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Fahrverbot für bestimmte LKW auf der Inntalautobahn rechtswidrig

Das Fahrverbot für bestimmte Lastkraftwagen auf der Inntalautobahn ist mit dem freien Warenverkehr unvereinbar und deshalb rechtswidrig. Das hat der EuGH am 15. November 2005 (Az.: C-320/03) festgestellt. Eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels kann zwar grundsätzlich aus Gründen des Umweltschutzes gerechtfertigt sein, das fragliche Fahrverbot ist jedoch unverhältnismäßig.

Eine Verordnung des Bundeslandes Tirol (Verordnung des Landeshauptmanns von Tirol vom 27. Mai 2003, mit der auf der A 12 Inntalautobahn verkehrsbeschränkende Maßnahmen erlassen werden (sektorales Fahrverbot), die am 1. August 2003 hätte in Kraft treten sollen, deren Vollziehung jedoch aufgrund eines Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofes auf Antrag der Kommission ausgesetzt wurde.) von 2003 sieht für Lastkraftwagen mit einer Gesamtmasse von mehr als 7,5 t, die bestimmte Güter wie Abfälle, Steine, Erden, Kraftfahrzeuge, Rundholz oder Getreide befördern, ein Fahrverbot auf einem 46 km langen Teilstück der A 12 Inntalautobahn vor. Sie zielt auf eine Verbesserung der Luftqualität ab, um einen dauerhaften Schutz der Gesundheit des Menschen sowie des Tier- und Pflanzenbestands zu gewährleisten.

Der von der Europäischen Kommission angerufene Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellt in seinem Urteil fest, dass dieses sektorale Fahrverbot in Tirol den freien Warenverkehr und insbesondere die freie Warendurchfuhr behindert. Diese Maßnahme betrifft nämlich einen Straßenabschnitt von überragender Bedeutung, der einer der wichtigsten terrestrischen Verbindungswege zwischen Süddeutschland und Norditalien sei.

Eine Behinderung des freien Warenverkehrs, die grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, könne durch zwingende Erfordernisse des Umweltschutzes gerechtfertigt sein. Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass Österreich, nachdem in den Jahren 2002 und 2003 der in zwei Gemeinschaftsrichtlinien (Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55) und Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft (ABl. L 163, S. 41), geändert durch die Entscheidung 2001/744/EG der Kommission vom 17. Oktober 2001 (ABl. L 278, S. 35).) festgelegte Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) im betreffenden Gebiet überschritten worden war, zum Handeln verpflichtet war, um das in diesen Richtlinien vorgeschriebene Ergebnis zu erreichen. Die Tiroler Verordnung über das sektorale Fahrverbot und ihre Rechtsgrundlage, das österreichische Immissionsschutzgesetz Luft, mit dem diese Richtlinien umgesetzt worden sind, erfüllen jedoch nicht alle Voraussetzungen dafür, dass das streitige Verbot eine von diesen Richtlinien gedeckte Maßnahme darstellen kann.

