 11/09/2002 S. 0001 – 0004


DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 95 Absatz 1,

auf Vorschlag der Kommission1,

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses2,

gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags3,

in Erwägung nachstehender Gründe:

  1. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 23./24. März 2000 in Lissabon wurde die Notwendigkeit einer schnelleren Vollendung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen hervorgehoben, das Jahr 2005 als Frist für die Umsetzung des Aktionsplans der Kommission für Finanzdienstleistungen gesetzt und darauf gedrängt, dass Schritte unternommen werden, um die Vergleichbarkeit der Abschlüsse
    kapitalmarktorientierter Unternehmen zu verbessern.

  2. Um zu einer Verbesserung der Funktionsweise des Binnenmarkts beizutragen, müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen dazu verpflichtet werden, bei der Aufstellung ihrer konsolidierten Abschlüsse ein einheitliches Regelwerk internationaler Rechnungslegungsstandards von hoher Qualität anzuwenden. Überdies ist es von großer Bedeutung, dass an den Finanzmärkten teilnehmende Unternehmen der Gemeinschaft Rechnungslegungsstandards anwenden, die international anerkannt sind und wirkliche Weltstandards darstellen. Dazu bedarf es einer zunehmenden Konvergenz der derzeitig international angewandten Rechnungslegungsstandards, mit dem Ziel, letztlich zu einem einheitlichen Regelwerk weltweiter Rechnungslegungsstandards zu gelangen.

  3. Die Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen4, die Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 über den konsolidierten Abschluss5, die Richtlinie 86/635/EWG des Rates vom 8. Dezember 1986 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten6 und die Richtlinie 91/674/EWG des Rates vom 19. Dezember 1991 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Versicherungsunternehmen7 richten sich auch an kapitalmarktorientierte Gesellschaften in der Gemeinschaft. Die in diesen Richtlinien niedergelegten Rechnungslegungsvorschriften können den hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung aller kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft als unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau eines integrierten Kapitalmarkts, der wirksam, reibungslos und effizient funktioniert, nicht gewährleisten. Daher ist es erforderlich, den für kapitalmarktorientierte Gesellschaften geltenden Rechtsrahmen zu ergänzen.

  4. Diese Verordnung zielt darauf ab, einen Beitrag zur effizienten und kostengünstigen Funktionsweise des Kapitalmarkts zu leisten. Der Schutz der Anleger und der Erhalt des Vertrauens in die Finanzmärkte sind auch ein wichtiger Aspekt der Vollendung des Binnenmarkts in diesem Bereich. Mit dieser Verordnung wird der freie Kapitalverkehr im Binnenmarkt gestärkt und ein Beitrag dazu geleistet, dass die Unternehmen in der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, auf den gemeinschaftlichen Kapitalmärkten und auf den Weltkapitalmärkten unter gleichen Wettbewerbsbedingungen um Finanzmittel zu konkurrieren.

  5. Für die Wettbewerbsfähigkeit der gemeinschaftlichen Kapitalmärkte ist es von großer Bedeutung, dass eine Konvergenz der in Europa auf die Aufstellung von Abschlüssen angewendeten Normen mit internationalen Rechnungslegungsstandards erreicht wird, die weltweit für grenzübergreifende Geschäfte oder für die Zulassung an allen Börsen der Welt genutzt werden können.

  6. Am 13. Juni 2000 hat die Kommission ihre Mitteilung mit dem Titel "Rechnungslegungsstrategie der EU: Künftiges Vorgehen" veröffentlicht, in der vorgeschlagen wird, dass alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft ihre konsolidierten Abschlüsse spätestens ab dem Jahr 2005 nach einheitlichen Rechnungslegungsstandards, den "International Accounting Standards" (IAS), aufstellen.

  7. Die "International Accounting Standards" (IAS) werden vom "International Accounting Standards Committee" (IASC) entwickelt, dessen Zweck darin besteht, ein einheitliches Regelwerk weltweiter Rechnungslegungsstandards aufzubauen. Im Anschluss an die Umstrukturierung des IASC hat der neue Board als eine seiner ersten Entscheidungen am 1. April 2001 das IASC in "International Accounting Standards Board" (IASB) und die IAS mit Blick auf künftige internationale Rechnungslegungsstandards in "International Financial Reporting Standards" (IFRS) umbenannt. Die Anwendung dieser Standards sollte, so weit wie irgend möglich und sofern sie einen hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Rechnungslegung in der Gemeinschaft gewährleisten, für alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften in der Gemeinschaft zur Pflicht gemacht werden.

  8. Die zur Durchführung dieser Verordnung erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse8 erlassen werden; beim Erlass dieser Maßnahmen sollte die Erklärung zur Umsetzung der Rechtsvorschriften im Bereich der Finanzdienstleistungen, die die Kommission am 5. Februar 2002 vor dem Europäischen Parlament abgegeben hat, gebührend berücksichtigt werden.

  9. Die Übernahme eines internationalen Rechnungslegungsstandards zur Anwendung in der Gemeinschaft setzt voraus, dass er erstens die Grundanforderung der genannten Richtlinien des Rates erfüllt, d. h. dass seine Anwendung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens vermittelt – ein Prinzip, das im Lichte der genannten Richtlinien des Rates zu verstehen ist, ohne dass damit eine strenge Einhaltung jeder einzelnen Bestimmung dieser Richtlinien erforderlich wäre; zweitens, dass er gemäß den Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Juli 2000 dem europäischen öffentlichen Interesse entspricht und drittens, dass er grundlegende Kriterien hinsichtlich der Informationsqualität erfüllt, die gegeben sein muss, damit die Abschlüsse für die Adressaten von Nutzen sind.

  10. Ein Technischer Ausschuss für Rechnungslegung wird die Kommission bei der Bewertung internationaler Rechnungslegungsstandards unterstützen und beraten.

  11. Der Anerkennungsmechanismus sollte sich der vorgeschlagenen internationalen Rechnungslegungsstandards unverzüglich annehmen und auch die Möglichkeit bieten, über internationale Rechnungslegungsstandards im Kreise der Hauptbetroffenen, insbesondere der nationalen standardsetzenden Gremien für Rechnungslegung, der Aufsichtsbehörden in den Bereichen Wertpapiere, Banken und Versicherungen, der Zentralbanken einschließlich der EZB, der mit der Rechnungslegung befassten Berufsstände sowie der Adressaten und der Aufsteller von Abschlüssen, zu beraten, nachzudenken und Informationen dazu auszutauschen. Der Mechanismus sollte ein Mittel sein, das gemeinsame Verständnis übernommener internationaler Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft zu fördern.
  12. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sind die in dieser Verordnung getroffenen Maßnahmen, welche die Anwendung eines einheitlichen Regelwerks von internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen für alle kapitalmarktorientierten Gesellschaften vorsehen, notwendig, um das Ziel einer wirksamen und kostengünstigen Funktionsweise der Kapitalmärkte der Gemeinschaft und damit die Vollendung des Binnenmarktes zu erreichen.

  13. Nach demselben Grundsatz ist es erforderlich, dass den Mitgliedstaaten im Hinblick auf Jahresabschlüsse die Wahl gelassen wird, kapitalmarktorientierten Gesellschaften die Aufstellung nach den internationalen Rechnungslegungsstandards, die nach dem Verfahren dieser Verordnung angenommen wurden, zu gestatten oder vorzuschreiben. Die Mitgliedstaaten können diese Möglichkeit bzw. diese Vorschrift auch auf die konsolidierten Abschlüsse und/oder Jahresabschlüsse anderer Gesellschaften ausdehnen.

