WTO: Fortsetzung der Verhandlungen vereinbart

Am 1. August 2004 haben die 147 WTO Mitglieder in Genf einen Verhandlungsrahmen für den Fortgang der Doha-Entwicklungsrunde vereinbart. Das Scheitern der 5. WTO-Ministerkonferenz in Cancun, die im September 2003 ohne Ergebnis abgebrochen (unterbrochen) worden war, wurde damit wieder aufgehoben.

Der Einigung waren schwierige Abstimmungsprozesse unter den zahlreichen Interessengruppierungen der weltumspannenden Organisation vorausgegangen. In Cancun sind die Gespräche insbesondere an den Singapur-Themen und den Agrarsubventionen der EU und den USA gescheitert. Nunmehr konnte eine von allen WTO-Mitgliedern getragene Vereinbarung ausgehandelt werden, die als Juli-Paket bezeichnet wird und diverse Verpflichtungen und Zugeständnissen enthält.

Im Mittelpunkt der komplexen Interessenkonflikte stand zunächst die Landwirtschaft. Hier ging es um einen Ausgleich zwischen den Exportinteressen wettbewerbsfähiger Produzentenländer und den Schutzinteressen von Ländern mit klimatisch oder strukturell benachteiligten Agrarsektoren.

  • In der Vereinbarung verpflichten sich die Industrieländer, handelsverzerrende Agrarstützungen abzubauen. Die bereits geleisteten Reformanstrengungen der EU finden Anerkennung. Für andere (u.a. USA) wird das Reformtempo erhöht durch eine anfängliche Kürzung von 20% der wettbewerbsverzerrenden Stützung bereits im ersten Jahr der Geltung des neuen Agrarabkommens. Für Entwicklungsländer gelten besondere Regelungen.
  • Bei der Marktöffnung wird durch die Anerkennung von sensiblen Produkten ein flexibler Ansatz geschaffen, um den Außenschutz ausgewogen zu gestalten. Für Entwicklungsländer und die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries — LDC) gibt es darüber hinaus eine Sonderregelung für Produkte, die für Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung von großer Bedeutung sind (sog. „special products“).
  • Die Exportförderung soll künftig unterbleiben. Da sie in unterschiedlicher Form, bei manchen offen (EU) und anderen verdeckt (USA, CAN) erfolgt, kam es darauf an, alle Varianten einschließlich Exportkrediten, Staatshandelsunternehmen und Nahrungsmittelhilfe zu erfassen. Dies ist durch entsprechend detaillierte Regelungen erfolgt. Außerden wurde eine strikte Parallelität der Abbauverpflichtungen aller Partner vereinbart.

Natürlich ging es nicht nur um Landwirtschaft. Die ökonomische Substanz der Welthandelsrunde und das besondere Interesse der deutschen Wirtschaft liegen in der Öffnung der internationalen Märkte für Industrieprodukte und Dienstleistungen. Man erwartet hiervon wichtige Impulse für Wachstum und Beschäftigung für alle Handelspartner, nicht zuletzt durch eine Intensivierung des für die Entwicklungsländer besonders bedeutsamen Süd-Süd-Handels. Das Juli-Paket enthält hierzu wichtige Vorgaben für die weiteren Verhandlungen.

Für den Handel mit Industriegütern stellt der Text die Weichen für eine Senkung oder Abschaffung der Industriezölle auf der Basis einer allgemeinen, für alle Produkte geltenden Zollabbauformel. Um eine möglichst ehrgeizige Marktöffnung zu erreichen, soll die Formel grundsätzlich für alle Produkte gelten und höhere Zölle besonders stark senken. Für spezifische Sektoren können weitergehende Zollsenkungen vereinbart werden. Zum Schutz der im Aufbau befindlichen Märkte der Entwicklungsländer sind Sonderregeln (z.B. längere Übergangsfristen; Ausnahmen vom Zollabbau für einzelne Produkte) vorgesehen. Die am wenigsten entwickelten Entwicklungsländer werden von allen Zollsenkungen ausgenommen.

Im Bereich der Dienstleistungen unterstreichen die WTO-Mitglieder die Notwendigkeit, die bislang schleppend verlaufenen Verhandlungen durch schnellstmögliche Vorlage weiterer Liberalisierungsangebote zu intensivieren.

Dem Auftrag der Doha-Entwicklungsrunde entsprechend nehmen Entwicklungsfragen in der Erklärung breiten Raum ein. Dies wird deutlich durch die in allen Verhandlungssektoren sich konkretisierenden Regeln zur besonderen und differenzierten Behandlung der Entwicklungsländer. Außerdem bekräftigen die WTO-Mitglieder ihre Entschlossenheit, Forderungen der Entwicklungsländer nach entwicklungsspezifischen Änderungen einiger WTO-Abkommen gerecht zu werden. Zusätzlich soll die Fähigkeit der Entwicklungsländer zur Erfüllung neuer Verpflichtungen durch verstärkte technische Unterstützung durch die Staaatengemeinschaft und internationale Organisationen verbessert werden.

Nicht durchgesetzt hat sich der EU-Vorschlag, die am wenigsten entwickelten Entwicklungsländer und andere besonders verwundbare Länder von allen Marktöffnungsverpflichtungen auszunehmen. Dies hätte eine aus deutscher und europäischer Sicht wünschenswerte Ausdifferenzierung der bestehenden Entwicklungsländerkategorien erforderlich gemacht, die eine wesentlich genauere Anpassung der WTO-Regeln an die spezifischen Bedürfnisse einzelner Länder ermöglichen würde. Die Mehrheit in der WTO steht dieser Idee aber nach wie vor sehr kritisch gegenüber.

Die Vereinbarung zeigt auch einen Weg zur Lösung der Problematik der unter Agrarsubventionen leidenden afrikanischen Baumwollproduzentenländer Mali, Niger, Tschad und Benin.

Nach der Zurückstellung der drei Singapur-Themen (Investitionen, Wettbewerb, öffentliches Auftragswesen) durch die EU wird die Zustimmung der WTO-Partner zur Aufnahme von Verhandlungen über die Erleichterung des Handels durch den Abbau von Zollbürokratie von der EU als wichtig und erfreulich eingestuft. Durch eine Beschleunigung der Zollabfertigung können Exportunternehmen erhebliche Kosten einsparen, was nicht zuletzt auch den Verbrauchern in den Importländern zugute kommt.

Mit der Annahme des Juli-Pakets ist es gelungen, eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Abschluss der Doha-Runde abzuschließen. Das Paket bildet eine Grundlage für die weiteren Verhandlungen. Ein Scheitern dagegen hätte nicht nur eine Stagnation der Doha-Verhandlungen bedeutet, sondern auch eine Bedrohung für das multilaterale Handelssystem insgesamt mit der Gefahr der Aufteilung der Welt in regoionale Handelsblöcke wie die NAFTA oder die EU. Damit würden die kleineren und ärmeren Länder marginalisiert. Die Entwicklungschance, die die Doha-Runde bietet, wäre verschüttet worden, der Welthandel hätte Wachstumschancen verloren, Beschäftigungspotentiale wären begraben worden.

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