Zum Umweltschutz im Allgemeinen stellt der Gerichtshof fest, dass das sektorale Fahrverbot gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Vor Erlassung einer so radikalen Maßnahme wie der eines völligen Fahrverbots auf einem Autobahnabschnitt, der eine überaus wichtige Verbindung zwischen bestimmten Mitgliedstaaten darstelle, hätten die österreichischen Behörden nämlich sorgfältig prüfen müssen, ob nicht auf weniger beschränkende Maßnahmen zurückgegriffen werden könnte. Sie haben aber nicht hinreichend untersucht, ob tatsächlich eine realistische Ausweichmöglichkeit besteht, um eine Beförderung der betroffenen Güter mit anderen Verkehrsträgern oder über andere Straßenverbindungen sicherzustellen, und, insbesondere, ob ausreichend geeignete Schienenkapazität zur Verfügung steht.
Außerdem sei ein Übergangszeitraum von nur zwei Monaten für die Vollziehung des Verbotes offensichtlich unzureichend, um es den betroffenen Unternehmen in zumutbarer Weise zu ermöglichen, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Dass die erheblich Luftbelastung im Inntal sicherlich zu einem Großteil auf den LKW-Verkehr auf dieser wichtigen Verbindungsstrecke zurückzuführen ist, wird niemand ernsthaft bestreiten. Und zweifelsohne ist das Verbot eine mögliche Maßnahme zur Verringerung der Schadstoffbelastung (in der Region). Welche durchführbaren Alternativen bleiben denn der Region zur Verringerung der Schadstoffbelastung? Und wie groß ist die Gefahr, dass auch diese Maßnahme als unverhältnismäßig eingestuft wird. Die Regierung hätte prüfen müssen, so der EuGH, ob tatsächlich eine realistische Ausweichmöglichkeit besteht, um eine Beförderung der betroffenen Güter mit anderen Verkehrsträgern oder über andere Straßenverbindungen sicherzustellen, und, insbesondere, ob ausreichend geeignete Schienenkapazität zur Verfügung steht. Was aber, wenn es keine realistische Aussweichmöglichkeit gibt und nicht ausreichend Schienenkapazität zur Verfügung steht (so muss es sich wohl verhalten) — gibt es dann noch realistische Aussweichmöglichkeiten für das Bundesland Tirol.

Beachtenswert ist auch die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Warenverkehrsfreiheit. Diese Bestimmungen hatten ursprünglich die Aufgabe, Zölle und andere protektionistische Handelshemmnisse zu beseitigen. Die Maßnahmen des Bundeslandes Tirol hatten wohl kaum einen protektionistischen Hintergrund, sondern richtete sich gegen die Lärm- und Luftbelastung der bedeutenden Transitstrecke. Es geht bei dem Verbot nicht um die Waren, sondern um bestimmte, umweltbelastende Transportmittel.

Es ist bedenklich, wie groß inzwischen der Europäische Gerichtshof die Reichweite der wirtschaftlichen Freiheiten des EG-Vertrages versteht. Daraus folgen jeweils auch Kompetenzen der EU – und sei es nur, den Mitgliedstaaten bestimmte Handlungen zu untersagen. Das ganze System der EU ist immer weniger austariert, geschweige denn, im Gleichgewicht. So liegen die Kompetenzen für die Wirtschaft inzwischen weitgehend auf EU-Ebene, die Aufgabe, das Arbeitlosigkeitgsproblem zu lösen verbleibt jedoch bei den Mitgliedstaaten. Diesen sind aber weitgehend die Hände gebunden, da sie kaum noch Handlungsspielraum im klassischen Sinne haben.

Das eine Regelung aus dem Jahr 2003 in 2005 wegen eines zu kurzen Übergangszeitraum von nur zwei Monaten verworfen wird (obwohl seit dem Erlass der Regelung nunmehr über 2 Jahre vergangen sind), ist ein Zeichen dafür, dass das System verfeinert werden müsste. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass die Vollziehung aufgrund eines Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofes ausgesetzt war. Der EuGH müsst selber verhältnismäßige Entscheidungen treffen können, also keine vollständige Aufhebung, sondern eine angemessene Übergangszeit vorsehen.

Anwartschaften auf Versicherungsrente während des Mutterschaftsurlaubs

Nach einer Entscheidung des EuGH steht die deutsche Regelung, wonach Arbeitnehmerinnen während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente erwerben, im Widerspruch zu der EU-Regelung über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit.

Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

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Frau Mayer, die heute als selbständige Rechtsanwältin tätig ist, war vom 1. Januar 1990 bis zum 30. September 1999 als Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundeslandes Rheinland-Pfalz beschäftigt und bei der VBL pflichtversichert. Sie befand sich vom 16. Dezember 1992 bis zum 5. April 1993 und vom 17. Januar bis zum 22. April 1994 im gesetzlichen Mutterschutz.

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Die Höhe der Versicherungsrente für Versicherte in einer Situation wie derjenigen der Klägerin ergibt sich nach § 44 Absatz 1 Satz 1a der Satzung der VBL aus einem bestimmten Vomhundertsatz der zusatzversorgungspflichtigen Entgelte, von denen Umlagen entrichtet worden sind. Nach § 29 Absatz 1 der genannten Satzung hat der Arbeitgeber eine monatliche Umlage in Höhe eines bestimmten Teils des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts zu zahlen. Dieses Entgelt ist nach § 29 Absatz 7 der steuerpflichtige Arbeitslohn.