  14. Damit ein Gedankenaustausch erleichtert wird und die Mitgliedstaaten ihre Standpunkte koordinieren können, sollte die Kommission den Regelungsausschuss für Rechnungslegung regelmäßig über laufende Vorhaben, Thesenpapiere, spezielle Recherchen und Exposure Drafts, die vom IASB veröffentlicht werden, sowie über die anschließenden fachlichen Arbeiten des Technischen Ausschusses unterrichten. Ferner ist es wichtig, dass der Regelungsausschuss für Rechnungslegung frühzeitig unterrichtet wird, wenn die Kommission die Übernahme eines internationalen
    Rechnungslegungsstandards nicht vorschlagen will.

  15. Bei der Erörterung der vom IASB im Rahmen der Entwicklung von internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS und SIC/IFRIC) veröffentlichten Dokumente und Papiere und bei der Ausarbeitung diesbezüglicher Standpunkte sollte die Kommission der Notwendigkeit Rechnung tragen, Wettbewerbsnachteile für die auf dem Weltmarkt tätigen europäischen Unternehmen zu vermeiden; ferner sollte sie, so weit wie irgend möglich die von den Delegationen im Regelungsausschuss für Rechnungslegung zum Ausdruck gebrachten Ansichten berücksichtigen. Die Kommission wird in den Organen des IASB vertreten sein.

  16. Angemessene und strenge Durchsetzungsregelungen sind von zentraler Bedeutung, um das Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte zu stärken. Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Artikel 10 des Vertrags alle geeigneten Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung internationaler Rechnungslegungsstandards treffen. Die Kommission beabsichtigt, sich mit den Mitgliedstaaten insbesondere über den Ausschuss der europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) ins Benehmen zu setzen, um ein gemeinsames Konzept für die Durchsetzung zu entwickeln.

  17. Ferner muss den Mitgliedstaaten gestattet werden, die Anwendung bestimmter Vorschriften bis 2007 zu verschieben, und zwar für alle Gemeinschaftsunternehmen, deren Wertpapiere sowohl in der Gemeinschaft als auch in einem Drittland zum Handel in einem geregelten Markt zugelassen sind und die ihren konsolidierten Abschlüssen bereits primär andere international anerkannte Rechnungslegungsgrundsätze zugrunde legen, sowie für Gesellschaften, von denen ausschließlich Schuldtitel zum Handel in einem geregelten Markt zugelassen sind. Es ist jedoch unverzichtbar, dass bis spätestens 2007 die IAS als einheitliches Regelwerk globaler internationaler Rechnungslegungsstandards für alle Gemeinschaftsunternehmen gelten, deren Wertpapiere zum Handel in einem geregelten Gemeinschaftsmarkt zugelassen sind.

  18. Um den Mitgliedstaaten und Gesellschaften die zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards erforderlichen Anpassungen zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass bestimmte Vorschriften erst im Jahr 2005 Anwendung finden. Für die erstmalige Anwendung der IAS durch die Gesellschaften infolge des Inkrafttretens dieser Verordnung sollten geeignete Vorschriften erlassen werden. Diese Vorschriften sollten auf internationaler Ebene ausgearbeitet werden, damit die internationale Anerkennung der festgelegten Lösungen sichergestellt ist

– HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

Artikel 1
Ziel

Gegenstand dieser Verordnung ist die Übernahme und Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft, mit dem Ziel, die von Gesellschaften im Sinne des Artikels 4 vorgelegten Finanzinformationen zu harmonisieren, um einen hohen Grad an Transparenz und Vergleichbarkeit der Abschlüsse und damit eine effiziente Funktionsweise des Kapitalmarkts in der Gemeinschaft und im Binnenmarkt sicherzustellen.

Artikel 2
Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnen "internationale Rechnungslegungsstandards" die "International Accounting Standards" (IAS), die "International Financial Reporting Standards" (IFRS) und damit verbundene Auslegungen (SIC/IFRIC-Interpretationen), spätere Änderungen dieser Standards und damit verbundene Auslegungen sowie künftige Standards und damit verbundene Auslegungen, die vom International Accounting Standards Board (IASB) herausgegeben oder angenommen wurden.

Artikel 3
Übernahme und Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards

(1) Die Kommission beschließt nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 über die Anwendbarkeit von internationalen Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft.

(2) Die internationalen Rechnungslegungsstandards können nur übernommen werden, wenn sie

  • dem Prinzip des Artikels 2 Absatz 3 der Richtlinie 78/660/EWG und des Artikels 16 Absatz 3 der Richtlinie 83/349/EWG nicht zuwiderlaufen sowie dem europäischen öffentlichen Interesse entsprechen und

  • den Kriterien der Verständlichkeit, Erheblichkeit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügen, die Finanzinformationen erfüllen müssen, um wirtschaftliche Entscheidungen und die Bewertung der Leistung einer Unternehmensleitung zu ermöglichen.

(3) Bis zum 31. Dezember 2002 entscheidet die Kommission nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 über die Anwendbarkeit der bei Inkrafttreten dieser Verordnung vorliegenden internationalen Rechnungslegungsstandards in der Gemeinschaft.

(4) Übernommene internationale Rechnungslegungsstandards werden als Kommissionsverordnung vollständig in allen Amtssprachen der Gemeinschaft im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.

Artikel 4
Konsolidierte Abschlüsse von kapitalmarktorientierten Gesellschaften

Für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. Januar 2005 beginnen, stellen Gesellschaften, die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen, ihre konsolidierten Abschlüsse nach den internationalen Rechnungslegungsstandards auf, die nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 übernommen wurden, wenn am jeweiligen Bilanzstichtag ihre Wertpapiere in einem beliebigen Mitgliedstaat zum Handel in einem geregelten Markt im Sinne des Artikels 1 Absatz 13 der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen9 zugelassen sind.

Artikel 5
Wahlrecht in Bezug auf Jahresabschlüsse und hinsichtlich nicht kapitalmarktorientierter Gesellschaften

Die Mitgliedstaaten können gestatten oder vorschreiben, dass a) Gesellschaften im Sinne des Artikels 4 ihre Jahresabschlüsse, b) Gesellschaften, die nicht solche im Sinne des Artikels 4 sind, ihre konsolidierten Abschlüsse und/oder ihre Jahresabschlüsse nach den internationalen Rechnungslegungsstandards aufstellen, die nach dem Verfahren des Artikels 6 Absatz 2 angenommen wurden.

Artikel 6
Ausschussverfahren

(1) Die Kommission wird durch einen Regelungsausschuss für Rechnungslegung (im Folgenden "Ausschuss" genannt) unterstützt.

(2) Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8. Der Zeitraum nach Artikel 5 Absatz 6 des Beschlusses 1999/468/EG wird auf drei Monate festgesetzt.

(3) Der Ausschuss gibt sich eine Geschäftsordnung.

Artikel 7
Berichterstattung und Koordinierung

(1) Die Kommission setzt sich mit dem Ausschuss regelmäßig über den Stand laufender Vorhaben des IASB und über die vom IASB veröffentlichten Dokumente ins Benehmen, um die Standpunkte zu koordinieren und um Erörterungen über die Übernahme von gegebenenfalls aus diesen Vorhaben und Dokumenten hervorgehenden Standards zu erleichtern.

(2) Die Kommission erstattet dem Ausschuss gebührend und frühzeitig Bericht, wenn sie die Übernahme eines Standards nicht vorschlagen will.

