notdürftig überdeckt

Plagiatsjäger ohne Sinn und Verstand?

Nach den Dissertationen von zu Guttenberg, Veronika Saß und Matthias Pröfrock wird nun auch die Arbeit von Silvana Koch-Mehrin unter die Lupe genommen. Es werden mit scheinbar statistischer Neutralität die gefundenen Plagiate aufgezeigt. Nachdem zu Guttenberg Unglaubliches abgeliefert hatte, scheint alles möglich. In den Internetforen wird von einer Betrugsmentalität der angeblichen Leistungsträger oder von einer Verschwörung der linken Netzaktivisten gesprochen.

Die Suche nach Plagiaten und deren Diskussion in der Öffentlichkeit nimmt aber teilweise krude Formen an. Nicht dass ich die Dissertation von Fr. Koch-Mehrin: Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik gelesen hätte und mir ein eigenes Urteil über die Arbeit erlauben könnte. Es mag durchaus sein, das in der Arbeit einige Stellen enthalten sind, die man unter dem Begriff Plagiat erfassen kann — ich weiß es schlichtweg nicht und kann mir kein Urteil über die Arbeit erlauben. Aber was die Plagiatsjäger teilweise zum Plagiat stempeln (hier), das lässt doch Zweifel an der Methode aufkommen. Offenbar wird technokratisch nach Textstellen gesucht, in denen mehrere identische oder ähnliche Worte oder Wortfolgen auftauchen.

Bei einigen der nach diesem Maßstab gekennzeichneten Stellen der Arbeit von Dissertation von Fr. Koch-Mehrin handelt es sich um simple Darstellungen historischer Tatsachen. Dass die Autorin diese nicht selbst erlebt hat und folglich irgendwo abgeschrieben haben muss, liegt auf der Hand. Aber Wissenschaft bedeutet nicht, dass jeder bei Null anfangen muss. Die Fortpflanzung der Wissenschaften und Lehre ist, wie Hegel es ausdrückte, seiner Bestimmung und Pflicht nach die Repetition festgesetzter, überhaupt schon geäußerter und von außen aufgenommener Gedanken. Die Wiederholung der von anderen stammenden Gedanken ist Bestimmung und Pflicht der Wissenschaft. Selbstverständlich kann, soll und muss man sich auf den vorhandenen Grundstock an Wissen berufen können, ohne dessen Entstehung nun im Detail auf einzelne Personen zurückführen zu müssen. Und dieser Grundstock variiert von Fach zu Fach. Es ist wohl kaum Zweck einer physikalischen Arbeit, an jeder möglichen Stelle Newton oder Gauß zu referenzieren. In einer geisteswissenschaftlichen Arbeit kann es hingegen durchaus angezeigt sein, einen entsprechenden Verweis anzubringen. Man sollte hier mit Augenmaß urteilen und nicht einen stumpfsinnigen Wortvergleich durchführen. Viele historische Werke zeichnen sich beispielsweise dadurch aus, dass im Fließtext praktisch gar keine Verweise enthalten sind, sondern nur ein Literaturverzeichnis. Überhaupt scheint diese Methode, hinter nahezu jedem Satz einen Verweis anzubringen, von den Juristen zu stammen: ,,eine trockene kurzgefasste exegetische Glosse zu jedem Paragraph mit summarischer Angabe der Ansichten anderer Schriftsteller, darauf berechnet, das Studium so bequem und leicht als nur möglich zu machen …„, wie der österreichische Jurist Unger die seiner Meinung nach unwissenschaftlichen juristischen Texte umschrieb.

Als Plagiat wurde in der Arbeit von Frau Koch-Mehrin etwa die kurze Zusammenfassung über die Denomination einer Währung bezeichnet (hier):

  • Es gab zwei vollwertige Goldmünzen, das 20 und das 10 Kronenstück, sowie Scheidemünzen zu 2 und 1 Krone, sowie 50, 25 und 10 Öre. Das Gold bildete die Grundlage der Währung. Jede öffentliche Kasse war verpflichtet, Scheidemünzen umzuwechseln.
  • Es gab zwei vollwertige Goldmünzen (das 20- und das 10-Kronen-Stück) sowie Scheidemünzen (2 und 1 Krone sowie 50, 25 und 10 Öre). Das Gold bildete die Grundlage der Währung, nicht aber der Bimetallismus wie in Frankreich.

