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Weiterverkauf von Software: EuGH soll klären

Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH hat dem Gerichtshof der Europäischen Union am 3. Feburaur 2011 Fragen zur urheberrechtlichen Zulässigkeit des Vertriebs von gebrauchter (wie es in der Pressemitteilung in Anführungszeichen heißt)  Softwarelizenzen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Gebrauchte Software unterscheidet sich von der nagelneuen dadurch, dass jemand an den Rechtsinhaber bereits Entgelt für die Nutzung der Software bezahlt hat und diese Position unter Aufgabe der eigenen Rechte nun auf einen anderen übertragen will.  Das missfällt manchen Rechtsinhabern, denn der Käufer ist ja offenbar bereit Geld für die Nutzung des Software zu bezahlen (nur an den falschen, nämlich nicht an den Rechtsinhaber).  Geklagt hatte im vom BGH nun dem EuGH vorgelegten Fall der Konzern Oracle, der im geschäftlichen Vertrieb gebrauchter Softwarelizenzen einen Verstoß gegen sein Urheberrecht sah.

Das  OLG München entschied am 3. Juli 2008 (Az. 6 U 2759/07) ebenso wie das LG München I ganz im Sinne des Rechtsinhabers. Der Verkauf von Einzelplatzlizenzen sowie der Vertrieb von — sogenannten — „gebrauchen“ Lizenzen sei auch bei Übergabe eines Originaldatenträgers nicht zulässig.  Oracle  vertreibt in der Regel die Software in der Weise, dass die Kunden keinen Datenträger erhalten, sondern die Software von der Internetseite der Klägerin auf ihren Rechner herunterladen. In den Lizenzverträgen der Klägerin ist vorgesehen, dass das Nutzungsrecht, das Oracle seinen Kunden an den Computerprogrammen einräumt, nicht abtretbar ist.

Der Beklagte handelt mit Softwarelizenzen und bot im Oktober 2005 bereits benutzte (bezahlte) Lizenzen für Programme von Oracle  an, bei denen der  ursprüngliche Lizenznehmer bestätigt hatte, dass er rechtmäßiger Inhaber der Lizenzen gewesen sei, diese aber nicht mehr benutze und den Kaufpreis vollständig bezahlt habe. Kunden des Beklagten laden nach dem Erwerb dieses diffusen Rechts die entsprechende Software von der Internetseite von Oracle auf einen Datenträger herunter. Oracle vertrat die Rechtsauffassung, der Beklagte verletze dadurch, dass er die Erwerber der Lizenzen dazu veranlasse, die entsprechenden Computerprogramme zu vervielfältigen, das Urheberrecht an diesen Programmen und hat deshalb den  Beklagten  auf Unterlassung in Anspruch genommen. Kompliziert, denn offenbar wurde die Software von Oracle zur Verfügung gestellt und die dürfen die Software ja auf jeden Fall vervielfältigen. Die Kunden des Beklagten glauben aber offenbar, sie dürften rechtmäßig die Software von Oracle beziehen, während Oracle das an bestimmte Bedingungen geknüpft sehen will. Der beklagte Händler hat also selbst gar nicht die Bits und Bytes weitergegeben, sondern nur seinen Kunden — gegen Entgelt — gesagt, sie dürften die Software bei Oracle kopieren und müssten dafür nichts bezahlen, weil dafür bereits einmal bezahlt wurde.

Nachdem der Beklagte beide Instanzen verloren hat, hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH einige Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Die Kunden des Beklagten greifen durch das Herunterladen der Computerprogramme  in das nach § 69c Nr. 1 UrhG ausschließlich dem Rechtsinhaber zustehende Recht zur Vervielfältigung der Computerprogramme ein. Da der Beklagte seine Kunden durch das Angebot gebrauchter Lizenzen zu diesem Eingriff veranlasst, kann er auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, falls seine Kunden nicht zur Vervielfältigung der Programme berechtigt sind. Die Kunden des Beklagten können sich nach Auffassung des BGH allerdings möglicherweise auf die Regelung des § 69d Abs. 1 UrhG berufen, die Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG ins deutsche Recht umsetzt und daher richtlinienkonform auszulegen ist. Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG bedarf die Vervielfältigung eines Computerprogramms — solange nichts anderes vereinbart ist — nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig ist. Es stellt sich daher die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen derjenige, der eine gebrauchte Softwarelizenz erworben hat, als ,,rechtmäßiger Erwerber„ des entsprechenden Computerprogramms anzusehen ist. In diesem Zusammenhang kann sich auch die weitere Frage stellen, ob sich das Verbreitungsrecht des Rechtsinhabers erschöpft, wenn ein Computerprogramm mit seiner Zustimmung im Wege der Online-Übermittlung in Verkehr gebracht worden ist.

Früher, als die Nutzung von urheberrechtlichem Material noch mit dem klassischen Buch verbunden war, konnte jeder seine gesamte Bibliothek zum Antiquar tragen und gegen einen neue austauschen (aus dieser Vorstellungswelt stammt wohl auch der Begriff der gebrauchten Lizenzen).  Das Recht des Rechtsinhabers an dem einen Exemplar des urheberrechtlich geschützten Werks war „erschöpft“, wie es in der Rechtssprache heißt, wenn der Rechtsinhaber das Werkexemplar in den Verkehr gebracht hatte.  Jetzt gibt es kein Werkexemplar als körperlichen Anknüpfungspunkt mehr, sondern nur noch ein Recht und ein Vertrag.

Nachdem die Digitalisierung die Trennung von Inhalt und dem für die Nutzung notwendigen körperlichen Gerät herbeigeführt hat, dürften sich diese Änderungen bald in vielen Bereichen durchsetzen. Die Verbindung von dem Gerät (device) mit dem Handel (mit den Lizenzen) wird  so zu einem immer einträglicheren Geschäft, bei dem jeder Nutzer für jede Nutzung seinen Obulus wird entrichten müssen.

Morgens beim Device-Lesen und Device-Hören reduziert sich dann in der braven neuen Welt minütlich der Kontostand für die Nutzung des wertvollen Contents. Und wenn wir von einem Filmstar träumen, wird sich daraus  auch noch irgendeine kostenpflichtige Nutzung konstruieren lassen;  zur Not über ein Leistungsschutzrecht, denn ohne die Leistung der Filmfirma hätten wir ja gar nicht den schönen Traum träumen können. Immerhin: Presseerklärungen, Reden der Politiker und Werbung werden wir noch ohne Angst um den Geldbeutel konsumieren können (damit die Volksbildung für die Epsilon-Minus-Menschen nicht auf der Strecke bleibt).

Markenschutz für den goldenen Osterhasen 2

Der BGH war im Juli 2010 in die Verlegenheit geraten, zwei Farben von goldenen Osterhasen vergleichen zu müssen, obwohl die entsprechenden Farbmuster nicht bei den Akten waren. Zu dieser Frage konnte es in dem Streit um zwei Schokoladenhasen kommen, weil in Deutschland eine Marke als wirksam angesehen werden.
Der EuGH hat nunmehr entschieden, dass der goldene Osterhase mit rotem Band als Europäische Marke nicht akzeptiert wird.
Vor dem EuGH wurde auch über diese Marken gestritten: Die Fa. Lindt & Sprüngli meldete beim Europäischen Markenamt vier Marken an:
  • die Form eines Schokoladenhasen mit rotem Band, die die Farben Rot, Gold und Braun aufweist (Rs. T-336/08),
  • die Form eines Rentiers aus Schokolade mit rotem Band, die die Farben Rot, Gold und Braun aufweist (Rs. T-337/08),
  • die Form eines goldenen Glöckchens mit rotem Band (Rs. T-346/08) und
  • die Form eines Schokoladenhasen in der Farbe Gold (Rs. T-395/08).
Am 10. Juni 2005 meldete außerdem die August Storck AG eine einfache Quadergrundform aus Schokolade, auf deren Oberseite sich ein Relief in Form einer Maus befindet und die die Farbe Braun aufweist, als eine dreidimensionale Gemeinschaftsmarke an (Rs. T-13/09).
Der EuGH erläuterte in dem heute ergangenen Urteil, dass die für den Bestand der Marke erforderliche Unterscheidungskraft einer Marke bedeute, dass diese Marke es ermöglicht, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie somit von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden.
Die angemeldeten Marken wurden nicht als geeignet angesehen, auf die betriebliche Herkunft der mit ihnen gekennzeichneten Waren hinzuweisen. Dieses Fehlen von Unterscheidungskraft rührt insbesondere daher, dass der Verbraucher aus den verschiedenen Merkmalen der angemeldeten Marken, nämlich der Form, der goldfarbenen Verpackung oder dem roten Band (der von Lindt & Sprüngli angemeldeten Marken) bzw. der Form und der Farbe (der von Storck angemeldeten Marke), nicht auf die betriebliche Herkunft der gekennzeichneten Waren schließen kann.

Unterscheidungskraft einer Marke bedeutet, dass diese Marke es ermöglicht, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und sie somit von den Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die angemeldeten Marken könnten jedoch nicht als geeignet angesehen werden, auf die betriebliche Herkunft der mit ihnen gekennzeichneten Waren hinzuweisen.

Was die Form der von Lindt & Sprüngli angemeldeten Marken anbelangt, wies das Gericht darauf hin, dass ein Hase, ein Rentier und ein Glöckchen zu bestimmten Jahreszeiten, insbesondere zu Ostern und zu Weihnachten, typische Formen von Schokolade und Schokoladewaren sind. Überdies wickeln, was die Verpackung angeht, auch andere Unternehmen Schokolade und Schokoladewaren in eine goldfarbene Folie. Was schließlich das rote Band mit Glöckchen anbelangt, ist es nach Ansicht des Gerichts üblich, Schokoladetiere oder ihre Verpackung mit Schleifen, roten Bändern und Glocken zu verzieren. Als einfaches dekoratives Element hat das rote Band mit Glöckchen daher keine Unterscheidungskraft.

Die von Storck angemeldete Marke besteht nach Auffassung des Gerichts aus einer Kombination nahe liegender und typischer Gestaltungsmerkmale der erfassten Waren. Sie ist eine Variante der im Süßwarensektor üblicherweise verwendeten Grundformen und unterscheidet sich nicht wesentlich von der Norm oder der Branchenüblichkeit. Sie ermöglicht es daher nicht, die Süßwaren von Storck von denen anderer Süßwarenhersteller zu unterscheiden.

Wie es beim BGH weitergeht, steht damit noch nicht fest, denn das EuGH-Urteil betrifft nur die Europäischen Marken, nicht die in Deutschland angemeldeten. In Deutschland können sich also die Einkaufsmöglichkeiten für durchschnittliche Einkommen immer noch denen nähern, wie man sie früher von der DDR kannte: Grau in Grau.

Domänennamen und missbräuchliche Registrierungen

Nachdem die Toplevel-Domain „eu“ angekündigt war, haben viele versucht, sich gewisse Domainnamen zu sichern, da sie sich hierdurch Vorteile versprochen haben. Bei der Zuteilung der Domainnamen wurden unter anderem Inhaber von Marken bevorzugt behandelt. Um Domänennamen in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung anmelden zu können, meldete ein Unternehmen beim schwedischen Markenamt erfolgreich insgesamt 33 Gattungsbegriffe als Marken an, und zwar jeweils unter Verwendung des Sonderzeichens „&“ vor und nach jedem Buchstaben. Reine Gattungsbegriffe lassen sich nach dem Markenrecht nicht schützen. So meldete das Unternehmen am 11. August 2005 die Wortmarke &R&E&I&F&E&N& (REIFEN) für die Waren „Sicherheitsgurte“ an, die am 25. November 2005 eingetragen wurde. Die Gestaltung wurde offenbar gewählt, den hinter der Marke verborgenen Gattungsbegriff zu kaschieren.

Bei der Zuteilung der Domainnamen wurden sodann das Sonderzeichen & aufgrund der besonderen Funktion im Rahmen der Nutzung des Internets gestrichen und nur noch „reifen.eu“ angemeldet. Ob und inwieweit diese Methode zulässig ist, war Gegenstand der EuGH-Entscheidung vom 3. Juni 2010.


