Arbeitnehmerüberlassung ausl. Unternehmen und Sozialversicherung

Nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen hat ein im Ausland sitzender gewerbsmäßiger Verleiher von Arbeitnehmern (Arbeitnehmerüberlassung) in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Bei dem Vollzug von Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland gilt demnach unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Beschäftigten oder ihrer Arbeitgeber deutsches Sozialversicherungsrecht. Zur Durchgriffshaftung auf Handelnden (Sitztheorie – EU-Beitritt).

1. Instanz: Sozialgericht Düsseldorf, Aktenzeichen, S 22 RA 157/03 ER, Beschluss vom 25.07.2003
2. Instanz: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 2 B 9/03 KR ER, Beschluss vom 17.01.2005 rechtskräftig

Entscheidung

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.07.2003 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auf 5.198.994,59 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollstreckung einer Beitragsnachforderung in Höhe von etwa 5,2 Millionen Euro.

Der Antragsteller ist ungarischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in M. Er wurde im Juli 2002 von der Staatsanwaltschaft L – u.a. – angeklagt, als Verleiher gewerbsmäßig Ausländer einem Dritten ohne Erlaubnis überlassen zu haben. Er habe ab 1995 in Ungarn verschiedene Kapitalgesellschaften gegründet oder übernommen, angeblich unselbständige Zweigniederlassungen dieser Gesellschaften in M angemeldet und alle wesentlichen Aktivitäten dieser Unternehmen von dort aus als formeller bzw. faktischer Geschäftsführer bestimmt. Insbesondere habe er mit deutschen Unternehmen aus dem Bereich der Blech- und Fleischverarbeitung Verträge geschlossen, die als Werkverträge bezeichnet worden seien, bei denen es sich aber tatsächlich um – unerlaubte – Arbeitnehmerüberlassung gehandelt habe (Anklageschrift vom 16.07.2002). Während die als Mittäter angeklagten ungarischen Staatsangehörigen L und I durch Urteil des Landgerichts Köln vom 11.09.2000 rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist das Verfahren gegen den Antragsteller weiter rechtshängig. Der Antragsteller wurde aus der zunächst angeordneten Untersuchungshaft aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit im November 2002 – zunächst vorläufig – entlassen. Später wurde der Haftbefehl aufgehoben (Beschluss vom 15.04.2003).

Die Antragsgegnerin ist aufgrund dieses Sachverhalts in ein Beitragsprüfungsverfahren eingetreten (§ 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)) und hat eine Beitragsnachforderung – einschließlich Säumniszuschlägen – von knapp 5,2 Millionen Euro festgestellt. Der Antragsteller habe als verantwortlich Handelnder der Firmen D Kft, Dr. Q N und Partner Kft, N1 Kft und N2 Kft, alle Q-Straße 00 in M, ungarische Arbeitnehmer deutschen Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen, ohne im Besitz der dafür nach dem Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – AÜG) erforderlichen Erlaubnis zu sein. Als Entgelt zahlender Verleiher hafte er für die nach deutschem Sozialversicherungsrecht zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge daher neben dem jeweiligen Entleiher als Gesamtschuldner (Bescheid vom 09.10.2002). Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 04.11.2002 Widerspruch ein (Widerspruchsschreiben vom 31.10.2002) und beantragte die Aussetzung der Vollziehung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Die Antragsgegnerin lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab (Bescheid vom 03.12.2002).

Der Antragsteller hat beim Sozialgericht (SG) Köln begehrt, im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 31.10.2002 gegen den Beitragsbescheid vom 09.10.2002 herzustellen (Antragsschrift vom 22.05.2003). Er sei lediglich Geschäftsführer der Firma Dr. N und Partner Kft gewesen. Den übrigen Firmen sei er bei ihren geschäftlichen Aktivitäten lediglich behilflich gewesen. Der Beitragsbescheid sei offensichtlich rechtswidrig. Arbeitnehmerüberlassung sei bisher nicht erwiesen. Außerdem sei eine persönliche Inanspruchnahme des Antragstellers für die vier ungarischen Firmen ausgeschlossen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei erforderlich, weil das Hauptzollamt in E die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 09.10.2002 angekündigt habe. Diese Zwangsvollstreckung treibe ihn in den Ruin.

