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Bereitschaftsdienstregelungen für Ärzte nicht EU-konform

Der EuGH hat heute – wie vielfach erwartet – ausgesprochen, dass der Bereitschaftsdienst, der an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort geleistet wird, als volle Arbeitszeit anzusehen ist, auch wenn der Arzt sich in der Zeit, in der er nicht in Anspruch genommen wird, an der Arbeitsstelle ausruhen kann. Es wird damit gerechnet, dass durch das Urteil mehrere Mrd. € zusätzliche Kosten für die Krankenhäuser anfallen werden. Clement fordert schnelle Umsetzung.

Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement sagte zu der Entscheidung:

„Das Urteil muss jetzt schnellstmöglich umgesetzt werden, damit die Akteure vor Ort so schnell wie möglich Rechtssicherheit erhalten. Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass die erforderlichen Änderungen des Arbeitszeitgesetzes in das parlamentarische Verfahren zum Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt eingebracht werden. Die Neuregelung wird den Betroffenen die Spielräume bieten, die sie für eine praxisgerechte Arbeitszeitgestaltung mit Bereitschaftsdienst benötigen.“

Neben der Tatsache, dass der Bereitschaftsdienst nunmehr als Arbeitszeit bezahlt werden muss, werden infolge der Höchstarbeitszeitregelungen auch zahlreiche Stellen neu zu besetzen sein. Schätzungen gehen von einem Bedarf von 15.000 bis zu über 25.000 Ärzten und Kosten von jedenfalls 1,0 Mrd. € aus.

Urteil des Gerichtshofes im Vorabentscheidungsverfahren: C-151/02

Herr Jaeger, Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Kiel, leistet regelmäßig Bereitschaftsdienste, die darin bestehen, dass er sich im Krankenhaus aufhält und arbeitet, wenn er in Anspruch genommen wird, und die teils durch Freizeit, teils durch zusätzliche Vergütung abgegolten werden. Ihm steht im Krankenhaus ein Zimmer zur Verfügung, in dem er schlafen darf, soweit er nicht in Anspruch genommen wird. Herr Jaeger ist der Auffassung, dass die von ihm geleisteten Bereitschaftsdienste vollständig als Arbeitszeit anzusehen seien.

Das deutsche Recht unterscheidet zwischen „Arbeitsbereitschaft“, „Bereitschaftsdienst“ und „Rufbereitschaft“. Nur die Arbeitsbereitschaft gilt
in vollem Umfang als Arbeitszeit. Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft werden dagegen als Ruhezeit behandelt, mit Ausnahme der Dauer der Wahrnehmung beruflicher Aufgaben.

Die Gemeinschaftsrichtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ( Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 (ABl. L 307, S. 18)) soll die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer durch Gewährung von Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen gewährleisten. Die Richtlinie definiert die charakteristischen Merkmale des Begriffes „Arbeitszeit“ als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein fragt den Gerichtshof, ob das deutsche Recht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

Entscheidend für die Annahme, dass der von den Ärzten im Krankenhaus geleistete Bereitschaftsdienst die charakteristischen Merkmale des Begriffes „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie aufweist, ist nach Auffassung des Gerichtshofes, der hierzu auf seine Rechtsprechung (Urteil vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-303/98 (Simap))verweist, dass sie sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen müssen, um gegebenenfalls sofort ihre Leistungen erbringen zu können. Dem Gerichtshof zufolge sind diese Verpflichtungen, aufgrund deren die betroffenen Ärzte ihren Aufenthaltsort während der Wartezeiten nicht frei bestimmen können, als Bestandteil der Wahrnehmung ihrer Aufgaben anzusehen.

Der Umstand, dass der Arbeitgeber dem Arzt einen Ruheraum zur Verfügung stellt, in dem dieser sich aufhalten kann, solange er nicht in Anspruch genommen wird, ändert nichts an dieser Auslegung.

