Fahrverbot für bestimmte LKW auf der Inntalautobahn rechtswidrig

Das Fahrverbot für bestimmte Lastkraftwagen auf der Inntalautobahn ist mit dem freien Warenverkehr unvereinbar und deshalb rechtswidrig. Das hat der EuGH am 15. November 2005 (Az.: C-320/03) festgestellt. Eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels kann zwar grundsätzlich aus Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt sein, das fragliche Fahrverbot ist jedoch unverhältnismäßig.

Eine Verordnung des Bundeslandes Tirol (Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol vom 27. Mai 2003, mit der auf der A 12 Inntalautobahn verkehrsbeschränkende Maßnahmen erlassen werden (sektorales Fahrverbot), die am 1. August 2003 hätte in Kraft treten sollen, deren Vollziehung jedoch aufgrund eines Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofes auf Antrag der Kommission ausgesetzt wurde.) von 2003 sieht für Lastkraftwagen mit einer Gesamtmasse von mehr als 7,5 t, die bestimmte Güter wie Abfälle, Steine, Erden, Kraftfahrzeuge, Rundholz oder Getreide befördern, ein Fahrverbot auf einem 46 km langen Teilstück der A 12 Inntalautobahn vor. Sie zielt auf eine Verbesserung der Luftqualität ab, um einen dauerhaften Schutz der Gesundheit des Menschen sowie des Tier- und Pflanzenbestands zu gewährleisten.

Der von der Europäischen Kommission angerufene Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellt in seinem Urteil fest, dass dieses sektorale Fahrverbot in Tirol den freien Warenverkehr und insbesondere die freie Warendurchfuhr behindert. Diese Maßnahme betrifft nämlich einen Straßenabschnitt von überragender Bedeutung, der einer der wichtigsten terrestrischen Verbindungswege zwischen Süddeutschland und Norditalien sei.

Eine Behinderung des freien Warenverkehrs, die grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, könne durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes gerechtfertigt sein. Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass Österreich, nachdem in den Jahren 2002 und 2003 der in zwei Gemeinschaftsrichtlinien (Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55) und Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163, S. 41), geändert durch die Entscheidung 2001/744/EG der Kommission vom 17. Oktober 2001 (ABl. L 278, S. 35).) festgelegte Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) im betreffenden Gebiet überschritten worden war, zum Handeln verpflichtet war, um das in diesen Richtlinien vorgeschriebene Ergebnis zu erreichen. Die Tiroler Verordnung über das sektorale Fahrverbot und ihre Rechtsgrundlage, das österreichische Immissionsschutzgesetz Luft, mit dem diese Richtlinien umgesetzt worden sind, erfüllen jedoch nicht alle Voraussetzungen dafür, dass das streitige Verbot eine von diesen Richtlinien gedeckte Maßnahme darstellen kann.

Zum Umweltschutz im Allgemeinen stellt der Gerichtshof fest, dass das sektorale Fahrverbot gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Vor Erlassung einer so radikalen Maßnahme wie der eines völligen Fahrverbots auf einem Autobahnabschnitt, der eine überaus wichtige Verbindung zwischen bestimmten Mitgliedstaaten darstelle, hätten die österreichischen Behörden nämlich sorgfältig prüfen müssen, ob nicht auf weniger beschränkende Maßnahmen zurückgegriffen werden könnte. Sie haben aber nicht hinreichend untersucht, ob tatsächlich eine realistische Ausweichmöglichkeit besteht, um eine Beförderung der betroffenen Güter mit anderen Verkehrsträgern oder über andere Straßenverbindungen sicherzustellen, und, insbesondere, ob ausreichend geeignete Schienenkapazität zur Verfügung steht.
Außerdem sei ein Übergangszeitraum von nur zwei Monaten für die Vollziehung des Verbotes offensichtlich unzureichend, um es den betroffenen Unternehmen in zumutbarer Weise zu ermöglichen, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Dass die erheblich Luftbelastung im Inntal sicherlich zu einem Großteil auf den LKW-Verkehr auf dieser wichtigen Verbindungsstrecke zurückzuführen ist, wird niemand ernsthaft bestreiten. Und zweifelsohne ist das Verbot eine mögliche Maßnahme zur Verringerung der Schadstoffbelastung (in der Region). Welche durchführbaren Alternativen bleiben denn der Region zur Verringerung der Schadstoffbelastung? Und wie groß ist die Gefahr, dass auch diese Maßnahme als unverhältnismäßig eingestuft wird. Die Regierung hätte prüfen müssen, so der EuGH, ob tatsächlich eine realistische Ausweichmöglichkeit besteht, um eine Beförderung der betroffenen Güter mit anderen Verkehrsträgern oder über andere Straßenverbindungen sicherzustellen, und, insbesondere, ob ausreichend geeignete Schienenkapazität zur Verfügung steht. Was aber, wenn es keine realistische Aussweichmöglichkeit gibt und nicht ausreichend Schienenkapazität zur Verfügung steht (so muss es sich wohl verhalten) — gibt es dann noch realistische Aussweichmöglichkeiten für das Bundesland Tirol.

Beachtenswert ist auch die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Warenverkehrsfreiheit. Diese Bestimmungen hatten ursprünglich die Aufgabe, Zölle und andere protektionistische Handelshemmnisse zu beseitigen. Die Maßnahmen des Bundeslandes Tirol hatten wohl kaum einen protektionistischen Hintergrund, sondern richtete sich gegen die Lärm- und Luftbelastung der bedeutenden Transitstrecke. Es geht bei dem Verbot nicht um die Waren, sondern um bestimmte, umweltbelastende Transportmittel.

Es ist bedenklich, wie groß inzwischen der Europäische Gerichtshof die Reichweite der wirtschaftlichen Freiheiten des EG-Vertrages versteht. Daraus folgen jeweils auch Kompetenzen der EU – und sei es nur, den Mitgliedstaaten bestimmte Handlungen zu untersagen. Das ganze System der EU ist immer weniger austariert, geschweige denn, im Gleichgewicht. So liegen die Kompetenzen für die Wirtschaft inzwischen weitgehend auf EU-Ebene, die Aufgabe, das Arbeitlosigkeitgsproblem zu lösen verbleibt jedoch bei den Mitgliedstaaten. Diesen sind aber weitgehend die Hände gebunden, da sie kaum noch Handlungsspielraum im klassischen Sinne haben.

Das eine Regelung aus dem Jahr 2003 in 2005 wegen eines zu kurzen Übergangszeitraum von nur zwei Monaten verworfen wird (obwohl seit dem Erlass der Regelung nunmehr über 2 Jahre vergangen sind), ist ein Zeichen dafür, dass das System verfeinert werden müsste. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass die Vollziehung aufgrund eines Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofes ausgesetzt war. Der EuGH müsst selber verhältnismäßige Entscheidungen treffen können, also keine vollständige Aufhebung, sondern eine angemessene Übergangszeit vorsehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert