Reformation der Handwerksinnungen

Auszug aus Die Geschichte des Kurfürsten August von Sachsen in volkswirtschaftlicher Beziehung (1868) von Johannes Falke, der seit 1864 Archivar am Hauptstaatsarchiv in Dresden war.


Während der Regierung dieses Kurfürsten [August von Sachsen] hatte sich eine allgemeine Preissteigerung für die Producte der Land- und Forstwirthschaft sowohl wie des Bergbaus festgestellt, welche zur Folge hatte, dass auch die Handwerker ihre Erzeugnisse im Preise zu heben suchten. Als nach Ueberwindung der grossen Theurung zu Ende des sechsten und in den ersten Jahren des siebenten Jahrzehnts ein Abschlag der Getreidepreise eintrat, so dass dasselbe nach dem allgemeinen Zeugniss im Jahre 1578, »einige Jahre seither in gelindem und ziemlichem Preis« gestanden, erschienen die Preise in allen übrigen Zweigen der Volkswirthschaft, da sie nicht von der eingenommenen Höhe weichen wollten, in einem auffallenden Misverhältniss zu jenen. Mit dem Volk hatte auch die Regierung die Ueberzeugung, dass nach den Getreidepreisen sich auch alle übrigen richten und mit ihnen eben so schnell steigen wie fallen müssten, und schrieb deshalb das Stehenbleiben der gesteigerten Preise in den Handwerken bei fallendem Getreidepreis allein dem Eigennutz und der Habsucht der Producenten zu. Um diese Verhältnisse gründlich zu erforschen und die allgemeinen Preisverhältnisse mit denen des Getreides wieder in Uebereinstimmung zu bringen, beauftragte im Sommer 1578 der Kurfürst seine Räthe, von den Innungen zu Dresden schriftlichen Bericht über die Preisverhältnisse und deren Ursachen in jedem Handwerk besonders zu erfordern und dann solche Berichte zu einem Gesammtbericht zusammenzustellen.

Lucas Cranach: Kurfürst August v. Sachsen
August von Sachsen (Lucas Cranach d. J., um 1550, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden)

Alle stimmten darin überein, dass das Getreide seither in billigem und erträglichem Preise stehe, dass aber alle übrigen Producte, insbesondre alle Arbeitsstoffe der Handwerke um das Doppelte, manche um das Dreifache seit 20–30 Jahren gestiegen seien. Dagegen wollte fast keine Innung die Preissteigerung ihrer Arbeitsergebnisse zugestehen, manche vielmehr einen Preisabschlag derselben gegen früher behaupten. Das Tuchmacherwerk berichtete, früher habe man den Stein Landwolle für 36 gr., 3 fl. oder 2 Thlr. gekauft, jetzt zahle man 1 ? 4 gr. bis 3 Thlr., und dabei wolle jeder Verkäufer sogleich bar bezahlt sein, den Stein Schmeer früher für 1 Thlr. oder 30 gr., jetzt 56–60 gr., den Kübel Weid früher für 10–12 fl., jetzt 25–28 fl., den Centner Gallnüsse früher für 12–15 fl., jetzt 26–32 f., den Centner Röthe früher für 4 fl., jetzt 81/2 fl.; auch Alaun und Weinstein, Schmalz, Honig, Weidasche, so wie alle zu Markt kommenden Waaren seien jetzt fast noch einmal so theuer wie früher, so dass von den 22 Handwerksmeistern 11 die Arbeit ganz hätten einstellen müssen.