URTEIL DES GERICHTSHOFS

(Zweite Kammer)
3. Juni 2010

Schlagwörter: Internet,  Domäne oberster Stufe ‚.eu‘, Verordnung (EG) Nr. 874/2004, Domänennamen, Gestaffelte Registrierung, Sonderzeichen, Spekulative und missbräuchliche Registrierungen, Begriff ‚Bösgläubigkeit‘

In der Rechtssache C-569/08 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Beschluss vom 18. November 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Dezember 2008, in dem Verfahren

Internetportal und Marketing GmbH

gegen

Richard Schlicht

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung (…)

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Internetportal und Marketing GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte T. Höhne und T. Bettinger,
  • von Herrn R. Schlicht, vertreten durch Rechtsanwältin J. Puhr,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer als Bevollmächtigten,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Februar 2010 folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission vom 28. April 2004 zur Festlegung von allgemeinen Regeln für die Durchführung und die Funktionen der Domäne oberster Stufe „.eu“ und der allgemeinen Grundregeln für die Registrierung (ABl. L 162, S. 40).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Internetportal und Marketing GmbH, die Internetportale betreibt und Produkte im Internet vermarktet sowie Inhaberin der schwedischen Marke &R&E&I&F&E&N& ist, und Herrn Richard Schlicht, der Inhaber der Benelux-Marke Reifen ist, wegen des Domänennamens „www.reifen.eu“.

Rechtlicher Rahmen

3 Die Verordnung (EG) Nr. 733/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. April 2002 zur Einführung der Domäne oberster Stufe „.eu“ (ABl. L 113, S. 1) enthält nach ihrem Art. 1 allgemeine Regeln zur Einführung der Domäne oberster Stufe „.eu“ einschließlich der Benennung eines Registers und steckt den allgemeinen Regelungsrahmen für die Arbeit des Registers ab.

4 Laut dem 16. Erwägungsgrund dieser Verordnung „sollte eine allgemeine Regelung für die Behandlung spekulativer und missbräuchlicher Eintragungen von Domänennamen erlassen werden, wonach Inhabern älterer Rechte, die nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkannt oder festgelegt sind, und Einrichtungen des öffentlichen Rechts eine besondere Vorregistrierungsfrist (‚sunrise period‘) eingeräumt wird, während der die Registrierung ihrer Domänennamen ausschließlich [diesen] Inhabern … sowie Einrichtungen des öffentlichen Rechts vorbehalten ist“.

5 Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung verabschiedet die Kommission „allgemeine Regeln“ wie u. a. „Maßnahmen betreffend die spekulative und missbräuchliche Eintragung von Domänennamen, einschließlich der Möglichkeit einer stufenweisen Registrierung von Domänennamen, so dass die Inhaber älterer Rechte, die nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkannt oder festgelegt sind, sowie Einrichtungen des öffentlichen Rechts die notwendige Zeit für die Registrierung ihrer Namen erhalten“.

6 In Anwendung dieser Bestimmung erließ die Kommission die Verordnung Nr. 874/2004.

7 Der 12. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 874/2004 lautet:

Zur Wahrung früherer, nach Gemeinschaftsrecht oder nationalem Recht anerkannter Rechte sollte ein zeitlich gestaffeltes Registrierungsverfahren vorgesehen werden. Die gestaffelte Registrierung sollte in zwei Phasen erfolgen, um sicherzustellen, dass die Inhaber früherer Rechte ausreichend Gelegenheit erhalten, solche Namen, auf die sie frühere Rechte innehaben, registrieren zu lassen. Das Register sollte dafür sorgen, dass diese Rechte durch dafür bestellte Prüfer überprüft werden. Die Prüfer sollten die beanspruchten Rechte auf einen bestimmten Namen auf der Grundlage der von den Antragstellern eingereichten Nachweise beurteilen. Beantragen zwei oder mehr Antragsteller, die jeder ein früheres Recht innehaben, den gleichen Domänennamen, sollte dessen Vergabe nach dem Windhundverfahren erfolgen.

8 Art. 10 („Antragsberechtigte und registrierbare Namen“) der Verordnung Nr. 874/2004 sieht vor:

(1)      Nur die Inhaber früherer Rechte, die nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkannt oder festgelegt sind, sowie öffentliche Einrichtungen sind berechtigt, Domänennamen während einer Frist für gestaffelte Registrierung zu beantragen, bevor die allgemeine Registrierung für die Domäne‚.eu‘ beginnt.

Frühere Rechte‘ sind unter anderem registrierte nationale und Gemeinschaftsmarken, geografische Angaben oder Ursprungsbezeichnungen sowie auch – sofern sie nach dem einzelstaatlichen Recht des jeweiligen Mitgliedstaats geschützt sind – nicht eingetragene Marken, Handelsnamen, Geschäftsbezeichnungen, Unternehmensnamen, Familiennamen und charakteristische Titel geschützter literarischer oder künstlerischer Werke.

(2)      Die Registrierung aufgrund eines früheren Rechts besteht in der Registrierung des vollständigen Namens, für den das frühere Recht besteht, in Übereinstimmung mit den schriftlichen Unterlagen, durch die dieses Recht nachgewiesen wird.

9 Art. 11 („Sonderzeichen“) der Verordnung Nr. 874/2004 bestimmt:

Enthält ein Name, für den frühere Rechte beansprucht werden, Sonderzeichen sowie Leer- und Interpunktionszeichen, so werden diese aus dem entsprechenden Domänennamen entweder ganz entfernt, durch Bindestriche ersetzt oder, falls möglich, transkribiert.

In Unterabsatz 2 genannte Sonderzeichen und Interpunktionszeichen umfassen insbesondere die Folgenden:

~ @ # $ % ^ & * ( ) + = < > { } [ ] | \ / : ; ‚ , . ?

10 Nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 erstreckt sich die gestaffelte Registrierung über einen Zeitraum von vier Monaten, und erst nach ihrem Abschluss beginnt die allgemeine Registrierung von Domänennamen.

11 Nach dieser Bestimmung besteht die gestaffelte Registrierung ihrerseits aus zwei Phasen mit einer Dauer von je zwei Monaten. In der ersten Phase der gestaffelten Registrierung dürfen nur registrierte nationale und Gemeinschaftsmarken, geografische Angaben und die Namen und Abkürzungen öffentlicher Einrichtungen zur Registrierung als Domänennamen angemeldet werden.

12 In der zweiten Phase der gestaffelten Registrierung dürfen die Namen, die schon in der ersten Phase registriert werden dürfen, sowie Namen, auf die sonstige frühere Rechte bestehen, zur Registrierung als Domänennamen angemeldet werden.

13 Art. 21 („Spekulative und missbräuchliche Registrierungen“) der Verordnung Nr. 874/2004 sieht vor:

(1)      Ein Domänenname wird aufgrund eines außergerichtlichen oder gerichtlichen Verfahrens widerrufen, wenn er mit einem anderen Namen identisch ist oder diesem verwirrend ähnelt, für den Rechte bestehen, die nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkannt oder festgelegt sind, darunter die in Artikel 10 Absatz 1 genannten Rechte, und wenn dieser Domänenname

a)      von einem Domäneninhaber registriert wurde, der selbst keinerlei Rechte oder berechtigte Interessen an diesem Domänennamen geltend machen kann, oder

b)      in böser Absicht registriert oder benutzt wird.

(3)      Bösgläubigkeit im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b) liegt vor, wenn

a)      aus den Umständen ersichtlich wird, dass der Domänenname hauptsächlich deshalb registriert oder erworben wurde, um ihn an den Inhaber eines Namens, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder an eine öffentliche Einrichtung zu verkaufen, zu vermieten oder anderweitig zu übertragen;

b)      der Domänenname registriert wurde, um zu verhindern, dass der Inhaber eines solchen Namens, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder eine öffentliche Einrichtung diesen Namen als entsprechenden Domänennamen verwenden kann, sofern:

i)      dem Domäneninhaber eine solche Verhaltensweise nachgewiesen werden kann; oder

ii)      der Domänenname mindestens zwei Jahre lang ab der Registrierung nicht in einschlägiger Weise genutzt wurde; oder

iii)      der Inhaber eines Domänennamens, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder der dem Namen einer öffentlichen Einrichtung entspricht, zu Beginn eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens seine Absicht erklärt hat, diesen Domänennamen in einschlägiger Weise zu nutzen, dies jedoch innerhalb von sechs Monaten nach dem Beginn des Streitbeilegungsverfahrens nicht getan hat;

c)      der Domänenname hauptsächlich registriert wurde, um die berufliche oder geschäftliche Tätigkeit eines Wettbewerbers zu stören; oder

d)      der Domänenname absichtlich benutzt wurde, um Internetnutzer aus Gewinnstreben auf eine dem Domäneninhaber gehörende Website oder [eine andere] Online-Adresse zu locken, indem eine Verwechslungsgefahr mit einem Namen, für den ein nach nationalem und/oder Gemeinschaftsrecht anerkanntes oder festgelegtes Recht besteht, oder mit dem Namen einer öffentlichen Einrichtung geschaffen wird, wobei sich diese Verwechslungsmöglichkeit auf den Ursprung, ein Sponsoring, die Zugehörigkeit oder die Billigung der Website oder Adresse des Domäneninhabers oder eines dort angebotenen Produkts oder Dienstes beziehen kann; oder

e)      der registrierte Domänenname der Name einer Person ist und keine Verbindung zwischen dem Domäneninhaber und dem registrierten Domänennamen nachgewiesen werden kann.

14 Art. 22  („Alternatives Streitbeilegungsverfahren“) der Verordnung Nr. 874/2004 bestimmt:

(1)      Ein alternatives Streitbeilegungsverfahren kann von jedermann angestrengt werden, wenn

a)      die Registrierung spekulativ oder missbräuchlich im Sinne von Artikel 21 ist;

b)      eine Entscheidung des Registers gegen die vorliegende Verordnung oder die Verordnung (EG) Nr. 733/2002 verstößt.

(11)      In einem Verfahren gegen einen Domäneninhaber entscheidet die Schiedskommission, dass der Domänenname zu widerrufen ist, wenn sie [zu] der Auffassung gelangt, dass die Registrierung spekulativ oder missbräuchlich im Sinne von Artikel 21 ist. Der Domänenname wird auf den Beschwerdeführer übertragen, falls dieser die Registrierung dieses Domänennamens beantragt und die allgemeinen Voraussetzungen von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b) der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 erfüllt.

In einem Verfahren gegen das Register entscheidet die Schiedskommission, ob eine Entscheidung des Registers gegen die vorliegende Verordnung oder die Verordnung (EG) Nr. 733/2002 verstößt. Die Schiedskommission entscheidet dann, dass die betreffende Entscheidung aufgehoben wird, und kann gegebenenfalls eine Entscheidung im Hinblick auf die Übertragung, den Widerruf oder die Vergabe des strittigen Domänennamens treffen, sofern die allgemeinen Voraussetzungen von Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b) der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 erfüllt sind.

(13)      Das Ergebnis der alternativen Streitbeilegung ist für alle Parteien und das Register verbindlich, wenn nicht innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Zustellung der Entscheidung an die Parteien vor Gericht Klage erhoben wird.

15 Mit Entscheidung vom 21. Mai 2003 (ABl. L 128, S. 29) benannte die Kommission gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 733/2002 die als Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht errichtete „European Registry for Internet Domains“ (im Folgenden: EURid) mit Sitz in Brüssel als Register für die Organisation und Verwaltung der Domäne oberster Stufe „.eu“.

16 EURid betraute mit der Zuständigkeit für das alternative Streitbeilegungsverfahren gemäß Art. 22 der Verordnung Nr. 874/2004 das Schiedsgericht bei der Wirtschaftskammer der Tschechischen Republik und der Landwirtschaftskammer der Tschechischen Republik (im Folgenden: Schiedsgericht).

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Salzburg (Österreich), betreibt Internetportale und vermarktet Produkte im Internet. Um Domänennamen in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung gemäß der Verordnung Nr. 874/2004 anmelden zu können, meldete sie beim schwedischen Markenamt erfolgreich insgesamt 33 Gattungsbegriffe als Marken an, und zwar jeweils unter Verwendung des Sonderzeichens „&“ vor und nach jedem Buchstaben. So meldete sie am 11. August 2005 die Wortmarke &R&E&I&F&E&N& für die Waren „Sicherheitsgurte“ in Klasse 9 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung an, die am 25. November 2005 unter der Nr. 376729 eingetragen wurde.