Artikel 8
Mitteilungspflicht

Ergreifen die Mitgliedstaaten Maßnahmen nach Artikel 5, so teilen sie diese der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten unverzüglich mit.

Artikel 9
Übergangsbestimmungen

In Abweichung von Artikel 4 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass jener Artikel 4 für Gesellschaften,

  1. von denen lediglich Schuldtitel zum Handel in einem geregelten Markt eines Mitgliedstaats im Sinne von Artikel 1 Absatz 13 der Richtlinie 93/22/EWG zugelassen sind oder

  2. deren Wertpapiere zum öffentlichen Handel in einem Nichtmitgliedstaat zugelassen sind und die zu diesem Zweck seit einem Geschäftsjahr, das vor der Veröffentlichung dieser Verordnung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften begann, international anerkannte Standards anwenden,

erst für die Geschäftsjahre Anwendung finden, die am oder nach dem 1. Januar 2007 beginnen.

Artikel 10
Unterrichtung und Überprüfung

Die Kommission überprüft die Funktionsweise dieser Verordnung und erstattet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 1. Juli 2007 darüber Bericht.

Artikel 11
Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am dritten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Geschehen zu Brüssel am 19. Juli 2002.

In Namen des Europäischen Parlaments
Der Präsident
P. Cox

In Namen des Rates
Der Präsident
T. Pedersen


Fußnoten

1 ABl. C 154 E vom 29.5.2001, S. 285.

2 ABl. C 260 vom 17.9.2001, S. 86.

3 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 12. März 2002 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 7. Juni 2002.

4 ABl. L 222 vom 14.8.1978, S. 11. Richtlinie zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 283 vom 27.10.2001, S. 28).

5 ABl. L 193 vom 18.7.1983, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.

6 ABl. L 372 vom 31.12.1986, S. 1. Richtlinie zuletzt geändert durch Richtlinie 2001/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.

7 ABl. L 374 vom 31.12.1991, S. 7.

8 ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

9 ABl. L 141 vom 11.6.1993, S. 27. Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2000/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 290 vom 17.11.2000, S. 27).

IAS-Anwendung ab 2005 und deren Umfang festgelegt

Die Europäische Kommission hat eine Verordnung zur Freigabe bestimmter internationaler Rechnungslegungsstandards („International Accounting Standards“/ IAS) mit den entsprechenden Auslegungen (SIC) angenommen. Damit wird ihre Anwendung ab 2005 im Sinne der allgemeinen IAS-Verordnung Pflicht, die vom Europäischen Parlament und vom Rat 2002 angenommen wurde.

Mit der Annahme dieser Durchführungsverordnung von seiten der Kommission folgt diese der einstimmigen Befürwortung der IAS im Regelungsausschuss für Rechnungslegung (RAR) im Juli diesen Jahres. Gutgeheißen wurden alle bestehenden IAS und SIC mit Ausnahme von IAS 32 und IAS 39 und den damit verbundenen SIC 5, 16 und 17. IAS 32 und 39 behandeln die Rechnungslegung und Offenlegung von Finanzinstrumenten und wurden deshalb nicht aufgenommen, weil sie derzeit vom International Accounting Standards Board (IASB) zusammen mit europäischen Rechnungslegungsexperten überarbeitet werden.

Das für den Binnenmarkt zuständige Kommissionsmitglied Frits Bolkestein meinte dazu: „Die Annahme dieser Verordnung durch die Kommission, mit der die meisten bestehenden IAS zur Pflicht gemacht werden und ihre Veröffentlichung in den Amtssprachen der EU vorgeschrieben wird, wird den rund 7000 börsennotierten EU-Unternehmen, die davon betroffen sind, helfen, ihre Vorbereitungen für 2005 abzuschließen, d.h. dem Jahr, in dem ihre konsolidierten Abschlüsse gemäß den IAS zu erstellen sind. Damit werden den derzeitigen „Turm zu Babel“-Verhältnissen bei der Vorlage von Abschlüssen eine Ende bereitet, Wettbewerb und Transparenz verbessert und der freie Kapitalverkehr leichter gestaltet. Unterdessen fordere ich den IASB und die interessierten Parteien auf, ihren Dialog über IAS 32 und IAS 39 zum Abschluss zu bringen, so dass die Kommission sie ebenfalls rechtzeitig für 2005 prüfen kann.“

Gemäß der IAS-Verordnung von 2002, die vom Rat und vom Europäischen Parlament angenommen wurde, müssen börsennotierte Gesellschaften, d. h. auch Banken und Versicherungsunternehmen, ihre konsoldierten Abschlüsse ab 2005 gemäß den IAS erstellen. Bevor die IAS aber im Rahmen der oben genannten Verordnung rechtlich verbindlich werden können, müssen sie von der Kommission freigegeben werden, nachdem diese die im Regelungsausschuss für Rechnungslegung vertretenen Mitgliedstaaten konsultiert und die Stellungnahmen der EFRAG eingeholt hat („European Financial Reporting Advisory Group“), die sich aus Rechnungslegungsexperten des privaten Sektors zusammensetzt. Mit der Annahme der oben genannten Durchführungsverordnung hat die Kommission nun sämtliche IAS – bis auf IAS 32 und IAS 39 – freigegeben.

Den Mitgliedstaaten steht es frei, die Anforderungen der IAS-Verordnung auf nicht börsennotierte Gesellschaften und die Vorlage von Einzelabschlüssen auszudehnen. Im Gegensatz zu Richtlinien haben EU-Verordnungen Rechtskraft, ohne dass eine Umsetzung in nationales Recht erforderlich ist.

Um eine kohärente Anwendung der IAS in der gesamten EU zu gewährleisten, werden die befürworteten IAS in Kürze in den EU-Amtssprachen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Dieser erste Prozess der Freigabe wurde verzögert, um die Vorlage hochwertiger Übersetzungen zu gewährleisten (s. IP/02/1967). Insgesamt liegen derzeit 34 IAS (einschließlich IAS 32 und IAS 39) und 31 SIC vor (einschließlich SIC 5, SIC 16 und SIC 17), die rund 1.500 Seiten ausmachen.

Am 21. August hat der IASB ein Arbeitspapier zu Makro-Hedging-Bestimmungen für IAS 39 vorgelegt, zu dem bis Mitte November Kommentare abgeben werden können. Auch beabsichtigt der IASB, IAS 32 bis zum Jahresende zu veröffentlichen und IAS 39 spätestens bis März 2004 zum Abschluss zu bringen. Die Kommission wird diese beiden Standards dann im Hinblick auf ihre Freigabe so bald wie möglich prüfen.

Informationsbroschüre »Patentierbarkeit von Softwareinnovationen«

Fallstudien konkretisieren die Ergebnisse der BMWA-Studie aus dem Jahr 2001 zu den Auswirkungen auf das Innovationsverhalten und die Wettbewerbsstrategien deutscher Softwareunternehmen.

Die Frage des Patentschutzes für Software basierte Erfindungen spielt in Unternehmen der deutschen Softwarebranche eine immer größer werdende Rolle, wenngleich sich nach wie vor die aktive Inanspruchnahme von Patentschutz auf vergleichsweise niedrigem Niveau bewegt. Bei bislang nicht patentaktiven Softwareunternehmen ist die Hinwendung zur Patentierung offenbar in erster Linie Reaktion auf das beobachtete Verhalten von Wettbewerbern. Ein weiteres wesentliches Einflusskriterium für die Befassung mit Schutzrechten ist die zunehmende Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit, insbesondere in Bezug auf den US-amerikanischen Markt, so eines der Ergebnisse der im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (FhG-ISI), Karlsruhe, durchgeführten Fallstudien.

