Die Skandal-Liste in BILD

„Rund 100 Milliarden Euro Steuergeld verteilt die EU in diesem Jahr. Ein Fünftel davon zahlen wir Deutschen! Etwa 40 Prozent fließen in die Landwirtschaft — zum Teil in völlig irrsinnige Projekte.“ Mit markanten Sprüchen stellt die Bildzeitung die EU-Förderungen an den Pranger (einmal mehr eine „Skandalliste“).

In einigen Bereichen mutet das Förderungsverhalten der EU merkwürdig an und ist auch in sich widersprüchlich. So wird bspw. der Tabakanbau durch die EU massiv unterstützt, gleichzeitig aber vor dem Tabakkonsum mit drastischen Pflichttexten auf den Zigarettenschachteln gewarnt. Soweit die Förderung für die Landwirtschaft kritisiert wird, wird regelmäßig verschwiegen, dass es neben der EU-Förderung keine nationale Förderung existiert. Dass im Agrarbereich zahlreiche Probleme existieren, ist allerdings nicht erst seit dem Auftritt Tony Blairs bekannt: Seit über 30 Jahren denkt bei Wein- und Milchseen und Butterbergen niemand an ein österreichisches Feriengebiet, sondern an immer noch ungelöste Probleme der Agrarpolitik der EU.

Die Kommission setzt sich zur Wehr:

Zur „Skandalliste“ der Bild-Zeitung vom 22.Juni 2006 über angebliche Verschleuderung von EU-Geldern erklärt Dr. Gerhard Sabathil, Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland:


Das Mobbing gegen EU-Bürokraten ist besonders unverständlich, wenn man in Betracht zieht, dass es die nationalen Regierungschefs und Minister sind, die meist einstimmig und seit Jahrzehnten die Entscheidungen in Brüssel treffen. Zu Hause stehen Sie dann aber selten zu ihren Entscheidungen und erklären sie dem Bürger kaum. In dem Artikel der Bild-Zeitung finden sich einige gravierende Fehler:

So wurden nicht 322 Millionen Euro für die Weinvernichtung ausgegeben. Im April wurden 145 Millionen Euro für die sogenannte „Krisendestillation“ von Wein in Treibstoff zur Verfügung gestellt, und Frankreich hat dafür zugesagt, fünfzehn- bis achtzehntausend Hektar Weinanbaufläche stillzulegen. Im nächsten Jahr wird die EU-Kommission Vorschläge zur Reform des Weinmarktes machen, um unter anderem den Produktionsüberschuss zu reduzieren.

Es gibt keine EU-Förderung für die Zigarettenproduktion. Sehr wohl wurde der Tabakanbau gefördert, aber dieser Sektor wurde jüngst reformiert. Spezifische Förderungen werden abgeschafft und durch Direktzahlungen ersetzt, die nicht an bestimmte landwirtschaftliche Produkte gebunden sind. Bis zum Jahr 2010 wird es keine Tabaksubventionen mehr geben. Übrigens: Eine Kampagne gegen das Rauchen um 14,4 Millionen Euro erscheint billig, wenn man bedenkt, dass durch Rauchen verursachte Krankheiten in der EU etwa 100 MILLIARDEN Euro für Krankenbehandlung und versäumte Arbeitstagen kosten.

Der Artikel sagt nicht, welcher mit EU-Geldern geförderte deutsche Yachthafen nur von zwei Booten genutzt wurde. In der Tat haben den mit EU-Mitteln geförderten Yachthafen von Havelberg einmal Journalisten aufgesucht. Im Winter allerdings, und zu diesem Zeitpunkt befanden sich dort tatsächlich nur zwei Boote. Nicht ungewöhnlich, ist doch Bootfahren im Sommer ungleich angenehmer und verbreiteter als in der kalten Jahreszeit. Und in der Tat ist der Hafen im Sommer ausgezeichnet belegt.

Die 309 Millionen Euro für den Bau des Teilstücks der Mittel-/Hochgeschwindigkeits-zugsverbindung Athen-Thessaloniki von Evangelismos nach Letokarya sind keineswegs „weg“. Die Strecke ist fertig und ging voriges Jahr in Betrieb. Soweit EG-Gelder nicht regelkonform verwendet wurden, sind sie zurückgefordert worden.

Es geht aus dem Pamphlet der Bildzeitung auch nicht klar hervor, für welchen Flughafen in Spanien 60 Millionen Euro an Förderung ausbezahlt worden sein sollen. In der Tat hat etwa der Flughafen von Palma auf Mallorca im Jahr 1993 eine Förderung von 66 Millionen Euro erhalten. Steinfußböden und Springbrunnen für Flughafengebäude gehören durchaus zu den üblichen architektonischen Gestaltungselementen für derartige, von sehr vielen Menschen benützte Räumlichkeiten.


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