18 Den Akten ist indessen zu entnehmen, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens niemals die Absicht hatte, diese Marke für Sicherheitsgurte zu benutzen.

19 In der Folge ließ die Klägerin des Ausgangsverfahrens in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung auf der Grundlage ihrer schwedischen Marke &R&E&I&F&E&N&, aus der gemäß einer der in Art. 11 der Verordnung Nr. 874/2004 vorgesehenen Übertragungsregeln die Sonderzeichen „&“ entfernt wurden, die Domäne „www.reifen.eu“ registrieren.

20 Nach den im Vorlagebeschluss enthaltenen Tatsachenfeststellungen verfolgt die Klägerin des Ausgangsverfahrens mit der Registrierung des Domänennamens „www.reifen.eu“ die Absicht, ein Internetportal für den Reifenhandel zu betreiben, wobei sie jedoch für dessen Aufbau im Hinblick auf den anhängigen Prozess und das ihm vorangegangene Schiedsverfahren noch keine nennenswerten Vorbereitungen getroffen hat.

21 Dem Vorlagebeschluss ist weiter zu entnehmen, dass der Klägerin des Ausgangsverfahrens, als der Domänenname für sie registriert wurde, der Beklagte des Ausgangsverfahrens nicht bekannt war.

22 Aus dem Vorlagebeschluss geht auch hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Registrierung von 180 Domänennamen beantragte, die alle aus Gattungsbegriffen gebildet sind.

23 Der Beklagte des Ausgangsverfahrens ist Inhaber der am 28. November 2005 vom Benelux-Markenamt eingetragenen Wortmarke Reifen für die Waren „Wasch- und Bleichmittel; Reinigungsmittel, insbesondere Nano-Partikel enthaltende Reinigungsmittel für Fensterscheiben“ in Klasse 3 und „Dienstleistungen zur Unterstützung der Vermarktung derartiger Reinigungsmittel“ in Klasse 35 des Nizzaer Abkommens. Er meldete das Wortzeichen Reifen am 10. November 2005 auch als Gemeinschaftsmarke für die Klassen 3 und 35 an. Er will unter dieser Marke, die laut den Akten aus den jeweils ersten drei Buchstaben der Wörter „Reinigung“ und „Fenster“ gebildet wurde, europaweit Reinigungsmittel für fensterglasähnliche Oberflächen vermarkten. Mit deren Entwicklung beauftragte er das Unternehmen Bergolin GmbH & Co. KG; am 10. Oktober 2006 lag eine Probe der Reinigungslösung I (Reifen A) vor.

24 Der Beklagte des Ausgangsverfahrens bekämpfte die Registrierung des Domänennamens „www.reifen.eu“ durch die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor dem Schiedsgericht. Mit Entscheidung vom 24. Juli 2006 (Verfahren Nr. 00910) gab das Schiedsgericht seiner Beschwerde statt, entzog der Klägerin den genannten Domänennamen und übertrug ihn auf den Beklagten. Das Schiedsgericht war der Auffassung, dass das in einer Marke enthaltene Zeichen „&“ nicht zu entfernen, sondern zu transkribieren sei. Es führte aus, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens offensichtlich mit einer Fülle von Registrierungsanträgen die Transkriptionsregel des Art. 11 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 habe umgehen wollen. Sie sei daher bei der Beantragung der Registrierung des im Ausgangsverfahren strittigen Domänennamens bösgläubig gewesen.

25 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob gegen diese Entscheidung eine Klage gemäß Art. 22 Abs. 13 der Verordnung Nr. 874/2004. Diese Klage wurde vom Erstgericht als unbegründet abgewiesen; auch der Berufung der Klägerin des Ausgangsverfahrens wurde vom Berufungsgericht nicht Folge gegeben. Daraufhin erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens außerordentliche Revision an das vorlegende Gericht.

26 Da der Oberste Gerichtshof der Auffassung ist, dass die Entscheidung über den Rechtsstreit von der Auslegung des Unionsrechts, insbesondere des Art. 21 der Verordnung Nr. 874/2004, abhängt, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Ist Art. 21 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 dahin auszulegen, dass ein Recht im Sinne dieser Bestimmung auch dann vorliegt,
    1. wenn eine Marke ohne Absicht, sie für Waren oder Dienstleistungen zu nutzen, nur zu dem Zweck erworben wurde, die Registrierung einer mit einer – der deutschen Sprache entnommenen – Gattungsbezeichnung übereinstimmenden Domäne in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung beantragen zu können?
    2. Wenn die der Domänenregistrierung zugrunde liegende und mit einer – der deutschen Sprache entnommenen – Gattungsbezeichnung übereinstimmende Marke von der Domäne insofern abweicht, als die Marke Sonderzeichen enthält, die aus dem Domänennamen entfernt wurden, obwohl die Sonderzeichen einer Transkription zugänglich wären und deren Entfernung dazu führt, dass sich die Domäne in einer die Verwechslungsgefahr ausschließenden Weise von der Marke unterscheidet?
  2. Ist Art. 21 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 874/2004 dahin auszulegen, dass nur in den in Art. 21 Abs. 2 Buchst. a bis c genannten Fällen ein berechtigtes Interesse vorliegt?
  3. Für den Fall der Verneinung dieser Frage: Liegt ein berechtigtes Interesse im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 874/2004 auch dann vor, wenn der Domäneninhaber die mit einer – der deutschen Sprache entnommenen – Gattungsbezeichnung übereinstimmende Domäne für ein themenbezogenes Internetportal nutzen will?
  4. Für den Fall der Bejahung der zu Punkt 1 und zu Punkt 3 gestellten Fragen: Ist Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 dahin auszulegen, dass nur die in Buchst. a bis e genannten Tatbestände eine Bösgläubigkeit im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 begründen?
  5. Für den Fall der Verneinung dieser Frage: Liegt Bösgläubigkeit im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 auch dann vor, wenn die Domäne in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung aufgrund einer mit einer – der deutschen Sprache – entnommenen Gattungsbezeichnung übereinstimmenden Marke registriert wurde, die der Domäneninhaber nur erworben hat, um die Registrierung der Domäne in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung beantragen zu können und damit anderen Interessenten und allenfalls auch den Inhabern von Rechten an dem Zeichen zuvorzukommen?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkung

27 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht zunächst geltend, dass ihr allfällige Fehler seitens des Registers bei der Registrierung des im Ausgangsverfahren fraglichen Domänennamens nicht entgegengehalten werden könnten. Derartige Fehler hätten ihrer Auffassung nach in einem Verfahren gegen das Register gemäß Art. 22 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 geltend gemacht werden müssen, nicht aber in einem Verfahren gegen den Domäneninhaber.

28 Obgleich das vorlegende Gericht zu diesem Aspekt keine Frage gestellt hat, ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof, da das Vorbringen der Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht ohne Bedeutung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits ist, Aufgabe des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, die ihm die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit ermöglicht (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juni 1999, Piaggio, C?295/57, Slg. 1999, I?3735, Randnr. 25).

29 Insoweit ist festzustellen, dass nach Art. 22 Abs. 11 Unterabs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 874/2004 jedermann ein alternatives Streitbeilegungsverfahren entweder, wenn die Registrierung spekulativ oder missbräuchlich ist, gegen einen Domäneninhaber oder, wenn eine Entscheidung des Registers gegen die Verordnungen Nrn. 733/2002 oder 874/2004 verstößt, gegen das Register einleiten kann. Da der Ausgangsrechtsstreit, der gemäß Art. 22 der Verordnung Nr. 874/2004 eingeleitet wurde, eine Registrierung betrifft, die spekulativ oder missbräuchlich sein soll, konnte das Verfahren rechtmäßig gegen den Domäneninhaber angestrengt werden.

30 Das Vorbringen der Klägerin des Ausgangsverfahrens zu diesem Aspekt ist daher unbegründet.

Zur vierten Frage

31 Mit seiner vierten Frage, die an erster Stelle zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Umstände, die Bösgläubigkeit begründen können, in Art. 21 Abs. 3 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 874/2004 abschließend aufgeführt sind.

32 Es ist zunächst festzustellen, dass zwischen den verschiedenen Sprachfassungen von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 gewisse Abweichungen bestehen. So heißt es in der deutschen Fassung der Vorschrift: „Bösgläubigkeit im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b liegt vor, wenn …“ Diese Formulierung könnte nahelegen, dass die Fälle der Bösgläubigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung auf die ausdrücklich in Abs. 3 aufgeführten Tatbestände beschränkt sind.

33 Jedoch ist diese Bestimmung nicht nur in ihrer deutschen Fassung zu prüfen, da die Bestimmungen des Unionsrechts im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Dezember 2005, Jyske Finans, C-280/04, Slg. 2005, I-10683, Randnr. 31, und vom 3. April 2008, Endendijk, C?187/07, Slg. 2008, I-2115, Randnr. 22).

34 Aus den anderen Sprachfassungen des Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 als der deutschen Fassung geht jedoch hervor, dass die in dieser Bestimmung enthaltene Aufführung von Umständen, die Bösgläubigkeit begründen, nur beispielhaft ist. So lautet die französische Fassung der Bestimmung: „La mauvaise foi au sens du paragraphe 1, point b), [dudit article] peut être démontrée quand …“ Der durch das Verb „pouvoir“ ausgedrückte Sinngehalt findet sich auch in anderen Sprachfassungen, so in der englischen („may“), der italienischen („può“), der spanischen („podrá“), der polnischen („mo?na“), der portugiesischen („pode“), der niederländischen („kan“) und der bulgarischen („????“).

35 Nach ständiger Rechtsprechung schließt es die Notwendigkeit einheitlicher Anwendung und damit Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts aus, sie in einer ihrer Fassungen isoliert zu betrachten, sondern gebietet vielmehr, sie nach dem wirklichen Willen ihres Urhebers und dem von diesem verfolgten Zweck namentlich im Licht ihrer Fassung in allen Sprachen auszulegen (vgl. u. a. Urteile vom 12. November 1969, Stauder, 29/69, Slg. 1969, 419, Randnr. 3, vom 22. Oktober 2009, Zurita García und Choque Cabrera, C?261/08 und C?348/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 54, und vom 28. Januar 2010, Eulitz, C?473/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 22).

36 Im Übrigen ist insoweit hervorzuheben, dass mit der Verordnung Nr. 733/2002 insbesondere bezweckt wird, allgemeine Regeln im Hinblick auf spekulative und missbräuchliche Registrierungen von Domänennamen zu schaffen, durch die die Wahrung älterer Rechte, die nach nationalem und/oder Unionsrecht anerkannt oder festgelegt sind, gewährleistet wird. Diese allgemeinen Regeln werden in Art. 21 der Verordnung Nr. 874/2004 konkretisiert, der im Wesentlichen den Widerruf eines spekulativ oder missbräuchlich registrierten Domänennamens vorsieht.

37 Das damit verfolgte Ziel, spekulative oder missbräuchliche Registrierungen von Domänennamen zu vereiteln, die ihrem Wesen nach durch verschiedenartige tatsächliche und rechtliche Umstände gekennzeichnet sein können, würde jedoch gefährdet, wenn Bösgläubigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 nur durch in Art. 21 Abs. 3 Buchst. a bis e erschöpfend aufgeführte Umstände nachgewiesen werden könnte.

38 Schließlich ergibt sich aus dem 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 874/2004, dass das Register die international bewährten Praktiken in diesem Bereich und insbesondere die einschlägigen Empfehlungen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) zu berücksichtigen hat, um spekulative und missbräuchliche Registrierungen soweit wie möglich zu verhindern. Wie die Kommission geltend gemacht hat, geht jedoch aus dem Schlussbericht der WIPO vom 30. April 1999 über das Anhörungsverfahren zu den Domänennamen im Internet und insbesondere aus Abs. 2 der Empfehlung Nr. 171, der den Begriff der „Bösgläubigkeit“ betrifft, eindeutig hervor, dass die Aufführung der Bösgläubigkeit begründenden Umstände, die im Übrigen zu einem großen Teil der Auflistung in Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 entspricht, nicht abschließend ist.