Die Fleischhauer klagten, dass sie in Polen, Pommern, Schlesien, Böhmen und Lausitz, woher sie ihr Schlachtvieh holten, seit 30 Jahren mit unerhörten Zöllen beschwert seien; von einem Ochsen müssten sie in Oppeln 5 gr. und darnach in allen Städten und Dörfern bis eine Meile vor Dresden 4, 3 und 1 pf. zahlen, und in ähnlicher Weise von Schöpsen und Schafen. Vor 20 Jahren kostete ein Paar der besten Ochsen 16–18 fl., jetzt 32–40 fl., Kälber jetzt die geringsten 1 fl., ein dippoldiswaldisches Kalb aber 2-2-1/2 Thlr.; dennoch müssten sie jedes Kalbfleisch das Pfd. um 5 pf. geben und hätten auf ihre oft wiederholte Bitte, das Pfd. des bessern um 1 pf. theurer verkaufen zu dürfen, noch nie eine Antwort bekommen. Früher hätten ein Paar Schöpse zu Schwiebus und Grossglogau 1 fl. gekostet, jetzt kosteten sie über 2 Thlr. ohne die Zölle, ein Paar Schafe früher 12–18 gr., jetzt 26–30 gr., Lämmer früher 10–12 gr., jetzt 18–24 gr. Auch klagten sie, dass die Fremden und Landschlächter im Herbst, wenn das Vieh billiger sei, den Markt zu Dresden mit Fleisch überführten, um Johannis bei Theuerung der Viehpreise aber ihnen allein die Versorgung der Stadt überliessen. Dabei fehle es in Dresden an einer Viehweise, so dass, wenn sie nur 100 Ochsen in Vorrath komme liessen, jeder derselben in wenigen Wochen um 3–4 fl. schlechter geworden sei, während die Schlächter zu Leipzig für mehr als 1000 Ochsen vom Rath Weise hätten. In allen umliegenden Städten gäbe man das Rindfleisch das Pfd. für 9 pf., während sie nur 8 pf. nehmen dürften, und desshalb bei allen Ochsenhändlern in Spott und Verachtung gerathen seien.

Ochsenzubereitung bei der Krönung von Maximillian II. (1562)
Ochsenbraten bei der Krönung von Maximillian II.

Die Schuster meinten, früher habe Ochsenleder 1-1/2 Thlr. gekostet, jetzt koste es 3 Thlr., Kuhleder früher 30 gr., jetzt 60 gr., ein Kalbfell früher 4–5 gr., jetzt 18 gr., ein Stein Hanf früher 20 gr., jetzt zwei alte ?. (40 gr.); in demselben Masse sei alles Uebrige, was sie zum Handwerk brauchten, im Preise gestiegen, weil die Gerber von Bautzen, Görlitz, Zittau alle Felle und Leder rings um Dresden aufkauften und in die Sechsstädte und nach Schlesien führten. Ebenso klagten die Lohgerber über den Vorkauf und Wucher im Handel mit Fellen und Leder, die Bäcker über die Platz- und Kuchenbäcker, welche letzteren an allen Thoren und Thüren und auf allen Plätzen zu Dresden sitzen dürften, über die Böhmen und die Bäcker von Siebenlehn, die ungestört Brod hereinbrächten und Korn aufkauften; während kein andere Handwerk Störer leide, habe das Bäckerhandwerk zu Dresden am meisten davon zu leiden. Die Büttner und Tischler klagten über die Theurung des Holzes; früher habe eine Eiche in der dresdnerischen Heide 15 gr. gekostet, jetzt koste sie 2 Thlr., die Fuhre von daher früher 5 gr., jetzt 1 Thlr., ein Schock Fassholz an der Elbe früher 6 gr., jetzt 15–16 gr., eine Tanne früher 8, jetzt 18 gr., ein Stein Leim früher 15–18 gr., jetzt 2 fl. 6 gr.

Leipziger Jungfrau Jost Amman
Leipziger Jungfrau von Jost Amman aus: Im Frauenzimmer wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen und Trachten etc. (1586)