Es handelt sich um eine Darstellung einer historischen Tatsache unter Verwendung der für das Münz- und Währungswesen üblichen Fachsprache. Da ist meines Erachtens kein Platz für ein Plagiat. Soll etwa folgender Satz, den man gewiss (vielleicht mit minimalen Abweichungen) in zahllosen Schulbüchern lesen kann, irgend eines Hinweises bedürfen? ,,Mit der Währungsreform wurde die Deutsche Mark (DM) eingeführt. Die für die täglichen Geschäfte üblichen Zahlungsmittel waren aufgeteilt in Banknoten von fünf bis eintausend DM und Münzen von einem Pfennig bis fünf DM.„ Wer hier eine Fußnote setzt, macht sich eher lächerlich, selbst dann, wenn der Satz abgeschrieben sein sollte.

Ein weiteres angebliches Plagiat (hier):

  • Jedoch lag ein Angriff Frankreichs auf Italien kaum im Bereich realer Möglichkeiten.
  • Da ein Angriff Frankreichs auf Italien kaum im Bereich realer Möglichkeiten lag, […].

Was soll denn diese zwölf Wörter auszeichnen, dass sie für ein Plagiat geeignet erscheinen? Oder anders gefragt: Ab wann beginnt das Plagiat?

  • Im Jahr 800 wurde Karl zum Kaiser gekrönt.
  • Am Weihnachtstag im Jahr 800 wurde Karl zum Kaiser gekrönt.
  • Am Weihnachtstag im Jahr 800 wurde Karl in Rom zum Kaiser gekrönt.
  • Am Weihnachtstag im Jahr 800 wurde Karl in Rom von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt.
  • Am Weihnachtstag im Jahr 800 wurde Karl in Rom von Papst Leo III. zum römischen Kaiser gekrönt.
  • Am Weihnachtstag im Jahr 800 wurde Karl der Große in Rom von Papst Leo III. zum römischen Kaiser gekrönt.
  • Am Weihnachtstag im Jahr 800 wurde Karl der Große in Rom von Papst Leo III. zum römischen Kaiser gekrönt, wobei die Umstände, die dazu führten nicht genau geklärt werden konnten.

Irgendwo gibt es zweifelsohne eine Grenze, aber mit Bestimmtheit lässt sich diese nicht festlegen. Noch ein Beispiel für ein angebliches Plagiat (hier):

  • Für die französische Währung war das Jahr 1851 wesentlich, weil die am Edelmetallmarkt bestehende Relation das dem französischen Doppelwährungssystem zugrunde liegenden Gold/Silber-Wertverhältnis von 1 zu 15 unterschritt.
  • Für die französische Währung ist das Jahr 1851 bedeutungsvoll gewesen, weil in diesem Jahr die am Edelmetallmarkt bestehende Relation das dem französischen Doppelwährungssystem zugrundeliegende Wertverhältnis unterschritt.

Die eine Textstelle mag auf die andere zurückgehen, ist jedoch keine wörtliche Übernahme. Auch hier handelt es sich um simple Tatsachendarstellungen in der üblichen Fachsprache. Ein Plagiat würde ich hier ebenfalls nicht annehmen. Es ist beispielsweise eine bekannte Tatsache, dass Großbritannien aufgrund des fixen Gewichts und der Denomination der Silber- und Goldmünzen über lange Zeit wie magisch Goldmünzen anzog. Wenn ich das nun in einer Dissertation unterbringe, ohne irgend einen Hinweis auf eine Quelle, weil ich mir dieses Wissen irgendwann einmal angeeignet habe, sehe ich darin kein Problem. Wenn ich ein wissenschaftliches Buch lese, dann doch mit dem Ziel, dass ich mir die dort festgehaltenen Informationen zu eigen machen kann.

Was also fürs erste durch die Bekanntmachung eines Buchs sicherlich feil geboten wird, ist das bedruckte Papier, für jeden der Geld hat, es zu bezahlen, oder einen Freund, es von ihm zu borgen; und der Inhalt desselben, für jeden der Kopf und Fleiß genug hat, sich desselben zu bemächtigen.

Das ist eine Selbstverständlichkeit, in den Worten von Johann Gottlieb Fichte. Sein Anliegen lag bestimmt nicht darin, Plagiaten Vorschub zu leisten.

Es ist sicherlich eine Gratwanderung und in manchen Fällen besteht die offensichtliche Pflicht, die Quelle zu nennen. Aber ein wenig mehr Sinn und Verstand bei der Beurteilung kann man von einer kritischen Auseinandersetzung, wie VroniPlag die eigene Tätigkeit umschreibt, durchaus erwarten.

