Lex Google ohne Google

Bei dem sogenannten Leistungsschutzrecht für Presseverlage geht es darum, ob Presseverlage ein eigenes Recht haben sollen, anderen Anbietern die Nutzung von Teilen des Presseerzeugnisses, insbesondere Texte, zu verbieten. Der erste Entwurf war noch an alle potentiellen gewerblichen Anbieter gerichtet. Der zweite Entwurf beschränkte sich im Prinzip auf Internet-Suchmaschinen und automatische Nachrichtensammler. Damit sollte — so die Begründung — den Presseverlagen die Möglichkeit verschafft werden, Lizenzgebühren für die gewerbliche Nutzung der Leistungen der Presseverlage verlangen zu können.

Die Regierungskoalition hat sich in eder letzten Änderung auf einen Kompromiss zum Leistungsschutzrecht geeinigt. Demnach sollen einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte, auch wenn sie in einem Presseerzeugnis erschienen sind, nun doch wieder zu gewerblichen Zwecken von Dritten öffentlich zugänglich gemacht werden dürfen. Während der ursprüngliche Vorschlag die Übernahme auch der kleinsten Teile verboten wollte und eigentlich nur als grober Unfug zu bezeichnen war, hat man sich jetzt offenbar auf eine Art mutiertes Mini-Urheber-Verleger-Recht geeinigt, eine Lex Google ohne Google.

Mit dem neuen Entwurf will man wohl nur noch etwas verbieten, was vorher eigentlich auch schon verboten war. In der Begründung wird nicht mehr auf die ,,Metall auf Metall“-Entscheidung des BGH Bezug genommen, sondern auf die Rechtsprechung zu den Vorschaubildern (hier: I und II). In den zuletzgenannten Urteilen hat der BGH entschieden, dass ,,ein Urheber, der eine Abbildung eines urheberrechtlich geschützten Werkes ins Internet einstellt, ohne technisch mögliche Vorkehrungen gegen ein Auffinden und Anzeigen dieser Abbildung durch Suchmaschinen zu treffen, durch schlüssiges Verhalten seine (schlichte) Einwilligung in eine Wiedergabe der Abbildung als Vorschaubild und ein dadurch bewirktes öffentliches Zugänglichmachen des abgebildeten Werkes durch eine Suchmaschine erklärt.“ Dies würde nicht nur für die (urheberrechtlichen) Lichtbildwerke, sondern auch für die (leistungsschutzrechtlichen) Lichtbilder (und auch für — insoweit aber nicht entscheidungsrelevant — Texte) gelten. Die Anbieter wurden vom BGH darauf verwiesen, technisch mögliche Vorkehrungen gegen ein Auffinden und Anzeigen, zu ergreifen. Die Bezugnahme auf diese Urteile kann so gedeutet werden, dass mit der Neuregelung verboten wird, was vorher auch schon verboten war, während erlaubt bleibt, was bislang erlaubt war.

Aber was  genau verboten werden soll, das konnten auch die Verfasser der Regelung nicht klären. Was ist beispielsweise der Unterschied zwischen kleinste und kleine Textausschnitte? Vom rein grammatikalischen Verständnis aus gesehen sind ,,kleinste Textausschnitte“ jedenfalls kleiner — also weniger — als einzelne Worte, denn es handelt sich um den Superlativ: Der ,,kleinste Textausschnitt“ ist — rein mengenmäßig gesehen — ein Buchstabe oder ein Satzzeichen, es sei denn, man liest noch eine gewisse Verständlichkeit hinein. Die Äußerungen hierzu erinnern ein wenig an das Fair-Use-Verständnis, das auf Einzelfall abstellt (welcher andere Maßstab hier angewandt werden soll, bleibt völlig im Dunkeln). Besonders sicher ist das alles nicht, denn einerseits wurde gerade kein konkretes Maß in das Gesetz aufgenommen, andererseits ist das Verbot an die Suchmaschinen und andere Aggregatoren adressiert, und Suchmaschinen agieren mechanisch, können etwa eine bestimmte Zeichenanzahl oder einen gewissen Prozentsatz vom Gesamttext übernehmen, aber nur sehr unzureichend auf der Grundlage kognitiver Regeln (auch diese Regeln müssen programmiert werden) das Ausmaß der zulässigen Übernahme bestimmen.