Die Schneider meinten, dass, während die Arbeit an einem Kleide wegen vermehrter Stickerei schwerer und langwieriger geworden sei, sie doch schlechter bezahlt werden als früher, denn sie erhielten auch jetzt für ein solche Kleid nur 1 Thlr. bis 30 gr.; auch sei der Hauszins von 6–7 fl. auf 15–18 fl. gestiegen. — Die Hutmacher klagten über die Steigerung der Wolle von 1-1/2 fl. auf 3 Thlr., der Karden, des Leims, des Hauszinses von 5–6 fl. auf 10–12 fl.; vor 16 Jahren habe ein Geselle in der Woche 6 braunschweigsche Hüte gemacht, deren jeder für 12–14 gr. verkauft wurde, jetzt mache er zwei aus der besten Wolle und gelte jeder nur 1 fl. oder 1 Thlr., doch dem Bauersmann müssten sie die Hut immer noch um den alten Preis geben. — Die Weissgerber, Sattler, Beutler, Buchbinder klagten über die Steigerung der Felle und des Leders; das Hundert weisser Leder sei von 10 fl. auf 21 fl. gestiegen, Schaffelle von 20 auf 28 fl., Kalbfelle von 20 auf 35 Thlr., Bocksleder von 35 auf 50–55 Thlr., Schweinsleder das Buschel von 30 gr. auf 3 Thlr. — Auch werden, meinten die Buchbinder, ein Buch zu binden nicht mehr bezahlt als früher, und sei jetzt nichts unwerther und verächtlicher als die Bücher und der Handel mit denselben durch Hausirer verdorben. — Die Huf-, Messer- und Nagelschmiede, die Schwertfeger, Sporer, Büchsen- und Uhrmacher klagten über die Steigerung eines Steins Eisen von 5 und 5-1/2 gr. auf 8 gr. 8 pf., eines Pfundes Stahl von 8 pf. auf 18–20 pf., eines Kübels Holzkohlen von 8 pf. auf 3 gr., der Tonne Steinkohlen von 1-1/2 gr. auf 3-1/2 gr., eines Schragens (3 Klafter) Holz von 2 Thlr. auf 6 fl. Den Kupferschmieden war der Ctn. Kupfer von 10 auf 15 fl. gesteigert, den Fischern ein Paar Wasserstiefeln von 1 auf 3 fl., ein Kahn von 1-1/2 Thlr auf 4 Thlr., den Maurern dagegen der Wochenlohn von 30 gr. auf 18 gr. gesunken.

Saxonia Superioris Lusatiae
Schlesien, die Lausitzen und Sachsen im 17. Jahrhundert, Karte von Gerhard Mercator und Henricus Hondius

Der Kurfürst kam bald zu der Ueberzeugung, dass auf Grundlage dieser Berichte keine neue Ordnung zu machen sei, und befahl desshalb am 12. Septbr. 1578, durch die Innungsmeister aus jedem Handwerk zwei Meister wählen zu lassen, die bei Eid und Pflicht eine Satzung machen sollten, wie jede Arbeit zu geben und zu verlohnen sei. Am 18. Septbr. mussten sämmtliche Handwerksmeister schwören, dass die aller Steigerung der Waaren in ihrem Handwerk vorkommen, alle Arbeit zu billigem Preis geben und, so oft sie erfordert würden. mit Rath und That zur Aufrichtung guter Ordnung helfen und die übertheuerten Waaren nach billigem Werth schätzen wollten. Zugleich mussten die Innungen für alle ihre Arbeitserzeugnisse Taxen aufsetzen, welche aber sämmtlich vom Kurfürsten als zu hoch gegriffen verworfen wurden, worauf er dann am 9. Octob. 1578 an den Rath von Dresden ein Rescript folgenden Inhalts erliess: Obwohl die Materia, welche die Handwerker gebrauchen, etwas mehr als vor Alters gestiegen sei, sei es doch nicht so hoch, dass sie eine solche übermässige Steigerung zu machen Ursache hätten, auch sei das Getreide eine gute Zeit her in ziemlichem Kauf gewesen. Sie sollten desshalb forthin alle Artikel über Ordnung und gute Zucht einhalten, die unvermögenden Lehrjungen ohne Lehrgeld gelehrt werden, doch dafür etwa länger dienen, und keine Morgensprachen ohne Beisein eines vom Rathe mehr gehalten werden. Weil aber eine gewisse Taxe aller Arbeit eigentlich nicht angestellt werden könne und die übergebenen alle zu hoch seien, so sollte dieselbe in der Geschwornen Pflicht gestellt werden. Darauf folgten Antworten und Verordnungen auf die Beschwerden der einzelnen Zünfte, z. B. Schreiben an die Räthe von Leipzig und Naumburg wegen Abstellung des Betrugs im Pelzhandel, an eine Anzahl Nachbarstädte wegen Gleichstellung ihrer Fleischtaxe mit der zu Dresden. Die Handwerker, welche bestellte Arbeiten in der versprochenen Zeit nicht fertigten, sollten gestraft, die Strafe der Bäcker, nach welcher sie für jedes am Bridgewicht fehlende Loth 5 gr. zu zahlen hatten, geschärft, und auch die Kornhändler, welche den armen Bäckern Korn und Weizen auf Borg theuer aufhängen würden, gestraft werden. Die Schuster, Gerber, Tuchmacher, Kürschner, Leinweber und andre wurden getadelt, weil die die Waaren theurer gäben, als von Alters, die Maurer und Ziegeldecker, weil sie sich mit dem geordneten Lohn nicht begnügten und für einen Lehrjungen so viel Lohn ansetzten wie für einen Gesellschen. Alle vierzehn Tage sollte eine Schau der Schuhe und Stiefeln, der gegerbten Leder, Tuche, Felle, Leinwand u. a. Waaren gehalten und wenn die Mängel nicht abgeschafft würden, durch unverdächtige Personen eine Probe des Handwerks angestellt und darnach der Steigerung gesteuert werden. Eine solche Handwerksprobe wurde auch wirklich zu Anfang des folgenden Jahres gegen die Schuhmacher ausgeführt. Die beiden zu Hof geschworenen Schuhmachermeister mussten nehmlich eine Rindshaut, zwei Kuhleder, Kalbs- und Schaffelle mit allem Zubehör kaufen und dieselben in Gegenwart von zwei Rathsherren und drei anderen Meistern des Handwerks zu Manns-, Frauen-, Knaben- und Mädchenschuhen, zusammen 26 Paar, zerschneiden und diese Schuhe durch fünf Schuhknechte gegen einen Tagelohn von 8 pf. für jeden und entsprechender Kost fertigen lassen. So kamen die Schuhe zusammen auf 10 fl. 20 gr., nach Abzug des übrig gebliebenen Materials auf 10 fl. 3 pf., im Durchschnitt aber jedes Paar Schuhe auf 8 gr. 4 pf. 1-3/13 h. Als nun aber auf Befehl des Raths die geschworenen und ältesten Meister des Handwerks, ohne die Rechnung de beiden Meister zu kennen, die Schuhe bei Eid und Pflicht schätzen sollten, taxierten die die 26 Paar Schuhe zusammen auf 7 fl. 14 gr. 3 pf., als ein Paar Mannsschuhe zu 7 gr. bis 7 gr. 6 pf., ein Paar Frauenschuhe zu 5 gr. bis 5 gr. 6 pf., ein Paar Knabenschuhe 5 gr. bis 5 gr. 6 pf. und das Paar Mägdeschuhe zu 3 gr. 3 pr., demnach hatte man, so wurde geschlossen, 2 fl. 14 gr. 9 pf. mehr auf die Schuhe verwandt, als sie werth waren. Und noch dazu waren diese Schuhe nach der von der Innung aufgestellten, vom Kurfürsten verworfenen Taxe geschätzt, ein Beweis also, dass, da jene Arbeitern nach allgemeinem Brauche verlohnt und verköstigt wurden und eben so viel arbeiten mussten wie andre, eine Preissteigerung innerhalb dieses Handwerks durchaus gerechtfertigt war.


Aus Johannes Falke: Die Geschichte des Kurfürsten August von Sachsen in volkswirthschaftlicher Beziehung, Lepzig: 1868.

Die Preisfrage ist nun: Wer hat in diesem verwirrenden Zahlenspiel verloren?

Gustav von Schmoller hat dies 1896 bündig beantwortet: „Die komplizierte Wochenmarkts- und Vorkaufsgesetzgebung ist in Summa nichts als ein raffiniertes System, Angebot und Nachfrage zwischen kaufendem Städter und verkaufendem Landmann so zu gestalten, daß der erstere in möglichst günstiger, der letztere in möglichst ungünstiger Position beim Konkurrenzlaufe sich befinde.“

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