Der Gerichtshof fügt hinzu, dass ein Arzt, der seinem Arbeitgeber an dem von diesem bestimmten Ort während der gesamten Dauer seiner Bereitschaftsdienste zur Verfügung stehen muss, erheblich stärkeren Einschränkungen unterliegt als ein Arzt, der im Rahmen der Rufbereitschaft tätig ist, da er sich außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss und über die Zeit, in der er nicht in Anspruch genommen wird, weniger frei verfügen kann. Unter diesen Umständen kann bei einem Bereitschaftsdienstarzt, der an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur Verfügung stehen muss, die Zeit, in der er tatsächlich keine berufliche Tätigkeit ausübt, nicht als Ruhezeit angesehen werden.

Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass eine nationale Regelung wie die deutsche, nach der dieser Bereitschaftsdienst – mit Ausnahme der Zeit, in der der Arbeitnehmer tatsächlich seine beruflichen Aufgaben wahrgenommen hat – als Ruhezeit eingestuft wird und nur für Zeiten tatsächlicher Tätigkeit ein Ausgleich vorgesehen ist, mit der Gemeinschaftsrichtlinie nicht vereinbar ist.

Studie übt Kritik an Richtlinie über das Urheberrecht

Mit der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates wurden einige Aspekte des Urhberrechts geregelt. Eine Studie über die Umsetzung in den Mitgliedstaaten kommt zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie den Verbrauchern schadet und in sich widersprüchlich ist. Durch das Urheberrecht würde ferner in vielen Wirtschaftsbereichen die Monopolbildung erleichtert werden.

Die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 (Text: hier) sieht insbesondere zwingend strafrechtliche Konsequenzen für die Umgehung von Kopierschutzvorrichtungen vor. Dem steht das grundsätzliche Recht auf Provatkopien entgegen. In einzelnen Mitgliedstaaten reicht die Strafandrohung bis hin zu mehrjährigen Haftstrafen.

Nach der Richtlinie, die nur in zwei Mitgliedstaaten rechtzeitig umgesetzt wurde, kann bereits das Anbringen von Strichen mit Filzstiften auf einer DCD-ROM strafbar sein. Neben einer Behinderung der wissenschaftlichen Arbeit, wird eine erhebliche Gefahr für die Open Source Software gesehen. In Deutschland etwa ist das Recht auf Privatkopie in Urhebergesetzvorgesehen, zugleich aber die Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen, die die Privatkopie in vielen Fällen erst ermöglicht, strafbar.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der Schutz der Privatsphäre, der sich aus der modernen Computertechnik ergäbe. Moderne Methoden könnten über Internet jeden Gerauch eines kopiergeschützten Werkes registrieren und mit weiteren persönlichen Daten an die Inhaber der urheberrechtlichen Werke übermitteln. Bekannt geworden ist Microsoft, die in jedem Office-Dokument eine individualisierbare Kennnummer gespeichert haben. Durch das
Internet könnte sich die Offenbarung von individualisierbaren Daten noch massiv erweitern, ohne dass man als Nutz etwas dagegen Unternehmen könnte. Durch die Regelung sei es nicht möglich, entsprechende Maßnahmen – ohne der Gefahr einer Strafbarkeit –
zu unterbinden:

As with freedom of expression, privacy is a right guaranteed by the European Convention on Human Rights (see Article 8 ) along with the EU Charter of Fundamental Rights (see Articles 7 and 8). Copyright Directive implementations must not allow rightsholders to collect large a mounts of personal data on their customers under the guise of „technological protection measures“.


Die Studie in englischer Sprache finden Sie hier.

Kommission schlägt Änderung “Mutter Tochter Richtlinie” vor

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag zur Änderung der so genannten Mutter-/Tochter-Richtlinie (90/435/EWG) vorgelegt. Darin schlägt sie im Einzelnen vor, den Anwendungsbereich der Richtlinie auszuweiten, damit eine größere Anzahl von Unternehmen abgedeckt ist, die vorgeschriebene Mindestbeteiligung für die Inanspruchnahme der Steuervorteile von 25 % auf 10 % herabzusetzen und die Mechanismen zur Verhinderung von Doppelbesteuerung zu verbessern. Neben anderen Rechtsformen soll auch die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea — SE), die ab 2004 gegründet werden kann, in das Verzeichnis der von der Richtlinie erfassten Gesellschaften aufgenommen werden.