Für die Fallanalysen hatte das FhG-SI 22 Software erstellende Unternehmen unterschiedlicher Größe und Einstellung zu Patenten aus der Primärbranche (reine Softwareanbieter und IT-Dienstleister) und der Sekundärbranche (verarbeitendes Gewerbe mit eigener Softwareentwicklung) zu den konkreten Auswirkungen der bestehenden Schutzrechtsregelungen im Softwarebereich auf ihr Innovationsverhalten und ihre Wettbewerbsstrategien befragt. Ziel war, im Lichte der empirischen Ergebnisse aus der repräsentativen Erhebung aus dem Jahr 2001 die möglichen Vor- und Nachteile des Patentsystems in unternehmens- bzw. unternehmenstypenspezifische Zusammenhänge zu stellen.

Während für die großen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit eigener Softwareproduktion wettbewerbsstrategische Aspekte beim Aufbau eines Patentportfolios zur Sicherung der eigenen technologischen Handlungsfreiheit dominieren, ist strategisches Patentieren bei reinen Softwareherstellern erst ansatzweise zu beobachten. Die festgestellten größenbedingten strukturellen Nachteile mittlerer und vor allem kleiner Unternehmen, so FhG-ISI, bedingen erhebliche Asymmetrien hinsichtlich des Nutzungspotentials des Patentsystems. Des Weiteren konnte wie bereits in der ersten breit angelegten Untersuchung zu diesem Thema nicht bestätigt werden, dass es generell einen Kausalzusammenhang zwischen der Nutzung von Patenten und der Forschungs- bzw. Innovationsintensität sowie dem Markterfolg gibt. Schließlich werden Patentschriften im Softwarebereich offenbar generell nicht zur Wissensgenerierung herangezogen.

Als ein wesentliches Fazit aus den Fallstudien bekräftigt FhG-ISI die Forderung nach einem einheitlichen international harmonisierten Rechtsrahmen für die Patentierbarkeit von Software implementierten Erfindungen, wobei allerdings eine Ausweitung der Patentierung in Europa vermieden werden sollte. Wesentliche Herausforderung sei eine klare, verständliche Definition der Patentierungsvoraussetzungen Technizität und erfinderische Tätigkeit. Weitere Vorschläge zielen auf eine Verbesserung der Qualität des Patentverfahrens sowie den Auf- und Ausbau der Informations- und Beratungsinfrastruktur insbesondere für die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen.

Mit der Vergabe der beiden Forschungsaufträge hat das BMWA einen wichtigen innovationsökonomischen, weil empirisch fundierten Beitrag zur Diskussion über die Patentierbarkeit von computerimplementierten Erfindungen in Europa geleistet.

Weiterführende Informationen

Geistige Eigentumsrechte in der Informationsgesellschaft – Broschüre (Stand: Juni 2003)
Geistige Eigentumsrechte in der Informationsgesellschaft — Eine Analyse der Rolle gewerblicher Schutzrechte bei Gründung und Markteintritt sowie für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Softwareunternehmen anhand unternehmens- und softwaretypbezogener Fallstudien: Bestellen beim BMWA

Intellectual Property Rights in the Information Society (Short Summary)
Their Role for Innovativeness, Competetiveness and the Start Up-Process of Software Companies. A Case Study Based Analysis:
Bestellen beim BMWA

Richtlinien-Vorschlag der EU-Kommission: Kommission

Befassung des Europäischen Parlaments mit dem Bericht des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt zum Richtlinienvorschlag am 23. September 2003: Europäisches Parlament

Europäisches Patentamt/ Aktuelle Prüfungsrichtlinien für Computerprogramme: Europäisches Patentamt

Fraunhofer-Institute for Systems and Innovation Research (FhG-ISI):
Fraunhofer-Institut

Max-Planck-Institute for Foreign and International Patent, Copyright and Competition Law: Max-Planck-Institut

Patentserver des Bundesministeriums für Bildung und Forschung:
BMBF

Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) e.V.: FFII

Großzügige Softwarepatentierung im EP gescheitert

Mit einer großen Mehrheit stimmten die Volksvertreter im Europäischen Parlament (EP) gegen den Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinheitlichung der Patentierbarkeit von computergestützen Erfindungen mit zweifelhaften Folgen für Programmierer und Softwareunternehmen. Patente auf die eigentliche Software soll es nach dem Parlamentsbeschluss nicht geben.

361 Abgeordnete stimmten für eine deutliche Überarbeitung der Richtlinie – lediglich 157 für eine unveränderte Annahme. Patente sollen nur für computergesteuerte Anwendungen in Endgeräten möglich sein, also etwa für eine Waschmaschine mit neuer Software. Reine Computersoftware, also die programmierten Anweisungen an den Computer, sollen ebenso wenig patentierbar sein wie die technische Idee dahinter. Die Vorlage wird nun den Mitgliedstaaten zur weiteren Beratung vorgelegt.

Artikel 52 des europäischen Patentübereinkommens – der die bisherige Rechtslage widerspiegelt – stellt fest, dass Computerprogramme als solche nicht patentiert werden können. Um den Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht auszuweiten, haben die Abgeordneten daran erinnert, dass der technische Charakter der Erfindung Voraussetzung für die Patentierbarkeit ist. Der entscheidende Änderungsvorschlag lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass auf computerimplementierte Erfindungen erteilte Patentansprüche nur den technischen Beitrag umfassen, der den Patentanspruch begründet. Ein Patentanspruch auf ein Computerprogramm, sei es auf das Programm allein oder auf ein auf einem Datenträger vorliegendes Programm, ist unzulässig.“

Bei einer unveränderten Übernahme des Vorschlags wäre es möglich gewesen, alltägliche und millionenfach angewendete Programmbestandteile zu patentieren – mit verheerenden Auswirkungen für die Gesellschaft – so die Kritiker. Das Mitglied des Europäischen Parlaments Bent Hindrup ANDERSEN (EDU, Dänemark) drückte dies so aus: Software-Patente ähneln einem Patent auf Treppen: „Ein Patent auf Treppenhäuser trägt Sorge dafür, dass man keine Hochhäuser mehr bauen kann.“ Er verlangte daher, dass Software nicht zu patentieren sei. Der Fortschritt würde gehemmt, wenn man für jegliche Neuerung einen Patentjuristen konsultieren müsse, schloss der Abgeordnete.

Die Befürworter hatten sich von der ursprünglichen Richtlinie einen besseren Schutz europäischer Softwarefirmen gegen die Konkurrenz aus den USA und Japan erhofft. Dort gibt es bereits Patentgesetze für Software. Die Unternehmen könnten deshalb Lizenzgebühren für ihre Erfindungen erheben, während Unternehmen und Wissenschaftler in Europa bisher leer ausgingen, so die Argumente der Befürworter. Das letzte Argument erscheint wenig schlüssig, denn es steht europäischen Unternehmen jederzeit offen, die Möglichkeiten in den Vereinigten Staaten und Japan zu nutzen.

Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen, aber auch die Open Source Programmierer haben die Möglichkeit der Patentierung von solchen „Logik- und Trivialpatenten gefürchtet. Daniel Cohn-Bendit, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, die eine Richtlinie für völlig überflüssig erachten, erklärte hierzu: „Was das Parlament heute angenommen hat, ist ein Erfolg für alle, die verhindern wollten, dass eine verheerende Regelung in Kraft tritt.“

Die Großunternehmen, die sich für die Richtlinie in der Version der Kommission eingesetzt haben, kamen nicht zum erhofften Ergebnis: Der Sprecher des Europäischen Dachverbands der Informatik,-, Kommunikations- und Elektronikindustrie (EICTA), dem führende Großkonzerne wie Microsoft und Sony angehören, zeigte sich in ersten Reaktionen „zutiefst enttäuscht“.

Die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) hat die Entscheidung des EP kritisiert, die umstrittene Richtlinie über die „Patentierbarkeit Computer-implementierter Erfindungen“ in wesentlichen Punkten abzuändern. GI-Vizepräsident Andreas Stöckigt zeigte sich bestürzt, dass das Europäische Parlament die Informatik nicht mehr zur Technik zählt.: „Der Vorschlag der Kommission ist im Eiltempo in sein Gegenteil verkehrt worden und dies nach drei Jahren Diskussion zu diesem Thema“,
sagte er weiter. Die Industrie muss für Patente, die Computerprogramme nutzen, künftig eine lizenzfreie Implementierung zur Verfügung stellen. Stöckigt: „Diese Programme können dann natürlich auch in Ländern, in denen das Patent nicht angemeldet wurde, genutzt werden.“ Es sei zu befürchten, dass innovative Firmen verstärkt in anderen Wirtschaftsräumen ihre Erfindungen anmelden werden.

Diese Ansicht verkennt allerdings, dass die Programmierleistung weiterhin urheberrechtlich geschützt ist. Wieso eine lizenzfreie Implementierung zur Verfügung gestellt werden sollte, bleibt ebenfalls im Dunklen. Insofern ist auch die mit der Patentierung verbundene Offenlegung weniger problematisch, denn ob jemand gegen ein mit einem Patent- oder gegen ein mit einem Urheberrecht geschütztes Recht verstößt, – es bleibt jeweils ein Verstoß gegen das geschützte geistige Eigentum. Insofern ist kein Unterschied erkennbar. Ob ein Schutz der bloßen Methode, wenn auch über Software verwirklicht, wirklich Sinn macht, ist ausgesprochen zweifelhaft.

Schlagabtausch im EP um die Softwarepatente

Dass sich die Bedeutung des Europäischen Parlaments (EP) bei dem Thema Softwarepatente zeigt – damit hat wohl niemand gerechnet. Nach der Debatte über den Patentschutz für computerimplementierte Erfindungen sagte Berichterstatterin Arlene McCARTHY (SPE, UK), sie sei seit zehn Jahren MdEP, aber sie habe noch nie solche persönlichen Angriffe auf sich und ihre Mitarbeiter erlebt, wie bei dieser Abstimmung. Sie hoffe auf entsprechende Vorkehrungen bei der morgigen Abstimmung.

Die von zahlreichen Softwareschmieden und Programmieren mit Bangen un Hoffen erwartete Abstimmung zu dem Entwurf findet am 24.09.2003 statt. In dem meistbesuchten deutschsprachigen Internetportal für Programmierer und Softwareunternehmen des Heise-Verlags kann man den Schlagabtausch der Softwarinteressierten verfolgen. EIn Zusammenfassung der Süddeutschen Zeitung finden Sie hier.

Hier die Redebeiträge der Debatte im EP:

Erklärung der Kommission:

Kommissar Frits BOLKESTEIN sagte, es gehe nicht um die Patentierung reiner Computerprogramme, wie viele Gegner der Richtlinie behaupteten. Viele Gegner hätten auch fälschlicherweise behauptet, dass mit der Richtlinie erstmals Programme patentierbar würden. Auch das sei falsch: „Nichts wird dadurch patentierbar, was nicht schon jetzt patentierbar ist.“ Es gehe nur um die Harmonisierung der gegenwärtigen Patentierungspraxis.

Die Mehrheit der Änderungsanträge sei für die Kommission inakzeptabel. Viele Änderungsanträge seien „fundamental“. Er befürchte, dass der Vorschlag scheitert, wenn diese Änderungsanträge angenommen werden. Dies hätte negative Folgen:

  • In Ermangelung der Harmonisierung wäre es den europäischen Patentämtern weiter freigestellt, auf Software basierende Erfindungen zu patentieren. Dies schaffe Rechtsunsicherheit. Die Bemühungen der Kommission, ein Patentierungsverbot für reine Software zu etablieren, würden untergraben.
  • Die Mitgliedstaaten würden selbst Gesetzgebung entwerfen, wenn es auf EU-Ebene keine Regelung gebe. Wenn die EU keine Regeln für die Patentierung von computerimplementierten Erfindungen schaffe, werde die Europäische Patentkonvention zwischenstaatlich ohne Einfluss des EP und der europäischen Bürger neu ausgehandelt.
EP-Berichterstatterin:

Arlene McCARTHY (SPE, UK) hob hervor, dass computerimplementierte Erfindungen nichts Neues seien. 30.000 Patente seien allein für technische Anlagen, Waschmaschinen, Telefone etc. vergeben worden. Allein im vorletzten Jahr habe es 16.000 Patentanträge gegeben. Diese Flut von Anträgen gelte es einzugrenzen, um eine Wettbewerbseinschränkung zu vermeiden. Andererseits müssten Erfindungen mit einem langen Entwicklungszeitraum geschützt werden. Auch kleine und mittlere Unternehmen müssten in den Schutz einbezogen werden, um den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu verstärken. McCarthy forderte die Kommission auf, die Änderungsanträge zu Artikel 4 zu bedenken und die Ausnahmen von der Patentierbarkeit zu berücksichtigen. Die Kommission solle den Investitionsschutz garantieren, den Wettbewerb wahren, echte Erfindungen schützen und Monopole bekämpfen. Die Schaffung einer guten Praxis im Patentwesen und die Verhinderung von multinationaler Dominanz seien das Ziel.

Vertreter der Fraktionen:

Joachim WÜRMELING (EVP-ED, D (CSU)) erklärte, es handele sich um eine juristisch und technisch hoch komplizierte Materie. Man sei einem aggressiven und irrationalen Lobbyismus ausgesetzt gewesen. Man wolle weder eine allgemeine Patentierung jeglicher Software noch eine Unterstützung der Softwareriesen. KMU sollten nicht gefährdet werden, ebenso wenig wie die Open-source-Bewegung und die Linuxtechnik. Man brauche eine vernünftige Abgrenzung zwischen patentierbaren technischen Erfindungen und nichtpatentierbarer reiner Software. Die im Europäischen Patentamt festzustellende schädliche Tendenz der häufigen Patentierung lasse sich nur durch den Gesetzgeber beenden. Der Kommissionsvorschlag werde durch den Bericht des Rechtsausschusses verbessert. Dieser begrenze die Tendenz zu einer Ausuferung der Patente. Durch die Aufzählung von Negativbeispielen in Artikel 4 a werde die Patentierung von reiner Software und ähnlichem ausgeschlossen. Die EU brauche ein Innovationen förderndes Patentrecht.

Laut Manuel MEDINA ORTEGA (SPE, E) spiegeln die im Rechtsausschuss angenommenen Änderungen die derzeitige Situation nicht wider. Es gehe nicht nur um die Patentierung von industrieller Anwendung, sondern um das geistige Eigentum. Mit dem Vorschlag drifte man hin zu amerikanischen Verhältnissen, zu einer Patentierung von nichtindustriellen Anwendungen. Dies wäre ein Rückschritt auf dem Weg zur Informationsgesellschaft. Man brauche eine klare Abgrenzung. Die Natur des Industriepatents dürfe nicht gefährdet werden. Nur die industrielle Anwendung und nicht die Computerprogramme müssten durch die Gemeinschaftsrichtlinie geschützt werden.

