WTO-Mitgliedschaft Russlands durch Abkommen mit der EU zum Greifen nahe

Mit der Unterzeichnung eines Abkommens beendeten heute EU-Handelskommissar Pascal Lamy und der russische Minister für Wirtschaftsentwicklung und Handel, German Gref, in Anwesenheit des Präsidenten der Europäischen Kommission, Romano Prodi, des Präsidenten der Russischen Föderation, Vladimir Putin, und des irischen Premierministers Bertie Ahern, der derzeit den Vorsitz des Europäischen Rates innehat, die Verhandlungen über den bilateralen Marktzugang im Zusammenhang mit dem Beitritt der Russischen Föderation zur WTO.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, erklärte: ?Mit dem heutigen Tag werden die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Russland weiter gefestigt. Dieser Schritt bringt Russland der WTO-Mitgliedschaft und damit seinem ihm gebührenden Platz in der internationalen Handelsfamilie näher.?

Schlüsselelemente des bilateralen Abkommens

In dem heute geschlossenen Abkommen sind die Verpflichtungen in Bezug auf den Handel mit Gütern und Dienstleistungen festgelegt, denen die Russische Föderation mit dem Beitritt zur WTO nachkommen müsste. Die durchschnittlichen Zollsätze, die Russland nicht überschreiten darf, betragen 7,6 % für gewerbliche Erzeugnisse, 11 % für Fischereierzeugnisse und 13 % für landwirtschaftliche Erzeugnisse; darüber hinaus gelten Zollkontingente für frisches und gefrorenes Fleisch und Geflügel in Höhe von rund 600 Mio. EUR pro Jahr (15 % der gesamten Ausfuhren landwirtschaftlicher Erzeugnisse der EU nach Russland).

Im Dienstleistungssektor geht Russland in mehreren Bereichen Verpflichtungen ein, dazu zählen Telekommunikation, Verkehr, Finanzdienstleistungen, Post- und Kurierwesen, Bauwesen, Vertrieb, Umwelt, Nachrichtenagenturen und Tourismus. Auch die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen und die Frage der Handelsniederlassungen wurden in Verpflichtungen geregelt.

Darüber hinaus konnten eine Reihe handelsbezogener Probleme im Bereich Energie gelöst werden, insbesondere die Frage des inländischen Erdgaspreises für gewerbliche Verwender. Gemäß der Verpflichtung muss der inländische Erdgaspreis für industrielle Verwender die Kosten, Gewinne und Investitionen für die Erschließung neuer Felder abdecken. Die inländischen Erdgaspreise für industrielle Verwender würden dann von derzeit 27-28 USD auf 37-42 USD im Jahr 2006 und auf 49-57 USD im Jahr 2010 angehoben. Diese Preisentwicklung steht auch im Einklang mit Russlands Energiestrategie.

Die Erhöhung der inländischen Energiepreise wird zu einer effizienteren Nutzung der Energieressourcen in Russland und somit auch zur Förderung der umweltpolitischen Ziele von Kyoto beitragen.

Auch in der Frage der Gebühren, die europäische Fluggesellschaften derzeit zum Überfliegen Sibiriens entrichten müssen, konnte eine Einigung erzielt werden. Dieses System wird bis spätestens 2013 reformiert, um es kostenorientiert, transparent und nicht diskriminierend zu gestalten.

Mit dem Beitritt zur WTO würde Russland in ein internationales regelbasiertes Handelssystem eingebunden. Dies würde nicht nur zu mehr Offenheit, Transparenz und Vorhersagbarkeit und somit zur Attraktivität Russlands für ausländische Investoren beitragen, sondern auch Grundlagen für eine verbesserte ?economic governance? schaffen.

WTO-Beitrittsprozess

Nach dem Antrag Russlands auf eine WTO-Mitgliedschaft im Jahr 1993 wurde am 16. Juni 1993 die WTO-Arbeitsgruppe zum Beitritt der Russischen Föderation eingesetzt. Im Jahr 2003 wurde ein beschleunigtes Arbeitsprogramm der Arbeitsgruppe aufgelegt, in dem eine Reihe systemischer Fragen im Zusammenhang mit dem Handelsregime Russlands, u. a. bezüglich der Zollverfahren, der technischen Vorschriften und der Rechte an geistigem Eigentum behandelt wurden. An diesem Programm, das auf multilateraler Ebene durchgeführt wird, sind alle WTO-Partner beteiligt. Die nächste Sitzung der Arbeitsgruppe findet im Juli 2004 statt.

Im Rahmen des WTO-Beitrittsprozesses handelt Russland Abkommen über den bilateralen Marktzugang mit allen interessierten WTO-Mitgliedern aus. Das bilaterale Abkommen mit der EU ? dem größten Handelspartner Russlands ? ist für Russland ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur WTO-Mitgliedschaft. Russland führt derzeit Verhandlungen mit den USA, Japan, China, Kanada und Australien.