Die Mutter-/Tochter-Richtlinie, die steuerliche Hindernisse für Unternehmensgruppen in der EU beseitigen soll, indem sie bei Dividendenzahlungen zwischen verbundenen Gesellschaften in unterschiedlichen Mitgliedstaaten eine Befreiung von der Quellensteuer vorsieht und verhindert, dass Gewinne der Tochter bei der Mutter nochmals besteuert werden, ist in ihrer jetzigen Form wegen ihres eng gefassten Anwendungsbereichs nur von begrenzter Wirksamkeit. Der Vorschlag ist Teil der Unternehmensteuerstrategie, die die Kommission 2001 vorstellte. In diesem Zusammenhang hatte die Kommission eine Reihe steuerlich bedingter Hindernisse für die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt ermittelt und kurz- und langfristige Maßnahmen der Gemeinschaft zur Beseitigung dieser Hindernisse angekündigt.


„Dieser Vorschlag ist ein wichtiges Element unserer Strategie zur Beseitigung aller Formen der Doppelbesteuerung sowie aller anderen steuerlichen Hindernisse, mit denen Unternehmen heute konfrontiert sind, die von ihrer Freiheit zur grenzüberschreitenden Tätigkeit im Binnenmarkt Gebrauch machen“,

erklärte der für Steuern zuständige EU-Kommissar, Frits Bolkestein.
„Die Kommission ist entschlossen zu gewährleisten, dass die Steuerpolitik der EU dazu beiträgt, die EU bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“.

Der Vorschlag

Der Vorschlag besteht im Wesentlichen aus drei Elementen, die die Anwendung der Mutter-/Tochter-Richtlinie verbessern sollen.

Erstes Element ist die Aktualisierung des Verzeichnisses im Anhang zur Richtlinie, in dem die Rechtsformen aufgeführt sind, für die die Richtlinie gilt. Das Verzeichnis wird um neue, namentlich genannte Rechtsformen ergänzt, darunter Genossenschaften, Gesellschaften auf Gegenseitigkeit, bestimmte Körperschaften, die keine Kapitalgesellschaften sind, Sparkassen, sowie wirtschaftlich tätige Fonds und Vereinigungen. Aufgenommen wird auch die Europäische Gesellschaft, die ab Oktober 2004 gegründet werden kann. Sie bietet Unternehmen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind, die Möglichkeit, eine Unternehmensverfassung nach dem Gemeinschaftsrecht zu wählen.

Zweites Element des Vorschlags ist die Herabsetzung der Anforderungen für die Anwendung der Richtlinienbestimmungen, nach denen Dividendenzahlungen einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat an eine Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat von der Quellensteuer befreit sind. Die vorgeschriebene Mindestbeteiligung, die die Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft besitzen muss, um in den Genuss dieser Befreiung zu kommen, soll von 25 % auf 10 % herabgesetzt werden.

Drittes Element ist die Vervollständigung des in der Richtlinie vorgesehenen Mechanismus zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Dividenden, die eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft erhält. Da bei der Tochtergesellschaft die Gewinne besteuert werden, aus denen diese die Dividenden zahlt, muss derzeit der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft entweder die von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne von der Steuer befreien oder die im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft bereits gezahlten Steuern anrechnen. Dem Vorschlag zufolge sollen künftig auch alle Steuern, die Töchter der Tochtergesellschaft („Enkelgesellschaften“) bereits auf die fraglichen Gewinne gezahlt haben, auf die Steuern angerechnet werden, die die Muttergesellschaft auf ihre Gewinne zahlen muss, so dass eine vollständige Beseitigung der Doppelbesteuerung erreicht wird.

Der jetzt vorgelegte Vorschlag ersetzt den früheren Vorschlag zur Änderung der Mutter-/Tochter-Richtlinie von 1993, und die Kommission hat den älteren Vorschlag folglich zurückgezogen.