Die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller habe in Deutschland ein Firmenkonsortium gegründet, die „N-Gruppe“, und sei als formeller bzw. faktischer Geschäftsführer aller Firmen aufgetreten. Bei den mit deutschen Unternehmen geschlossenen Verträgen habe es sich um Scheinwerkverträge gehandelt, tatsächlich habe unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen. Es handele sich deshalb um inländische Beschäftigungsverhältnisse, die faktisch nur in Deutschland ausgeübt worden seien. Deshalb liege auch keine Einstrahlung vor.

Das SG Düsseldorf, an das das SG Köln die Sache zuständigkeitshalber verwiesen hatte, hat den Antrag abgelehnt. Die Abwägung der Interessen an der Vollziehung des Bescheides einerseits und an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs andererseits falle im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit aus. Der Beitragsbescheid sei nicht offensichtlich rechtswidrig. Der Vorwurf der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung stehe weiter im Raum. Die mitangeklagten L und I seien insoweit rechtskräftig verurteilt worden. Es spreche Einiges dafür, dass die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Antragsgegnerin – auch soweit diese eine Entsendung verneine – zutreffe. Sei aber der Beitragsbescheid nicht offensichtlich rechtswidrig, müsse es beim gesetzlichen Regelfall der sofortigen Vollziehbarkeit verbleiben, da der Antragsteller Tatsachen, die den Schluss auf ein überwiegendes Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs begründen könnten, nicht geltend gemacht habe (Beschluss vom 25.07.2003).

Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 25.08.2003).

Während des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 19.09.2003). Dagegen hat der Antragsteller am 22.10.2003 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben (Aktenzeichen (Az) S 22 RA 297/03).

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, das SG habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, aus welchem Rechtsgrund er für die geltend gemachten Gesamtsozialversicherungsbeiträge hafte. Keiner der eingesetzten Arbeitnehmer habe in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihm gestanden. Auch liege nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine Arbeitnehmerüberlassung vor. Sogar die Staatsanwaltschaft L habe angeregt, zur Frage, ob Arbeitnehmerüberlassung vorliege, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Durch die Einzugsstelle werde zwischenzeitlich die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 09.10.2002 betrieben. Dieses Vorgehen sei nicht mehr verhältnismäßig. Die Antragsgegnerin versuche, die Existenz des Antragstellers zu vernichten. Es werde insoweit die Einrede der Vorausklage gegen die ungarischen Kapitalgesellschaften, mit denen die Beschäftigungsverhältnisse bestanden, erhoben. Inlandsvermögen des Antragstellers zur Sicherung der streitigen Beitragsforderung der Antragsgegnerin sei nicht vorhanden. Soweit das Landgericht Köln aus Anlass des Strafverfahrens zunächst den Arrest in das Vermögen des Antragstellers sowie der ungarischen Unternehmen angeordnet habe, habe es sämtliche Arrestbefehle zwischenzeitlich aufgehoben. Damit sei bewiesen, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht nachgewiesen werden konnte. Tatsächlich werde die Arbeitgebereigenschaft des Antragstellers unterstellt, obwohl sie tatsächlich nicht gegeben sei. Er sei auch nicht faktischer Arbeitgeber der ungarischen Arbeitnehmer gewesen, da diese ausschließlich dem Weisungsrecht der ungarischen Firmen unterlegen hätten. Wenn überhaupt, so hafte der Antragsteller nur subsidiär wie ein Bürge. Das Vorbringen der Antragsgegnerin, es liege keine Entsendung vor, sei unbeachtlich, da der Antragsteller hierzu nicht angehört worden sei und der Bescheid vom 09.10.2002 dazu auch keine Ausführungen erhalte. Der Antragsteller habe persönlich keine Arbeitsverträge geschlossen. Eine Betriebsstätte im Inland sei lediglich unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten entstanden. Die Antragsgegnerin trage lediglich unbegründete Scheinargumente vor. Die Werkverträge mit den deutschen Unternehmen seien von den Mitarbeitern L und I ausgehandelt worden. Nach alldem bestehe keine große Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren obsiegen werde.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.07.2003 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 09.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.09.2003 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint weiter, der Antragsteller hafte persönlich, weil er faktisch Geschäftsführer einer Reihe von ungarischen Gesellschaften gewesen sei. Für die von diesen beschäftigten Arbeitnehmern fehle es an den Entsendevoraussetzungen nach § 5 SGB IV. Die von der Einzugsstelle zwischenzeitlich eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen begründeten keine abweichende Beurteilung, sie stellten insbesondere keinen Anordnungsgrund dar. Etwaige Fehler der Zwangsvollstreckung seien im Vollstreckungsverfahren geltend zu machen. Das Vorliegen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung, auf die sie im Bescheid vom 09.10.2002 abgestellt habe, sei nur ein Aspekt unter mehreren, der die Beitragspflicht begründe. Die Haftung des Antragstellers hänge weder davon ab, ob tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung vorliege, noch davon, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege. Die Versicherungspflicht beruhe allein darauf, dass keine
Entsendung vorliege, und sich deshalb die Beschäftigungsverhältnisse nach deutschem Sozialversicherungsrecht beurteilten. Tatsächlich habe es sich um inländische Arbeitsverhältnisse gehandelt. Der Antragsteller habe zusammen mit L und I eine selbständige Unternehmung gegründet und einen eigenen Betrieb in Deutschland errichtet. Eine Entsendung sei nicht bewiesen. Insoweit trage der Antragsteller auch die Beweislast. Seine persönliche Haftung ergebe sich aus §§ 11 Abs 2 des GmbH-Gesetzes und § 128 Handelsgesetzbuch (HGB). Liege keine Arbeitnehmerüberlassung vor, habe der Antragsteller jedenfalls eine eigene Arbeitsorganisation mit Betrieb im Inland geschaffen. Dann sei aber das deutsche Sozialversicherungsrecht anzuwenden. Soweit der Antragsteller etwa seine Vollmachten überschritten haben sollte, hafte er nach §§ 166, 179 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) persönlich. Er sei im
Geschäftsverkehr in eigenem Namen aufgetreten und habe Verträge in eigenem Namen, aber auch für die verschiedenen ungarischen Gesellschaften geschlossen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig. Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht dadurch entfallen, dass sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs teilweise durch den Erlass des Widerspruchsbescheides erledigt hat. Dem hat der Antragsteller Rechnung getragen, indem er jetzt nur noch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage begehrt. Darin liegt nur eine Beschränkung seines Begehrens nach § 86 b Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), mithin keine Antragsänderung im Rechtssinne (vgl § 99 Abs 3 Nr 2 SGG).

Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung anzuordnen, zielt grundsätzlich darauf ab, diese Entscheidung für die Dauer des gesamten Verfahrens bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung zu erreichen. Das entspricht dem Interesse an effektivem Rechtsschutz. Dementsprechend war bereits in der Rechtsprechung zur Vorläufer-Regelung in § 80 Abs 5 VwGO bis zur Schaffung von § 80b VwGO durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz (6. VwGOÄndG vom 01.12.1996, BGBl I 1626) anerkannt, dass die durch Beschluss angeordnete aufschiebende Wirkung bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts andauert, wenn das Gericht sie nicht befristet (BVerwGE 78, 192ff, 208 = DVBl 1988, 289f = NVwZ 1988, 251, 255). Dem stimmte die Literatur zu (vgl. z.B. Kopp, VwGO, 10. Auflage, § 80 Rdnr 34; Scholle in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr 295, Fn 1073; Ruppert, NVwZ 1997, 654ff, 655 Fn 21 und 22, jeweils mwN). An diese Rechtslage hat der Gesetzgeber mit der Schaffung von § 86b SGG angeknüpft, ohne die Regelung des § 80 b VwGO zu übernehmen. Damit erfasst der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zugleich jenen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der (später erhobenen) Klage.

Begründet ist die Beschwerde jedoch nicht. Die Voraussetzungen dafür, die begehrte Anordnung zu erlassen, sind nicht erfüllt. Zu entscheiden ist nach pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz von der Regel ausgeht, dass bei der Entscheidung über Beitragspflichten die aufschiebende Wirkung entfällt (§ 86a Abs 2 Nr 1 2. Fall SGG). Nur ausnahmsweise kann nach dem Rechtsgedanken der insoweit entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 86 a Abs 3 Satz 2 SGG (Meyer-Ladewig. SGG. Kommentar. 7. Auflage 2002, § 86b Rdnr 12) die aufschiebende Wirkung anzuordnen sein, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung [ …] eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dies ist hier, wie das SG im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, nicht der Fall. Bei der gebotenen lediglich summarischen Prüfung bestehen weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (dazu im Folgenden 1.) noch hätte die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge (dazu im Folgenden 2.).