39 Auf die vierte Frage ist daher zu antworten, dass Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 dahin auszulegen ist, dass Bösgläubigkeit durch andere Umstände als die in den Buchst. a bis e dieser Bestimmung aufgeführten nachgewiesen werden kann.

Zur fünften Frage

40 Mit seiner fünften Frage, die an zweiter Stelle zu prüfen ist, ersucht das vorlegende den Gerichtshof im Wesentlichen um eine Auslegung des Begriffs der Bösgläubigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004.

41 Nach dieser Bestimmung wird ein registrierter Domänenname, der mit einem Namen identisch ist oder diesem verwirrend ähnelt, für den nach nationalem und/oder Unionsrecht anerkannte oder festgelegte Rechte bestehen, widerrufen, wenn er in böser Absicht registriert worden ist oder benutzt wird.

42 Dabei ist Bösgläubigkeit unter Berücksichtigung aller im Einzelfall erheblichen Faktoren umfassend zu beurteilen (vgl. entsprechend Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, C?529/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 37).

43 Was im Einzelnen die Merkmale angeht, die für ein Verhalten wie das der Klägerin des Ausgangsverfahrens kennzeichnend sind, so erscheinen angesichts der im Vorlagebeschluss enthaltenen Tatsachenfeststellungen die folgenden Hinweise angezeigt.

44 Es sind zunächst die Umstände zu prüfen, unter denen die Wortmarke &R&E&I&F&E&N& eingetragen wurde.

45 Insoweit ist erstens als ein subjektives Tatbestandsmerkmal, das anhand der objektiven Fallumstände bestimmt werden muss, die Absicht der Klägerin des Ausgangsverfahrens zum Zeitpunkt der Anmeldung zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, Randnrn. 41 und 42).

46 Die Anmeldung einer Marke ohne die Absicht, sie als solche zu benutzen, sondern zu dem alleinigen Zweck, anschließend auf der Grundlage der Rechte an dieser Marke einen Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung gemäß der Verordnung Nr. 874/2004 eintragen zu lassen, kann unter bestimmten Umständen ein Verhalten als bösgläubig im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung kennzeichnen.

47 Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass die Klägerin, obgleich sie die Wortmarke &R&E&I&F&E&N& in Schweden für Sicherheitsgurte eintragen ließ, in Wirklichkeit beabsichtigte, ein Internetportal für den Reifenhandel zu betreiben, dessen Registrierung sie plante.

48 Folglich besaß die Klägerin des Ausgangsverfahrens nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts, und wie sie selbst einräumt, nicht die Absicht, die so eingetragene Marke für die von ihr erfassten Waren zu benutzen.

49 Zweitens kann für die Beurteilung der Frage, ob ein bösgläubiges Verhalten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 vorliegt, auch die Gestaltung der in Frage stehenden Marke relevant sein (vgl. entsprechend Urteil Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, Randnr. 50).

50 Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Wortmarke &R&E&I&F&E&N&, wenn man die jeden Buchstaben umgebenden Sonderzeichen weglässt, im Deutschen einem Gattungsbegriff entspricht, nämlich „Reifen“. Es ist ferner festzustellen, dass diese Marke in semantischer und visueller Hinsicht durch eine unübliche und sprachlich widersinnige Gestaltung gekennzeichnet ist. Das vor und nach jedem Buchstaben eingefügte Sonderzeichen „&“ ermangelt infolgedessen jedes semantischen Gehalts. Eine solche Gestaltung kann es daher nahelegen, dass das Sonderzeichen nur eingefügt wurde, um den hinter der Marke verborgenen Gattungsbegriff zu kaschieren.

51 Drittens kann für die Beurteilung der Frage, ob ein Verhalten bösgläubig im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 ist, auch sein Wiederholungscharakter berücksichtigt werden. Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens in Schweden insgesamt 33 Marken eintragen ließ, die in der deutschen Sprache Gattungsbegriffen entsprechen, wobei in allen angemeldeten Zeichen vor und nach jedem Buchstaben das Sonderzeichen „&“ eingefügt wurde.

52 Viertens kann auch die Geschehensabfolge ein relevanter Gesichtspunkt der Beurteilung sein. Im vorliegenden Fall verdient für die Beurteilung, ob möglicherweise Bösgläubigkeit vorliegt, ebenfalls der Umstand besondere Beachtung, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Wortmarke 3 erst kurz vor Beginn der ersten Phase der gestaffelten Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ eintragen ließ. Insoweit ist dem Vorlagebeschluss zu entnehmen, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Marke bei der zuständigen schwedischen Behörde am 11. August 2005 anmeldete und diese sie am 25. November 2005 eintrug, wobei EURid angekündigt hatte, dass die Registrierung der Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ am 7. Dezember 2005 beginnen würde.

53 In diesem Kontext können, auch wenn die schwedische Wortmarke &R&E&I&F&E&N& gültig bleibt, solange sie nicht für verfallen oder nichtig erklärt worden ist, die Umstände, unter denen diese Marke eingetragen wurde, ein Verhalten als bösgläubig im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 kennzeichnen.

54 Was sodann die Umstände angeht, unter denen der Domänenname „www.reifen.eu“ registriert wurde, ist erstens darauf hinzuweisen, dass die missbräuchliche Verwendung eines Sonderzeichens oder Interpunktionszeichens in dem Namen, für den ein Recht beansprucht wurde, in Anbetracht der Übertragungsregeln des Art. 11 der Verordnung Nr. 874/2004 ein relevanter Faktor für die Beurteilung sein kann, ob der Inhaber eines Domänennamens bösgläubig gehandelt hat.

55 Nach Art. 11 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 werden, wenn ein Name, für den frühere Rechte beansprucht werden, Sonderzeichen wie das Zeichen „&“ enthält, „diese aus dem entsprechenden Domänennamen entweder ganz entfernt, durch Bindestriche ersetzt oder, falls möglich, transkribiert“. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Klägerin unter Nutzung der erstgenannten Möglichkeit die Entfernung aller „&“?Zeichen aus ihrer Wortmarke &R&E&I&F&E&N& erwirken und damit den Domänennamen „www.reifen.eu“ registrieren lassen konnte.

56 Insoweit kann nicht dem Vorbringen der Kommission gefolgt werden, dass die drei in Art. 11 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 vorgesehenen Übertragungsregeln in eine Rangordnung zu bringen seien. Die Kommission meint, dass Sonderzeichen mit semantischem Gehalt zu transkribieren, Sonderzeichen mit Trennungsfunktion durch Bindestriche zu ersetzen und nur Sonderzeichen, die weder einen semantischen Gehalt noch eine Trennungsfunktion besäßen, zu entfernen seien.

57 Wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die tschechische Regierung geltend machen, lässt jedoch nichts im Wortlaut des Art. 11 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 die Annahme zu, dass zwischen den drei Übertragungsregeln irgendeine Rangordnung bestünde.

58 Insoweit ist unerheblich, dass es in dieser Bestimmung heißt, Sonderzeichen seien zu transkribieren „falls möglich“. Diese Formulierung ist dahin zu verstehen, dass sie nicht irgendeine Rangordnung zwischen den verschiedenen Übertragungsmöglichkeiten schaffen soll, sondern sich darauf bezieht, dass bestimmte Sonderzeichen nicht transkribiert werden können.

59 Die Auffassung der Kommission hätte außerdem zur Konsequenz, dass bei spekulativen oder missbräuchlichen Registrierungen die Verwendung von Sonderzeichen bevorzugt würde, deren Entfernung möglich bliebe, während im Fall gutgläubig beantragter Registrierungen die Antragsteller hinsichtlich der Übertragung der Sonderzeichen keinerlei Auswahl hätten, so dass ihnen ein Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ zugeteilt werden könnte, der in ihren Augen nicht dem Namen entspräche, für den sie ein früheres Recht beansprucht haben.

60 Insoweit ist hervorzuheben, dass nach Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 die Registrierung eines Namens der Domäne oberster Stufe „.eu“ aufgrund eines früheren Rechts in der Registrierung des vollständigen Namens, für den dieses Recht besteht, in Übereinstimmung mit den das Recht nachweisenden schriftlichen Unterlagen besteht.

61 Da jedoch bestimmte Sonderzeichen, die in einem Namen, für den ein früheres Recht besteht, enthalten sein können, aus technischen Gründen nicht in einem Domänennamen enthalten sein können, hat der Gesetzgeber in Art. 11 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 für die Übertragung dieser Sonderzeichen bestimmte Regeln erlassen.

62 So ergibt sich aus Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 11 der Verordnung Nr. 874/2004, dass die Anwendung der in Art. 11 Unterabs. 2 festgelegten Übertragungsregeln dem Ziel dient, die Identität oder größtmögliche Übereinstimmung des Domänennamens, dessen Registrierung beantragt wurde, mit dem Namen zu gewährleisten, für den ein früheres Recht beansprucht wird.

63 Das Vorhandensein von Sonderzeichen in dem Namen, für den ein früheres Recht beansprucht wird, sowie die Wahl, die der Antragsteller hinsichtlich der drei in Art. 11 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 874/2004 genannten Regeln für die Übertragung von Sonderzeichen trifft, nämlich die Entfernung, die Ersetzung durch Bindestriche oder die Transkription, können somit darauf hinweisen, dass ein bösgläubiges Verhalten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 874/2004 vorliegt, und zwar insbesondere dann, wenn der zur Registrierung angemeldete Domänenname nicht mit dem Namen übereinstimmt, für den ein früheres Recht beansprucht wird.

64 Insoweit ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass die in den Namen, für den ein früheres Recht beansprucht wurde, sprachlich widersinnig eingefügten Sonderzeichen in dem zur Registrierung angemeldeten Domänennamen entfernt und nicht durch Bindestriche ersetzt oder transkribiert wurden, so dass die Übereinstimmung zwischen diesem Domänennamen und dem Namen, der Gegenstand eines früheren Rechts war, beeinträchtigt wurde.

65 Zweitens ist zu beachten, dass die Verordnung Nr. 874/2004 laut ihrem zwölften Erwägungsgrund, um Inhabern früherer Rechte ausreichend Gelegenheit zur Registrierung der Namen zu geben, an denen sie frühere Rechte haben, ein gestaffeltes Registrierungsverfahren geschaffen hat.

66 Nach Art. 12 der Verordnung besteht dieses Verfahren aus zwei Phasen. In der ersten Phase dürfen nur registrierte nationale und Gemeinschaftsmarken, geografische Angaben sowie die Namen und Abkürzungen öffentlicher Einrichtungen zur Registrierung als Domänennamen angemeldet werden. In der zweiten Phase dürfen die Namen, die schon in der ersten Phase registriert werden dürfen, sowie Namen, auf die sonstige frühere Rechte bestehen, angemeldet werden.

67 Die allgemeine Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ sollte somit erst nach Abschluss der durch die gestaffelte Registrierung vorgesehenen Frist beginnen.

68 Folglich konnte ein Domänenname wie der im Ausgangsverfahren fragliche, der einer als solche gewünschten Gattungsbezeichnung entspricht, in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung nur infolge des Kunstgriffs einer zu diesem Zweck ersonnenen und eingetragenen Marke registriert werden.

69 Ohne vorherige Registrierung einer Wortmarke hätte die Klägerin des Ausgangsverfahrens nämlich für die Stellung ihres Antrags die allgemeine Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ abwarten müssen und wäre damit wie jeder andere an diesem Domänennamen Interessierte dem Risiko ausgesetzt gewesen, dass ihrem Antrag der vorher eingereichte Antrag eines anderen Interessierten nach dem „Windhundprinzip“ vorgegangen wäre.

70 Ein Verhalten, das offenkundig darauf abzielt, das durch die Verordnung Nr. 874/2004 vorgesehene Verfahren der gestaffelten Registrierung zu umgehen, ist somit bei der Beurteilung, ob ein bösgläubiges Verhalten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung vorliegt, zu berücksichtigen.