Hintergrund

Die Richtlinie 90/435/EWG vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (die so genannte „Mutter-/Tochter-Richtlinie“) dient der Beseitigung der Doppelbesteuerung von Gewinnen, die eine in einem Mitgliedstaat ansässige Tochtergesellschaft in Form von Dividenden an ihre in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft ausschüttet.

Der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Tochtergesellschaft steuerpflichtig ist, muss jede Form der Quellensteuer abschaffen, während der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft die vereinnahmten Dividenden entweder befreien oder die im Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft bereits gezahlte Steuer anrechnen muss.

Diese Formulierung ist schwer verständlich. Gemeint ist, dass der Staat, in dem die Tochtergesellschaft sitzt, die Gewinnausschüttungen nicht besteuern darf. Vielfach werden Gewinnausschüttungen — etwa mit einer Kapitalertragsteuer — bei der Auszahlung besteuert. Die Gewinne sind solche der Muttergesellschaft und sollen nur von der Muttergesellschaft besteuert werden.

Zugleich hat die Tochtergesellschaft bereits selber Steuern auf Gewinne (die eigenen Gewinne der Tochtergesellschaft) gezahlt. Diese Steuern sollen bei der Muttergesellschaft berücksichtigt werden.

Ziel der Regelung ist, dass die Gewinne nur in einem Land besteuert werden sollen. Wenn eine Tochtergesellschaft in einem Staat Gewinne erwirtschaftet, so hat es die Gewinne zu versteuern. Wenn diese Gesellschaft dann Gewinne an die Muttergesellschaft ausschüttet, so hat die Muttergesellschaft diese Gewinne, die ja eine Einnahme darstellen, grundsätzlich nochmals zu versteuern. In Deutschland wurde dieses Verfahren der Anrechnung der Körperschaftssteuer gerade erst abgeschafft.

Die Vorlage eines Vorschlags zur Aktualisierung der Mutter-/Tochter-Richtlinie war eines der Ziele, die sich die Europäische Kommission im Oktober 2001 setzte, als sie ihre Strategie für die Unternehmensteuern in der EU vorstellte. Sie äußerte damals die Auffassung, dass die Unternehmensteuersysteme in der EU mit Entwicklungen wie der Globalisierung und der wirtschaftlichen Integration im Binnenmarkt und in der Wirtschafts- und Währungsunion nicht Schritt gehalten haben, und ein neuer Anstoß nötig ist.

Die Kommission nannte in ihrer Strategie eine Reihe steuerlich bedingter Hindernisse für die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit im Binnenmarkt, bei denen sie Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene sieht, und schlug vor, diese Hindernisse im Wege eines zweigleisigen Vorgehens zu beseitigen. Sie erklärte auch, dass sie eine Reihe gezielter Maßnahmen plant, darunter der jetzige Vorschlag zur Ausweitung der Richtlinie zur Dividendenbesteuerung und eine vergleichbare Ausweitung des Anwendungsbereichs der Fusionsrichtlinie sowie weitere Maßnahmen betreffend den grenzübergreifenden Verlustausgleich, die Verrechnungspreise und die Doppelbesteuerungsabkommen.

Zum anderen war die Kommission der Auffassung, dass den Unternehmen langfristig die Möglichkeit gegeben werden müsste, für ihre grenzüberschreitenden Tätigkeiten innerhalb der EU eine konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer zu verwenden, um so den kostenträchtigen und ineffizienten Umgang mit 15 verschiedenen steuerlichen Regelwerken zu vermeiden.

Die Kommission ermittelte im Rahmen einer Studie verschiedene Wege zur Schaffung einer konsolidierten Besteuerungsgrundlage und erklärte, dass sie eine umfassende und tiefgreifende Diskussion dieser Angelegenheit einleiten wird. Die Kommission beabsichtigt, gegen Ende dieses Jahres über ihre politischen Schlussfolgerungen zum Thema einer konsolidierten Bemessungsgrundlage zu berichten.


Vorschlag in englischer Sprache (PDF)


Deutschland hat mit allen Mitgliedstaaten Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen (auch mit den verbleibenden EFTA-Staaten Island, Norwegen und der Schweiz, nicht jedoch mit Liechtenstein).