(1) Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen nur, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Das entspricht der gesetzlichen Wertung des § 86a Abs 2 SGG, nur im Ausnahmefall davon abzusehen, Beiträge sofort entrichten zu lassen, um die Erfüllung der Aufgaben zu sichern, denen die Beiträge zu dienen bestimmt sind. Im Zweifel sind Beiträge zunächst zu erbringen. Das Risiko, im Ergebnis zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, trifft nach dieser Wertung den Zahlungspflichtigen (vgl dementsprechend OVG NW, Beschluss (B.) v. 31.03.2004, Az.: 11 B 116/04; vom 17.03.1994, Az.: 15 B 3022/99, NWVBl 1994, 337f mwN; VGH B-W, B.v. 27.01.1984, Az.: 14 S 2429/83, DVBl 1984, 345; OVG Rh.-Pf. B. v. 21.05.1992, Az.: 7 B 10444/92 NVwZ-RR 1992, 1426; OVG Hbg., B.v. 23.04.1991, Az.: Bs II 16/91, DVBl 1991, 1325; OVG Saarl., B.v. 30.06.1986, Az.: 2 W 803/86, DÖV 1987, 1115; Renck NVwZ 1992, 338; Zeihe, Das SGG und seine Anwendung, 7. Auflage, Stand 01.11.2004, § 86a Rdnr. 33; Meyer-Ladewig, aaO, § 86a Rn 27, jeweils mwN, auch zu aA).

Bei summarischer Prüfung ist ein Erfolg des Antragstellers und Klägers im Hauptsacheverfahren nicht wahrscheinlicher als ein Misserfolg. Nach Lage der Akten spricht Einiges dafür, dass der Antragsteller für die von der Antragsgegnerin ihm gegenüber nach § 28p Abs 1 SGB IV geltend gemachte Beitragsforderung als Arbeitsentgelt zahlender Verleiher im Rahmen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung nach § 28e Abs 2 Sätze 3 und 4 SGB IV persönlich haftet, weil die eingesetzten Arbeitnehmer bei den jeweiligen Betrieben der Blech- und/oder Fleischverarbeitung auf Grund einer gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung tätig geworden sind, ohne dass dies erlaubt war.

Der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ist nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung hat. Über eine solche Erlaubnis verfügten weder der Antragsteller noch die Firmen, für die er auftrat.

Es spricht bei summarischer Prüfung auch Einiges dafür, dass es sich in der Sache um gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht jeder drittbezogene Arbeitseinsatz eine Arbeitnehmerüberlassung iSd AÜG. Diese ist vielmehr durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet (BAGE 87, 186 = AP AÜG § 1 Nr. 24 = EzA AÜG § 1 Nr. 9, zu I 1 der Gründe mwN).

Bei der Arbeitnehmerüberlassung werden dem Entleiher die Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Der Entleiher setzt sie nach seinen Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer ein. Die Arbeitskräfte sind voll in den Betrieb des Entleihers eingegliedert und führen ihre Arbeiten allein nach dessen Weisungen aus. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt hat. Von der Arbeitnehmerüberlassung ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten auf Grund eines Werk- oder Dienstvertrags zu unterscheiden. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder
für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen der Weisung des Arbeitgebers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645 Abs 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werkes erteilen. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht erfasst (ständige Rechtsprechung vgl BAG BAGE 67, 124 = AP AÜG § 10 Nr. 8 = EzA AÜG § 10 Nr. 3, zu III 1 der Gründe; BAGE 77, 102 = AP AÜG § 1 Nr. 16 = EzA AÜG § 1 Nr. 4, zu IV 2 a der Gründe; BAG AP Nr 6 zu § 9 AÜG).