Toine MANDERS (LIBE, NL) sagte, es sei das Ziel, Rechtssicherheit zu erreichen. „Wir brauchen die Richtlinie, um amerikanische Bemühungen zu verhindern.“ Sonst könnten tausende Anwendungen patentiert werden. Der Bericht sei sehr ausgewogen, aber einige Änderungen sollte man noch vornehmen, so z.B. hinsichtlich der Übergangszeit: Hier sei ein besserer Schutz finanzschwacher Erfinder nötig.

Pernille FRAHM (KVEL/NGL, DK) erklärte, wir hätten alle die gleiche Absicht: noch mehr Erfindungskraft und Erneuerung in den KMU zu fördern. Wieso aber seien jetzt gerade die KMU gegen eine schnelle Abstimmung? Die KMU befürchteten, dass die Wahrung eigener Rechte ihnen zu teuer kommen könnte. Jetzt würde die schleichende Ausweitung der Patentierbarkeit durch das Europäische Patentamt legalisiert. „Wie rein muss Software sein, damit sie wirklich rein ist?“, fragte Frahm. Hier fehle noch eine klare Antwort. Man müsse den Zweiflern eine Chance geben.

Raina Mercedes ECHERER (GRÜNE/EFA, A) unterstützte die Berichterstatterin und warf Bolkestein vor, er wolle die Kritiker abschrecken: Er „stellt die Rute ins Fenster“, „ja eine Drohung habe ich beinahe herausgehört“, sagte Echerer.

Wenn nur ein einziges Teilchen einer Lösung patentiert sei, sei die ganze Lösung nicht weiterzuverwenden. Möglicherweise schaffe die Richtlinie nicht mehr Rechtssicherheit, sondern auch neue Schlupflöcher. Wir wüssten, wie marktkräftige Unternehmen das Patent als Waffe benutzen. Anstelle den Weg des Patentrechts zu gehen, hätte man die Urheberrechtsrichtlinie von 1991 weiterentwickeln sollen.

Antonio MUSSA (UEN, I) unterstrich, dass die EDV das Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung sei. Er wandte sich dagegen, eine allumfassende Patentierbarkeit einzuführen, da sonst der Fortschritt gehemmt werde. „Würde jeder kleine Befehl oder jede Einrichtung mit Patent belegt, hätte man einen Dschungel von Einschränkungen.“ Mussa wandte sich gegen die Annahme des McCarthy-Berichts und verlangte, den „freien Geist der Völker“ zu wahren.

Für Bent Hindrup ANDERSEN (EDU, DK) ähneln Software-Patente einem Patent auf Treppen: „Ein Patent auf Treppenhäuser trägt Sorge dafür, dass man keine Hochhäuser mehr bauen kann.“ Er verlangte daher, dass Software nicht zu patentieren sei. Der Fortschritt würde gehemmt, wenn man für jegliche Neuerung einen Patentjuristen konsultieren müsse, schloss der Abgeordnete.

Marco CAPPATO (FL, I) setzte sich dafür ein, die Patentierbarkeit der Software einzuschränken. Es seien bereits schon jetzt zu viele Patente zugelassen, die den Fortschritt hemmten. Er verlangte daher, dass nur die Erfindung patentierbar ist, nicht aber die Software. Die Regeln des Urheberschutzes müssten eingehalten werden. Die Änderungsanträge zur Interoperabilität gelte es durchzusetzen

Weitere deutschsprachige Abgeordnete:

Selten habe ein Gesetzgebungsverfahren in einem derart frühen Stadium so große öffentliche Aufmerksamkeit hervorgerufen, so Evelyne GEBHARDT (SPE, D). Sie sei für die Annahme des Kompromisses. Hierdurch werde versucht, aus der Falle der Artikel 2 und 4 zu gelangen. Eine Neudefinition des Technischen habe der Patentierbarkeit von Software Tür und Tor geöffnet. Dieses Schlupfloch sei nun einigermaßen geschlossen. Sie hätte gerne noch mehr erreicht. Es sei nicht deutlich genug, dass man Softwarepatente nicht nur einschränke, sondern gar nicht mehr erteilen wolle. „Wer Software patentiert, spielt dem großen Kapital in die Hand, nicht aber der großen Intelligenz.“ Jenseits der Regelungen des Kompromisses bleibe es daher dabei: „Finger weg von der Softwarepatentierung.“

Othmar KARAS (EVP-ED, A) erklärte, die Richtlinie garantiere eine einheitliche Rechtsanwendung durch Patentämter und Patentgerichte. Dies sei im Interesse eines gemeinsamen Binnenmarktes. Die Entwicklung neuer Software dürfe allerdings nicht behindert und die Position der KMU nicht geschwächt werden. Die Richtlinie müsse auch Rechtssicherheit schaffen. Viele Ängste beruhten auf Fehlinterpretationen. Einige Argumente seien jedoch auch zutreffend. Technische Erfindungen müssten besser von intellektuellen abgegrenzt werden. Er unterstütze Änderungsantrag 107 und 108, durch die das Gebiet der Technik deutlicher definiert werde. Auch Änderungsantrag 116 zu Grenzen der Patentierbarkeit finde seine Zustimmung. Er begrüße die Kompromisse von Wuermeling, in denen klargestellt werde, dass Trivialvorgänge und Geschäftsmethoden nicht patentierbar seien.

Angelika NIEBLER (EVP-ED, D) fragte sich, ob man die Richtlinie wirklich brauche. Nach einer Abwägung des Für und Wider, sei sie nun überzeugt davon, dass das Parlament, wenn es morgen die Richtlinie verabschiede, eine gute Entscheidung treffe. Die bestehende Praxis werde harmonisiert und strengere Regeln für Patente verabschiedet. Die Richtlinie verhindere das Entstehen amerikanischer Verhältnisse. Bloße Geschäftmethoden und reine Software würden in der EU nicht patentierbar werden. Auch Trivialsoftware würde nicht geschützt. Der Patentschutz für computerimplementierte Erfindungen erfordere einen technischen Beitrag.

Sprecher der Kommission:
Kommissar Frits BOLKESTEIN sagte: „Die Kommission ist nicht bereit zu akzeptieren, dass alles möglich sein soll.“ Nicht-technische Software solle nie patentiert werden, aber technische Anwendungen. Als Antwort auf den Einwand von Echerer sagte Bolkestein: Wenn eine kleine technische Lösung patentiert werden könne, könne auch eine große Lösung patentiert werden. Nicht einzelne Komponenten sollten unter Schutz stehen, sondern nur die Gesamtlösungen. Er pflichte Würmeling bei, der gesagt habe, dass die gegenwärtigen Praktiken fortgesetzt würden, wenn die Richtlinie nicht verabschiedet werde.

Netzdemo gegen Softwarepatente

Darf jemand eine Idee für sich alleine beanspruchen? Eine mathematische Formel? Eine Geschäftsmethode? Nach der bisherigen Rechtslage sind solche Patente unzulässig. Trotzdem sind 30.000 europäische Patente auf Software-Ideen (Algorithmen) erteilt worden, die nun nachträglich — so die Befürchtung — nachträglich in Kraft gesetzt werden sollen.

