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Versandhandel mit nicht verschreibungspflichten Arzneimitteln zulässig

Der Deutsche Apothekerverband e. V. ist ein Verband, dessen Aufgabe in der Wahrung und Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen der Apothekerschaft besteht. Seine Mitglieder sind die Landesapothekerverbände und die Landesapothekervereine, denen mehr als 19 000 Apothekenleiter angehören. Er wollte ein Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln durchsetzen.

0800 DocMorris NV ist eine niederländische Apotheke, die in Landgraaf (Niederlande) ansässig ist. Herr Jacques Waterval ist Apotheker und einer der gesetzlichen Vertreter von DocMorris.

Seit Juni 2000 bieten DocMorris und Herr Waterval im Internet unter der Adresse „www.0800DocMorris.com“ verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Humanarzneimittel zum Kauf an, und zwar insbesondere in deutscher Sprache für den Endverbraucher in Deutschland. Es handelt sich um Arzneimittel, die entweder in Deutschland oder in den Niederlanden zugelassen sind.

Der Verbraucher hat u. a. die Möglichkeit, eine Gesundheitsberatung durch den Expertenbeirat der „Internet-Apotheke“ in Anspruch zu nehmen. Er kann DocMorris und Herrn Waterval außerdem über eine kostenlose Telefonnummer oder per Brief kontaktieren.

Für die verschiedenen Medikamente wird jeweils der Packungsinhalt beschrieben und der Preis in Euro angegeben. Neben dem gegebenenfalls vorhandenen Hinweis, dass ein Arzneimittel verschreibungspflichtig ist, befindet sich ein Kästchen für die Bestellung. Zur weiteren Information über das Produkt selbst kann der Produktname angeklickt werden.

DocMorris und Herr Waterval behandeln ein Arzneimittel als verschreibungspflichtig, wenn es entweder in den Niederlanden oder in dem Staat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, der Verschreibungspflicht unterliegt. Die Auslieferung derartiger Medikamente erfolgt erst nach Vorlage des Originalrezepts.

Die Zustellung kann auf verschiedene Weise erfolgen. So kann der Verbraucher die Bestellung persönlich bei der Apotheke von DocMorris in Landgraaf, einer Stadt in der Nähe der deutsch-niederländischen Grenze, abholen. Er kann auch, ohne zusätzliche Kosten, einen von DocMorris empfohlenen Kurierdienst in Anspruch nehmen.

Der Apothekerverband klagt beim Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) gegen das Anbieten von Arzneimitteln über das Internet und ihre Abgabe im grenzüberschreitenden Versandhandel. Er ist der Ansicht, dass diese Tätigkeit nach dem deutschen Arzneimittelgesetz und dem deutschen Heilmittelwerbegesetz unzulässig ist. Diese gesetzlichen Verbote verstoßen nach Auffassung des Apothekerverbands auch nicht gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags über den Warenverkehr.

In seinem Urteil befasst sich der Gerichtshof zuerst mit den Bestimmungen des deutschen Arzneimittelgesetzes, nach denen die Einfuhr von Arzneimitteln durch in anderen Mitgliedstaaten zugelassene Apotheken im Wege des Versandhandels aufgrund individueller, über das Internet aufgegebener Bestellungen von Endverbrauchern untersagt ist. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass dieses allgemeine Verbot des Arzneimittelgesetzes für Arzneimittel, die in Deutschland nicht zugelassen sind, einem auf Gemeinschaftsebene bestehenden Verbot entspricht: Nach der Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (inzwischen ersetzt durch den Gemeinschaftskodex) dürfen Arzneimittel in einem Mitgliedstaat nur in den Verkehr gebracht werden, wenn für sie entweder durch die zuständige Behörde dieses Staates oder nach der Gemeinschaftsregelung eine Genehmigung erteilt worden ist. Daher ist nicht zu prüfen, ob diese Verbote gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags über den Warenverkehr verstoßen.

Die Rechtsprechung in Sachen Keck (Verkaufsmodalitäten) sei dann nicht anzuwenden, wenn dadurch der Marktzugang für ausländische Anbieter erschwert oder sogar unmöglich werde.

Im Hinblick auf Arzneimittel, die für den deutschen Markt zugelassen sind, stellt der Gerichtshof fest, dass ein nationales Verbot des Versandhandels mit diesen Arzneimitteln eine Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt.

Unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung weist der Gerichtshof darauf hin, dass eine Regelung, die auf die Einfuhren pharmazeutischer Erzeugnisse eine solche beschränkende Wirkung haben kann, mit dem EG-Vertrag nur vereinbar ist, soweit sie für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen notwendig ist. Für Arzneimittel, für die keine ärztliche Verschreibung vorgeschrieben ist, ist das Verbot nicht gerechtfertigt, weil die Möglichkeit, eine hinreichende Information und Beratung vorzusehen, nicht ausgeschlossen werden kann. Der Kauf über das Internet könnte auch Vorteile bieten, wie etwa die Möglichkeit, von zu Hause aus in Ruhe Fragen an die Apotheker zu richten.

Was verschreibungspflichtige Arzneimittel anbelangt, so könnte, wie der Gerichtshof feststellt, die Zulassung einer Ausgabe dieser Arzneimittel nach Erhalt der Verschreibung und ohne weitere Kontrolle das Risko erhöhen, dass ärztliche Verschreibungen mißbräuchlich oder fehlerhaft verwendet werden. Im Übrigen kann die Möglichkeit, dass ein Arzneimittel in einer anderen Sprache etikettiert ist, im Fall von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gravierendere Folgen haben. Daher ist ein nationales Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gerechtfertigt.