Sobald diese bilateralen Verhandlungen abgeschlossen und alle Fragen bezüglich des Handelsregimes Russlands geklärt sind, legt die Arbeitsgruppe die Beitrittsbedingungen in einem Bericht mit Beitrittsprotokoll fest, in dem die Verpflichtungen hinsichtlich des Marktzugangs der Russischen Föderation (Listen mit Zollsätzen und Dienstleistungen) niedergelegt sind.

Hintergrund: Handelsbeziehungen EU-Russland

Die ohnehin sehr guten Handelsbeziehungen zwischen der EU und Russland haben sich im Zuge der EU-Erweiterung weiter vertieft. Die EU ist mit einem Anteil von mehr als 50 % am gesamten Handelsvolumen Russlands größter Handelspartner. Russland ist mit einem Anteil von rund 5 % am gesamten Handelsvolumen der EU nach den USA, der Schweiz, China und Japan ihr fünftwichtigster Handelspartner.

Im Jahr 2003 belief sich das gesamte Handelsvolumen für gewerbliche Erzeugnisse der erweiterten EU mit Russland auf 92 Mrd. EUR. Im bilateralen Handel nutzen beide Handelspartner ihre komparativen Vorteile: Die Ausfuhren Russlands in die EU beschränken sich hauptsächlich auf Erdöl und Rohstoffe, während die EU vorrangig Kapital und fertige gewerbliche Erzeugnisse sowie Verbrauchsgüter einführt. Russland deckt derzeit 20 % des Bedarfs der EU an importiertem Erdöl. Ein bedeutender Anteil der auf den Gemeinschaftsmarkt eingeführten russischen Waren fällt unter das Allgemeine Präferenzsystem (APS) der EU, durch das die Einfuhrzölle niedriger sind als nach der Meistbegünstigungsklausel.

Die EU ist ebenfalls Russlands wichtigster Partner in Sachen Technologie, Know-how und Investitionen. Der Handel mit Dienstleistungen, der im Jahr 2002 rund 10 Mrd. EUR ausmachte, d. h. weniger als 2 % des gesamten Handelsvolumens der EU in diesem Bereich, birgt ein hohes Potenzial, und der dynamische Dienstleistungssektor wird künftig zweifelsohne eine zunehmend wichtige Rolle in den Handelsbeziehungen spielen.

Was die ausländischen Direktinvestitionen in Russland betrifft, so stehen die Unternehmen aus den EU-Mitgliedstaaten auch hier an erster Stelle. Bisher agieren die europäischen Investoren jedoch verhalten und bleiben mit 2,2 Mrd. EUR weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der EU und Russland sind in dem Partnerschafts- und Kooperationsabkommen geregelt, das im Jahr 1994 unterzeichnet wurde und am 1. Dezember 1997 in Kraft trat. Im Rahmen dieses Abkommens genießt Russland den Status der meistbegünstigten Nation, was bedeutet, dass außer für die Ausfuhren bestimmter Stahlerzeugnisse (die nur etwa 4 % des bilateralen Handels ausmachen) keinerlei Mengenbeschränkungen gelten. Am 27. April stimmte Russland einer Ausweitung des Abkommens auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten ab dem 1. Mai 2004 zu. Gleichzeitig einigten sich die EU und Russland auf eine gemeinsame Stellungnahme, in der den Bedenken Russlands hinsichtlich der EU-Erweiterung, insbesondere in Bezug auf Zölle, Stahl, Handelsschutz, Landwirtschaft und den Veterinärbereich, Energie und Transit der Waren von/nach Kaliningrad Rechnung getragen wurde.

Mit der EU-Erweiterung wird der Zugang russischer Unternehmen zu den Märkten der zehn neuen EU-Mitgliedstaaten erleichtert und erweitert. Russland befindet sich in einer guten Position, um von den Möglichkeiten, die die EU-Erweiterung bietet, zu profitieren.

Vor diesem Hintergrund ist auch ein Gemeinsamer Wirtschaftsraum geplant, mit dem Russland in Europa verankert und in den vollen Genuss der Vorteile aus der neuesten EU-Erweiterung kommen würde. Auf dem EU-Russland-Gipfel im Mai 2001 wurden die Gespräche über den Gemeinsamen Wirtschaftsraum in Gang gebracht. Ziel dieser Initiative, die im Wesentlichen alle Handels- und Wirtschaftsfragen abdeckt, ist die Abschaffung der Handelsgrenzen zwischen der EU und Russland, die hauptsächlich durch eine Angleichung der Vorschriften erreicht werden soll. Auf diese Weise könnten die Wirtschaftsbeteiligten in einer Reihe von Bereichen in der gesamten erweiterten EU und in Russland, d. h. auf einem Markt mit rund 600 Millionen Verbrauchern, nach gemeinsamen Regeln agieren.

Auf dem EU-Russland-Gipfel am 21. Mai 2004 ging es zum einen um die nächsten Schritte, die zur Förderung der vier auf dem EU-Russland-Gipfel in Sankt Petersburg im Mai 2003 vereinbarten Bereiche unternommen werden müssen und zum anderen um die Notwendigkeit, sich in den kommenden Monaten auf einen Aktionsplan zur Umsetzung des Gemeinsamen Wirtschaftsraums zu einigen.

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