Über die rechtliche Einordnung eines Vertrags entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt tatsächlich nicht entspricht. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen Ausführung des Vertrags ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben. Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp (BAGE 67, 124 = AP AÜG § 10 Nr. 8 = EzA AÜG § 10 Nr. 3, zu II 2 der Gründe mwN). Einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung sind zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt. Dabei muss diese abweichende Vertragspraxis den auf Seiten der Vertragspartner zum Vertragsabschluß berechtigten Personen bekannt gewesen und von ihnen zumindest geduldet worden sein; denn sonst kann eine solche Vertragsdurchführung nicht als Ausdruck des wirklichen Geschäftswillens der Vertragspartner angesehen werden (BAG aaO, zu IV 2 der Gründe; BAG AP Nr 6 zu § 9 AÜG).

Nach dem aufgrund der tatsächlichen Durchführung und der praktischen Handhabung ermittelten wirklichen Willen der Vertragspartner spricht viel dafür, dass hier (unerlaubte) Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen ist. Der Antragsteller hat mit den Unternehmen der Fleisch- und/oder Blechverarbeitung selbst oder über L und/oder I Verträge abgeschlossen, in deren Folge er diesen Unternehmen ungarische Arbeitskräfte zur Verfügung stellte, die planmäßig in die dortigen Betriebsabläufe integriert wurden und ihre Tätigkeit nach den Weisungen der jeweiligen Unternehmen verrichteten. Eine maßgebliche Einflussnahme des Antragstellers oder seiner Gehilfen L oder I auf die Tätigkeit der ungarischen Arbeitnehmer in den jeweiligen Unternehmen ist ebenso wenig erkennbar wie eine fachspezifische Sachkunde oder eine vertragliche Absprache, die ihnen eine derartige Einflussnahme ermöglicht hätte. Tatsächlich spricht nach dem aktenkundigen, von der Staatsanwaltschaft L, dem Hauptzollamt B und der Beklagten ermittelte Sachverhalt, der sich in Auswertung des bei der Durchsuchung am 16.01.2002 beschlagnahmten Beweismaterials, der Aufzeichnungen über die erfolgte Telefonüberwachung und der Aussagen der gehörten Zeugen und (Mit)-Beschuldigten ergibt, alles dafür, dass der Antragsteller mit seinen Helfern L und/oder I geeignete Arbeitnehmer lediglich ausgewählt und den jeweiligen Vertragspartnern zu Verfügung gestellt haben, und diese im Folgenden die Arbeit allein nach den Weisungen des entleihenden Unternehmens versehen haben.

Der Sachverhalt deutet auch auf eine persönliche Haftung des Antragstellers als Entgelt zahlender Verleiher hin.

Auf die Beschäftigungsverhältnisse der in Deutschland auf der Grundlage von Verträgen mit deutschen Unternehmen aus dem Bereich der Blech- und/oder Fleischverarbeitung zur Arbeitsleistung eingesetzten ungarischen Arbeitnehmer findet deutsches Sozialversicherungsrecht Anwendung. Das ergibt sich aus dem in § 3 Nr 1 Viertes Buch Sozialgesetz (SGB IV) niedergelegten Territorialitätsprinzip, wonach die Vorschriften über die Versicherungspflicht, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen, für alle Personen gelten, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs beschäftigt sind. Danach streitet eine Vermutung dafür, dass bei Vollzug von Beschäftigungsverhältnissen im Inland unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Beschäftigten oder ihrer Arbeitgeber deutsches Sozialversicherungsrecht gilt, sofern nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen der Einstrahlung nach § 5 SGB IV vorliegen. Gemäß § 5 SGB IV gelten die deutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