Der Gerichtshof prüft weiter die Vorschriften des deutschen Heilmittelwerbegesetzes, die die Werbung für den Versandhandel mit Arzneimitteln untersagen. Dieses Verbot steht für Arzneimittel, die zulassungspflichtig, aber nicht zugelassen sind, und für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Einklang mit dem Werbeverbot für Arzneimittel, das die Gemeinschaftsrichtlinie (inzwischen ersetzt durch den Gemeinschaftskodex) vorsieht.

Dagegen steht der Gemeinschaftskodex einem Werbeverbot für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel entgegen.


EuGH, Urteil v. 11. 12. 2003, Rs. C-322/01, Deutscher Apothekerverband e. V. / 0800 DocMorris NV und Jacques Waterval

Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle verstößt gegen den EG-Vertrag

Der EuGH hat am 11. Dez. 2003 entschieden: Die Verpflichtung zur Eintragung in die Handwerksrolle verzögert, erschwert oder verteuert die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die in der Richtlinie über die Anerkennung der beruflichen Qualifikationen vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.

Der deutsche Staatsangehörige Bruno Schnitzer beauftragte im Jahr 1994 ein portugiesisches Unternehmen damit, in der Zeit von November 1994 bis November 1997 Verputzarbeiten in Bayern auszuführen.

Nach der deutschen Handwerksordnung ist der Betrieb eines Handwerks nur den in der Handwerksrolle eingetragenen Personen und Gesellschaften gestattet.

Die Stadt Augsburg verhängte im Jahr 2000 gegen Bruno Schnitzer ein Bußgeld wegen Zuwiderhandlung gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, weil das von ihm beauftragte portugiesische Unternehmen nicht in die Handwerksrolle eingetragen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid legte Bruno Schnitzer Einspruch ein, über den das Amtsgericht Augsburg zu entscheiden hat. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob die deutschen Rechtsvorschriften gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs und die Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung der im Herkunftsland erworbenen Berufserfahrung verstoßen. Das Amtsgericht Augsburg hält es für möglich, dass der Gerichtshof ein solches Erfordernis der Eintragung in ein Register auch in dem Fall als ungerechtfertigt ansieht, in dem der Dienstleistende seine Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat wiederholt oder mehr oder weniger regelmäßig ausübt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass das portugiesische Unternehmen Leistungen erbringt, für die die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr gelten, sofern das betreffende Unternehmen nicht als in Deutschland niedergelassen anzusehen ist.

Allein die Tatsache, dass ein Wirtschaftsteilnehmer Dienstleistungen mehr oder weniger häufig oder regelmäßig über einen längeren Zeitraum hinweg in einem anderen Mitgliedstaat erbringt, ohne dass er dort über eine Infrastruktur verfügt, die es ihm erlauben würde, in stabiler und kontinuierlicher Weise einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, reicht nicht aus, um ihn als in diesem Mitgliedstaat niedergelassen anzusehen.

Die Verpflichtung, sich in die Handwerksrolle eintragen zu lassen, stellt eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar, die nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses, etwa durch das Ziel, die Qualität der durchgeführten handwerklichen Arbeiten zu sichern, gerechtfertigt ist. Folglich steht das Gemeinschaftsrecht der Verpflichtung eines Wirtschaftsteilnehmers, sich in die Handwerksrolle eintragen zu lassen, entgegen, die die Erbringung von Dienstleistungen im Aufnahmemitgliedstaat verzögert, erschwert oder verteuert, wenn die in der anwendbaren Richtlinie über die Anerkennung der beruflichen Qualifikationen vorgesehenen Voraussetzungen für die Ausübung dieser Tätigkeit in diesem Mitgliedstaat erfüllt sind.


Urteil des EuGH vom 11. 12. 2003, Rs. Rs. C-215/01, Bruno Schnitzer.

Mitgliedstaaten haften für Schäden von gemeinschaftswidrigen Urteilen

Der EuGH nimmt die Staaten für fehlerhafte Gerichtsurteile in eine um einiges strengere Haftung als es nach deutschem Recht üblich ist. Nach deutschem Recht haftet der Richter nur bei vorsätzlicher Amtspflichtverletzung, also bei Rechtsbeugung (§ 839 Abs. 2 BGB: „Verletzt ein Beamter bei einem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht.“ Nach dem EuGH sind die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet, die den Einzelnen durch den nationalen letztinstanzlichen Gerichten zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, wenn das nationale Gericht das EU-Recht offenkundig verkannt hat.

Urteil des Gerichtshofesin dem Vorabentscheidungsverfahren C-224/01, Gerhard Köbler/Republik Österreich: Mitgliedstaaten haften für Schäden von gemeinschaftswidrigen Urteilen

Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, der die Arbeitnehmerfreizügigkeit betraf.

Herr Köbler ist seit dem 1. März 1986 als ordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck (Österreich) tätig. 1996 beantragte er die Zuerkennung der besonderen Dienstalterszulage für Universitätsprofessoren. Die Gewährung dieser Zulage erfordert nach österreichischem Recht eine fünfzehnjährige, ausschließlich an österreichischen Universitäten erworbene Berufserfahrung. Herr Köbler konnte diese fünfzehnjährige Berufserfahrung belegen, wenn die an Universitäten anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Dienstzeiten berücksichtigt würden.

Im Anschluss an die Ablehnung seines Antrags legte Herr Köbler bei einem österreichischen Verwaltungsgericht Beschwerde ein und machte geltend, dass ein solches Erfordernis eine mittelbare Diskriminierung darstelle, die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße.

