EuGH Curia Luxemburg

Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausnutzung des Patentschutzes

Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung eine Geldbuße in Höhe von 46 Mio. Euro und der erstgenannten Klägerin eine weitere Geldbuße in Höhe von 14 Mio. Euro wegen Verstößen gegen Artikel 82 EG und Artikel 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auferlegt. Sie hat festgestellt, dass der AstraZeneca-Konzern seit 1993 gegenüber Patentanwälten, nationalen Gerichten und Patentämtern bewusst unrichtige Angaben gemacht hätten, um ergänzende Schutzzertifikate zu erhalten, auf die sie, wie sie gewusst hätten, für ihr patentiertes Produkt „Omeprazole“, den in ihrem Arzneimittel „Losec“ enthaltenen Wirkstoff, keinen Anspruch gehabt hätten. Außerdem hätten die Klägerinnen 1998/99 die Strategie verfolgt, ihre „Losec“-Kapseln selektiv vom Markt zu nehmen, sie durch „Losec“-Tabletten zu ersetzen und die Löschung der Verkehrsgenehmigung für die Kapseln in Dänemark, Norwegen und Schweden zu beantragen. Beide Verstöße seien in der Absicht begangen worden, den Wettbewerb durch Generika und Parallelimporte in unlauterer Weise zu beschränken.

Der AstraZeneca-Konzern focht die Feststellungen der Kommission auch aus aus rechtlichen und sachlichen Gründen an. Was die angeblichen unrichtigen Angaben in Bezug auf Patente angehe, so könnten derartige irreführenden Angaben bei der Beantragung gewerblicher Schutzrechte rechtlich keinen Missbrauch darstellen, sofern und solange die unredlich erworbenen Rechte nicht durchgesetzt würden oder durchgesetzt werden könnten. Außerdem seien die Klägerinnen nach zutreffender Auslegung von Artikel 82 EG nicht verpflichtet, eine Verkehrsgenehmigung für ein Produkt, das von ihnen nicht mehr vertrieben werde, nur deshalb aufrechtzuerhalten, weil dies den Wettbewerb für Generika und Parallelhändler erleichtern würde.

Das Gericht bestätigt im Wesentlichen die Entscheidung der Kommission, mit der diese festgestellt hat, dass der AstraZeneca-Konzern seine beherrschende Stellung missbrauchte, indem er das Inverkehrbringen von generischem Losec verhinderte Die Geldbuße wird jedoch von 60 Mio. Euro auf 52,5 Mio. Euro herabgesetzt, weil die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass sich der Widerruf der Arzneimittelzulassungen in bestimmten Mitgliedstaaten auf die Paralleleinfuhren auswirken konnte.

Mit Entscheidung vom 15. Juni 2005 (Entscheidung C (2005) 1757 final der Kommission vom 15. Juli 2005 in einem Verfahren nach Artikel 82 [EG] und
Artikel 54 EWR-Abkommen (Sache COMP/A.37.507/F3 – AstraZeneca)) verhängte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von 46 Mio. Euro gegen die AstraZeneca plc (Vereinigtes Königreich) und ihre Tochtergesellschaft AstraZeneca AB (Schweden) sowie eine zusätzliche Geldbuße in Höhe von 14 Mio. Euro gegen die AstraZeneca AB wegen Missbrauchs ihrer beherrschenden Stellung durch Ausnutzung des Systems des Patentschutzes und der Verfahren zur Zulassung von Arzneimitteln allein zu dem Zweck, den Markteintritt von generischen Arzneimitteln, die mit ihrem Magengeschwür-Arzneimittel Losec konkurrierten, zu verhindern oder zu verzögern oder Paralleleinfuhren von Losec zu verhindern.

Die Kommission stellte zum einen fest, dass AstraZeneca bei den Patentämtern in Belgien, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und dem Vereinigten Königreich absichtlich irreführende Angaben gemacht habe, um für Losec durch ein ergänzendes Schutzzertifikat eine Verlängerung des Patentschutzes zu erreichen. Diese Verlängerung habe ein Ausgleich für die Zeit vor der Zulassung des Arzneimittels sein sollen, während deren das Unternehmen dieses Arzneimittel nicht habe vermarkten können. AstraZeneca habe den nationalen Patentämtern den Zeitpunkt der Erstzulassung des Arzneimittels vorenthalten, wodurch sie einen ergänzenden Schutz habe erhalten können, der ihr nicht zugestanden habe.

Zum anderen wurde AstraZeneca dafür belangt, dass sie für Losec in Kapselform in Dänemark, Norwegen und Schweden den Widerruf der Zulassung beantragt habe, um erstens die Vermarktung generischer Arzneimittel hinauszuzögern und zu erschweren und zweitens Paralleleinfuhren von Losec zu verhindern. Nach dem zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Unionsrecht habe das Referenzarzneimittel im betreffenden Mitgliedstaat noch zugelassen sein müssen, damit ein generisches Arzneimittel im vereinfachten Verfahren zugelassen werden könne, das schneller und für den Antragsteller billiger sei. Aufgrund des von AstraZeneca beantragten Widerrufs der Zulassungen für Losec in Kapselform habe dieses vereinfachte Verfahren nicht angewandt werden können, und es habe somit länger gedauert und sei schwieriger gewesen, die Marktzulassungen für die generischen Arzneimittel einzuholen, deren Markteinführung sich entsprechend verzögert habe.

Die AstraZeneca plc und die AstraZeneca AB haben beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission erhoben und hilfsweise die Herabsetzung der festgesetzten Geldbußen beantragt.

Mit seinem heutigen Urteil weist das Gericht die meisten der von AstraZeneca vorgebrachten Argumente zurück und stellt fest, dass sie ihre beherrschende Stellung in zweifacher Weise missbraucht hat. Erstens hat AstraZeneca tatsächlich vor den nationalen Patentämtern irreführende Angaben gemacht. Zweitens bedeutet der Umstand, dass die Pharmaunternehmen in der Regel berechtigt sind, den Widerruf von Marktzulassungen ihrer Produkte zu verlangen, nicht, dass dieses Verhalten dem in Art. 82 EG vorgesehenen Verbot entzogen ist. Das Gericht erklärt jedoch die Entscheidung der Kommission für nichtig, soweit darin festgestellt wird, dass der Widerruf der Marktzulassungen von Losec in Kapselform in Dänemark und Norwegen geeignet war, Paralleleinfuhren zu beschränken.

Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission angesichts des rechtlichen Kontextes nicht nachgewiesen, dass der Widerruf der Marktzulassungen geeignet war, Paralleleinfuhren in Dänemark und Norwegen zu beschränken, geschweige denn, dass das Ende oder der starke Rückgang der Paralleleinfuhren von Losec in diese beiden Länder durch das Verhalten von AstraZeneca verursacht war. In Anwendung des Grundsatzes, dass Zweifel dem Adressaten der den Verstoß feststellenden Entscheidung zugute kommen müssen, setzt das Gericht die der AstraZeneca AB und der AstraZeneca plc gesamtschuldnerisch auferlegte Geldbuße auf 40 250 000 Euro und die der AstraZeneca AB auferlegte Geldbuße auf 12 250 000 Euro herab.

Urteil des EuGH vom 1. Juli 2010 in der Rechtssache T-321/05 AstraZeneca / Kommission

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert