Der Abgeordnete Dr. Braun hat das Wort

Aus gegebenem Anlass wollen wir auf die kürzlich (? — sie hinterlässt jedenfalls einen durchaus aktuellen Eindruck) gehaltene Rede des Abgeordneten Karl Braun zum neuen Urheberrecht hinweisen:


Abgeordneter Dr. Braun (Wiesbaden): Herr Präsident!

Ich habe mir das Wort erbeten, weil ich schwere Bedenken gegen den vorliegenden Gesetzentwurf habe, sowohl bezüglich des Inhalts als auch bezüglich der Form Bedenken, die so schwer sind, daß ich zweifle, ob es uns, wenn wir die Generaldiskussion beendigt haben, in dem gegenwärtigen Augenblicke schon möglich sein wird, in die Specialdiskussion einzutreten; denn es handelt sich um große Principienfragen und außerdem noch um eine Menge wichtiger Detailfragen.

[…]

Es ist richtig, unsere Bundesverfassung spricht von ,,geistigem Eigenthum“, aber man würde Unrecht thun, wenn man aus diesem Ausdruck eine bestimmte Schlußfolgerung, eine bestimmte Verpflichtung, eine Vinkulierung für unsere Berathungen ableiten wollte. Die Bundesverfassung beschränkt sich darauf, das Gebiet des sogenannten ,,geistigen Eigenthums“ zur Kompetenz der Bundesverfassung zu reklamieren; was aber die Bundesgesetzgebungsfaktoren damit machen wollen, darin haben sie vollständig freie Hand. Es verhält sich das ebenso mit der Patentgesetzgebung. Auch diese unterliegt unserer Kompetenz; wenn wir morgen an die Patentgesetzgebung gehen, so sind wir durch die Bundesverfassung nicht vinkuliert, die Patente aufrecht zu erhalten, sondern wir können ebenso gut kraft unserer gesetzgebenden Gewalt ihre Abschaffung beschließen. Ebensowenig bindet uns der Ausdruck ,,Eigenthum“. Wir sind ja Alle, vielleicht mehr oder weniger, darin einig, daß das Eigenthum heilig ist

(Heiterkeit)

und es wird daher Jeder von uns mehr oder weniger schwere Bedenken haben, sich einer Verletzung des Eigenthums auf dem Wege der Gesetzgebung schuldig zu machen; aber daß dasjenige Monopol, welches die Gesetzgebung bisher den Autoren und unter Umständen den Verlegern zugesprochen hat, ein Eigenthumsrecht oder ein Ausfluß eines Eigenthumsrechts oder auch nur etwa dem entfernt Verwandtes sei, das behauptet heute von unseren Rechtslehrern Niemand mehr; sie geben zu, daß es nicht ein aus unabänderlichen Rechtsgrundsätzen gerechtfertigter Ausfluß des Eigenthums sei, gegen das man so wenig verstoßen kann, als man durch das Gesetz z. B. vorschreiben kann, daß einem unschuldigen Menschen der Kopf heruntergeschlagen wird; sie geben vielmehr Alle zu, daß es sich um ein Verbietungsrecht handelt, welches sich stützt auf Utilitätsgründe. Wir haben also zu untersuchen, ob überhaupt Utilitätsgründe für ein solches Verbietungsrecht vorliegen, und ob diese Utilitätsgründe so weit reichen, so exorbitant weitgehende Vorschriften rechtfertigen, wie sie der gegenwärtige Gesetzesentwurf enthält.

,,Eigenthum an einer Idee!“ Ja, meine Herren, was ist das?  So lange ich meine Idee für mich behalte, bin ich ganz unzweifelhaft ihr Eigenthümer; aber ich habe sehr große Zweifel, ob eine heruntergeschluckte Idee überhaupt eine Idee ist, sie ist es vielleicht so wenig wie ein unaufgeschlossenes Bergwerk ein Werthobjekt ist; da weiß man auch nicht, was darin enthalten ist. Sobald ich aber meine Idee mittheile, ich will nicht sagen auf dem Wege der Schrift oder des Druckes, sondern nur auf dem Wege der mündlichen Unterhaltung, so entäußere ich mich selbst dieser Idee und mache sie zu einem Gemeingut derjenigen, welchen ich sie mittheile, ohne dieselben irgendwie zu verpflichten, diese Idee nicht weiter fortzupflanzen. Ich glaube also nicht an ein körperliches Eigenthum an Geisteswerken. Ich glaube nicht weitere Ausführungen darüber nöthig zu haben einer so erleuchteten Versammlung gegenüber, wie es der Reichstag des Norddeutschen Bundes ist, denn wir Alle, meine Herren sind ja Autoren kraft der Worte, die wir hier sprechen. Die Worte, die wir hier sprechen, sind ja auch, so hoffe ich, Geistesprodukte; es ist aber noch Niemanden eingefallen, an diesen Geistesprodukten ein ,,Eigenthumsrecht“ in Anspruch zu nehmen, um deren weitere Verbreitung zu verbieten, im Gegentheil, wir sind den Herren Berichterstattern der Zeitungen umsomehr zu Dank verpflichtet, je ausführlicher und vollständiger und korrekter sie diese unsere Geistesprodukte in möglichst ausgedehnte Kreise verbreiten. Das geht so weit, daß wir, weit entfernt einen Anspruch auf Honorar zu erheben, für diese unsere Geistesprodukte, ja noch nicht einmal Diäten genießen,

(Heiterkeit)

und daß sogar ein Vorschlag aufgetaucht ist, jedes Wort, das hier gesprochen wird, zu Lasten des Sprechenden mit einem Silbergroschen Steuer zu beleben,

(Heiterkeit)

ein Vorschlag, der vielleicht durch einen bloßen Zufall bei der großen Steuerrazzia des vorigen Jahres im Portefeuille liegen geblieben ist.

(Heiterkeit)

Nun sagt man freilich: Wenn man kein Autorrecht, kein Verlegerrecht, kein Honorar statuiert, so bleibt die geistige Arbeit ungetan. Meine Herren, ein Blick auf die Jahrtausende lange Geschichte des menschlichen Geschlechts liefert doch dafür den handgreiflichen Gegenbeweis. Ich habe wenigstens noch nie etwas davon vernommen, daß Homeros für seine unsterblichen Gesänge, daß Sokrates für seine philosophischen Konversationen, daß Plato für seine Werke irgend ein Honorar bekommen hat; sie haben diese Geistesarbeit verrichtet, weil der Geist sie trieb; und ich halte unser Jahrhundert nicht für so tief heruntergekommen, daß nicht auch heute noch dergleichen Fälle vorkommen werden. Gehen wir freilich weiter in der Geschichte, so wird man mir sagen: ja aber Aristoteles hatte doch schon seinen Alexander und Horaz seinen Mäcen, und in späteren Zeitaltern hatten die Schriftsteller ihre Medicis, ihre Louis XIV. und sonstige hohe Gönner, die ihre geistige Arbeit, nota bene wenn sie ihnen gefiel, zur Genüge zu belohnen wußten. Nun ist es ja richtig, daß es heut zu Tage in dieser Welt, die auf anderen materiellen Voraussetzungen aufgebaut ist, als das Alterthum, größerer Anlockungen zur geistigen Thätigkeit bedarf, und man hat sich denn am Ende zwischen zwei Systemen zu entscheiden, wie sie auch bei der Patentgesetzgebung zur Sprache gekommen sind; das eine derselben ist freilich noch nicht zur Genüge praktisch durchgeführt. Es ist nämlich das System des Monopols auf der einen Seite und das der Nationalbelohnung auf der anderen. Nun hat die Nationalbelohnung auch auf dem Gebiete der geistigen Produktion gewiß sehr Vieles für sich und obgleich sie nicht gesetzlich geregelt ist, findet sich doch jeden Tag Anwendung seitens solcher Personen, welchen ihre erhabene Stellung oder ihr bedeutender Besitz die Ausübung dieser auf der Gesellschaft lastenden Pflicht möglich macht. Aber nach sorgfältiger Überlegung bin ich zu dem Resultat gekommen, daß das System der Nationalbelohnung in der gegenwärtigen Zeit schon als ausreichend betrachtet werden dürfte; und daß dies namentlich auf dem Gebiete der Schriftstellerei der Fall sein wird, denn in einer Zeit wie die gegenwärtige, welche so sehr von Parteigegensätzen und Kämpfen zerrissen wird, fürchte ich sehr, daß solche Rücksichten ihr Gewicht auch bei denjenigen geltend machen würden, die über die Vertheilung solcher Nationalbelohnung zu verfügen haben.