71 Drittens kann auch die Einreichung einer großen Zahl von Anträgen auf Registrierung von Domänennamen, die Gattungsbegriffen entsprechen, ein relevantes Indiz sein, um im Licht des mit der Verordnung Nr. 874/2004 verfolgten Ziels, spekulativen oder missbräuchlichen Registrierungen oder Verwendungen von Domänennamen vorzubeugen oder sie zu vermeiden, das Vorliegen eines bösgläubigen Verhaltens zu beurteilen. Insoweit geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens 180 derartige Anträge stellte.

72 Hingegen ist der im Vorlagebeschluss erwähnte Umstand, dass der Klägerin des Ausgangsverfahrens zum Zeitpunkt der Registrierung des fraglichen Domänennamens der Beklagte des Ausgangsverfahrens unbekannt war, unerheblich.

73 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat insoweit geltend gemacht, dass es im Ausgangsverfahren um die Registrierung eines Domänennamens gehe, der aus einem Gattungsbegriff bestehe, was in keinem Fall Rechte Dritte beeinträchtigen könne, da niemand ausschließliche Rechte an Gattungsbegriffen besitze. In Fällen der Registrierung von Domänennamen, die Gattungsbegriffen entsprächen, seien daher spekulative oder missbräuchliche Verhaltensweisen, die mit den in Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 aufgeführten Tatbeständen der Bösgläubigkeit bekämpft werden sollten, definitionsgemäß ausgeschlossen. Folglich habe die Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht bösgläubig im Sinne von Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 gehandelt.

74 Dieses Vorbringen ist in zweifacher Hinsicht irrig. Zum einen beruht es auf der in den Randnrn. 31 bis 39 des vorliegenden Urteils zurückgewiesenen Prämisse, dass die in Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 enthaltene Aufführung von Fällen der Bösgläubigkeit abschließenden Charakter habe. Zum anderen wird mit diesem Vorbringen verkannt, dass an Gattungsbegriffen in legitimer Weise frühere Rechte bestehen können. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, steht nämlich das Unionsrecht, insbesondere Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1), der Eintragung eines Wortes als nationale Marke in einem Mitgliedstaat nicht entgegen, das der Sprache eines anderen Mitgliedstaats, in der es keine Unterscheidungskraft hat oder die für die Anmeldemarke beanspruchten Waren oder Dienstleistungen beschreibt, entlehnt ist, es sei denn, dass die beteiligten Verkehrskreise in dem Mitgliedstaat, in dem die Marke zur Eintragung angemeldet worden ist, imstande sind, die Bedeutung dieses Wortes zu erkennen (vgl. Urteil vom 9. März 2006, Matratzen Concord, C-421/04, Slg. 2006, I?2303, Randnrn. 26 und 32 sowie Tenor).

75 Da somit das Bestehen früherer Rechte an einem Namen, der einem Gattungsbegriff entspricht, nicht ausgeschlossen werden kann, birgt ein Verhalten wie das der Klägerin des Ausgangsverfahrens die Gefahr der Schädigung der Inhaber solcher Rechte.

76 Ferner zielt ein Verhalten wie das in Randnr. 70 des vorliegenden Urteils beschriebene auf die Erlangung eines ungebührlichen Vorteils zum Nachteil jedes anderen an demselben Domänennamen Interessierten ab, der kein älteres Recht geltend machen kann und daher die allgemeine Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ abwarten muss, um einen Registrierungsantrag stellen zu können.

77 Auf die fünfte Frage ist daher zu antworten, dass das nationale Gericht für die Beurteilung der Frage, ob ein bösgläubiges Verhalten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 vorliegt, alle im Einzelfall erheblichen Faktoren und insbesondere die Umstände, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, sowie die Umstände, unter denen der Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ registriert wurde, zu berücksichtigen hat.

Was die Umstände betrifft, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, hat das nationale Gericht insbesondere zu berücksichtigen:

  • die Absicht, die Marke nicht auf dem Markt zu benutzen, für den der Schutz beantragt wurde,
  • die Gestaltung der Marke,
  • die Tatsache, dass die Eintragung einer großen Zahl von anderen Marken, die Gattungsbegriffen entsprechen, erwirkt wurde, und
  • die Tatsache, dass die Eintragung der Marke kurz vor Beginn der gestaffelten Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ erwirkt wurde.

Was die Umstände betrifft, unter denen der Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ registriert wurde, hat das nationale Gericht insbesondere zu berücksichtigen:

  • die missbräuchliche Verwendung von Sonderzeichen oder Interpunktionszeichen im Sinne des Art. 11 der Verordnung Nr. 874/2004 zum Zweck der Anwendung der in diesem Artikel festgelegten Übertragungsregeln,
  • die Registrierung in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung gemäß der Verordnung Nr. 874/2004 auf der Grundlage einer Marke, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens erlangt wurde, und
  • die Tatsache, dass eine große Zahl von Anträgen auf Registrierung von Domänennamen, die Gattungsbegriffen entsprechen, eingereicht wurde.

Zu der ersten, der zweiten und der dritten Frage

78 Angesichts der Antworten auf die vierte und die fünfte Vorlagefrage sowie der Umstände des Ausgangsverfahrens sind die ersten drei Vorlagefragen nicht zu beantworten.

Kosten

79 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

  1. Art. 21 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 874/2004 der Kommission vom 28. April 2004 zur Festlegung von allgemeinen Regeln für die Durchführung und die Funktionen der Domäne oberster Stufe „.eu“ und der allgemeinen Grundregeln für die Registrierung ist dahin auszulegen, dass Bösgläubigkeit durch andere Umstände als die in den Buchst. a bis e dieser Bestimmung aufgeführten nachgewiesen werden kann.
  2. Für die Beurteilung der Frage, ob ein bösgläubiges Verhalten im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Abs. 3 der Verordnung Nr. 874/2004 vorliegt, hat das nationale Gericht alle im Einzelfall erheblichen Faktoren und insbesondere die Umstände, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, sowie die Umstände, unter denen der Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ registriert wurde, zu berücksichtigen.

Was die Umstände betrifft, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, hat das nationale Gericht insbesondere zu berücksichtigen:

  • die Absicht, die Marke nicht auf dem Markt zu benutzen, für den der Schutz beantragt wurde,
  • die Gestaltung der Marke,
  • die Tatsache, dass die Eintragung einer großen Zahl von anderen Marken, die Gattungsbegriffen entsprechen, erwirkt wurde, und
  • die Tatsache, dass die Eintragung der Marke kurz vor Beginn der gestaffelten Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ erwirkt wurde.

Was die Umstände betrifft, unter denen der Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ registriert wurde, hat das nationale Gericht insbesondere zu berücksichtigen:

  • die missbräuchliche Verwendung von Sonderzeichen oder Interpunktionszeichen im Sinne des Art. 11 der Verordnung Nr. 874/2004 zum Zweck der Anwendung der in diesem Artikel festgelegten Übertragungsregeln,
  • die Registrierung in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung gemäß der Verordnung Nr. 874/2004 auf der Grundlage einer Marke, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens erlangt wurde, und
  • die Tatsache, dass eine große Zahl von Anträgen auf Registrierung von Domänennamen, die Gattungsbegriffen entsprechen, eingereicht wurde.

Patent zur Herstellung von Geldscheinen

Der für das Patentrecht zuständige Xa-Zivilsenat hat am 8. Juli 2010 über eine Nichtigkeitsklage der Europäischen Zentralbank gegen ein Patent entschieden, das ein Verfahren zur Herstellung eines fälschungssicheren Dokuments, zum Beispiel von Geldscheinen, betrifft.

Das angegriffene Patent, das vom Europäischen Patentamt mit Wirkung für zahlreiche europäische Länder erteilt worden ist, betrifft ein Verfahren, mit dem Geldscheine insbesondere vor Fälschung mittels modernen Farbkopiergeräten geschützt werden sollen. Hierzu sollen die Geldscheine mit bestimmten Strukturen versehen werden, die beim Kopiervorgang ein so genanntes Moirémuster erzeugen, das die Kopie leicht erkennbar als Fälschung entlarvt.

Die Patentinhaberin führt gegen die Europäische Zentralbank in mehreren europäischen Ländern Rechtsstreitigkeiten. Sie macht geltend, bei der Herstellung der Euro-Banknoten werden von der patentierten Lehre Gebrauch gemacht. Die Europäische Zentralbank wehrt sich dagegen mit einer Nichtigkeitsklage, die in jedem Land, für das das Patent erteilt worden ist, gesondert erhoben werden muss. In verschiedenen Staaten, darunter Großbritannien und Frankreich, ist das Patent mit Wirkung für das jeweilige Land bereits rechtskräftig für nichtig erklärt worden. In den Niederlanden und Spanien ist die Nichtigkeitsklage in erster Instanz erfolglos geblieben.

In Deutschland hat das in erster Instanz zuständige Bundespatentgericht die Nichtigkeitsklage abgewiesen. Nach seiner Auffassung greift keiner der von der Klägerin vorgetragenen Nichtigkeitsgründe.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Bundespatentgerichts abgeändert und das Patent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Er ist ähnlich wie die englischen und französischen Gerichte und wie das österreichische Patentamt zu der Auffassung gelangt, dass die erteilte Fassung des Patents über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht. Für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sind die Rechtswirkungen des Patents damit rückwirkend entfallen. Man kann also die Technik kopieren, die das Kopieren der Geldscheine erschweren soll.

Urteil vom 8. Juli 2010 – Xa ZR 124/07

Ausschließlichkeitsrechte und Wettbewerb

Rechtssache C–451/03 — Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl gegen Giuseppe Calafiori (Vorabentscheidungsersuchen der Corte d’appello Mailand) zu den Themen „Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Für Unternehmen geltende Wettbewerbsvorschriften – Staatliche Beihilfen – Steuerbeistandszentren – Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen – Ausschließliches Recht – Vergütung dieser Tätigkeiten“

Urteil des Gerichtshofes
vom 30. März 2006

Leitsätze des Urteils

  1. Wettbewerb – öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren – Schaffung einer beherrschenden Stellung. (Artikel 82 EG und 86 Absatz 1 EG)Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG ist als solche noch nicht mit Artikel 82 EG unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht.(vgl. Randnr. 23)
  2. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des GerichtshofesWeist im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tätigkeit mit keinem ihrer Elemente über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinaus, so kann eine Antwort dem vorlegenden Gericht dennoch von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschriebe, dass einem Staatsbürger dieses Mitgliedstaats die Rechte zustehen, die einem Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zuständen. Ein solches Ersuchen ist daher als zulässig anzusehen, da zu prüfen ist, ob die Bestimmungen des Vertrages, um deren Auslegung ersucht wird, der Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung entgegenstehen, soweit diese auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen angewandt würde. (vgl. Randnrn. 28-30)
  3. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr. (Artikel 43 EG und 49 EG)Die Artikel 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen Steuerbeistandszentren (CAF) vorbehält, die in Form von Aktiengesellschaften zu errichten sind, auf der Grundlage einer Genehmigung des Finanzministeriums tätig werden und nur von bestimmten, in einem Decreto legislativo bezeichneten Rechtssubjekten errichtet werden können. Eine solche Regelung schließt nämlich zum einen den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig aus und ist, indem sie die Möglichkeit zur Gründung von CAF bestimmten Rechtssubjekten vorbehält, die strikte Voraussetzungen erfüllen, darunter bei einigen dieser Rechtssubjekte sogar die Voraussetzung, dass sie ihren Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben, zum anderen geeignet, die Ausübung des Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Rechts, sich zur Erbringung der fraglichen Dienstleistungen in dem entsprechenden Mitgliedstaat niederzulassen, zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen. (vgl. Randnrn. 7, 33-34, 50, Tenor 1)
  4. Staatliche Beihilfen – Begriff. (Artikel 87 Absatz 1 EG)Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, ist als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren, wenn zum einen die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und wenn zum anderen der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. (vgl. Randnr. 72, Tenor 2)

Schlussantäge des Generalanwalts D. Ruiz–Jarabo Colomer vom 28. Juni 2005

URTEIL DES GERICHTSHOFES

30. März 2006 (Verfahrenssprache: Italienisch)

„Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Für Unternehmen geltende Wettbewerbsvorschriften – Staatliche Beihilfen – Steuerbeistandszentren – Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen – Ausschließliches Recht – Vergütung dieser Tätigkeiten“

In der Rechtssache C-451/03 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Corte d’appello Mailand (Italien) mit Entscheidung vom 15. Oktober 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Oktober 2003, in dem Verfahren

Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl
gegen
Giuseppe Calafiori,
unterstützt durch:Pubblico Ministero,

erlässt DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung (…)

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl, vertreten durch F. Capelli und M. Valcada, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und V. Di Bucci als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2005 folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 4 EG, 10 EG, 82 EG, 86 EG und 98 EG im Bereich Wettbewerb, der Artikel 43 EG, 48 EG und 49 EG in den Bereichen Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr sowie des Artikels 87 EG im Bereich staatliche Beihilfen.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl (im Folgenden: ADC Servizi) und dem Notar Guiseppe Calafiori über dessen Weigerung, den Beschluss der Gesellschafterversammlung von ADC Servizi über eine Änderung ihres Gesellschaftsvertrags im Handelsregister Mailand einzutragen.