Monitoringbericht zur Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte

Am 1. September 2003 hat die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den Bericht über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen vorgelegt (Monitoring-Bericht). Bereits seit 1998 sind die Strom- und Gasmärkte in Deutschland für alle Verbraucher geöffnet. Deutschland gehört damit zu den Vorreitern in der EU; erst 2007 werden alle EU-Staaten ihre Märkte vollständig für den Wettbewerb geöffnet haben.

Voraussetzung für Wettbewerb auf den Strom- und Gasmärkten ist der effektive und diskriminierungsfreie Zugang zu den Netzen. Während das deutsche Energie- und Kartellrecht den Anspruch auf Netzzugang garantieren, sollten die Marktteilnehmer diesen Anspruch in Verbändevereinbarungen handhabbar machen.

Mit dem Monitoring-Bericht zieht das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit nun eine Bilanz der im Wege des verhandelten Netzzugangs erzielten Wettbewerbsergebnisse und zeigt Optionen für Verbesserungen auf. Dabei ergibt sich für Strom und Gas ein unterschiedliches Bild:

Im Stromsektor haben die Verbändevereinbarungen, flankiert von der Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden, schrittweise zu einem funktionsfähigen Markt geführt. Die Strompreise für Industrie- und auch Haushaltskunden sind
infolge dessen zunächst deutlich gesunken. Seit 2001 steigen die Preise allerdings wieder. Dies ist auf gestiegene Großhandelspreise und staatlich veranlasste Belastungen wie die Stromsteuer zurückzuführen.

Der Bericht zeigt auf, dass wichtige Elemente der Netzzugangsregeln weiter verbessert werden müssen:

  • Die Kalkulation der Netznutzungsentgelte muss konsequent am Grundsatz der „elektrizitätswirtschaftlich rationellen Betriebsführung“ ausgerichtet werden; dies ist durch ein transparentes Verfahren sicherzustellen.
  • Auf den Regelenergiemärkten müssen die Voraussetzungen für Wettbewerb, z.B. durch Schaffung von mehr Transparenz, weiter verbessert werden.
  • Der Lieferantenwechsel von Haushaltskunden muss durch konsequente Umsetzung bereits verabredeter Verfahren einfacher werden.

Auf dem Gasmarkt hat sich der Wettbewerb – wie in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten – deutlich langsamer entwickelt, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass Deutschland beim Gas – anders als bei Strom – zu 80% von Importen abhängt.

Maßgebliche Ursache für den nicht befriedigenden Wettbewerb im Gasbereich ist jedoch, dass die Verbände bisher kein hinreichend praxistaugliches Netzzugangssystem entwickelt haben.

Der Monitoring-Bericht zeigt eine Option für eine gesetzliche Regelung eines Netzzugangssystems auf, das den Wettbewerb entscheidend verbessern wird, sich an internationalen Erfahrungen orientiert und zugleich den besonderen Strukturen der deutschen Gasversorgung Rechnung trägt.

Der Monitoring-Bericht gibt auch einen Ausblick auf die Grundzüge der künftigen staatlichen Regulierung der Strom- und Gasmärkte in Deutschland. Nach den neuen EU-Binnenmarktrichtlinien für Strom und Gas sind die Voraussetzungen hierfür bis zum 1. Juli 2004 zu schaffen. Ab diesem Zeitpunkt sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die wesentlichen Marktregeln für den Netzzugang verbindlich vorzugeben und eine staatliche Regulierungsbehörde vorzusehen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit schlägt vor, diese Aufgaben der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post zu übertragen.

Angesichts der Vielzahl der Netzbetreiber in Deutschland heißt das, Maßnahmen der Ex-ante-Regulierung auf eine Regulierung der Methoden zu beschränken und deren Einhaltung durch eine wirksame Missbrauchsaufsicht sicherzustellen. Der neue Ordnungsrahmen muss – im Interesse der Marktteilnehmer – stabile Rahmenbedingungen aufweisen, zugleich aber die notwendige Flexibilität bieten, um auf neue Markterfordernisse rasch reagieren zu können. Der Ordnungsrahmen muss neben funktionierendem Wettbewerb auch gewährleisten, dass die Unternehmen weiterhin in den Erhalt und den Ausbau der Netze investieren, um so das hohe Niveau der Versorgungsqualität und -sicherheit in Deutschland erhalten zu können.