Nach Lage der Akten bestehen erhebliche Bedenken, ob dies der Fall ist. Einstrahlung setzt nämlich voraus, dass während der inländischen Beschäftigung das ausländische Vertragsverhältnis fortbesteht (BSG SozR 3-4100 § 141 b Nr 9). Davon kann nur ausgegangen werden bei fortbestehender hinreichender Intensität der tatsächlichen und rechtlichen Bindung zu dem entsendenden Unternehmen (BSG SozR 3-2400 § 5 Nr 2). Liegt der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses dagegen im Inland, liegt keine Einstrahlung vor (BSG aaO). Davon ist auszugehen, wenn die Arbeitsleistung einem inländischen (Teil-)Betrieb mit eigener Wirtschaftsführung sowie eigener Gewinn- und Verlustrechnung zugerechnet wird, der das Arbeitsentgelt zahlt und als Betriebsausgabe absetzt (BSG aaO). So dürfte es hier aber liegen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob überhaupt die Grundvoraussetzungen der Entsendung, nämlich ein
Beschäftigungsverhältnis mit Schwerpunkt im Ausland bei zeitweiliger, vorübergehender Tätigkeit für dieses Unternehmen im Inland vorliegen. Dies setzte etwa voraus, dass die Beschäftigung aufgrund von Weisungen des ausländischen Arbeitnehmers schwerpunktmäßig im Ausland erfolgt und im Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichten lediglich vorübergehend im Inland ausgeübt wird, etwa aufgrund vertraglicher Beziehungen ausländischen Beschäftigungsunternehmens beim Vertragspartner im Inland. So liegt der Fall aber hier gerade nicht. Denn alle maßgeblichen Vereinbarungen sind im Inland durch den Antragsteller – nach seiner Behauptung für ungarische Unternehmen – getroffen worden. Die ungarischen Gesellschaften haben alle einen Betriebssitz im Inland und firmieren insoweit unter der Privatanschrift des Antragstellers. Der Antragsteller bzw. die genannten ungarischen Firmen haben das Arbeitsentgelt an die beschäftigten Arbeitnehmer im Inland gezahlt. Die ungarischen Firmen haben auch steuerrechtlich – wie der Antragsteller selbst einräumt – ihren Betriebssitz im Inland. Es ist nichts Erhebliches dazu behauptet oder sonst bekannt, dass diese Unternehmen in Ungarn ebenfalls gleichartige Unternehmenzwecke im Bereich der Blech- und/oder Fleischverarbeitung verfolgen und die hier tätigen Arbeitnehmer insoweit in Ungarn entsprechend einsetzen. Anknüpfungspunkt dafür, dass sie etwa schwerpunktmäßig in Ungarn tätig sind und die hier eingesetzten Arbeitnehmer dort im Wesentlichen beschäftigen, mit der Folge, dass die Tätigkeit in Deutschland nur als vorübergehende Entsendung zu qualifizieren wäre, finden sich nicht, vgl dazu Nrn 3.3.1 und 4.1 der Richtlinien zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmern bei Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) und Einstrahlung (§ 5 SGB IV) vom 20. November 1997. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das zentrale Weisungsrecht, dem die eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen, weiter von einem ausländischen entsendenden Unternehmen ausgeübt wird. Nach allem was bekannt ist, wurde es offenbar von den hier ansässigen (Teil-)Betrieben aus vom Antragsteller selbst ausgeübt.

Etwas anderes ergibt sich weder aus über- noch aus zwischenstaatlichem Recht, § 6 SGB IV.

EU Recht – etwa die EWG-Verordnung 1408/71 – kommt unmittelbar nicht zur Anwendung, da Ungarn erst zum 01. Mai 2004 Vollmitglied der Europäischen Union geworden ist (A Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 2 des EU-Beitrittsvertrags vom 16.04.2003, EU-Beitrittsvertragsgesetz vom 18.09.2003, BGBl II, 1408ff), und es sich um in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte handelt. Anhaltspunkte dafür, dass für die beigetretenen Staaten EU-Vorschriften rückwirkend in Kraft gesetzt werden sollten, enthält der EU- Beitrittsvertrag nicht (vgl im Gegenteil B Art 2, Art 4, Art 53; Schlussakte II 13. „Erklärung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Ungarn“). Aus Art 37ff des Europaabkommens vom 16.12.1991 zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits (Gesetz vom 26.08.1993, BGBl II 1993, 1473ff) ergibt sich nichts Abweichendes. Dort ist
ausschließlich die Gleichbehandlung der jeweiligen Arbeitnehmer geregelt. Auch das zum 01.05.2000 in Kraft getretene Gesetz vom 04.10.1999 zum Abkommen vom 02. Mai 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale Sicherheit (SVA) mit Schlussprotokoll und Durchführungsvereinbarung vom gleichen Tage (zum Inkrafttreten vgl Art 42 des Gesetzes iVm der Bekanntmachung vom 23.03.2000, BGBl II, 644) sieht keine abweichende Regelung vor, sondern setzt die entsprechenden Begriffe der „Beschäftigung“ bzw. „Entsendung“ voraus (vgl Art 6 und 7 SVA, Nr 5f Schlussprotokoll). Bescheinigungen im Sinne von Art 4 Abs 3 der Durchführungsvereinbarung sind offenbar nicht ausgestellt worden, so dass zu deren Verbindlichkeit Überlegungen entbehrlich sind.