Ich bekämpfe deshalb das Autorrecht nicht principiell, ich gebe zu, dass wir es bis zu einem gewissen Grade für den gegenwärtigen Augenblick nicht entbehren können.

Nun stehen wir angesichts eines umfangreichen Gesetzes, welches viel Neues enthält, und es wird uns angesichts dieses Gesetzentwurfs von den Vertheidigern desselben gesagt: ,,beschränken wir uns darauf zu kodifizieren;  alles Uebrige wollen wir unterlassen.“ Meine Herren, das halte ich für einen ganz verkehrten Standpunkt, wenn wir einem Gesetz, das aus der Blüthezeit des alten Bundestages datirt, und welches auf den einseitigen Antrag bestimmter Interessenten erlassen ist; einem Gesetz,  welches dreißig Jahre alt ist; welches sich während dieser dreißig Jahre nicht bewährt hat; welches nicht im Stande war, eine einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen;  welches nicht im Stande war, die kollidierenden Interessen zu versöhnen; welches nicht im Stande war, der geistigen Produktion in Deutschland denjenigen Aufschwung zu geben, den man von ihr erwarten könnte in Anbetracht des hohen Grades der Kultur unserer Nation, — wenn wir einem solchen nicht bewährten, ich möchte geradezu sagen, schlechtem Gesetz aus der alten Zeit den Stempel der Autorität der aufsteigenden neuen Zeit ohne Weiteres aufprägen. Ich, meine Herren, würde Ihnen vorschlagen, mit diesem alten Gesetz vor allen Dingen einmal questio status zu machen und es nach seiner Berechtigung bis auf’s Gründlichste aus- und durchzufragen. Und wenn wir das thun, meine Herren, dann dürfen wir uns nicht auf den einseitigen Standpunkt der Interessenten stellen, oder, um es richtig zu sagen, der einen Seite der Interessenten; wir dürfen uns nicht einseitig als Vertrauensmänner der Verlagsbuchhändler auffassen; wir müssen vor allen Dingen das Interesse der Masse im Auge haben, das Interesse der Nation, der wir ihre geistige Nahrung zuführen und sichern wollen, das Interesse der Konsumenten, die man leider in solchen Fällen so wenig zu hören gewöhnt ist. Ich, meine Herren, sage nicht, man solle die Interessenten nicht fragen; [sie] sind gefragt worden, ich habe nichts dagegen, daß sie gefragt worden sind: aber, meine Herren, man soll auch die anderen fragen, und man soll sich nicht dem veralteten Irrthum hingegeben, daß die Interessenten die einzigen Sachverständigen sind. Es sind Leute, die mit ihrem Geldbeutel an diese Frage gefesselt sind; ob aber der Geldbeutel derjenige spiritus familiaris ist, der ihnen die Rathschläge giebt, welche zugleich dem Interesse der Gesammtheit entsprechen, das ist eine ganz andere Frage, die wir doch mindestens zu prüfen berechtigt sind, wenn wir sie auch nicht von vornherein verneinen wollen.

Fortsetzung folgt  bei Gelegenheit …


Rede des Abgeordneten Karl Braun vom 21. Februar 1870 im Reichstag des Norddeutschen Bundes zum neuen Urheberrecht. Hervorhebungen in fett gab es in der Rede selbstverständlich nicht.

2 Gedanken zu „Der Abgeordnete Dr. Braun hat das Wort“

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