Diese Frage machte der Verwaltungsgerichtshof (das letztinstanzlich entscheidende Verwaltungsgericht) beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig. Im Anschluss an ein Urteil des Gerichtshofes in einer ähnlichen Rechtssache nahm das österreichische Gericht sein Vorabentscheidungsersuchen zurück. Mit Urteil vom 24. Juni 1998 wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde von Herrn Köbler mit der Begründung ab, die besondere Dienstalterszulage stelle eine Treueprämie dar, die eine Abweichung von den Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer rechtfertige. Herr Köbler erhob beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Schadensersatzklage gegen die Republik Österreich mit der Begründung, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs gegen Gemeinschaftsrecht verstoße.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass er bereits entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten nach dem Wesen des EG-Vertrags zum Ersatz von Schäden verpflichtet seien, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstünden, unabhängig davon, welches mitgliedstaatliche Organ den Verstoß begangen habe.

Die entscheidende Rolle, die die Judikative beim Schutz der dem Einzelnen aufgrund des Gemeinschaftsrechts zustehenden Rechte spiele, würde nämlich gemindert, wenn der Einzelne nicht unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz der Schäden verlangen könnte, die durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstünden, der einem letztinstanzlichen Gericht eines Mitgliedstaats zuzurechnen sei. In diesem Fall müsse der Einzelne den Staat haftbar machen können, um einen gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen.

In ständiger Rechtsprechung hat der Gerichtshof drei Voraussetzungen aufgestellt, die erforderlich und ausreichend seien, um die Haftung des Staates für ihm zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht zu begründen. Diese Voraussetzungen gälten auch, wenn ein nationales letztinstanzliches Gericht eine Gemeinschaftsrechtsnorm verletze:

  1. Die verletzte Rechtsnorm bezwecke, dem Einzelnen Rechte zu verleihen,
  2. der Verstoß sei hinreichend qualifiziert, und
  3. zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehe ein Kausalzusammenhang.

Bei der Entscheidung darüber, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert sei, müsse das zuständige nationale Gericht, wenn sich der Verstoß aus der Entscheidung eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts ergebe, in Anbetracht der Besonderheit der richterlichen Funktion prüfen, ob dieses Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen habe. Der Staat hafte nur in dem Ausnahmefall, dass das nationale Gericht das geltende Recht und die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes offenkundig verkannt habe.

Es sei Sache der einzelnen Mitgliedstaaten nach ihren internen Rechtsordnungen zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen Anspruch zuständig sei.

Die österreichischen Rechtsvorschriften über die Zuerkennung der besonderen Dienstalterszulage für Universitätsprofessoren verstößt gegen Gemeinschaftsrecht und kann nicht gerechtfertigt werden.

Der Gerichtshof stellt fest, dass das österreichische Gesetz, das für die Gewährung der besonderen Zulage für Universitätsprofessoren eine fünfzehnjährige, ausschließlich an österreichischen Universitäten erworbene Berufserfahrung verlange, eine nach dem EG-Vertrag verbotene Behinderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstelle.

Der Gerichtshof führt zum ersten Mal aus, dass das Ziel der Bindung der Arbeitnehmer an ihre Arbeitgeber (Treueprämie) zwar grundsätzlich durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden könne, dass die österreichische Maßnahme jedoch Beeinträchtigungen verursache, die nicht mit diesem Ziel gerechtfertigt werden könnten. Sie führe nämlich zu einer Abschottung des Arbeitsmarkts für Universitätsprofessoren in Österreich und widerspreche dem Wesen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Nach Ansicht des Gerichtshofes hat das österreichische letztinstanzliche Gericht keinen offenkundigen und damit keinen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen, so dass der österreichische Staat nicht hafte.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes prüften grundsätzlich die nationalen Gerichte, ob die Kriterien für die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden seien, erfüllt seien. In dieser Rechtssache verfüge der Gerichtshof jedoch über alle Angaben, um die erforderlichen Voraussetzungen zu prüfen.

Nach Ansicht des Gerichtshofes beruht das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 1998 auf einer irrigen Auslegung des Urteils Schöning-Kogebetepoulou und stellt einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar. Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass der Verstoß an sich nicht als offenkundig eingestuft werden könne.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass er sich noch nicht zu einer etwaigen Rechtfertigung einer Maßnahme zur Bindung eines Arbeitnehmers an seinen Arbeitgeber (Treueprämie) im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht geäußert habe. Demnach habe die Antwort nicht auf der Hand gelegen.

Zum anderen könne eine solche Einstufung auch nicht darauf gestützt werden, dass der Verwaltungsgerichtshof sein Vorabentscheidungsersuchen hätte aufrechterhalten müssen. Aufgrund seiner irrigen Auslegung des Urteils des Gerichtshofes habe er es nicht für erforderlich gehalten, sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechtzuerhalten.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, mit der die Beschwerde von Herrn Köbler abgewiesen worden ist, stellt keinen offenkundigen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht dar und begründet daher nicht die Haftung des österreichischen Staates


Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten bei Verstoß gegen EU-Recht:

EuGH-Entscheidung: Francovich, Rs. C-6/90, C-9/90, Slg. 1991, I-5357
EuGH-Entscheidung: Brasserie du Pecheur, Rs. C-46/93, C-48/93, Slg. 1996, I-1029
Anwaltshaftung im Vergleich zur Richterhaftung in der deutschen Rechtsprechung

TRIS-Konzept auf die Beitrittsstaaten erweitert

Das Notifizierungssystem der EU (TRIS – Technical Regulations Information System), mit dessen Hilfe die Mitgliedstaaten und die Kommission prüfen können, ob Entwürfe einzelstaatlicher technischer Vorschriften für Produkte (und Vorschriften für Dienste der Informationsgesellschaft) keine Handelshemmnisse schaffen, wird auf acht beitretende Länder vor deren förmlichem EU-Beitritt ausgedehnt.

Der Rat hat die erforderlichen bilateralen Vereinbarungen mit der Tschechischen Republik sowie mit Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakischen Republik und Slowenien gebilligt. Eine weitere Entscheidung, die den Abschluss zweier zusätzlicher bilateraler Vereinbarungen mit Zypern und Ungarn ermöglichen wird, soll in Kürze vom Rat gebilligt werden.

Einschlägigen Äußerungen des für Unternehmen und die Informationsgesellschaft zuständigen Kommissars Erkki Liikanen zufolge ist die Richtlinie 98/34/EG ein unverzichtbares Werkzeug, um sicherzustellen, dass der Binnenmarkt die Handelsmöglichkeiten und hochwertigen Waren und Dienstleistungen bieten kann, die Unternehmen und Verbraucher erwarten. Die Ausweitung des Meldesystems auf die beitretenden Länder werde mit dazu beitragen, dass keine ungerechtfertigten technischen Hemmnisse für den europaweiten Handel entstehen und die Qualität der nationalen Rechtsetzungspraxis verbessert wird.

Das Meldesystem verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, sich gegenseitig sowie die Kommission über jeden Entwurf einer Verordnung oder sonstigen technischen Regelung zu informieren, die nicht Teil des bestehenden gemeinschaftlichen Besitzstandes an Rechtsvorschriften ist. Nach der Notifizierung gilt eine Stillhaltefrist von drei Monaten, während der der betreffende Mitgliedstaat die einzelstaatliche Verordnung nicht erlassen darf. Die übrigen Mitgliedstaaten und die Kommission können zu dem Entwurf entweder Bemerkungen vorbringen (was nicht zu einer Verlängerung der Stillhaltefrist führt) oder ausführliche Stellungnahmen abgeben (wodurch sich die Stillhaltefrist bei Informationsdienstleistungen um einen und bei Waren um drei Monate verlängert). Auf diese Weise kommt ein Dialog zustande, der darauf abzielt, eine Lösung im Einklang mit den Binnenmarktvorschriften herbeizuführen.

Nationale technische Normen sind nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich unwirksam, wenn sie nicht entsprechend diesem Verfahren erlassen wurden (Urt. CIA Security International, 3.4.1996). Die Unwirksamkeit erfasst auch zivilrechtliche Belange, wie um Urteil Unilever (26.9.2000) entschieden wurde. Danach kann ein kaufrechtlicher Mangel nicht allein mit dem Verstoß gegen eine solche Norm begründet werden. Konkret ging es in der Entscheidung um eine Etikettierung entgegen einem italienischen Gesetz, wobei das Gesetz nicht entsprechend dem zuvor genannten Notifizierungsverfahren erlassen wurde (Stillhaltefrist nicht eingehalten).

Wenn die beitretenden Länder das Notifizierungssystem bereits vor dem Datum der EU-Erweiterung übernehmen, können sie die erforderlichen Verwaltungsstrukturen bereitstellen und gewährleisten, dass während der kritischen Beitrittsphase keine Handelshemmnisse entstehen.

Das auf die beitretenden Länder bis zum 1. Mai 2004 anzuwendende Notifizierungssystem wird sich von dem derzeit in der EU geltenden dahingehend unterscheiden, dass es lediglich das Vorbringen von Bemerkungen und nur eine, nicht verlängerbare Stillhaltefrist von drei Monaten vorsieht. Im vorliegenden Fall handelt es sich um das vereinfachte Notifizierungssystem, das seit 1990 im Handel der EU- und der EFTA-Länder angewendet wird und seit dem 1. Januar 2001 auch im Handel zwischen der EU und der Türkei.

Weitere Informationen über das Notifizierungsverfahren sind hier abrufbar: Internetseite

Freier Kapitalverkehr und Genehmigungserfordernis beim Grundstückskauf

Der freie Kapitalverkehr verwehrt es nicht, dass der Erwerb landwirtschaftlicher Grundstücke von der Erteilung einer vorherigen Genehmigung, wie sie das Vorarlberger Grundverkehrsgesetz vorsieht, abhängig gemacht wird. Er verbietet es jedoch, dass diese Genehmigung in jedem Fall versagt wird, wenn der Erwerber die betreffenden Grundstücke nicht selbst im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes bewirtschaftet und in diesem Betrieb wohnt.

Frau Ospelt, eine Staatsangehörige des Fürstentums Liechtenstein, ist Eigentümerin einer etwa 43 500 qm großen Liegenschaft im Land Vorarlberg (Österreich), auf der sie wohnt. Die meisten Flurstücke dieses Besitztums sind an Landwirte verpachtete landwirtschaftliche Flächen.

Im April 1998 wurde die gesamte Liegenschaft mit notarieller Urkunde einer Stiftung gewidmet, die ihren Sitz im Fürstentum Liechtenstein hat und deren Erstbegünstigte Frau Ospelt ist. Die Stiftung hatte die Absicht, die Bewirtschaftung der Grundstücke weiterhin den Landwirten zu überlassen, die bereits damit betraut waren.

Die nach dem Vorarlberger Grundverkehrsgesetz (VGVG) erforderliche Genehmigung wurde bei den Behörden des Landes beantragt und von diesen mit der Begründung versagt, dass die Voraussetzungen für den Erwerb durch Ausländer nicht erfüllt seien. § 5 VGVG sieht vor, dass der Rechtserwerb im Falle landwirtschaftlicher Grundstücke nur genehmigt werden darf, wenn er dem allgemeinen Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen Bauernstandes entspricht und der Erwerber das Grundstück im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes selbst bewirtschaftet und im Betrieb auch seinen ständigen Wohnsitz hat oder, soweit ein solches nicht in Frage kommt, er der Erhaltung und Schaffung eines wirtschaftlich gesunden, mittleren und kleinen landwirtschaftlichen Grundbesitzes nicht widerspricht.