Bisher war nur das Abschreiben verboten. Demnächst kann ein Software-Autor für Dinge verklagt werden, die er völlig selbständig entwickelt hat – nämlich dann, wenn sich jemand anderer die zugrundeliegenden Ideen bereits hat patentieren lassen.

Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, die derzeitigen klaren und europaweit einheitlichen gesetzliche Regelungen zur Begrenzung der Patentierbarkeit („Mathematische Methoden, Algorithmen, Geschäftsmethoden, Programme für Datenverarbeitungsanlagen etc. sind keine patentfähigen Erfindungen“) durch eine auf nationaler Ebene umzusetzende Richtlinie zu ersetzen, welche es nationalen Gerichten sehr schwer macht, Patente auf Algorithmen und Geschäftsmethoden wie Amazon One Click Shopping für nichtig zu erklären. 30.000 Patente dieser Art hat das Europäische Patentamt (EPA) seit 1986 mehr oder weniger verdeckt und seit 1998 offen erteilt.

Die geplante Patentierbarkeit von Software wird unter anderem von dem Ausschuss der Regionen der EU, dem Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU, der französische Regierung, dem Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der deutsche Monopolkommission, der Kommission für Geistiges Eigentum der Britischen Regierung, der Französische Staatliche Planungskommission, zahlreichen wissenschaftlichen Studien, 30 führende Wissenschaftler sowie 91% den Teilnehmer einer EU-Konsultation zum Thema und ca 2.000 Software-Unternehmen und 250.000 Unterzeichnern einer Petition an das Europa-Parlament und KMU-Verbänden mit insgesamt über 2.000.000 Mitgliedsunternehmen heftig kritisiert.

Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur e.V. hat deshalb zu einer Netzdemo aufgerufen.

Beispiel für die Netzdemo
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Die heftige Kritik an dem in erster Linie von Großunternehmen mit zahlreichen Patenten unterstützen Richtlinie hat bereits zu einer Verschiebung der Abstimmung im Europäischen Parlament (EP) geführt. Am 24. September 2003 soll im EP erneut abgestimmt werden. Es gibt zahlreiche Änderungsanträge von Abgeordneten zu dem Vorschlag der Kommission, die im Wesentlichen darauf abzielen, die Stand im Europäischen Patentübereinkommen zu bewahren.

„Das erschließt sich dem Laien nicht sofort“, sagt Jörg Machek, Direktor beim Europäischen Patentamt in München: „Die Patentgewährung folgt nicht dem gesunden Menschenverstand.“
Die Beispiele für Logikpatente zeigen die Problematik, mit teilweise abstrusen oder auch den simpelsten Methoden auf. So wurden etwa patentiert:

  • Patentiert in Europa: Fortschrittsbalken
  • Abfangen von Viren
  • Sprachfernsteuerung
  • Elektronischer Einkaufswagen
  • Prüfen von Lernstoff in Schulen
  • Patentiert in Deutschland: Archivieren von E-Mail
  • Patentiert in Frankreich: 35-Stunden-Woche

Vielfach handelt es sich um banale Ideen, die lediglich mit
einem Softwarehintergrund unterlegt wurden.


Weitere Informationen:
SWPAT,
Beispiele für Logikpatente

EuHG erklärt einmal mehr nationale Steuervorschriften für rechtswidrig

Während man bis vor wenigen Jahren Entscheidungen des EuGH zu direkten Steuern noch mit der Lupe suchen musste und alle fünf Jahre einmal zu einer steuerlichen Frage Stellung genommen wurde, hat sich ab 1999/2000 das Bild gewandelt (Entscheidungen „Safir“, „Saint-Gobain“, „Verkooijen“, „Lankhorst Hohorst“). Dem EuGH werden nunmehr regelmäßig von den Finanzgerichten steuerliche Fragen vorgelegt – und wer bei diesen Entscheidungen eine Wette auf den Steuerzahler abgeschlossen hat, hatte zumeist gewonnen.

Die Beschränkung der Abzugsfähigkeit der mit der Beteiligung einer in den Niederlanden ansässigen Muttergesellschaft am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft zusammenhängenden Kosten stellt eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.

Das Gemeinschaftsrecht verbietet Beschränkungen der freien Niederlassung von nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats. Dieses Verbot gilt nunmehr auch für Beschränkungen der Errichtung von Tochtergesellschaften. Das niederländische Körperschaftsteuergesetz erlaubt den Gesellschaften den Abzug der mit einer Beteiligung zusammenhängenden Kosten von ihrem Gewinn, wenn diese Kosten mittelbar der Erzielung von in den Niederlanden steuerpflichtigem Gewinn dienen.

Die Bosal Holding BV ist eine niederländische Gesellschaft, die Holding-, Finanzierungs- und Lizenzgeschäfte betreibt und in den Niederlanden der Körperschaftsteuer unterliegt. In ihrer Steuererklärung für das Jahr 1993 meldete sie im Zusammenhang mit der Finanzierung ihrer Beteiligungen an in neun anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Gesellschaften Kosten in Höhe von 3 969 339 NLG (1 801 287 EUR) an. In Ergänzung zu dieser Steuererklärung beantragte sie den Abzug dieser Kosten von ihrem eigenen Gewinn.

Der Inspecteur van de Belastingdienst (Finanzamt) lehnte die Gewährung des beantragten Abzugs ab. Seine Auffassung wurde vom Gerechtshof Arnheim, bei dem Bosal Klage gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs erhoben hatte, bestätigt. Der Hoge Raad der Nederlanden, bei dem Bosal Kassationsbeschwerde einlegte, hat den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gefragt, ob das Gemeinschaftsrecht der niederländischen Regelung entgegensteht.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die nach der niederländischen Regelung vorgesehene Beschränkung ein Hemmnis für die Errichtung von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten darstellt und damit dem Gemeinschaftsrecht zuwiderläuft. Eine Muttergesellschaft könnte nämlich davor zurückschrecken, ihre Tätigkeiten über eine in einemanderen Mitgliedstaat niedergelassene Tochtergesellschaft auszuüben, da solche Tochtergesellschaften gewöhnlich keine in den Niederlanden steuerpflichtigen Gewinne erzielen.

Die niederländische Regierung hat drei Gründe geltend gemacht, um die streitigen Vorschriften zu rechtfertigen:

  1. das Erfordernis, die Kohärenz des niederländischen Steuersystems zu wahren;
  2. ein auf das Territorialitätsprinzip gestütztes Argument: die Tochtergesellschaften, die in den Niederlanden steuerpflichtige Gewinne erzielten, und diejenigen, die dies nicht täten, befänden sich nicht in einer vergleichbaren Situation;
  3. das Erfordernis, die Besteuerungsgrundlage des Mitgliedstaats zu erhalten.

Der Gerichtshof weist dieses Vorbringen zurück.

Zum Erfordernis, die Kohärenz des niederländischen Steuersystems zu wahren, erinnert der Gerichtshof daran, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung eines Steuervorteils und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine steuerliche Belastung bestehen muss, die im Rahmen einer einzigen Besteuerung erfolgen. In der vorliegenden Rechtssache fehlt es jedoch an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der steuerlichen Vergünstigung, die den in den Niederlanden ansässigen Muttergesellschaften gewährt wird, und der Besteuerung der Tochtergesellschaften von Muttergesellschaften, wenn diese in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind. Mutter- und Tochtergesellschaften sind nämlich verschiedene juristische Personen, die jeweils einer eigenen Besteuerung unterliegen. Im Übrigen wird die Beschränkung der Abzugsfähigkeit der Beteiligungskosten nicht durch einen entsprechenden Vorteil ausgeglichen. Die Kohärenz des niederländischen Steuersystems kann daher nicht mit Erfolg geltend gemacht werden.

Zu dem auf das Territorialitätsprinzip gestützten Argument stellt der Gerichtshof fest, dass die Muttergesellschaften im vorliegenden Fall in Abhängigkeit davon steuerlich unterschiedlich behandelt werden, ob sie Tochtergesellschaften besitzen, die in den Niederlanden steuerpflichtige Gewinne erzielen, auch wenn alle diese Muttergesellschaften in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind.

Zum Erfordernis, die Besteuerungsgrundlage des Mitgliedstaats zu erhalten, verweist der Gerichtshof darauf, dass das Erfordernis, eine Verringerung des Steueraufkommens zu vermeiden, kein Grund ist, der eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann.

Kurzkommentar

Die Niederlassungsfreiheit entwickelt sich in der Rechtsprechnung des EuGH immer mehr zu einem zu dem größten EU-rechtlich gewährleisteten Schlupfloch für Steuerumgehung. Aufgrund der Centros- und Überseeringrechtsprechung werden liechtensteinische Domizilgesellschaften anerkannt. Nachdem der EuGH die Regelungen auch über unterkapitalisierte Tochtergesellschaften (thin capitalization, ein allgemein – auch von der OECD – anerkanntes Prinzip zum Schutz vor der Verlagerung von Gewinnen in ein Niedrigsteuerland) für rechtswidrig erklärt hat (soweit es nur für ausländische Gesellschafter gilt – wie etwa im deutschen Körperschaftsteuergesetz), wird so eine weitere Möglichkeit eröffnet, durch geschickte Gestaltungen die Gewinne in Hochsteuerländern zu reduzieren.

Soviel Sinn die Niedelassungsfreiheit in vielen Bereichen hat — solange die Mitgliedstaaten keine geeigneten Mittel gegen Steuerumgehung an der Hand haben, werden solche Entscheidungen für viel Unmut sorgen. Das Kapital wird sich immer mehr von den Produktionsstätten und Absatzmärkten weg in Niedrigsteuerländer verlagern. Die Leidtragenden werden die Arbeitnehmer, Angestellten und örtlich wenig flexiblen KMUs sein.

Die wichtigsten EuGH-Urteile zum Thema Unternehmensteuern:

28.01.1986 (270/83 – Kommission gegen Frankreich – Avoir fiscal), EuGH Slg. 1986, S. 273

27.09.1988 (81/87 – Daily Mail (UK)), EuGH Slg. 1988, S. 5505 

13.07.1993 (C-330/91 – Commerzbank (UK)), EuGH Slg. 1993, S. I-4017 12.04.1994 

12.04.1994 (C-1/93 – Halliburton (NL)), EuGH Slg. 1994, S. I-1137 

14.11.1995 (C-484/93 – Svensson & Gustavsson (L)), EuGH Slg. 1995, S. I-3955, 3971

27.06.1996 (C-107/94 – Asscher (NL)), EuGH Slg. 1996, S. I-3089, 3113, GenAnw Léger 3091

17.10.1996 (C-283/94 – Denkavit, C-291/94 – VITIC, C-292/94 – Voormeer (D)), EuGH Slg. 1996, S. I-5063

15.05.1997 (C-250/95 – FUTURA (L)), EuGH Slg. 1997, S. I-2471 

17.7.1997 (C-28/95 – Leur-Bloem (NL)), EuGH Slg. 1997, S. I-4161 

28.4.1998 (C-118/96 – Jessica Safir (S)), EuGH Slg. 1998, S. I-1897, 1919 

12.5.1998 (C-336/96 – Gilly (F)), EuGH Slg. 1998, S. I-2823

16.7.1998 (C-264/96 – ICI (UK)), EuGH Slg. 1998, S. I-4711 (GenAnw Tesauro I-4698)

09.03.1999 (C-212/97 – Centros (DK)), GenAnw La Pergola 16.7.1999, EuGH Slg. 1999, S. I-1459, 1484

29.04.1999 (C-311/97 – Royal Bank of Scotland (EL), GenAnw Alber 19.11.1998, EuGH Slg., S. I-2651,2664

08.07.1999 C-254/97 – axter v. France), GenAnw Saggio, EuGH 1999, S. I-4811, 4824

14.09.1999 (C-275/97 – DE+ ES (D)), GenAnw Léger 26.11.1998, EuGH Slg. 1999, S.I-5334, 5347 

21.09.1999 (C-307/97 – Saint-Gobain (D)) (ABl. C 318 18.10.1997 S.11), GenAnw Mischo. 02.03.1999, EuGH Slg. 1999, S. I-6163, 6181 

26.10.1999 (C-294/97 – Eurowings (D) (ABl. C 295 27.09.1997 S.25), Schlussantrag: GenAnw Mischo 26.01.1999, EuGH Slg. 1999, S. I- 7449, 7463

28.10.1999 (C-55/98 – Bent Vestergaard (DK) ), Schlussantrag: GenAnw Saggio 
10.06.1999, EuGH Slg. 1999, S. I-7643, 7657

18.11.1999 (C-200/98 – X AB und Y AB gegen Riksskatteverk(S)), Berichterstatter: Edwards, Schlussantrag: GenAnw Saggio 03.06.1999, EuGH 1999, S. I-8264, 8276 

13.04.2000 (C-251/98 – Baars (NL), ABl. C 192, 8.7.2000, S. 4, EuGH Slg. 2000 S. I-2787, 2805 Berichterstatter: Wathelet, Anhörung 24.6.99, Schlussantrag: GenAnw Alber 14.10.99 

06.06.2000 (C-35/98 – B.G.M. Verkooyen (NL), ABl. C 247 26.08.2000 S.5 , EuGH Slg. 2000 S. I-4073,4109,4113, Berichterstatter: Wathelet, Schlussantrag: GenAnw La Pergola 24.6.1999, erneute Anhörung 30.11.1999, 2. Schlussantrag 14.12.1999 

08.06.2000 (C-375/98 -EPSON Europe BV (P)), ABl. C 273 23.09.2000 S. 2 ; EuGH 2000, S. I-4245, 4263 ; Fünfte Kammer, Anhörung 16.12.99, Schlussantrag: GenAnw Cosmas 17.2.2000

14.12.2000 (C-141/99 – AMID (B) , Anhörung 13.04.2000, Schlussantrag: Alber 
8.6.2000, ABl. C 150 19.05.2001 S.2 2001 p.2 

08.03.2001 (C-397/98 – Metallgesellschaft Ltd. gegen The Commissioners of Inland Revenue (UK) und C-410/98 – Hoechst gegen Inland Revenue Commissioners (UK) Fünfte Kammer, Berichterstatter: Wathelet, Schlussantrag: GenAnw Fennelly 12.09.2000; ABl. C 173 16.06.2001 S.13  

04.10.2001 (C-294/99 – Athinaiki Zythopoiia gegen den Griechischen Staat), Berichterstatter: Wathelet, Schlussantrag: GenAnw Alber 10.5.2001

15.01.2002 (C-43/2000 – Andersen og Jensen ApS / Skatteministeriet) 

12.12.2002: (C-324/00: Lankhorst-Hohorst GmbH v Finanzamt Steinfurt)


Urteil des Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren C-168/01
Bosal Holding BV / Staatssecretaris van Financiën