Je mehr man sich vor allem mit einem geisteswissenschaftlichen Fachgebiet beschäftigt, desto öfters trifft man auf immer wieder die gleichen Ideen und Gedanken. Manche kann man über lange Strecken zurückverfolgen und so erkennen, wer von wem abgeschrieben hat und wieso sich diese oder jene wissenschaftliche Erkenntnis oder Meinung gebildet hat. Wer aber mit der in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg im Hinblick auf die Neugestaltung des Urheberrechts propagierten Vorstellung, die Urheber schöpften aus nichts anderem als ihrem Wesen geistige Werke und müssten, weil das Werk Teil der Schöpferpersönlichkeit ist und ausschließlich dieser die Existenz verdanke, geistiges Eigentum zugesprochen bekommen, die Sache beurteilt, der verkennt nicht nur die Realität, sondern den auch den Sinn der Wissenschaft.  Der Großteil von dem, was in einem Standardwerk steht, sollte auch genauso verstanden werden: als wissenschaftlichen Standard, der inhaltlich zur freien Verfügung der Wissenschaftler steht. Wenn dieser in eigene Worte gekleidet wurde, sind auch urheberrechtliche Kopiervorwürfe fehl am Platz.

Oder soll man wieder die Diskussionen der Aufklärung führen, dass es an Gedanken genauso wenig ein Eigentum gibt wie an Luft oder dem Sonnenschein? Die Apologeten der „Das ist mein Gedanke“-Geisteshaltung, die jede klitzekleine Variation einer Formulierung irgend einem Individuum zuschreiben wollen, sollten von Christoph Martin Wieland lernen:

Ein solches Volk betrachtet den ganzen Schatz von Erfahrung, Wissenschaft und Kunst, den das gegenwärtige Jahrhundert von allen vergangenen geerbt und durch eigenen Fleiß so ansehnlich vermehrt hat, als ein eben so gemeines Eigenthum der Menschheit, wie Luft und Sonnenlicht; und jede Unternehmung gegen die Freiheit, nach eignem Belieben aus diesen Gemeinquellen zu schöpfen, ist in seinen Augen eine tyrannische Anmaßung gegen das unverlierbarste Naturrecht eines vernünftigen Wesens.

Wissenschaftliche Redlichkeit kann und soll man fordern. Aber mit einem mechanischen Vergleich von Wortabfolgen bei der Darstellung von historischen Tatsachen leistet man der Wissenschaft keinen Dienst, sondern legt sie in Ketten.

5 Gedanken zu „Plagiatsjäger ohne Sinn und Verstand?“

  1. Sehr geehrter Herr Höffner,

    ich bin sehr verwundert über ihre Kritik. Denn zum einen schreiben sie uns sinnlose, mechanische Textarbeit zu, zum anderen sagen sie selber, dass sie die fragliche Dissertation nicht gelesen haben, und auch unsere Arbeit haben sie nur oberflächlich betrachtet. Fakt ist, dass wir jede Textstelle gegenprüfen und in ihrem Gehalt und Kontext beurteilen, durchaus mit Sinn und Verstand. Das ist zum Teil durch unsere zahlreichen Anmerkungen belegt, zum Teil durch unsere Chat-Gespräche, in welchen die Feinabstimmung geschieht.

    Zudem beurteilen sie nur zwei von ihnen ausgewählte Fundstellen, die unsere Arbeit nicht angemessen wiedergeben. Denn die von ihnen kritisierten Textstellen stehen nicht alleine da, sondern stehen zusammen mit vielen anderen Textstellen, die aus den gleichen und anderen Quelle übernommen wurden. So finden sie hier fast 20 Textstellen, die mit dem von ihnen zitierten Satz von Jenkis kopiert wurden:

    http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Kategorie:Jenkis_1969

    Und hier finden sie insgesamt 7 von Schieder kopierte Stellen:

    http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Kategorie:Schieder_1968

    Das einige Internetseiten kleinere Textstellen ausweisen als andere, ist durch unsere Arbeitsweise bestimmt, die streng vorgibt, was auf einer Einzelseite stehen darf und was nicht. Grund dafür sind allein technische Beschränkungen. Erst die Zusammenführung aller Fundstellen (bei Silvana Koch-Mehrin über 150 aus 22 Quellen) ergibt ein genaueres Bild. Auch diese Aufbereitung haben wir stets geleistet. Tatsächlich haben wir ein sehr genaues Bild davon, welche Teile der Arbeit wissenschaftlichen Gehalt haben und welche stumpf zusammenkopiert wurden. Wenn sie die Arbeit so genau gelesen hätten wie wir, könnten sie das vielleicht nachvollziehen. Wir laden sie zu diesem Diskurs gerne ein, und sind dann auch bereit, über den Wert der Fundstellen mit ihnen zu streiten. Das geht allerdings nur, wenn sie auch bereit sind, nicht Einzelsätze herauszugreifen, sondern unsere gesamte Arbeit zu beurteilen, so wie sie es von uns bei den Dissertationen auch fordern.

    Ich darf sie übrigens darauf hinweisen, dass wir die Erfahrung gemacht haben, dass in solchen Fällen ein Anfangsverdacht durch einen Einzelsatz bei näherer Betrachtung sich schnell aufbläht zu umfangreich kopierten Textstellen. Deshalb sammeln wir in unserer Datenbank auch anfänglich unscheinbare Funde. Nicht alle Quellen sind vollständig ausgewertet. Deshalb möchte ich es nicht ausschliessen, dass sich vereinzelt schwächere Indizien auf unseren Seiten finden lassen, zumindest zeitweise. Sie können gewiss sein, dass wir diese vereinzelten Verdachtsfälle nicht vorschnell in unsere Gesamtbeurteilung einfliessen lassen.

    Am meisten allerdings irritiert mich ihre Kritik, weil sie uns einen falschen Wissenschaftsstandard unterstellen. Das ist absolut unverständlich, den die Regeln wissenschaftlicher Arbeit sind nicht von uns erstellt worden, diese legen sich die Universitäten selber an. Eine Dissertation muss selbständig erarbeitet sein, alle Hilfsmittel müssen angegeben werden. So legen es die Universitäten selber fest. Wenn sie dies nicht schicklich finden, so müssen sie diese Kritik nicht an uns richten, sondern an die Fakultäten und Hochschulen dieses Landes. Wir bewerten nur, ob die Doktoranden den selbst auferlegten Anforderungen auch gerecht werden.

    Wir haben übrigens auch viele gute Doktorarbeiten gelesen, die völlig ohne die wortnahe Übernahme fremder Texte auskommen, auch wenn sie Allgemeinplätze beschreiben. Tatsächlich ist es meinem Eindruck nach äusserst selten, dass eine Arbeit eine kleine Zahl kopierter Stellen enthält. Die Spreu trennt sich sehr stark vom Weizen. Entweder die Arbeit ist formal weitesgehend korrekt, oder sie ist hoffnungslos. Ob sich dies Bild in der Breite bestätigt, kann man natürlich nur sagen, wenn man breiter angelegte, systematische Untersuchungen macht. Ich hoffe, dass dies geschieht. Und wenn sich dann ergibgt, dass die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens unrealistisch sind, so muss man sie halt anpassen. Weggucken halte ich für keine Lösung.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Marcus B.

  2. Sehr geehrter Herr Höffner,

    in dieser zweiten Antwort möchte ich ihnen auch noch Antwort geben in Bezug auf die Frage des Urheberrechts und dem wissenschaftlichen Schöpfungsgehalt.

    Zum Urheberrecht ist unsere Position sehr einfach: Wissenscahftliche Redlichkeit ist unabhängig vom Urheberrecht. Denn es geht nicht um Eigentum von Gedanken – da sind unsere Positionen ganz unterschiedlich – sondern um wissenschaftliche Redlichkeit, vorderst um die Frage: Kann ich erkennen, welcher Anteil der Dissertation eine eigene Forschungsleistung ist, und welcher Teil des wissenschaftlichen Standards ist. Dies ist in dem vorliegendem Fall in weiten Teilen der Arbeit nicht gegeben, daher der Vorwurf des Plagiats.

    Zum Schöpfungsgehalt stipulieren sie: „Je mehr man sich vor allem mit einem geisteswissenschaftlichen Fachgebiet beschäftigt, desto öfters trifft man auf immer wieder die gleichen Ideen und Gedanken.“ Damit sagen sie den Geisteswissenschaften nach, dass sie ein selbstreferentielles System sind mit geringer Schöpfungshöhe. Das mag sein. Aber es erfüllt nicht die Ansprüche an der Erwerbung eines Doktorgrads in Deutschland, für die neue wissenschaftliche Erkenntnisse nachgewiesen werden müssen. Wenn diese in den Geisteswissenschaften nicht möglich sind, können dort halt keine akademischen Grade vergeben werden, oder die Anforderungen müssen herabgesenkt werden.

    Ich bin allerdings pessimistisch, dass die Anforderungen soweit herabgesenkt werden können, dass die vorliegende Dissertation einen akademischen Grad wert ist, ohne diesen zumindest für die Wissenschaft völlig zu entwerten.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Marcus B.

  3. Sehr geehrter Herr Brinkmann,

    vielen Dank für die Stellungnahme. Ihre Kritik kann ich nachvollziehen, ich hätte nur Ausschnitte betrachtet, ist natürlich zutreffend (ich habe deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen).

    Ich habe eine vergleichsweise einfache Auffassung zu dem Thema, die natürlich mit meiner Aufarbeitung zum Thema Urheberrecht verknüpft ist. Die Unterscheidung zwischen Poesie und Wissenschaft wird in § 47 (?) Kritik der Urteilskraft dargestellt (was, so meine Vermutung, die ungenannte Grundlage der Ausführungen Fichtes war). Im einen Fall kommt es auf die Formulierung, im anderen auf die Entwicklung des Gedankens an.

    Wissenschaft ist stets nachahmbar, beruht auf zahllosen Vorarbeiten, ein dauernder Prozess des Behauptens und des Falsifizierens, der notwendigerweise die Gedanken anderer aufgreifen und wiedergeben, diese mit den Gedanken anderer in Verbindung bringen muss etc. Wer die Formulierungen vergleicht, dessen Maßstab ist die Poesie, nicht die Wissenschaft.

    Ich sitze zurzeit beispielsweise über der Korrektur der 2. Auflage eines Buchs, das u. a. einen zentralen Gegenstand hat: Sie können den Kommentar von Gabriele Höfler vom 14. August 2010 lesen (http://www.fifoost.org/wordpress/?p=1640). Ich wende mich gegen einen „klassischen Standpunkt“, weil mich die bekannten Erklärungen nicht überzeugten.

    Nun lag mir nichts ferner als irgend eine Verschleierung, schon deshalb, weil es vollkommen nutzlos wäre. Umgekehrt wäre es aber nutzlos, jede Stelle mit irgendwelchen Nachweisen zu versehen, weil bereits in den kurzen Abschnitten so viele Details enthalten sind, dass der Text unlesbar wäre.

    Ich nehme beispielsweise folgenden Absatz:

    „Druckerpressen wurden vor allem in Handels- und Universitätsstädten aufgestellt. Bis 1500 sollen an rund 250–270 Druckorten in Europa nahezu 40.000 Titel mit einer Gesamtauflage von ca. zehn bis zwanzig Millionen Exemplaren gedruckt worden sein.“

    Dazu gibt es eine Fußnote mit sechs Nachweisen und dem Hinweis, dass die genauen Zahlen variieren. 15 Seiten später steht dann:

    „In den italienischen Stadtstaaten und Handelsrepubliken, den fortschrittlichsten Regionen des ausgehenden Mittelalters und Zentren des damaligen Handels, verbreitete sich das Druckwesen am schnellsten, mit nahezu 200 Druckerpressen im damaligen Wirtschaftszentrum Venedig, 60 in Mailand, 43 in Bologna und weiteren, beachtlich hohen Zahlen in Rom, Florenz, Pavia, Neapel oder Padua noch vor 1500.“

    Hier gibt es keine Fußnote mehr, weil sie meines Erachtens überflüssig ist. Ich kann hier nichts vortäuschen. Jeder Leser weiß, dass ich die Druckereien nicht gezählt habe (und an anderer Stelle habe ich deutlich gemacht, woher die Zahlen stammen).

    Womit ich wieder am Ausgangspunkt bin: In der Poesie kommt es auf die Formulierung, in der Wissenschaft auf die Entwicklung des Gedankens an. Bei der Darstellung einer historischen Tatsache unter Verwendung der üblichen Fachsprache ist kaum Platz für ein Plagiat. Die oben genannten Stellen fallen meines Erachtens darunter. Schauen Sie sich doch nur einmal Schieders Biographie des pr. Friedrich II. an, wenn er — nur um ein Beispiel zu nennen — ohne Hinweis vom „ethischen Rigorismus Kants“ (Vorländer?) spricht.

    Bei der Forderung nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte man vielleicht auch ein wenig beachten, dass man damit in erheblichem Maße auch originellen Unsinn herausfordert, oder wie Schopenhauer es ausdrückte:

    „In den Wissenschaften will jeder, um sich geltend zu machen, etwas Neues zu Markte tragen: dies besteht oft bloß darin, daß er das bisher geltende Richtige umstößt, um seine Flausen an die Stelle zu setzen; bisweilen gelingt es auf kurze Zeit, und dann kehrt man zum alten Richtigen zurück.“

    In manchen Bereichen ist die Zahl neuer Erkenntnisse beschränkt und gleichwohl benötigen wir Wissenschaftler, weil die Materie so komplex ist, dass bereits das Verstehen und Nachvollziehen des vorhandenen Stoffs eine Wissenschaft für sich ist.

  4. Sehr geehrter Herr Höffner,

    vielen Dank für ihre Antwort. Ich habe spontan zwei Reaktionen auf ihre Darstellung. Die eine Reaktion ist, dass ein Buch eben ein Buch ist, und eine Dissertation eine Dissertation. In der letzteren muss man eine eigene Leistung erbringen, und diese klar von den Leistungen anderer nach strengen formalen Regeln abgrenzen, damit die Eigenleistung erkennbar und bewertbar ist. Eine entsprechende Erklärung ist zu unterzeichnen. Wir untersuchen Dissertationen, keine Bücher. Von daher hab ich an ihrer Vorgehensweise schon a priori nichts zu beanstanden, ohne Prüfung ob sie den strengen wissenschaftlichen Regeln einer Dissertation genügen würde oder nicht.

    Meine zweite Reaktion ist, dass – unabhängig vom obigen – ich an der von ihnen beschriebenen Vorgehensweise ohnehin nichts auszusetzen habe. Wenn die üblichen Verdächtigen so vorgegangen wären wie von ihnen beschrieben, so hätten wir uns nie näher mit ihnen befasst. Stattdessen haben wir, lange bevor wir mit unseren Untersuchungen an die Öffentlichkeit gegangen sind, eingehend geprüft und zahlreiche Stellen gefunden, die halt völlig ohne Nachweis oder mit falsch zu deutenden Nachweisen kopiert wurden. Zahlreiche Quellen, aus denen abgeschrieben wurde, tauchen weder in Anmerkungen noch im Literaturverzeichnis auf. Es handelt sich dabei eben nicht um den Versuch der Verfasser, bekanntes möglichst effizient wiederzugeben, sondern dem Anschein nach um das Bemühen, möglichst schnell die Seiten und das Literaturverzeichnis zu füllen, ohne die wichtige Leistung „Verstehen und Nachvollziehen“ zu erbringen.

    Leider haben wir es nicht geschafft, diese Tiefe der Analyse, die wir für uns vollzogen haben, systematisch aufzuschreiben und in den Medien unterzubringen. Das hat Gründe in der Projektstruktur und dem Turnus der medialen Aufmerksamkeit. Konsensfindung im Internet-Schwarm ist schwer, unser Projekt jung, äusserst dynamisch und sehr viel diverser, als uns viele unterstellen. Selbst in der Gruppe etablierte Positionen können innerhalb von Tagen plötzlich in Frage gestellt werden – hier sind sicher Schwächen bei uns und Kritik angebracht (mit der wir uns auch beschäftigen). Und bei den Medien waren wir ja schon zufrieden, wenn die Zahlen aus unseren Berichten korrekt zitiert wurden.

    Letztlich haben wir uns auf unsere Kernkompetenz zurückgezogen, der kritischen Quellenstudie. Diese Ergebnisse sind objektiv und deshalb konsensfähig. Sie sind auch von Laien wie z.B. Journalisten überprüfbar. Zu Recht würde man weitergehenden Beurteilungen unsererseits mit Skepsis gegenübertreten, denn die Kompetenz dazu müssten wir erst nachweisen. Stattdessen überlassen wir diese Prüfung gerne den Universitäten. Dass diese nur langsam reagieren, und sich insgesamt der Wissenschaftsbetrieb auffallend still verhält und das alles als Einzelfälle abtut, ist ein Problem, aber nicht für uns. Jeder, der am Projekt mitarbeitet, wird für sich zu einem komplexen Urteil gekommen sein, warum er die Gesamtwertung mitträgt.

    Ich wünschte mir, sie hätten einen Teil unserer Online-Diskussionen miterlebt, in denen wir zäh um jede Fundstelle gestritten haben, und unsere Eindrücke gegeneinander abgewogen haben. Diese Arbeit ist eine andere als die des traditionellen Wissenschaftsbetriebs, aber sie kommt auch zu belastbaren Ergebnissen und hat auch ihre Berechtigung.

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