Auch der Unabhängige Verwaltungssenat von Vorarlberg, bei dem Berufung eingelegt wurde, versagte die vorherige Genehmigung, da die Stiftung ebenso wie Frau Ospelt keine Landwirtschaft betreibe und dies auch in Zukunft nicht beabsichtige und da eine solche Transaktion daher nicht im Einklang mit den im öffentlichen Interesse liegenden Zielen des VGVG hinsichtlich der Erhaltung und Schaffung wirtschaftlich lebensfähiger kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe stehe.

Der in letzter Instanz befasste Verwaltungsgerichtshof möchte vom Gerichtshof wissen, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr einem Verfahren der vorherigen Genehmigung, wie es das VGVG für Transaktionen in Bezug auf landwirtschaftliche Grundstücke vorsieht, entgegenstehen.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die vom VGVG aufgestellten Voraussetzungen den freien Kapitalverkehr beschränken. Aufgrund der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit der Frau Ospelt waren die Vorschriften des EWR-Abkommens zu überprüfen. Die Bestimmungen des EWR-Abkommens (Artikel 40 und Anhang XII EWR-Abkommenh) würden dieselbe rechtliche Tragweite wie die im Wesentlichen identischen Bestimmungen von Artikel 73b EG-Vertrag aufweisen. Doch verfolgt das VGVG seiner Auffassung nach im Allgemeininteresse liegende Ziele, mit denen solche Beschränkungen grundsätzlich gerechtfertigt werden können.

Die von den zuständigen Stellen im Voraus ausgeübte Kontrolle solle sicherstellen, dass die Veräußerung landwirtschaftlicher Grundstücke nicht die Einstellung ihrer Bewirtschaftung zur Folge habe. Der Gerichtshof betont, dass eine Kontrolle durch die nationalen Stellen nach der Veräußerung dieser Grundstücke nicht dieselben Sicherheiten böte, und kommt zu dem Schluss, dass ein System vorheriger Genehmigungen im Grundsatz nicht zu beanstanden sei.

Allerdings sei die Transaktion zwischen Frau Ospelt und der Stiftung nicht genehmigt worden, da die Stiftung ebenso wie Frau Ospelt keinen landwirtschaftlichen Betrieb führe. Dies gehe über das hinaus, was zur Erreichung der mit dem VGVG verfolgten, im Allgemeininteresse liegenden Ziele erforderlich sei.

Eine andere, den freien Kapitalverkehr in geringerem Maße beeinträchtigende Maßnahme wäre z. B., die Veräußerung von landwirtschaftlichen Grundstücken an eine juristische Person an besondere Verpflichtungen wie die langfristige Verpachtung des Grundstücks zu knüpfen.

Sofern das VGVG von den nationalen Stellen dahin ausgelegt würde, dass die vorherige Genehmigung anderen Personen als Landwirten, die auf den betreffenden Grundstücken wohnten, erteilt werden könne, wenn sie die erforderlichen Garantien hinsichtlich der Beibehaltung der landwirtschaftlichen Nutzung dieser Grundstücke abgäben, dann beschränkte das VGVG den freien Kapitalverkehr nicht über das hinaus, was zur Erreichung seiner Ziele erforderlich sei.

Kommentar

Der EuGH bestätigte die Befugnis der Mitgliedstaaten, Regelungen für den Erwerb von Grundeigentum zu schaffen, die spezielle Maßnahmen für Transaktionen vorsehen, die land- und forstwirtschaftliche Grundstücke betreffen. Allerdings würden für solche Regelungen die grundlegenden Normen des Gemeinschaftsrechts und namentlich die Vorschriften über die Nichtdiskriminierung, die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr gelten. Eine vorhergehende Genehmigung zum Erwerb von Grundeigentum würde den freien Kapitalverkehr beschränken.

Maßnahmen, die eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zum Gegenstand haben, könnten gleichwohl zulässig sein, wenn mit ihnen in nicht diskriminierender Weise ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird und wenn sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang stehen, d. h. geeignet sind, die Erreichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist. Da es sich um die Erteilung einer vorherigen Genehmigung handele, müssten sich diese Maßnahmen zudem auf objektive und im Voraus bekannte Kriterien stützen, und jedem, der von einer solchen einschränkenden Maßnahme betroffen ist, muss der Rechtsweg offen stehen.

Auch dieses Urteil belegt die Reichweite der im EG-Vertrag niedergelgten Grundfreiheiten nach der Rechtsprechung des EuGH. Obwohl der Regelungsgegenstand in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt und obwohl keine unterschiedliche Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorgesehen ist, überprüft der EuGH die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der österreichischen Bestimmungen.

Es zeigt sich, dass die Zuständigkeits- und Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in fast allen wirtschaftlich relevanten Bereichen aufgrund der Grundfreiheiten oftmals keine „echte“ Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten ermöglichen, denn alle diese Maßnahmen unterliegen der Überprüfung des EuGH auf Erforderlichkeit, Zweck- und Verhältnismäßigkeit.

EuHG erklärt einmal mehr nationale Steuervorschriften für rechtswidrig

Während man bis vor wenigen Jahren Entscheidungen des EuGH zu direkten Steuern noch mit der Lupe suchen musste und alle fünf Jahre einmal zu einer steuerlichen Frage Stellung genommen wurde, hat sich ab 1999/2000 das Bild gewandelt (Entscheidungen „Safir“, „Saint-Gobain“, „Verkooijen“, „Lankhorst Hohorst“). Dem EuGH werden nunmehr regelmäßig von den Finanzgerichten steuerliche Fragen vorgelegt – und wer bei diesen Entscheidungen eine Wette auf den Steuerzahler abgeschlossen hat, hatte zumeist gewonnen.

Die Beschränkung der Abzugsfähigkeit der mit der Beteiligung einer in den Niederlanden ansässigen Muttergesellschaft am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft zusammenhängenden Kosten stellt eine nicht gerechtfertigte Einschränkung der Niederlassungsfreiheit dar.

Das Gemeinschaftsrecht verbietet Beschränkungen der freien Niederlassung von nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats. Dieses Verbot gilt nunmehr auch für Beschränkungen der Errichtung von Tochtergesellschaften. Das niederländische Körperschaftsteuergesetz erlaubt den Gesellschaften den Abzug der mit einer Beteiligung zusammenhängenden Kosten von ihrem Gewinn, wenn diese Kosten mittelbar der Erzielung von in den Niederlanden steuerpflichtigem Gewinn dienen.

Die Bosal Holding BV ist eine niederländische Gesellschaft, die Holding-, Finanzierungs- und Lizenzgeschäfte betreibt und in den Niederlanden der Körperschaftsteuer unterliegt. In ihrer Steuererklärung für das Jahr 1993 meldete sie im Zusammenhang mit der Finanzierung ihrer Beteiligungen an in neun anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Gesellschaften Kosten in Höhe von 3 969 339 NLG (1 801 287 EUR) an. In Ergänzung zu dieser Steuererklärung beantragte sie den Abzug dieser Kosten von ihrem eigenen Gewinn.

Der Inspecteur van de Belastingdienst (Finanzamt) lehnte die Gewährung des beantragten Abzugs ab. Seine Auffassung wurde vom Gerechtshof Arnheim, bei dem Bosal Klage gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs erhoben hatte, bestätigt. Der Hoge Raad der Nederlanden, bei dem Bosal Kassationsbeschwerde einlegte, hat den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gefragt, ob das Gemeinschaftsrecht der niederländischen Regelung entgegensteht.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die nach der niederländischen Regelung vorgesehene Beschränkung ein Hemmnis für die Errichtung von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten darstellt und damit dem Gemeinschaftsrecht zuwiderläuft. Eine Muttergesellschaft könnte nämlich davor zurückschrecken, ihre Tätigkeiten über eine in einemanderen Mitgliedstaat niedergelassene Tochtergesellschaft auszuüben, da solche Tochtergesellschaften gewöhnlich keine in den Niederlanden steuerpflichtigen Gewinne erzielen.

Die niederländische Regierung hat drei Gründe geltend gemacht, um die streitigen Vorschriften zu rechtfertigen:

  1. das Erfordernis, die Kohärenz des niederländischen Steuersystems zu wahren;
  2. ein auf das Territorialitätsprinzip gestütztes Argument: die Tochtergesellschaften, die in den Niederlanden steuerpflichtige Gewinne erzielten, und diejenigen, die dies nicht täten, befänden sich nicht in einer vergleichbaren Situation;
  3. das Erfordernis, die Besteuerungsgrundlage des Mitgliedstaats zu erhalten.

Der Gerichtshof weist dieses Vorbringen zurück.

Zum Erfordernis, die Kohärenz des niederländischen Steuersystems zu wahren, erinnert der Gerichtshof daran, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung eines Steuervorteils und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine steuerliche Belastung bestehen muss, die im Rahmen einer einzigen Besteuerung erfolgen. In der vorliegenden Rechtssache fehlt es jedoch an einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der steuerlichen Vergünstigung, die den in den Niederlanden ansässigen Muttergesellschaften gewährt wird, und der Besteuerung der Tochtergesellschaften von Muttergesellschaften, wenn diese in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind. Mutter- und Tochtergesellschaften sind nämlich verschiedene juristische Personen, die jeweils einer eigenen Besteuerung unterliegen. Im Übrigen wird die Beschränkung der Abzugsfähigkeit der Beteiligungskosten nicht durch einen entsprechenden Vorteil ausgeglichen. Die Kohärenz des niederländischen Steuersystems kann daher nicht mit Erfolg geltend gemacht werden.

Zu dem auf das Territorialitätsprinzip gestützten Argument stellt der Gerichtshof fest, dass die Muttergesellschaften im vorliegenden Fall in Abhängigkeit davon steuerlich unterschiedlich behandelt werden, ob sie Tochtergesellschaften besitzen, die in den Niederlanden steuerpflichtige Gewinne erzielen, auch wenn alle diese Muttergesellschaften in diesem Mitgliedstaat niedergelassen sind.

Zum Erfordernis, die Besteuerungsgrundlage des Mitgliedstaats zu erhalten, verweist der Gerichtshof darauf, dass das Erfordernis, eine Verringerung des Steueraufkommens zu vermeiden, kein Grund ist, der eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann.

Kurzkommentar

Die Niederlassungsfreiheit entwickelt sich in der Rechtsprechnung des EuGH immer mehr zu einem zu dem größten EU-rechtlich gewährleisteten Schlupfloch für Steuerumgehung. Aufgrund der Centros- und Überseeringrechtsprechung werden liechtensteinische Domizilgesellschaften anerkannt. Nachdem der EuGH die Regelungen auch über unterkapitalisierte Tochtergesellschaften (thin capitalization, ein allgemein – auch von der OECD – anerkanntes Prinzip zum Schutz vor der Verlagerung von Gewinnen in ein Niedrigsteuerland) für rechtswidrig erklärt hat (soweit es nur für ausländische Gesellschafter gilt – wie etwa im deutschen Körperschaftsteuergesetz), wird so eine weitere Möglichkeit eröffnet, durch geschickte Gestaltungen die Gewinne in Hochsteuerländern zu reduzieren.