Auch auf die Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik über die Entsendung ungarischer Arbeitnehmer aus in der Ungarischen Volksrepublik ansässigen Unternehmen zur Beschäftigung auf der Grundlage von Werkverträgen vom 03.01.1989 (BGBl II, 245), zuletzt geändert durch Vereinbarung vom 17.12.1997/ 08.04.1998 (Bekanntmachung vom 28.05.1998, BGBl II, 1396) kann sich der Antragsteller nicht berufen. Wie bereits zu § 5 SGB IV ausgeführt, bestehen erhebliche Bedenken, von einem Entsendungsfall (hier: iS von Art 1 dieser Vereinbarung) auszugehen. Dass die hierfür erforderliche Arbeitserlaubnis – u.U. zu Unrecht – erteilt worden ist, steht der – im Rahmen der summarischen Prüfung – originären rechtlichen Bewertung des Sachverhalts in diesem Zusammenhang nicht entgegen. Die abschließende Klärung dieser Frage muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Vor diesem Hintergrund spricht auch Einiges dafür, das der Antragsteller als Verleiher persönlich in Anspruch genommen werden darf. Er ist nämlich nach der tatsächlichen Praxis, wie sie sich in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der großen Strafkammer abgezeichnet hat, als tatsächlicher Verleiher aufgetreten. Danach führte er alle maßgeblichen Verhandlungen entweder selbst oder durch die – seiner Weisung unterstehenden – I und/oder L geführt hat. Er hatte danach die volle Verfügungsgewalt über die eingehenden Gelder und sorgte für die Bezahlung der Arbeitnehmer. Insoweit wird insbesondere auf Bl 106-110 der Anklageschrift verwiesen. Von seiner Verfügungsgewalt machte er danach auch Gebrauch, indem er nach Belieben Gelder zwischen „Firmen-“ und „Privat-Konten“ verschob. Die formal zwischengeschalteten ungarischen Firmen, die alle unter seiner Privatanschrift gemeldet waren, dienten dem entsprechend nur zum Schein als Vertragspartner. Nach den tatsächlichen Verhältnissen und der praktischen Durchführung der Verträge war dagegen nach dem Stand der Ermittlungen der Antragsteller Vertragspartner. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse lassen erwarten, dass auch die noch erforderlichen Ermittlungen des SG im Klageverfahren nicht zu einem anderen Ergebnis führen werden. Diese Bewertung entspricht auch den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Köln vom 11.09.2002, durch das L und I u.a. wegen der – auch dem Antragsteller vorgeworfenen – Verstöße gegen das AÜG rechtskräftig zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt worden sind.

Darauf, dass es sich bei den – wie dargelegt, nur zum Schein zwischengeschalteten – Unternehmen nach ungarischem Recht um Gesellschaften handelte, bei denen – ähnlich wie bei der GmbH deutschen Rechts – die persönliche Haftung der Gesellschafter ausgeschlossen ist, kann der Antragsteller sich nicht berufen. Es spricht zunächst – wie dargelegt – viel dafür, dass diese Firmen nur zum Schein zwischengeschaltet waren. Deshalb kommt es nicht darauf an, dass – vorbehaltlich einer abweichenden zwischenstaatlichen Vereinbarung (vgl BGHZ 153, 353ff), die zwischen Deutschland und Ungarn nicht besteht (auch der deutsch-ungarische „Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“ vom 06.02.1992, BGBl 1992 II S 474ff, enthält eine solche Regelung nicht), sich der Status einer in Deutschland tätigen ausländischen Gesellschaft nach inländischem, deutschem Recht beurteilt (sog Sitztheorie, vgl BGHZ 153, 353ff; 151, 204ff; 78, 318ff; 53, 18ff). Danach entsteht eine solche (Kapital-) Gesellschaft erst mit der Eintragung in das Handelsregister (§ 11 Abs 1 GmbH-Gesetz). Anhaltspunkte, von einer Vorgesellschaft oder einer GmbH iG auszugehen, bestehen nicht. Die Anwendung deutschen Rechts muss erst recht gelten, wenn – was hier nahe liegt – von vorneherein beabsichtigt war, unternehmerische Tätigkeit ausschließlich im Inland zu entfalten (BGHZ 53, 181ff) oder den Sitz nach Gründung im Ausland ins Inland zu verlegen (BGHZ 151, 204ff). In solchen Fällen gilt die ausländische Kapitalgesellschaft nach deutschem Recht als Personengesellschaft nach § 14 Abs 2 BGB (in Kraft seit dem 30.06.2000 gemäß Gesetz vom 27.06.2000, BGBl I, 897, 1139; vgl zur BGB-Gesellschaft: BGH aaO; BGHZ 146, 341ff; BGH NJW 2002, 271f). Die Einwände, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) gegen die sog Sitztheorie erhoben hat (EuGHE I 2002, 9919ff, Urteil vom 05.11.2002 Az
C-208/00)
, greifen für Zeiträume und Sachverhalte nicht, auf die europäisches Recht – wie hier, vgl oben – keine Anwendung findet. Eine entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens dieser Rechtsprechung fordert der Vertrag vom 06.02.1992 gerade nicht.