Nationaler rechtlicher Rahmen

3 Der nationale rechtliche Rahmen kann, so wie er sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, wie folgt zusammengefasst werden.

4 Nach dem Decreto legislativo Nr. 241 vom 9. Juli 1997, ergänzt durch das Decreto legislativo Nr. 490 vom 28. Dezember 1998 (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 241/97), sind allein die Centri di Assistenza Fiscale (Steuerbeistandszentren, im Folgenden: CAF) berechtigt, bestimmte Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen auszuüben, darunter die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der jährlichen Einkommensteuererklärung der Arbeitnehmer und der ihnen gleichgestellten Personen.

5 Artikel 34 Absatz 4 des Decreto legislativo Nr. 241/97 überträgt den CAF eine ausschließliche Befugnis zur Abwicklung der mit einem vereinfachten Formblatt (Formblatt 730) vorgenommenen Einkommensteuererklärung, darunter die Überlassung einer Kopie der ausgefüllten Erklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer an den Steuerpflichtigen, die Mitteilung des Ergebnisses der Erklärung an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber, damit ein Ausgleich an der Quelle vorgenommen werden kann, und die Übersendung der Erklärungen an die Finanzverwaltung.

6 Ferner ist den CAF nach Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe b des Decreto legislativo Nr. 241/97 die Kontrolle der Übereinstimmung der in der Erklärung angegebenen Daten mit ihren Anlagen vorbehalten.

7 Die CAF sind in Form von Aktiengesellschaften zu errichten, die auf der Grundlage einer Genehmigung des Finanzministeriums tätig werden. Sie können nur von den in den Artikeln 32 und 33 des Decreto legislativo Nr. 241/97 bezeichneten Rechtssubjekten errichtet werden. Dabei handelt es sich u. a. um Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, von diesen beauftragte Gebietsorganisationen mit mindestens 50 000 Mitgliedern, bestimmte steuerabzugsverpflichtete Arbeitgeber mit mindestens 50 000 Beschäftigten und Arbeitnehmervereinigungen, die Fürsorgewerke (istituti di patronato) gegründet haben und mindestens 50 000 Mitglieder zählen. Einige der im Decreto legislativo Nr. 241/97 genannten Rechtssubjekte sind nur dann zur Errichtung von CAF befugt, wenn sie in Italien niedergelassen sind.

8 Weiterhin ist in Artikel 33 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehen, dass die CAF einen oder mehrere Verantwortliche für den Beistand in Steuerfragen benennen, bei denen es sich um in der Liste der Diplomkaufleute oder der der Buchprüfer eingetragene Personen handeln muss.

9 Die fragliche Regelung sieht vor, dass für die den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten eine Vergütung aus dem Staatshaushalt gezahlt wird, die ursprünglich auf 25 000 LIT je ausgefüllter und übermittelter Erklärung festgelegt worden war und später auf rund 14 Euro angehoben wurde.

Ausgangsrechtsstreit

10 Die ADC Servizi, die in Mailand niedergelassen ist, hatte den Beistand und die Beratung in Buchhaltungs- und Verwaltungsfragen zum Zweck.

11 Am 25. Februar 2003 beschloss die außergewöhnliche Gesellschafterversammlung dieser Gesellschaft die Annahme eines neuen Gesellschaftsvertrags, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Gesellschaft auch Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen für Unternehmen, Arbeitnehmer und ihnen gleichgestellte Personen sowie Rentner ausübte.

12 Der protokollführende Notar, Herr Calafiori, weigerte sich, die Eintragung dieses Beschlusses im Handelsregister Mailand zu veranlassen, da er die Änderung des Gesellschaftsvertrags, mit der die Gesellschaft zur Ausübung der genannten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen ermächtigt wurde, als einen Verstoß gegen Artikel 34 des Decreto legislativo Nr. 241/97 ansah.

13 Die ADC Servizi beantragte beim Tribunale Mailand, die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister Mailand anzuordnen. Mit Beschluss vom 15. Mai 2003 wies dieses Gericht die Klage ab.

14 Die ADC Servizi legte gegen diesen Beschluss ein Rechtsmittel bei der Corte d’appello Mailand ein und machte geltend, dass die Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97, indem sie bestimmte Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehielten, gegen den EG-Vertrag verstießen.

15 Die Corte d’appello Mailand ist der Ansicht, dass sich im Hinblick auf die Entscheidung des bei ihr anhängigen Rechtsstreits Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellten.

16 Sie führt zunächst aus, dass Arbeitnehmer, Rentner und ihnen gleichgestellte Personen dazu gebracht würden, sich an die CAF auch mit Fragen zu wenden, die diesen nach der fraglichen Regelung nicht vorbehalten seien, wodurch der Wettbewerb auf dem entsprechenden Markt verfälscht werde. Folglich stehe dieses System im Widerspruch zu den Artikeln 10 EG, 81 EG, 82 EG und 86 EG.

17 Die Corte d’appello Mailand legt weiter dar, dass der Umstand, dass die Erstellung und die Abgabe von Steuererklärungen bestimmten Rechtssubjekten, die präzise Voraussetzungen erfüllten, vorbehalten seien, nicht nur für den inländischen Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch für den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer ein Hindernis für die Ausübung seiner Tätigkeit darstelle, das eine nach den Artikeln 43 EG, 48 EG und 49 EG verbotene Beschränkung darstellen könne.

18 Schließlich werde die in Randnummer 9 dieses Urteils genannte Vergütung, die ausschließlich zugunsten der CAF vorgesehen und aus dem Staatshaushalt zu zahlen sei, möglicherweise vom Verbot der Artikel 87 EG und 88 EG erfasst.

Vorlagefragen

19 Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat die Corte d’appello Mailand beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Sind die Artikel 4 EG, 10 EG, 82 EG, 86 EG und 98 EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie derjenigen entgegenstehen, die sich aus dem Decreto legislativo Nr. 241/97 in Verbindung mit dem Testo unico betreffend die Einkommensteuern (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 917 vom 22. Dezember 1986) und dem Gesetz Nr. 413 vom 30. Dezember 1991 ergibt und die das Recht, bestimmte Tätigkeiten der Steuerberatung auszuführen, einer einzigen Gruppe von Rechtssubjekten, den CAF, vorbehält und den anderen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors auch dann, wenn sie eine Ermächtigung zur Berufsausübung im Bereich der steuerlichen und buchhalterischen Beratung besitzen (Diplom-Betriebswirte, Buchprüfer, Rechtsanwälte und Arbeitsberater), die Ausübung der den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten unter gleichen Voraussetzungen und Modalitäten versagt?
  2. Sind die Artikel 43 EG, 48 EG und 49 EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie derjenigen entgegenstehen, die sich aus dem Decreto legislativo Nr. 241/97 in Verbindung mit dem Testo unico betreffend die Einkommensteuern (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 917) und dem Gesetz Nr. 413 vom 30. Dezember 1991 ergibt und die das Recht, bestimmte Tätigkeiten der Steuerberatung auszuführen, einer einzigen Gruppe von Rechtssubjekten, den CAF, vorbehält und den anderen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors auch dann, wenn sie eine Ermächtigung zur Berufsausübung im Bereich der steuerlichen und buchhalterischen Beratung besitzen (Diplom-Betriebswirte, Buchprüfer, Rechtsanwälte und Arbeitsberater), die Ausübung der den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten unter gleichen Voraussetzungen und Modalitäten versagt?
  3. Ist Artikel 87 EG dahin auszulegen, dass eine Maßnahme, wie sie sich aus der Regelung des Decreto legislativo Nr. 241/97, insbesondere dessen Artikel 38, ergibt und die zugunsten der CAF eine Vergütung zulasten des Staatshaushalts für die Tätigkeiten des Artikels 34 Absatz 4 und für die Tätigkeiten des Artikels 37 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorsieht, eine staatliche Beihilfe darstellt?

Zur ersten Frage

20 Einleitend ist darauf zu verweisen, dass in den Artikeln 4 EG und 98 EG die Grundprinzipien der Wirtschaftpolitik der Gemeinschaftsordnung definiert werden und der Kontext dargelegt wird, in dem die Wettbewerbsvorschriften der Artikel 82 EG und 86 EG stehen. Die Bezugnahme des nationalen Gerichts auf die Artikel 4 EG und 98 EG erfordert somit keine gegenüber der Antwort auf die Frage nach der Auslegung der Artikel 82 EG und 86 EG eigene Antwort.

21 Folglich ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Artikel 82 EG und 86 EG einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

22 Nach Artikel 82 EG ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen verboten.

23 Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG ist als solche noch nicht mit Artikel 82 EG unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (Urteil vom 25. Oktober 2001 in der Rechtssache C–475/99, Ambulanz Glöckner, Slg. 2001, I–8089, Randnr. 39).

24 Folglich ist nicht nur zu klären, ob die nationale Regelung bewirkt, dass den CAF besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG verliehen werden, sondern auch, ob eine solche Regelung zum Missbrauch einer beherrschenden Stellung führen konnte.

25 Unabhängig von der Frage, ob den CAF mit der nationalen Regelung solche besonderen oder ausschließlichen Rechte verliehen wurden, ist jedoch festzustellen, dass dem Gerichtshof weder mit der Vorlageentscheidung noch mit den schriftlichen Erklärungen die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte an die Hand gegeben werden, die ihm die Feststellung erlauben würden, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung oder eines missbräuchlichen Verhaltens im Sinne von Artikel 82 EG erfüllt sind.

26 Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof nicht in der Lage, die erste Frage sachgerecht zu beantworten.

Zur zweiten Frage

27 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 43 EG und 49 EG einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

28 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die italienische Regierung diese Frage für unzulässig hält, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tätigkeit mit keinem ihrer Elemente über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweise.

29 Dazu ist zu bemerken, dass eine Antwort dem vorlegenden Gericht nichtsdestoweniger von Nutzen sein kann, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht in einem Verfahren der vorliegenden Art vorschriebe, dass einem italienischen Staatsbürger die gleichen Rechte zustehen, die einem Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zuständen (vgl. Beschluss vom 17. Februar 2005 in der Rechtssache C–250/03, Mauri, Slg. 2005, I–1267, Randnr. 21).

30 Somit ist zu prüfen, ob die Bestimmungen des Vertrages, um deren Auslegung ersucht wird, der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, soweit diese auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen angewandt würde.

31 Die Artikel 43 EG und 49 EG schreiben die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs vor; als solche Beschränkungen sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheiten unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. u. a. Urteil vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C–439/99, Kommission/Italien, Slg. 2002, I–305, Randnr. 22).

32 Insoweit ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das Decreto legislativo Nr. 241/97 den CAF eine ausschließliche Befugnis überträgt, den Steuerpflichtigen bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen und insbesondere Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Personen Dienstleistungen des Steuerbeistands bei der Erstellung der Steuererklärung in der vereinfachten Form anzubieten.

33 Was den freien Dienstleistungsverkehr betrifft, so schließt eine solche nationale Regelung, indem sie die genannten Tätigkeiten den CAF vorbehält, den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig aus.