Soviel Sinn die Niedelassungsfreiheit in vielen Bereichen hat — solange die Mitgliedstaaten keine geeigneten Mittel gegen Steuerumgehung an der Hand haben, werden solche Entscheidungen für viel Unmut sorgen. Das Kapital wird sich immer mehr von den Produktionsstätten und Absatzmärkten weg in Niedrigsteuerländer verlagern. Die Leidtragenden werden die Arbeitnehmer, Angestellten und örtlich wenig flexiblen KMUs sein.

Die wichtigsten EuGH-Urteile zum Thema Unternehmensteuern:

28.01.1986 (270/83 – Kommission gegen Frankreich – Avoir fiscal), EuGH Slg. 1986, S. 273

27.09.1988 (81/87 – Daily Mail (UK)), EuGH Slg. 1988, S. 5505 

13.07.1993 (C-330/91 – Commerzbank (UK)), EuGH Slg. 1993, S. I-4017 12.04.1994 

12.04.1994 (C-1/93 – Halliburton (NL)), EuGH Slg. 1994, S. I-1137 

14.11.1995 (C-484/93 – Svensson & Gustavsson (L)), EuGH Slg. 1995, S. I-3955, 3971

27.06.1996 (C-107/94 – Asscher (NL)), EuGH Slg. 1996, S. I-3089, 3113, GenAnw Léger 3091

17.10.1996 (C-283/94 – Denkavit, C-291/94 – VITIC, C-292/94 – Voormeer (D)), EuGH Slg. 1996, S. I-5063

15.05.1997 (C-250/95 – FUTURA (L)), EuGH Slg. 1997, S. I-2471 

17.7.1997 (C-28/95 – Leur-Bloem (NL)), EuGH Slg. 1997, S. I-4161 

28.4.1998 (C-118/96 – Jessica Safir (S)), EuGH Slg. 1998, S. I-1897, 1919 

12.5.1998 (C-336/96 – Gilly (F)), EuGH Slg. 1998, S. I-2823

16.7.1998 (C-264/96 – ICI (UK)), EuGH Slg. 1998, S. I-4711 (GenAnw Tesauro I-4698)

09.03.1999 (C-212/97 – Centros (DK)), GenAnw La Pergola 16.7.1999, EuGH Slg. 1999, S. I-1459, 1484

29.04.1999 (C-311/97 – Royal Bank of Scotland (EL), GenAnw Alber 19.11.1998, EuGH Slg., S. I-2651,2664

08.07.1999 C-254/97 – axter v. France), GenAnw Saggio, EuGH 1999, S. I-4811, 4824

14.09.1999 (C-275/97 – DE+ ES (D)), GenAnw Léger 26.11.1998, EuGH Slg. 1999, S.I-5334, 5347 

21.09.1999 (C-307/97 – Saint-Gobain (D)) (ABl. C 318 18.10.1997 S.11), GenAnw Mischo. 02.03.1999, EuGH Slg. 1999, S. I-6163, 6181 

26.10.1999 (C-294/97 – Eurowings (D) (ABl. C 295 27.09.1997 S.25), Schlussantrag: GenAnw Mischo 26.01.1999, EuGH Slg. 1999, S. I- 7449, 7463

28.10.1999 (C-55/98 – Bent Vestergaard (DK) ), Schlussantrag: GenAnw Saggio 
10.06.1999, EuGH Slg. 1999, S. I-7643, 7657

18.11.1999 (C-200/98 – X AB und Y AB gegen Riksskatteverk(S)), Berichterstatter: Edwards, Schlussantrag: GenAnw Saggio 03.06.1999, EuGH 1999, S. I-8264, 8276 

13.04.2000 (C-251/98 – Baars (NL), ABl. C 192, 8.7.2000, S. 4, EuGH Slg. 2000 S. I-2787, 2805 Berichterstatter: Wathelet, Anhörung 24.6.99, Schlussantrag: GenAnw Alber 14.10.99 

06.06.2000 (C-35/98 – B.G.M. Verkooyen (NL), ABl. C 247 26.08.2000 S.5 , EuGH Slg. 2000 S. I-4073,4109,4113, Berichterstatter: Wathelet, Schlussantrag: GenAnw La Pergola 24.6.1999, erneute Anhörung 30.11.1999, 2. Schlussantrag 14.12.1999 

08.06.2000 (C-375/98 -EPSON Europe BV (P)), ABl. C 273 23.09.2000 S. 2 ; EuGH 2000, S. I-4245, 4263 ; Fünfte Kammer, Anhörung 16.12.99, Schlussantrag: GenAnw Cosmas 17.2.2000

14.12.2000 (C-141/99 – AMID (B) , Anhörung 13.04.2000, Schlussantrag: Alber 
8.6.2000, ABl. C 150 19.05.2001 S.2 2001 p.2 

08.03.2001 (C-397/98 – Metallgesellschaft Ltd. gegen The Commissioners of Inland Revenue (UK) und C-410/98 – Hoechst gegen Inland Revenue Commissioners (UK) Fünfte Kammer, Berichterstatter: Wathelet, Schlussantrag: GenAnw Fennelly 12.09.2000; ABl. C 173 16.06.2001 S.13  

04.10.2001 (C-294/99 – Athinaiki Zythopoiia gegen den Griechischen Staat), Berichterstatter: Wathelet, Schlussantrag: GenAnw Alber 10.5.2001

15.01.2002 (C-43/2000 – Andersen og Jensen ApS / Skatteministeriet) 

12.12.2002: (C-324/00: Lankhorst-Hohorst GmbH v Finanzamt Steinfurt)


Urteil des Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren C-168/01
Bosal Holding BV / Staatssecretaris van Financiën

Ökopunkte-VO (Transit Österreich) bestehen weitgehend Test vor dem EuGH

Die Akte über den Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft enthält ein Protokoll, das für den Straßengütertransitverkehr durch Österreich eine Sonderregelung festlegt. Sie sieht im Wesentlichen ein System zur Reduktion der NOx-(Stickoxid)-Gesamtemission vor, nach dem jeder Lkw im Transitverkehr durch Österreich eine Ökopunkteanzahl benötigt, die seinem Wert der NOx-Emissionen entspricht. Die Ökopunkte werden von der Kommission verwaltet und auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt.

Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1992 und dem 31. Dezember 2003 ist die NOx- Gesamtemission von Lastkraftwagen im Transit durch Österreich schrittweise um 60 % zu reduzieren. Das Protokoll legt daher für jedes Jahr dieses Zeitraums eine immer geringere Ökopunkteanzahl fest. Sollte in einem Jahr die Zahl der Transitfahrten den Wert für das Jahr 1991 um mehr als 8 % übersteigen, hat die Kommission Maßnahmen zu treffen. Diese Maßnahmen, die in einer Verringerung der Ökopunkte und damit der Zahl der Transitfahrten bestehen, gelten – nach dem Protokoll – für das folgende Jahr.

Die im September 2000 erstellte Statistik weist für das Jahr 1999 14,57 % mehr Transitfahrten als im Jahr 1991 aus. Nach Auffassung der Kommission und des Rates hätte eine Verringerung der Ökopunkte für das Jahr 2000 dazu geführt, dass in dessen letztem Quartal faktisch jeder Transit von Lastkraftwagen durch Österreich untersagt worden wäre.

Um zu vermeiden, dass die durch die höhere Zahl der Transitfahrten im Jahr 1999 erforderliche Verringerung ausschließlich auf das Jahr 2000 angewandt wird, erstreckte der Rat – durch eine Verordnung vom September 2000 (Verordnung (EG) Nr. 2012/2000 des Rates vom 21. September 2000 (ABl. L 241, S. 18)) – die Verringerung über vier Jahre, nämlich die Jahre 2000 bis 2003 (je 30 % Verringerung in den Jahren 2000, 2001 und 2002 und 10 % Verringerung im Jahr 2003).

Zudem soll nach der neuen Verordnung eine solche Erstreckung der Verringerung allgemein für alle Verringerungen erfolgen, die künftig bei neuen Überschreitungen des Schwellenwerts für Transitfahrten etwa vorzunehmen sind.

Die Republik Österreich hat am 4. Dezember 2000 beim Gerichtshof der EG die Nichtigerklärung der Ratsverordnung, mit der diese Neuregelung des Ökopunktesystems eingeführt wird, beantragt.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass beim Erlass der angefochtenen Verordnung nicht gegen wesentliche Formvorschriften verstoßen wurde; sie wird daher nicht insgesamt für nichtig erklärt.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die angefochtene Verordnung ungültig ist, soweit sie darauf gerichtet ist, entgegen dem Protokoll endgültig einen Grundsatz der Erstreckung der Verringerung der Ökopunkte über mehrere Jahre einzuführen; zur Begründung verweist er darauf, dass die Protokolle einer Beitrittsakte primärrechtliche Bestimmungen sind, die nicht durch eine einfache Verordnung geändert werden können.

Der Gerichtshof erklärt die entsprechende Bestimmung daher für nichtig.

Zu der Bestimmung der Verordnung, mit der die Verringerung der Ökopunkte, die sich aus der Überschreitung des Schwellenwerts für Transitfahrten im Jahr 1999 ergibt, über die Jahre 2000 bis 2003 erstreckt wird, stellt der Gerichtshof fest, dass die von den österreichischen Behörden übermittelten Daten erst im September 2000 die Erstellung einer endgültigen Statistik zuließen. Aufgrund dieser verspäteten Übermittlung hätte die aus der im Jahr 1999 festgestellten Überschreitung folgende Verringerung erst im letzten Quartal des Jahres 2000 vorgenommen werden können. Dies hätte den Effekt gehabt, den gesamten Straßengütertransitverkehr durch Österreich für einige Monate praktisch zum Erliegen zu bringen, was den wesentlichen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere dem freien Warenverkehr, widersprochen hätte.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass der Rat unter diesen Umständen berechtigt war, die Verringerung der Ökopunkte über die verbleibenden Monate des Jahres 2000 und „das folgende Jahr“, d. h. das gesamte Jahr 2001, zu erstrecken. Dagegen war eine Erstreckung über vier Jahre von 2000 bis 2003 mit dem Protokoll unvereinbar. Der Gerichtshof erklärt daher die Verordnungsbestimmung, die die Erstreckung über die Jahre 2000 bis 2003 vorsieht, für nichtig. Er erklärt jedoch ihre Wirkungen aus Gründen der Rechtssicherheit für fortgeltend.

Hinsichtlich der Verordnungsbestimmung über die Aufteilung der fraglichen Verringerung auf die Mitgliedstaaten stellt der Gerichtshof fest, dass diese Bestimmung ebenso rechtswidrig ist wie die Bestimmung, die Verringerung über die Jahre 2000 bis 2003 zu erstrecken (siehe oben). Der Gerichtshof erklärt diese Verordnungsbestimmung daher für nichtig, erklärt jedoch ihre Wirkungen ebenfalls aus Gründen der Rechtssicherheit für fortgeltend.