Nach der neuen Version konkurrieren nunmehr aber zugleich der Urheber und der Verleger (weil sie jetzt ja beide ,,Rechte“ haben), während vorher (im gesetzlichen Normfall) allein der Urheber Berechtigter war. Ein simples Beispiel: Es gibt jemanden, der unter den Tatbestand der Neuregelung fällt und bereit ist, eine Lizenzgebühr zu bezahlen (etwa 200 Euro). Vorher musste er sich im Zweifel (im gesetzlichen Normfall) nur mit dem Autor einigen, nun wohl zusätzlich noch mit dem Verleger. Zumindest auf den ersten Blick scheint die Neuregelung sich darauf zu beschränken. Die ersten Verlierer stehen damit zumindest fest: Die Urheber, vor allem also die freien Journalisten.

Nur noch Fragen
Allseits nur noch offene Fragen

Dass das manche Journalisten, die vorher noch für die Gesetzesänderung plädiert haben, inzwischen nicht mehr witzig finden, kann man verstehen. Den Zweck dieser Variante neben oder zusätzlich zu dem Verbot im Urheberrecht (der EuGH hat bereits entschieden, dass einzelne Wörter gemeinfrei seien) haben bislang allerdings weder die Papier- noch die Netzgemeinde und auch nicht die Politiker so recht darlegen können. Wie auf dieser Grundlage neuartige Geschäftsmodelle entstehen können, steht in den Sternen, denn vorher waren die nämlichen Möglichkeiten bereits da — nur nicht zwingend mit den Verlegern als zusätzlichen Rechtsinhabern. Und dass die Verleger ohne Zustimmung der jeweils (noch berechtigten) Autoren Lizenzen vergeben können, kann wohl nicht der Zweck der Gesetzesänderung sein. Ein solcher Effekt käme einer versteckten cessio legis gleich. Aber so ganz klar ist das in dem Gesetz nicht, denn die Verleger erhalten ein eigenes ,,ausschließliches Recht“, das unabhängig von den Autoren ist.

Nun gut, die Verleger haben gezeigt, dass  die Steuergesetzgebung erhebliche Schwächen hat (Google zahlt zu wenig Steuern), dass Marktmacht problematisch ist (Google hat Marktmacht), dass Google angeblich die Suchergebnisse falsch sortiert (manipuliert) oder dass der — vom Patentrecht in den Vordergrund gestellte —  technische Fortschritt unter Umständen (wenn  durch die kapitalintensivere oder technisch Produktion der Faktoreinsatz Arbeit in erheblichem Umfang durch Kapital substituiert wird)  nur dann sozial verträglich ist, wenn es auch ein funktionierendes Sozialsystem gibt. Aber muss man dann nicht — anstelle neuer Monopole, die eigentlich immer nur den führenden Unternehmen der mit dem Ausschließlichkeitsrecht bedachten Gruppe helfen —  die Steuergesetze ändern oder beispielsweise das Kartellrecht konsequenter anwenden?

Der Großteil der vielfach geäußerten Bedenken wurde mit der neuen Variante zudem nicht ausgeräumt, sondern allenfalls die Wirkung des geplanten Gesetzes minimiert: Im Dunklen bleibt vor allem die Frage, wieso die Verleger überhaupt  ein originäres Ausschließlichkeitsrecht erhalten.  Wenn die eine Seite etwas fordert (Verleger), was die andere Seite (Google) ablehnt, und man dann einen Kompromiss der streitenden Interessenten herbeiführt, mag dieser Vorgang das Ergebnis für die streitenden Parteien  legitimieren, aber noch kein allgemein gültiges Gesetz. Wieso also ein originäres Ausschließlichkeitsrecht für  die Presseverleger, wenn das weitgehend deckungsgleiche Recht den Urhebern zusteht? Jahrzehntelang wurde jedenfalls die Meinung, der Verleger würde mit der Veröffentlichung eines Textes  ein originäres Verlagseigentum erwerben, als Irrweg bekämpft. Das ändert sich nun offenbar Schritt für Schritt. Die Wiedereinführung des Verlagseigentums ist also wahrscheinlich auch nur noch eine Frage der Zeit.