Die aktuellen Ereignisse im Zusammenhang mit der Hitzewelle in diesem Sommer in Europa und der große Blackout in Nordamerika haben deutlich gemacht, wie wichtig die Qualität der Netzinfrastruktur für eine zuverlässige Stromversorgung ist.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit wird das Energiewirtschaftsrecht auf der Grundlage des Monitoring-Berichts noch in diesem Jahr novellieren.

Briefkastengesellschaften in der EU erlaubt

In den Vereinigten Staaten haben sich zahlreiche börsennotierte Gesellschaften ihren Sitz in einem Ministaat – Delaware. Steht Europa vor einer vergleichbaren Entwicklung, die dazu führt, dass bevölkerungsschwache Staaten mit einem verschärften Wettbewerb um die Ansiedlung von Gesellschaften konkurrieren?

Die Rechtsprechung des EuGH und des BGH (Urteil März 2005) ermöglicht dies zumindest.

In Delaware, einem kleinen Bundesstaat der Vereinigten Staaten an der Ostküste zwischen New York und der Hauptstadt gelegen, hatten im Frühjahr 2003

  • 50 % aller Aktiengesellschaften (300000 Aktiengesellschaften und 200000 Gesellschaften mit beschränkten Haftung und Personengesellschaften),
  • 58 % der Fortune 500 und
  • 63 % der Going-Public-Gesellschaften (1996-2000)

der US-amerikanischen Kapitalgesellschaften ihren satzungsmäßigen Sitz. In Delaware leben ungefähr 0,27% der US-amerikanischen Bevölkerung. Steht Europa vor einer vergleichbaren Entwicklung, die dazu führt, dass bevölkerungsschwache Staaten mit einem verschärften Wettbewerb um die Ansiedlung von Gesellschaften konkurrieren?

Die neueren Entscheidungen des EuGH in den Fällen Centros und Überseering eröffnen zumindest diese Möglichkeit: Eine britische Gesellschaft, gegründet von dänischen Staatsbürgern auf der Basis eines Grundkapitals von 100 £, kann in Ausübung des Niederlassungsrechts ihre Geschäftsleitung nach Dänemark verlegen (bzw. von Anbeginn an die Geschäftsleitung außerhalb des Gründungsstaates haben) und alle Geschäfte dort tätigen.

Die Entfaltung irgendeiner geschäftlichen Tätigkeit im Gründungsstaat ist nach dem EuGH nicht notwendig – es handelte sich um eine typische Briefkastengesellschaft. Auch dass die Gesellschaft nur deshalb in Großbritanien gegründet wurde, um die dänischen Vorschriften zur Aufbringung des Mindestkapitals zu umgehen, ist nach der Ansicht des EuGH belanglos. Die Ausnutzung des EU-Niederlassungsrechts zur Umgehung des eigenen staatlichen Rechts durch Gründung einer Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat, dessen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen (Rechtswahl), sei nicht mißbräuchlich.

Bis vor kurzem war Deutschland ein Staat der Sitztheorie, ein Staat, der durch die konsequente Anwendung dieser Theorie die Anerkennung von Briefkastengesellschaften unmöglich machte. Eindeutig und konstant hat die deutsche Rechtsprechung unter dem Beifall des überwiegenden Schriftums sich immer wieder zu der Sitztheorie bekannt. Danach muss der Ort der Geschäftsleitung im Gründungsstaat liegen und kann von dort grundsätzlich nicht in das Ausland verlegt werden.

Wer eine Gesellschaft gründen will, hat jedoch nach der neueren Rechtsprechung des EuGH Rechtswahlfreiheit: Er kann unter den von den Mitgliedstaaten angebotenen, ab Mai 2004 unter 10 weiteren unterschiedlichen nationalen Regelung auswählen, welches der angebotenen Gesellschaftsrechte ihm am genehmsten ist.

