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Großzügige Softwarepatentierung im EP gescheitert

Mit einer großen Mehrheit stimmten die Volksvertreter im Europäischen Parlament (EP) gegen den Vorschlag einer Richtlinie zur Vereinheitlichung der Patentierbarkeit von computergestützen Erfindungen mit zweifelhaften Folgen für Programmierer und Softwareunternehmen. Patente auf die eigentliche Software soll es nach dem Parlamentsbeschluss nicht geben.

361 Abgeordnete stimmten für eine deutliche Überarbeitung der Richtlinie – lediglich 157 für eine unveränderte Annahme. Patente sollen nur für computergesteuerte Anwendungen in Endgeräten möglich sein, also etwa für eine Waschmaschine mit neuer Software. Reine Computersoftware, also die programmierten Anweisungen an den Computer, sollen ebenso wenig patentierbar sein wie die technische Idee dahinter. Die Vorlage wird nun den Mitgliedstaaten zur weiteren Beratung vorgelegt.

Artikel 52 des europäischen Patentübereinkommens – der die bisherige Rechtslage widerspiegelt – stellt fest, dass Computerprogramme als solche nicht patentiert werden können. Um den Anwendungsbereich des Übereinkommens nicht auszuweiten, haben die Abgeordneten daran erinnert, dass der technische Charakter der Erfindung Voraussetzung für die Patentierbarkeit ist. Der entscheidende Änderungsvorschlag lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass auf computerimplementierte Erfindungen erteilte Patentansprüche nur den technischen Beitrag umfassen, der den Patentanspruch begründet. Ein Patentanspruch auf ein Computerprogramm, sei es auf das Programm allein oder auf ein auf einem Datenträger vorliegendes Programm, ist unzulässig.“

Bei einer unveränderten Übernahme des Vorschlags wäre es möglich gewesen, alltägliche und millionenfach angewendete Programmbestandteile zu patentieren – mit verheerenden Auswirkungen für die Gesellschaft – so die Kritiker. Das Mitglied des Europäischen Parlaments Bent Hindrup ANDERSEN (EDU, Dänemark) drückte dies so aus: Software-Patente ähneln einem Patent auf Treppen: „Ein Patent auf Treppenhäuser trägt Sorge dafür, dass man keine Hochhäuser mehr bauen kann.“ Er verlangte daher, dass Software nicht zu patentieren sei. Der Fortschritt würde gehemmt, wenn man für jegliche Neuerung einen Patentjuristen konsultieren müsse, schloss der Abgeordnete.

Die Befürworter hatten sich von der ursprünglichen Richtlinie einen besseren Schutz europäischer Softwarefirmen gegen die Konkurrenz aus den USA und Japan erhofft. Dort gibt es bereits Patentgesetze für Software. Die Unternehmen könnten deshalb Lizenzgebühren für ihre Erfindungen erheben, während Unternehmen und Wissenschaftler in Europa bisher leer ausgingen, so die Argumente der Befürworter. Das letzte Argument erscheint wenig schlüssig, denn es steht europäischen Unternehmen jederzeit offen, die Möglichkeiten in den Vereinigten Staaten und Japan zu nutzen.

Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen, aber auch die Open Source Programmierer haben die Möglichkeit der Patentierung von solchen „Logik- und Trivialpatenten gefürchtet. Daniel Cohn-Bendit, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, die eine Richtlinie für völlig überflüssig erachten, erklärte hierzu: „Was das Parlament heute angenommen hat, ist ein Erfolg für alle, die verhindern wollten, dass eine verheerende Regelung in Kraft tritt.“

Die Großunternehmen, die sich für die Richtlinie in der Version der Kommission eingesetzt haben, kamen nicht zum erhofften Ergebnis: Der Sprecher des Europäischen Dachverbands der Informatik,-, Kommunikations- und Elektronikindustrie (EICTA), dem führende Großkonzerne wie Microsoft und Sony angehören, zeigte sich in ersten Reaktionen „zutiefst enttäuscht“.

Die Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) hat die Entscheidung des EP kritisiert, die umstrittene Richtlinie über die „Patentierbarkeit Computer-implementierter Erfindungen“ in wesentlichen Punkten abzuändern. GI-Vizepräsident Andreas Stöckigt zeigte sich bestürzt, dass das Europäische Parlament die Informatik nicht mehr zur Technik zählt.: „Der Vorschlag der Kommission ist im Eiltempo in sein Gegenteil verkehrt worden und dies nach drei Jahren Diskussion zu diesem Thema“,
sagte er weiter. Die Industrie muss für Patente, die Computerprogramme nutzen, künftig eine lizenzfreie Implementierung zur Verfügung stellen. Stöckigt: „Diese Programme können dann natürlich auch in Ländern, in denen das Patent nicht angemeldet wurde, genutzt werden.“ Es sei zu befürchten, dass innovative Firmen verstärkt in anderen Wirtschaftsräumen ihre Erfindungen anmelden werden.

Diese Ansicht verkennt allerdings, dass die Programmierleistung weiterhin urheberrechtlich geschützt ist. Wieso eine lizenzfreie Implementierung zur Verfügung gestellt werden sollte, bleibt ebenfalls im Dunklen. Insofern ist auch die mit der Patentierung verbundene Offenlegung weniger problematisch, denn ob jemand gegen ein mit einem Patent- oder gegen ein mit einem Urheberrecht geschütztes Recht verstößt, – es bleibt jeweils ein Verstoß gegen das geschützte geistige Eigentum. Insofern ist kein Unterschied erkennbar. Ob ein Schutz der bloßen Methode, wenn auch über Software verwirklicht, wirklich Sinn macht, ist ausgesprochen zweifelhaft.

Schlagabtausch im EP um die Softwarepatente

Dass sich die Bedeutung des Europäischen Parlaments (EP) bei dem Thema Softwarepatente zeigt – damit hat wohl niemand gerechnet. Nach der Debatte über den Patentschutz für computerimplementierte Erfindungen sagte Berichterstatterin Arlene McCARTHY (SPE, UK), sie sei seit zehn Jahren MdEP, aber sie habe noch nie solche persönlichen Angriffe auf sich und ihre Mitarbeiter erlebt, wie bei dieser Abstimmung. Sie hoffe auf entsprechende Vorkehrungen bei der morgigen Abstimmung.

Die von zahlreichen Softwareschmieden und Programmieren mit Bangen un Hoffen erwartete Abstimmung zu dem Entwurf findet am 24.09.2003 statt. In dem meistbesuchten deutschsprachigen Internetportal für Programmierer und Softwareunternehmen des Heise-Verlags kann man den Schlagabtausch der Softwarinteressierten verfolgen. EIn Zusammenfassung der Süddeutschen Zeitung finden Sie hier.

Hier die Redebeiträge der Debatte im EP:

Erklärung der Kommission:

Kommissar Frits BOLKESTEIN sagte, es gehe nicht um die Patentierung reiner Computerprogramme, wie viele Gegner der Richtlinie behaupteten. Viele Gegner hätten auch fälschlicherweise behauptet, dass mit der Richtlinie erstmals Programme patentierbar würden. Auch das sei falsch: „Nichts wird dadurch patentierbar, was nicht schon jetzt patentierbar ist.“ Es gehe nur um die Harmonisierung der gegenwärtigen Patentierungspraxis.

Die Mehrheit der Änderungsanträge sei für die Kommission inakzeptabel. Viele Änderungsanträge seien „fundamental“. Er befürchte, dass der Vorschlag scheitert, wenn diese Änderungsanträge angenommen werden. Dies hätte negative Folgen:

  • In Ermangelung der Harmonisierung wäre es den europäischen Patentämtern weiter freigestellt, auf Software basierende Erfindungen zu patentieren. Dies schaffe Rechtsunsicherheit. Die Bemühungen der Kommission, ein Patentierungsverbot für reine Software zu etablieren, würden untergraben.
  • Die Mitgliedstaaten würden selbst Gesetzgebung entwerfen, wenn es auf EU-Ebene keine Regelung gebe. Wenn die EU keine Regeln für die Patentierung von computerimplementierten Erfindungen schaffe, werde die Europäische Patentkonvention zwischenstaatlich ohne Einfluss des EP und der europäischen Bürger neu ausgehandelt.
EP-Berichterstatterin:

Arlene McCARTHY (SPE, UK) hob hervor, dass computerimplementierte Erfindungen nichts Neues seien. 30.000 Patente seien allein für technische Anlagen, Waschmaschinen, Telefone etc. vergeben worden. Allein im vorletzten Jahr habe es 16.000 Patentanträge gegeben. Diese Flut von Anträgen gelte es einzugrenzen, um eine Wettbewerbseinschränkung zu vermeiden. Andererseits müssten Erfindungen mit einem langen Entwicklungszeitraum geschützt werden. Auch kleine und mittlere Unternehmen müssten in den Schutz einbezogen werden, um den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu verstärken. McCarthy forderte die Kommission auf, die Änderungsanträge zu Artikel 4 zu bedenken und die Ausnahmen von der Patentierbarkeit zu berücksichtigen. Die Kommission solle den Investitionsschutz garantieren, den Wettbewerb wahren, echte Erfindungen schützen und Monopole bekämpfen. Die Schaffung einer guten Praxis im Patentwesen und die Verhinderung von multinationaler Dominanz seien das Ziel.

Vertreter der Fraktionen:

Joachim WÜRMELING (EVP-ED, D (CSU)) erklärte, es handele sich um eine juristisch und technisch hoch komplizierte Materie. Man sei einem aggressiven und irrationalen Lobbyismus ausgesetzt gewesen. Man wolle weder eine allgemeine Patentierung jeglicher Software noch eine Unterstützung der Softwareriesen. KMU sollten nicht gefährdet werden, ebenso wenig wie die Open-source-Bewegung und die Linuxtechnik. Man brauche eine vernünftige Abgrenzung zwischen patentierbaren technischen Erfindungen und nichtpatentierbarer reiner Software. Die im Europäischen Patentamt festzustellende schädliche Tendenz der häufigen Patentierung lasse sich nur durch den Gesetzgeber beenden. Der Kommissionsvorschlag werde durch den Bericht des Rechtsausschusses verbessert. Dieser begrenze die Tendenz zu einer Ausuferung der Patente. Durch die Aufzählung von Negativbeispielen in Artikel 4 a werde die Patentierung von reiner Software und ähnlichem ausgeschlossen. Die EU brauche ein Innovationen förderndes Patentrecht.

Laut Manuel MEDINA ORTEGA (SPE, E) spiegeln die im Rechtsausschuss angenommenen Änderungen die derzeitige Situation nicht wider. Es gehe nicht nur um die Patentierung von industrieller Anwendung, sondern um das geistige Eigentum. Mit dem Vorschlag drifte man hin zu amerikanischen Verhältnissen, zu einer Patentierung von nichtindustriellen Anwendungen. Dies wäre ein Rückschritt auf dem Weg zur Informationsgesellschaft. Man brauche eine klare Abgrenzung. Die Natur des Industriepatents dürfe nicht gefährdet werden. Nur die industrielle Anwendung und nicht die Computerprogramme müssten durch die Gemeinschaftsrichtlinie geschützt werden.

Toine MANDERS (LIBE, NL) sagte, es sei das Ziel, Rechtssicherheit zu erreichen. „Wir brauchen die Richtlinie, um amerikanische Bemühungen zu verhindern.“ Sonst könnten tausende Anwendungen patentiert werden. Der Bericht sei sehr ausgewogen, aber einige Änderungen sollte man noch vornehmen, so z.B. hinsichtlich der Übergangszeit: Hier sei ein besserer Schutz finanzschwacher Erfinder nötig.

Pernille FRAHM (KVEL/NGL, DK) erklärte, wir hätten alle die gleiche Absicht: noch mehr Erfindungskraft und Erneuerung in den KMU zu fördern. Wieso aber seien jetzt gerade die KMU gegen eine schnelle Abstimmung? Die KMU befürchteten, dass die Wahrung eigener Rechte ihnen zu teuer kommen könnte. Jetzt würde die schleichende Ausweitung der Patentierbarkeit durch das Europäische Patentamt legalisiert. „Wie rein muss Software sein, damit sie wirklich rein ist?“, fragte Frahm. Hier fehle noch eine klare Antwort. Man müsse den Zweiflern eine Chance geben.

Raina Mercedes ECHERER (GRÜNE/EFA, A) unterstützte die Berichterstatterin und warf Bolkestein vor, er wolle die Kritiker abschrecken: Er „stellt die Rute ins Fenster“, „ja eine Drohung habe ich beinahe herausgehört“, sagte Echerer.

Wenn nur ein einziges Teilchen einer Lösung patentiert sei, sei die ganze Lösung nicht weiterzuverwenden. Möglicherweise schaffe die Richtlinie nicht mehr Rechtssicherheit, sondern auch neue Schlupflöcher. Wir wüssten, wie marktkräftige Unternehmen das Patent als Waffe benutzen. Anstelle den Weg des Patentrechts zu gehen, hätte man die Urheberrechtsrichtlinie von 1991 weiterentwickeln sollen.

Antonio MUSSA (UEN, I) unterstrich, dass die EDV das Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung sei. Er wandte sich dagegen, eine allumfassende Patentierbarkeit einzuführen, da sonst der Fortschritt gehemmt werde. „Würde jeder kleine Befehl oder jede Einrichtung mit Patent belegt, hätte man einen Dschungel von Einschränkungen.“ Mussa wandte sich gegen die Annahme des McCarthy-Berichts und verlangte, den „freien Geist der Völker“ zu wahren.