Die vom Antragsteller erhobene Einrede der Vorausklage geht ins Leere, weil eine solche – subsidiäre – Haftung im deutschen Recht nicht vorgesehen ist. Die Beitragsforderungen sind auch nicht – teilweise – verjährt, weil der Antragsteller die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat, was zur Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist führt, § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV. Es spricht nach dem zuvor Gesagten Einiges dafür, dass der Antragsteller seine gesamte unternehmerische Tätigkeit in Deutschland planmäßig gestaltet und durchgeführt hat, um das Bestehen von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu verschleiern.

(2) Die Vollziehung des Beitragsbescheides stellt für den Antragsteller auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dar. Das Gesetz sieht vielmehr bei Beitragsschulden vor, dass im Regelfall das Interesse an der Vollziehung des Beitragsbescheides das Interesse des in Anspruch Genommenen, vor der endgültigen Zahlung eine Beitragspflicht in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen, überwiegt. Tatsachen, die es rechtfertigten, ihn ausnahmsweise vorläufig zu entpflichten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Allein die Höhe der Beitragsforderung und die mit der Zahlung für ihn verbundenen ökonomischen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen unbilligen Härte, da es sich lediglich um die Erfüllung der gesetzlich auferlegten Pflichten handelt. Es erscheint in Anbetracht dessen auch nicht unverhältnismäßig, es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei der – vorläufigen – Zahlungspflicht zu belassen. Im Streitverfahren betreffend die Aufhebung der Arrestbefehle sind Landgericht und Oberlandesgericht Köln von einer Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Arreste ausgegangen, weil das Strafverfahren auch aufgrund von aus der Sphäre des Staates kommenden Umständen unnötig (und damit unverhältnismäßig) verzögert werde. Solche Überlegungen können im hier maßgeblichen Betragsrecht von vorneherein nicht zum Tragen kommen, weil die gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dazu führt, dass es beim gesetzlich angeordneten Regelfall verbleibt, zumal das bisherige Beweisergebnis eine Bestätigung der Haftungsentscheidung erwarten lässt.

Darüber hinaus gehende Umstände, die eine unbillige Härte darstellen könnten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Sie sind – angesichts der bisherigen vergeblichen Vollstreckungsversuche – auch sonst nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 197a SGG, 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Da sich der Antragsteller gegen die festgesetzte Beitragsschuld mit der Begründung wendet, diese bestehe insgesamt nicht, ist der Streitwert in Höhe von 5.198.994,59 Euro festzusetzen. Auch nach der Neubekanntmachung des Gerichtskostengesetzes (Im Folgenden: nF) durch Art 1 des Kostenmodernisierungsgesetzes (KostRMoG) vom 05.05.2004 (BGBl I, 718 ff) richtet sich die Festsetzung des Streitwerts noch nach dem Gerichtskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.12.1975 (BGBl I, 3047 ff; im Folgenden: aF), weil das Beschwerdeverfahren vor dem 01.07.2004 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neufassung des GKG, Art 8 KostRMoG) anhängig geworden ist, § 72 Nr 1 GKG nF. Auf dieser Basis beträgt der Streitwert nach § 13 Abs 2 GKG aF 5.198.994,59 Euro. Die Entscheidung über den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren obliegt dem SG, § 25 Abs 2 Satz 1 GKG aF.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

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