Drei Beispiele:

Malta

Malta hat in den vergangenen Jahren die Gesetzgebung darauf ausgerichtet, Offshore-Unternehmen anzuziehen. So genannte International Trading Companies nach maltesischem Recht wurden in weitem Umfang von den Steuerpflichten befreit; Voraussetzung für die Befreiung ist, dass die Gesellschaft – abgesehen von bloßen Hilfsgeschäften – nicht in Malta werbend tätig wird. Die Europäische Kommission hat im Rahmen der Beitrittsverhandlungen darauf gedrungen, dass diese Regelungen geändert werden. Im Bericht der Kommission (2002) zum Beitritt Maltas wurde folgendes festgehalten: ,,So sollte noch vor Ende des Jahres ein Rechtsakt verabschiedet werden, der dafür sorgt, dass die noch bestehenden Offshore-Gesellschaften mit den bestehenden EG-Gesellschaftsrechtsrichtlinien in Einklang stehen, und dass es vom Tag des Beitritts an in Malta keine derartigen Gesellschaften mehr gibt.

Liechtenstein

Das EWR-Abkommen, das die EFTA-Staaten in den Binnenmarkt der Europäischen Union einbindet und seit dem 1.1. 1994 in Kraft ist, hat nach dem Beitritt Österreichs, Finnlands und Schwedens zur Europäischen Union an Bedeutung verloren. Art. 31 des EWR-Abkommens räumt den Staatsangehörigen im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit vergleichbare Rechte wie Art. 43 EGV ein. Es sind keine Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines EU/EG-Mitgliedstaats oder eines EFTA-Staates im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten zulässig. Zu den Rechten gehören die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines EU-Mitgliedstaates oder eines EFTA-Staates, die im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten ansässig sind, insbesondere die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen. Nach Art. 34 des EWR-Abkommens sind die nach den Rechtsvorschriften eines EU-Mitgliedstaates oder eines EFTA-Staates gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung im Hoheitsgebiet eines EU- oder EFTA-Staates haben, den natürlichen Personen im Hinblick auf das Niederlassungsrecht gleichgestellt.

Seit dem 1. Mai 1995 gehört allerdings auch das Fürstentum Liechtenstein zum EWR. Durch das Holding- und Sitzprivileg bei der Besteuerung bestimmter in Liechtenstein gegründeter Gesellschaften, das strenge Bankgeheimnis und der Tatsache, dass die liechtensteinische Anstalt in der Regel von einem Treuhänder gegründet wird (die Anonymität des wirtschaftlichen Inhabers bleibt also gewahrt), ist Liechtenstein eine erste Anlaufstelle für Steuerflucht, Scheingeschäfte und zur Steuerumgehung. Der BFH hat mit Urteil vom 26. April 2001 so eine liechtensteinische Gesellschaft unter Bezugnahme auf die Sitztheorie als nicht rechtsfähig eingestuft und dementsprechend die hinter den Gesellschaften stehende Person als steuerpflichtigen Unternehmer behandelt.

Die Gründe, wieso in Liechtenstein Gesellschaften gegründet werden – in aller Regel die Anonymität des wahren Inhabers der Gesellschaft, das strenge Bank- und Steuergeheimnis sowie steuerlicher Aspekte – ziehen Gelder aus der Schattenwirtschaft und andere Gruppen an, die darauf Wert legen, dass sie nicht erkannt werden können. Zwar ist Liechtenstein von der bei der OECD angesiedelten ,,Financial Action Task Force on Money Laundering„ (FATF) im zwölften Bericht vom 22. Juni 2001 von der Liste der unkooperativen Staaten im Bereich der Geldwäsche genommen worden. Hingegen wurde Ungarn, einer der zehn Beitrittstaaten im Rahmen der ersten Osterweiterung der EU, 2001 in diese Liste aufgenommen (nach Änderungen in 2002 wurde Unganrn wieder von der Liste der unkooperativen Staaten genommen und befindet sich bis zum Beitritt Ungarns zu der EU auf der Beobachtungsliste.). Einer der Gründe, wieso Staaten als potentiell die Geldwäsche fördernd angesehen werden, entstammt zumindest dem Gesellschaftsrecht: Wenn der wahre Eigentümer einer rechtlichen oder geschäftlichen Einheit, wozu selbstverständlich in erster Linie juristische Personen zu zählen sind, nicht von den für die Kontrollmaßnahmen im Bereich der Geldwäsche zuständigen Stellen erkannt werden kann.

Die bevölkerungsarmen Gründungsstaaten Liechtenstein und Malta räumen den Gesellschaften (bzw. den Gesellschaftern, je nach der autonomen Regelung) die genannten steuerlichen Vorteile ein, wenn die Unernehmen im Gründungsstaat selber nicht geschäftlich aktiv tätig werden. Ziel einer solchen Gesetzgebung ist, eine möglichst hohe Anzahl an Gesellschaften im Inland zu registrieren. Diese Gesellschaften sollen aber im Gründungsstaat keine Investitionen tätigen oder Arbeitsplätze schaffen. Die steuerlichen Vergünstigen gelten nur dann, wenn den inländischen, werbend tätigen Unternehmen kein Wettbewerb gemacht werden kann. Für die Staaten kann der Anreiz zur Schaffung solcher Regelungen nur in der schieren Anzahl der im eigenen Land registrierten Gesellschaften liegen.

Durch diese Konstruktion entsteht offensichtlich eine Schieflage. Die Gründungsstaaten haben nur ein geringes Interesse an einer konsequenten Aufsicht der konkreten, möglicherweise auch unlauteren geschäftlichen Tätigkeit der Unternehmen, da diese ausschließlich im Ausland ihre Geschäfte abwickeln. Ferner würde so eine wirksame und durchgehenden Aufsicht und Kontrolle die wirtschaftlichen Vorteile die die Staaten durch die Ansiedlung der Sitzgesellschaften haben, höchstwahrscheinlich zunichte machen. Der Staat oder die Staaten, in denen diese Gesellschaften hingegen am Markt auftreten, sind in den aufsichtsrechtlichen Mitteln eingeschränkt. Sie haben die Gesellschaften hinzunehmen und können eigene Wertvorstellungen nicht oder nur eingeschränkt durchsetzen.

Damit machen diese Staaten anderen Staaten Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen. Insbesondere das Beispiel der liechtensteinischen Gesellschaften zeigt, dass Staaten im EWR durchaus gewillt sind, durch besonders vorteilhafte Regelungen einen Wettbewerb um die Ansiedlung von Gesellschaften zu führen. Diese angeworbenen Unternehmen dürfen aber den im eigenen Land tätigen Unternehmen keinen Wettbewerb machen. In meinen Augen stellen diese Konstruktionen eine vollkommene Umkehrung der von dem EGV beabsichtigten Ziele dar, denn der privat-wirtschaftliche Wettbewerb wird für den Gründungsstaat unterbunden und lediglich ein Wettbewerb zwischen den Staaten um die Ansiedlung von Gesellschaften geführt.

Pseudo-ausländischer Gesellschaften

Eine weitere Problematik wurde in der Rechtsache Inspire Art vor dem EuGH von der niederländischen Regierung und der Kammer für Koophandel en Fabriekeb voor Amsterdam dargestellt:

,,Wegen der ständig steigenden Zahl pseudo-ausländischer Gesellschaften vor allem nach englischem Recht und dem Recht des US-Staates Delaware, die keinerlei tatsächliche Verbindung mit dem Gründungsstaat hätten, habe sich der niederländische Gesetzgeber (…)
veranlasst gesehen, zum Schutz der Gläubigerinteressen, zur Betrugsbekämpfung, zur Gewährleistung der Effizenz der Steuerkontrolle und zur Vermeidung missbräuchlicher Nutzung ausländischer Gesellschaften (…) bestimmte begrenzte Maßnahmen zu ergreifen. Die Kammer von Koophandel fügt hinzu, dass eine auffallend große Zahl dieser Gesellschaften in Konkurse verwickelt gewesen sei und die Gläubiger fast keine Möglichkeit gehabt hätten, ihre Verluste zu beschränken..“


Siehe auch hier