Tatsächlich galt aber auch für das Urheberrecht von Anbeginn an das Primat der Wirtschaft. Und diese Vorgänge sind typisch für Marktwirtschaft: Solange in einem Markt überdurchschnittliche Gewinne erwirtschaftet werden, besteht ein Anreiz für Unternehmer, sich dort zu engagieren, um an den Gewinnen zu partizipieren. Mit dem Auftreten von immer mehr Konkurrenten beginnt die Einschränkung des freien Zugangs zu den ökonomisch nutzbaren Möglichkeiten auf einem ursprünglich freien Betätigungsfeld. Der Wettbewerb um ökonomische Chancen führt mit wachsender Zahl der Konkurrenten im Verhältnis zum geringer wachsenden Erwerbsspielraum zu dem Interesse, die Konkurrenz irgendwie einzuschränken, weil eine Überproduktion vorliegt oder vorhandene Produktionskapazitäten nicht wünschenswert ausgeschöpft werden. Sobald das betroffene Marktsegment ,,reifer“ wird, sinken die Gewinne und die Verteilungskämpfe setzen ein. Dieses Interesse an der Beherrschung des Marktes führt letztlich oft zu einer teilweisen oder vollständigen Monopolisierung der Erwerbschancen, wobei die Abgrenzung und Legitimation des Monopols stets ein Kampf der Unternehmen untereinander ist. Über lange Zeit genügen zumeist aber zwei natürliche Markteintrittsschranken: fallende Stückkosten und der ganz erhebliche Kapitalaufwand. Beide Markteintrittsschranken zeitigen aber gerade in den neuen Bereichen noch keine Wirkung.

Wir haben in diesem wunderbaren — selten so in der Öffentlichkeit  ausgetragenen —  Schauspiel der Beeinflussung der Gesetzgebung außerdem gelernt, dass man lange über eine Sache sprechen und dann die ganzen Diskussion für obsolet erklären kann, um  eine völlig andere Regelung zu erlassen, über die im Prinzip nie ernsthaft diskutiert wurde:  Die Verleger haben — zu Recht oder nicht, das lassen wir einmal offen —  Stimmung gegen Google gemacht, allerlei Wahrheiten, Halbwahrheiten und Erfundenes über Google verbreitet. Es wurde mindestens die gleiche Textmenge  wie in Tolstois ,,Krieg und Frieden“ allein über die robots.txt-Datei geschrieben. Der erste Entwurf des Gesetzes wurde angepasst und ziemlich genau auf Google zugeschnitten, indem nur noch die Aggregatoren unmittelbar angesprochen werden: Es wurde sozusagen in den Gesetzestext geschrieben: Die Methode der Darstellung, wie sie bei der Google-Suche oder bei Google-News stattfindet, wird bei Erzeugnissen der Presse verboten. Es wurden Sachverständige zu den Suchmaschinen angehört, Gutachten zu den Suchmaschinen eingeholt und eigentlich nur über Google und das Verhältnis zu den Presseverlegern gesprochen, geschrieben, getwittert, diskutiert, gebloggt, gepostet, demonstriert oder was auch immer die Papier- und die Netzgemeinde heutzutage tut. Dann wird weiter verhandelt und schließlich wird das sogenannte ,,Lex Google“ leicht verändert auf den Weg gebracht: Die Methode der Darstellung, wie sie bei der Google-Suche oder bei Google-News stattfindet, wird bei Erzeugnissen der Presse verboten, es sei denn, es handelt sich um die Methode von Google.

Nur noch Fragen
Allseits nur noch offene Fragen

2 Gedanken zu „Lex Google ohne Google“

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