Für Bent Hindrup ANDERSEN (EDU, DK) ähneln Software-Patente einem Patent auf Treppen: „Ein Patent auf Treppenhäuser trägt Sorge dafür, dass man keine Hochhäuser mehr bauen kann.“ Er verlangte daher, dass Software nicht zu patentieren sei. Der Fortschritt würde gehemmt, wenn man für jegliche Neuerung einen Patentjuristen konsultieren müsse, schloss der Abgeordnete.

Marco CAPPATO (FL, I) setzte sich dafür ein, die Patentierbarkeit der Software einzuschränken. Es seien bereits schon jetzt zu viele Patente zugelassen, die den Fortschritt hemmten. Er verlangte daher, dass nur die Erfindung patentierbar ist, nicht aber die Software. Die Regeln des Urheberschutzes müssten eingehalten werden. Die Änderungsanträge zur Interoperabilität gelte es durchzusetzen

Weitere deutschsprachige Abgeordnete:

Selten habe ein Gesetzgebungsverfahren in einem derart frühen Stadium so große öffentliche Aufmerksamkeit hervorgerufen, so Evelyne GEBHARDT (SPE, D). Sie sei für die Annahme des Kompromisses. Hierdurch werde versucht, aus der Falle der Artikel 2 und 4 zu gelangen. Eine Neudefinition des Technischen habe der Patentierbarkeit von Software Tür und Tor geöffnet. Dieses Schlupfloch sei nun einigermaßen geschlossen. Sie hätte gerne noch mehr erreicht. Es sei nicht deutlich genug, dass man Softwarepatente nicht nur einschränke, sondern gar nicht mehr erteilen wolle. „Wer Software patentiert, spielt dem großen Kapital in die Hand, nicht aber der großen Intelligenz.“ Jenseits der Regelungen des Kompromisses bleibe es daher dabei: „Finger weg von der Softwarepatentierung.“

Othmar KARAS (EVP-ED, A) erklärte, die Richtlinie garantiere eine einheitliche Rechtsanwendung durch Patentämter und Patentgerichte. Dies sei im Interesse eines gemeinsamen Binnenmarktes. Die Entwicklung neuer Software dürfe allerdings nicht behindert und die Position der KMU nicht geschwächt werden. Die Richtlinie müsse auch Rechtssicherheit schaffen. Viele Ängste beruhten auf Fehlinterpretationen. Einige Argumente seien jedoch auch zutreffend. Technische Erfindungen müssten besser von intellektuellen abgegrenzt werden. Er unterstütze Änderungsantrag 107 und 108, durch die das Gebiet der Technik deutlicher definiert werde. Auch Änderungsantrag 116 zu Grenzen der Patentierbarkeit finde seine Zustimmung. Er begrüße die Kompromisse von Wuermeling, in denen klargestellt werde, dass Trivialvorgänge und Geschäftsmethoden nicht patentierbar seien.

Angelika NIEBLER (EVP-ED, D) fragte sich, ob man die Richtlinie wirklich brauche. Nach einer Abwägung des Für und Wider, sei sie nun überzeugt davon, dass das Parlament, wenn es morgen die Richtlinie verabschiede, eine gute Entscheidung treffe. Die bestehende Praxis werde harmonisiert und strengere Regeln für Patente verabschiedet. Die Richtlinie verhindere das Entstehen amerikanischer Verhältnisse. Bloße Geschäftmethoden und reine Software würden in der EU nicht patentierbar werden. Auch Trivialsoftware würde nicht geschützt. Der Patentschutz für computerimplementierte Erfindungen erfordere einen technischen Beitrag.

Sprecher der Kommission:
Kommissar Frits BOLKESTEIN sagte: „Die Kommission ist nicht bereit zu akzeptieren, dass alles möglich sein soll.“ Nicht-technische Software solle nie patentiert werden, aber technische Anwendungen. Als Antwort auf den Einwand von Echerer sagte Bolkestein: Wenn eine kleine technische Lösung patentiert werden könne, könne auch eine große Lösung patentiert werden. Nicht einzelne Komponenten sollten unter Schutz stehen, sondern nur die Gesamtlösungen. Er pflichte Würmeling bei, der gesagt habe, dass die gegenwärtigen Praktiken fortgesetzt würden, wenn die Richtlinie nicht verabschiedet werde.