34 Was die Niederlassungsfreiheit anbelangt, so ist eine solche Regelung, indem sie die Möglichkeit zur Gründung von CAF bestimmten Rechtssubjekten vorbehält, die strikte Voraussetzungen erfüllen, darunter bei einigen dieser Rechtssubjekte, wie sich aus den vorgelegten Informationen ergibt, die Voraussetzung, dass sie ihren Sitz in Italien haben, geeignet, die Ausübung des Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Rechts, sich zur Erbringung der fraglichen Dienstleistungen in Italien niederzulassen, zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen.

35 Dass den CAF eine ausschließliche Befugnis übertragen wird, bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen anzubieten, stellt somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs dar, die nach den Artikeln 43 EG und 49 EG grundsätzlich verboten ist.

36 Die Bestimmungen der nationalen Regelung, nach denen nur bestimmte, bereits in Italien niedergelassene Rechtssubjekte CAF gründen können, sind diskriminierend. Solche Bestimmungen können nur mit den in den Artikeln 46 EG und 55 EG vorgesehenen Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt werden, die im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht worden sind (vgl. Urteil vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache C–263/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I–4195, Randnr. 15).

37 Dagegen können diejenigen Bestimmungen der in Rede stehenden nationalen Regelung, die für alle im Aufnahmemitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gelten, gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen und soweit sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2002 in der Rechtssache C–79/01, Payroll u. a., Slg. 2002, I–8923, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Insoweit kann das Allgemeininteresse am Schutz der Empfänger der betreffenden Dienstleistungen vor einem Schaden, der ihnen durch Dienstleistungen entstehen könnte, die von Personen erbracht werden, die nicht die erforderlichen beruflichen oder persönlichen Qualifikationen besitzen, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C–76/90, Säger, Slg. 1991, I–4221, Randnrn. 15 bis 17).

39 Wie jedoch der Generalanwalt in Nummer 49 seiner Schlussanträge betont hat, sind einige der den CAF vorbehaltenen Dienstleistungen wie die Aushändigung einer Kopie der Steuererklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer, die Übersendung der Steuererklärungen an die Finanzverwaltung sowie die Mitteilung des Ergebnisses der Steuererklärung an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber im Wesentlichen einfacher Art und erfordern keine besonderen beruflichen Qualifikationen.

40 Offenkundig kann es die Natur dieser Dienstleistungen nicht rechtfertigen, ihre Ausübung den Inhabern einer besonderen beruflichen Qualifikation vorzubehalten.

41 Auch wenn demgegenüber bestimmte den CAF vorbehaltene Tätigkeiten vielschichtiger sind, insbesondere die Prüfung der Übereinstimmung der in der Steuererklärung gemachten Angaben mit ihren Anlagen, ist nicht ersichtlich, dass die zur Errichtung von CAF befugten Einrichtungen Gewähr für besondere berufliche Befähigungen zur Ausführung dieser Aufgaben bieten.

42 Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, benennen die CAF nach Artikel 33 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 als für die Ausführung dieser Aufgaben Verantwortliche Personen, die in der Liste der Diplomkaufleute oder der der Buchprüfer eingetragen sind, d. h. Berufsträger, die die den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten im eigenen Namen nicht ausüben können.

43 Angesichts dieser Umstände sind die Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97, soweit sie den CAF eine ausschließliche Befugnis übertragen, bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen anzubieten, offenbar nicht geeignet, das in Randnummer 38 dieses Urteils genannte Allgemeininteresse zu gewährleisten.

44 In der mündlichen Verhandlung hat die italienische Regierung geltend gemacht, dass die fragliche nationale Regelung jedenfalls gemäß den Artikeln 45 Absatz 1 EG und 55 EG gerechtfertigt sei, wonach die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr nicht für Tätigkeiten gälten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien.

45 Dazu ist darauf zu verweisen, dass die Artikel 45 EG und 55 EG als Ausnahmen vom Grundprinzip der Niederlassungsfreiheit so auszulegen sind, dass sich ihre Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die diese Bestimmungen den Mitgliedstaaten zu schützen erlauben, unbedingt erforderlich ist (Urteile vom 15. März 1988 in der Rechtssache 147/86, Kommission/Griechenland, Slg. 1988, 1637, Randnr. 7, und vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache C–114/97, Kommission/Spanien, Slg. 1998, I–6717, Randnr. 34).

46 Somit muss sich die in diesen Artikeln vorgesehene Ausnahmeregelung nach ständiger Rechtsprechung auf Tätigkeiten beschränken, die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen (Urteile vom 21. Juni 1974 in der Rechtssache 2/74, Reyners, Slg. 1974, 631, Randnr. 45, vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache C–42/92, Thijssen, Slg. 1993, I–4047, Randnr. 8, Kommission/Spanien, Randnr. 35, und vom 31. Mai 2001 in der Rechtssache C–283/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I–4363, Randnr. 20).

47 Es ist festzustellen, dass die Überprüfung der Übereinstimmung der Angaben in der Steuererklärung mit deren Anlagen, auch wenn sie tatsächlich von der Finanzverwaltung selten in Frage gestellt wird, keine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt, sondern eine Maßnahme, mit der die Erfüllung von der Finanzverwaltung obliegenden Aufgaben vorbereitet oder erleichtert werden soll.

48 Ebenso verhält es sich mit den anderen Aufgaben, die in den Artikeln 34 und 35 des Decreto legislativo Nr. 241/97 aufgeführt sind und die das nationale Gericht in seiner Vorlageentscheidung nennt, nämlich die Überlassung einer Kopie der ausgefüllten Steuererklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer an den Steuerpflichtigen, die Mitteilung des Ergebnisses der Steuererklärungen an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber und die Übersendung der Erklärungen an die Finanzverwaltung.

49 Folglich ist festzustellen, dass den CAF vorbehaltene Tätigkeiten wie die in der Vorlageentscheidung genannten von der in den Artikeln 45 EG und 55 EG vorgesehenen Ausnahmeregelung nicht erfasst werden.

50 Angesichts des Vorstehenden ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Artikel 43 EG und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

Zur dritten Frage

51 Das vorlegende Gericht nimmt mit seiner dritten Frage gleichzeitig auf mehrere Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97 Bezug: auf Artikel 38 über die Zahlung einer Vergütung an die CAF, auf Artikel 34 Absatz 4 über die von den CAF ausgeübten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen sowie auf Artikel 37 Absatz 2 über die von anderen Einheiten erbrachten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen.

52 In der Begründung seiner Entscheidung bezieht sich dieses Gericht jedoch nur auf die Zahlung einer Vergütung an die CAF.

53 Daher ist die Prüfung der dritten Frage auf die Vergütung zu beschränken, die den CAF nach den Artikeln 34 Absatz 4 und 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 gezahlt wird.

54 Somit ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage im Wesentlichen wissen will, ob eine Vergütung, wie sie die CAF nach den Artikeln 34 Absatz 4 und 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 für die Erstellung und Übermittlung einer Steuererklärung beziehen, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellt.

55 Die Qualifizierung als „Beihilfe“ verlangt nach ständiger Rechtsprechung, dass alle in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Urteile vom 21. März 1990 in der Rechtssache C–142/87, Belgien/Kommission, „Tubemeuse“, Slg. 1990, I–959, Randnr. 25, vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C–278/92 bis C–280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I–4103, Randnr. 20, vom 16. Mai 2002 in der Rechtssache C–482/99, Frankreich/Kommission, Slg. 2002, I–4397, Randnr. 68, und vom 24. Juli 2003 in der Rechtssache C–280/00, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Slg. 2003, I–7747, Randnr. 74).

56 Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss sie geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.

57 Die erste Voraussetzung ist erfüllt, da die in Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehene Vergütung vom Staatshaushalt zu tragen ist.

58 Was die zweite Voraussetzung betrifft, so dürften den CAF nach Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 bedeutende Beträge gezahlt werden, und es könnte Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten gestattet werden, CAF zu gründen, die in den Genuss dieser Beträge kommen. Die fragliche Maßnahme ist daher geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

59 Was die dritte und die vierte Voraussetzung angeht, so gelten als Beihilfen Maßnahmen gleich welcher Art, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 84).

60 Dagegen wird eine staatliche Maßnahme nicht von Artikel 87 Absatz 1 EG erfasst, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugute kommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 87).

61 Ein derartiger Ausgleich ist im konkreten Fall jedoch nur dann nicht als staatliche Beihilfe zu qualifizieren, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 88).

62 Erstens muss das durch einen derartigen Ausgleich begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein, und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 89).

63 Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat die von den CAF nach Artikel 34 Absatz 4 des Decreto legislativo Nr. 241/97 gegenüber Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Personen erbrachten Dienstleistungen des Beistands in Steuerfragen, die den Steuerpflichtigen bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Verpflichtungen helfen und die Erfüllung der den Finanzbehörden obliegenden Aufgaben erleichtern sollen, als „gemeinwirtschaftlich“ qualifiziert.

64 Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent festzulegen, um zu verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 90).

65 Der Ausgleich, der für jede erstellte und der Finanzverwaltung übermittelte Erklärung auf rund 14 Euro festgelegt wurde, ist geeignet, dieser Voraussetzung Genüge zu tun.

66 Drittens darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 92).

67 Viertens ist der Ausgleich auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 93).

68 Die Prüfung dieser beiden letzten Voraussetzungen hinsichtlich der Höhe der fraglichen Vergütung macht eine Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits erforderlich.

69 Dabei ist zu beachten, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu entscheiden oder die von ihm ausgelegten Gemeinschaftsvorschriften auf nationale Maßnahmen oder Gegebenheiten anzuwenden, da diese Fragen in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gerichts fallen (vgl. Urteile vom 19. Dezember 1968 in der Rechtssache 13/68, Salgoil, Slg. 1968, 680, 690, vom 23. Januar 1975 in der Rechtssache 51/74, Van der Hulst, Slg. 1975, 79, Randnr. 12, vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C–320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I–285, Randnr. 11, vom 5. Oktober 1999 in den Rechtssachen C–175/98 und C–177/98, Lirussi und Bizzaro, Slg. 1999, I–6881, Randnr. 38, und vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache C–282/00, RAR, Slg. 2003, I–4741, Randnr. 47).

70 Es ist somit Sache des nationalen Gerichts, im Licht des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob die in Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehene Vergütung eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellt.

71 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass das nationale Gericht nicht befugt ist, die Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist ausschließlich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zuständig, die dabei der Kontrolle des Gemeinschaftsrichters unterliegt (vgl. Urteile vom 21. November 1991 in der Rechtssache C–354/90, Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I–5505, Randnr. 14, vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C–39/94, SFEI u. a., Slg. 1996, I–3547, Randnr. 42, und vom 17. Juni 1999 in der Rechtssache C–295/97, Piaggio, Slg. 1999, I–3735, Randnr. 31).

72 Angesichts des Vorstehenden ist auf die dritte Frage zu antworten, dass eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren ist, wenn

  • die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und
  • der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.

Kosten

73 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

  1. Die Artikel 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den Steuerbeistandszentren vorbehält.
  2. Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, ist als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren, wenn
    • die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und
    • der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.
  3. Unterschriften.


Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausnutzung des Patentschutzes

Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung eine Geldbuße in Höhe von 46 Mio. Euro und der erstgenannten Klägerin eine weitere Geldbuße in Höhe von 14 Mio. Euro wegen Verstößen gegen Artikel 82 EG und Artikel 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auferlegt. Sie hat festgestellt, dass der AstraZeneca-Konzern seit 1993 gegenüber Patentanwälten, nationalen Gerichten und Patentämtern bewusst unrichtige Angaben gemacht hätten, um ergänzende Schutzzertifikate zu erhalten, auf die sie, wie sie gewusst hätten, für ihr patentiertes Produkt „Omeprazole“, den in ihrem Arzneimittel „Losec“ enthaltenen Wirkstoff, keinen Anspruch gehabt hätten. Außerdem hätten die Klägerinnen 1998/99 die Strategie verfolgt, ihre „Losec“-Kapseln selektiv vom Markt zu nehmen, sie durch „Losec“-Tabletten zu ersetzen und die Löschung der Verkehrsgenehmigung für die Kapseln in Dänemark, Norwegen und Schweden zu beantragen. Beide Verstöße seien in der Absicht begangen worden, den Wettbewerb durch Generika und Parallelimporte in unlauterer Weise zu beschränken.

Der AstraZeneca-Konzern focht die Feststellungen der Kommission auch aus aus rechtlichen und sachlichen Gründen an. Was die angeblichen unrichtigen Angaben in Bezug auf Patente angehe, so könnten derartige irreführenden Angaben bei der Beantragung gewerblicher Schutzrechte rechtlich keinen Missbrauch darstellen, sofern und solange die unredlich erworbenen Rechte nicht durchgesetzt würden oder durchgesetzt werden könnten. Außerdem seien die Klägerinnen nach zutreffender Auslegung von Artikel 82 EG nicht verpflichtet, eine Verkehrsgenehmigung für ein Produkt, das von ihnen nicht mehr vertrieben werde, nur deshalb aufrechtzuerhalten, weil dies den Wettbewerb für Generika und Parallelhändler erleichtern würde.

Das Gericht bestätigt im Wesentlichen die Entscheidung der Kommission, mit der diese festgestellt hat, dass der AstraZeneca-Konzern seine beherrschende Stellung missbrauchte, indem er das Inverkehrbringen von generischem Losec verhinderte Die Geldbuße wird jedoch von 60 Mio. Euro auf 52,5 Mio. Euro herabgesetzt, weil die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass sich der Widerruf der Arzneimittelzulassungen in bestimmten Mitgliedstaaten auf die Paralleleinfuhren auswirken konnte.

Mit Entscheidung vom 15. Juni 2005 (Entscheidung C (2005) 1757 final der Kommission vom 15. Juli 2005 in einem Verfahren nach Artikel 82 [EG] und
Artikel 54 EWR-Abkommen (Sache COMP/A.37.507/F3 – AstraZeneca)) verhängte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von 46 Mio. Euro gegen die AstraZeneca plc (Vereinigtes Königreich) und ihre Tochtergesellschaft AstraZeneca AB (Schweden) sowie eine zusätzliche Geldbuße in Höhe von 14 Mio. Euro gegen die AstraZeneca AB wegen Missbrauchs ihrer beherrschenden Stellung durch Ausnutzung des Systems des Patentschutzes und der Verfahren zur Zulassung von Arzneimitteln allein zu dem Zweck, den Markteintritt von generischen Arzneimitteln, die mit ihrem Magengeschwür-Arzneimittel Losec konkurrierten, zu verhindern oder zu verzögern oder Paralleleinfuhren von Losec zu verhindern.

Die Kommission stellte zum einen fest, dass AstraZeneca bei den Patentämtern in Belgien, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und dem Vereinigten Königreich absichtlich irreführende Angaben gemacht habe, um für Losec durch ein ergänzendes Schutzzertifikat eine Verlängerung des Patentschutzes zu erreichen. Diese Verlängerung habe ein Ausgleich für die Zeit vor der Zulassung des Arzneimittels sein sollen, während deren das Unternehmen dieses Arzneimittel nicht habe vermarkten können. AstraZeneca habe den nationalen Patentämtern den Zeitpunkt der Erstzulassung des Arzneimittels vorenthalten, wodurch sie einen ergänzenden Schutz habe erhalten können, der ihr nicht zugestanden habe.

Zum anderen wurde AstraZeneca dafür belangt, dass sie für Losec in Kapselform in Dänemark, Norwegen und Schweden den Widerruf der Zulassung beantragt habe, um erstens die Vermarktung generischer Arzneimittel hinauszuzögern und zu erschweren und zweitens Paralleleinfuhren von Losec zu verhindern. Nach dem zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Unionsrecht habe das Referenzarzneimittel im betreffenden Mitgliedstaat noch zugelassen sein müssen, damit ein generisches Arzneimittel im vereinfachten Verfahren zugelassen werden könne, das schneller und für den Antragsteller billiger sei. Aufgrund des von AstraZeneca beantragten Widerrufs der Zulassungen für Losec in Kapselform habe dieses vereinfachte Verfahren nicht angewandt werden können, und es habe somit länger gedauert und sei schwieriger gewesen, die Marktzulassungen für die generischen Arzneimittel einzuholen, deren Markteinführung sich entsprechend verzögert habe.

Die AstraZeneca plc und die AstraZeneca AB haben beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission erhoben und hilfsweise die Herabsetzung der festgesetzten Geldbußen beantragt.

Mit seinem heutigen Urteil weist das Gericht die meisten der von AstraZeneca vorgebrachten Argumente zurück und stellt fest, dass sie ihre beherrschende Stellung in zweifacher Weise missbraucht hat. Erstens hat AstraZeneca tatsächlich vor den nationalen Patentämtern irreführende Angaben gemacht. Zweitens bedeutet der Umstand, dass die Pharmaunternehmen in der Regel berechtigt sind, den Widerruf von Marktzulassungen ihrer Produkte zu verlangen, nicht, dass dieses Verhalten dem in Art. 82 EG vorgesehenen Verbot entzogen ist. Das Gericht erklärt jedoch die Entscheidung der Kommission für nichtig, soweit darin festgestellt wird, dass der Widerruf der Marktzulassungen von Losec in Kapselform in Dänemark und Norwegen geeignet war, Paralleleinfuhren zu beschränken.

Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission angesichts des rechtlichen Kontextes nicht nachgewiesen, dass der Widerruf der Marktzulassungen geeignet war, Paralleleinfuhren in Dänemark und Norwegen zu beschränken, geschweige denn, dass das Ende oder der starke Rückgang der Paralleleinfuhren von Losec in diese beiden Länder durch das Verhalten von AstraZeneca verursacht war. In Anwendung des Grundsatzes, dass Zweifel dem Adressaten der den Verstoß feststellenden Entscheidung zugute kommen müssen, setzt das Gericht die der AstraZeneca AB und der AstraZeneca plc gesamtschuldnerisch auferlegte Geldbuße auf 40 250 000 Euro und die der AstraZeneca AB auferlegte Geldbuße auf 12 250 000 Euro herab.

Urteil des EuGH vom 1. Juli 2010 in der Rechtssache T-321/05 AstraZeneca / Kommission

Kapitalverkehrsfreiheit und der Staat als Aktionär

Urteil des EuGH vom 8. Juli 2010 in der Rechtssache C-171/08 Kommission / Portugal

Das Halten von „golden shares“ an Portugal Telecom durch den portugiesischen Staat stellt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar. Diese „golden shares“ verleihen dem portugiesischen Staat eine Einflussnahme auf die Entscheidungen des Unternehmens, die Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten von Investitionen abhalten kann.

Portugal Telecom (PT) wurde 1994 im Zuge der Umstrukturierung des portugiesischen Telekommunikationssektors gegründet. Sie wurde ab 1995 in fünf aufeinanderfolgenden Phasen privatisiert. Nach den portugiesischen Privatisierungsvorschriften konnten in den Satzungen der Gesellschaften, deren Privatisierung geplant war, ausnahmsweise und sofern Gründe des nationalen Interesses es erforderten, Vorzugsaktien vorgesehen werden, die Eigentum des Staates bleiben sollten. Diese Vorzugsaktien bezweckten, unabhängig von ihrer Zahl dem Staat bei Satzungsänderungen und anderen Entscheidungen in bestimmten Bereichen ein Vetorecht einzuräumen.

Die Satzung von PT wurde 1995 zu einer Zeit angenommen, als der portugiesische Staat 54,2 % des Gesellschaftskapitals hielt. Nach der Satzung setzt sich das Gesellschaftskapital aus etwa einer Milliarde Stammaktien und 500 Vorzugsaktien („golden shares“) zusammen. Letztere müssen mehrheitlich vom Staat oder anderen öffentlichen Anteilseignern gehalten werden; mit ihnen sind bestimmte Vorrechte in Form von Sonderrechten verbunden. Am Ende der Privatisierung von PT wurden deren sämtliche staatlichen Anteile mit Ausnahme der 500 Vorzugsaktien veräußert.
Die Kommission wendet sich mit ihrer Klage gegen die Sonderrechte, die vom portugiesischen Staat aufgrund der „golden shares“ an der Gesellschaft Portugal Telecom gehalten werden.

Mit seinem Urteil erkennt der Gerichtshof für Recht, dass Portugal dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem freien Kapitalverkehr verstoßen hat, dass es aufgrund von „golden shares“ gewährte Sonderrechte an Portugal Telecom aufrechterhält.

Erstens sieht der Gerichtshof die Ausübung der Sonderrechte, die Portugal aufgrund der „golden shares“ an PT verliehen wurden, als Beschränkung des freien Kapitalverkehrs an.

Die Genehmigung vieler wichtiger PT betreffender Entscheidungen — wie z. B. über den Erwerb von Beteiligungen, die mehr als 10 % des Grundkapitals der Gesellschaft ausmachen, über deren Verwaltung oder die Bestimmung der allgemeinen Grundsätze der Politik hinsichtlich von Beteiligungen an anderen Gesellschaften oder Konzernen, des Erwerbs und der Veräußerung von Anteilen, wenn diese Entscheidungen der vorherigen Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen —  hängt nämlich, wie der Gerichtshof feststellt, von der Zustimmung des portugiesischen Staates ab, da diese Entscheidungen nur mit der Mehrheit der mit den Vorzugsaktien verbundenen Stimmen genehmigt werden können. Überdies ist die Mehrheit der mit den Vorzugsaktien verbundenen Stimmen insbesondere für jede Entscheidung über Änderungen der Satzung von PT erforderlich, so dass der Einfluss des portugiesischen Staates auf PT nur gemindert werden kann, wenn dieser dem selbst zustimmt.

Somit verleiht der Besitz der Vorzugsaktien Portugal eine Einflussnahme auf die Verwaltung von PT, die nicht durch den Umfang seiner Beteiligung gerechtfertigt ist und geeignet ist, Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten von Direktinvestitionen abzuhalten. Diese Wirtschaftsteilnehmer können nämlich an der Verwaltung und der Kontrolle dieser Gesellschaft nicht entsprechend dem Wert ihrer Beteiligungen mitwirken. Außerdem kann eine Ablehnung der Zustimmung des Staates zu einer für die Gesellschaft wichtigen Entscheidung den Wert ihrer Aktien belasten und damit die Aktionäre davon abhalten, Investitionen in die Gesellschaft zu tätigen.
Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass die streitige Beschränkung nicht auf der Grundlage der von Portugal angeführten Rechtfertigungsgründe zulässig ist.

Dazu weist der Gerichtshof darauf hin, dass nationale Regelungen, die den freien Kapitalverkehr beschränken, aus den im EG-Vertrag vorgesehenen Gründen (zu denen die öffentliche Sicherheit zählt) gerechtfertigt sein können, sofern sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und diesem Ziel angemessen sind.
So kann zwar das angeführte Ziel, die Sicherheit der Verfügbarkeit des Telekommunikationsnetzes im Krisen-, Kriegs- oder Terrorfall sicherzustellen, einen Grund der öffentlichen Sicherheit darstellen und eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen. Eine Berufung auf die öffentliche Sicherheit ist aber nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Insoweit stellt der Gerichtshof jedoch fest, dass Portugal diesen Rechtfertigungsgrund nur angeführt hat, ohne näher darzulegen, inwieweit eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit durch den Besitz der „golden shares“ verhindert werden könnte. Dieser Rechtfertigungsgrund liegt somit hier nicht vor.

Schließlich stellt der Gerichtshof zur Verhältnismäßigkeit der fraglichen Beschränkung fest, dass die Ausübung der Sonderrechte durch den Staat keiner Bedingung und nicht dem Vorliegen eines konkreten objektiven Umstands unterworfen ist. Denn auch wenn die Ausgabe von Vorzugsaktien nach den Rechtsvorschriften über die Privatisierung der Bedingung unterlag, dass Gründe des nationalen Interesses sie erfordern, sind doch weder im Gesetz noch in der Satzung von PT die Umstände festgelegt, unter denen diese besonderen Befugnisse ausgeübt werden können. Eine solche Unsicherheit stellt daher eine schwerwiegende Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs dar. Hierdurch wird nämlich den nationalen Behörden ein so weiter Ermessensspielraum eingeräumt, dass dieser nicht als den verfolgten Zielen angemessen angesehen werden kann.