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Während ihrer Mutterschutzzeiten bezog die Klägerin, die privat krankenversichert war, das staatliche Mutterschaftsgeld nach § 13 Absatz 2 des Mutterschutzgesetzes und den vom Arbeitgeber zu leistenden Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe der Differenz zwischen dem staatlichen Mutterschaftsgeld und dem letzten Nettoarbeitsentgelt gemäß § 14 Absatz 1 des Mutterschutzgesetzes. Diese Leistung des Arbeitgebers ist nach § 3 Absatz 1 Buchstabe d des Einkommensteuergesetzes steuerfrei. Somit hat die Klägerin während ihrer Mutterschutzzeiten kein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt im Sinne von § 29 Absatz 7 der Satzung der VBL bezogen, für das ihr Arbeitgeber gemäß § 29 Absatz 1 dieser Satzung monatliche Umlagen hätte zahlen müssen. Infolgedessen berücksichtigte die VBL bei der Berechnung der Versicherungsrente der Klägerin die Leistungen nicht, die sie von ihrem Arbeitgeber während der Mutterschutzzeiten bezog.

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Die Klägerin beantragte, ihre Mutterschutzzeiten bei der Berechnung der Anwartschaft auf die Versicherungsrente, die sie in dem von der VBL verwalteten Zusatzversorgungssystem erworben hatte, zu berücksichtigen.

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Die mit dem Rechtsstreit befassten Gerichte wiesen die Klage der Klägerin gegen die VBL ab. Sie legte daraufhin Revision beim Bundesgerichtshof ein und regte an, die Sache dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.

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Der Bundesgerichtshof hat in Betracht gezogen, dass Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 auf den vorliegenden Fall angesichts dessen keine Anwendung finde, dass die letzte Mutterschutzzeit der Klägerin vor Ablauf der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung dieser Richtlinie gesetzten Frist geendet habe. Das vorlegende Gericht neigt zu der Ansicht, dass es jedoch gegen den von der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung, insbesondere deren Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g, aufgestellten Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße, dass die Zeiten des Mutterschaftsurlaubs der Klägerin nicht berücksichtigt worden seien. Ferner könne auch ein Verstoß gegen Artikel 119 EG-Vertrag vorliegen, der den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit aufstelle.

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Da der Bundesgerichtshof der Ansicht ist, dass die nationale Regelung möglicherweise mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Stehen Artikel 119 EG-Vertrag und/oder Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 und Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378, neu gefasst durch die Richtlinie 96/97, Satzungsbestimmungen eines Zusatzversorgungssystems der hier vorliegenden Art entgegen, nach denen eine Arbeitnehmerin während des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs (hier: vom 16. Dezember 1992 bis 5. April 1993 sowie vom 17. Januar bis 22. April 1994) keine Anwartschaften auf eine im Fall ihres vorzeitigen Ausscheidens aus der Pflichtversicherung ab Eintritt des Versicherungsfalls (Rentenalter, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) monatlich zu beanspruchende Versicherungsrente erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass ein Arbeitnehmer im jeweiligen Zeitabschnitt steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält, die der Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs zufließenden Leistungen nach den nationalen Bestimmungen jedoch keinen
steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen?

2.

Gilt dies insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass die Versicherungsrente nicht — wie die beim Verbleib in der Pflichtversicherung im Versicherungsfall zu leistende Versorgungsrente — der Absicherung der Arbeitnehmerin im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit dient, sondern die während der Zeit der Pflichtversicherung für sie geleisteten Beiträge abgelten soll?

Zu den Vorlagefragen

Vorbringen der Beteiligten

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Die Klägerin beschränkt sich darauf, auf den Vorlagebeschluss zu verweisen, dessen Inhalt in Randnummer 19 des vorliegenden Urteils zusammengefasst ist.

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Die VBL macht geltend, dass die Bestimmungen des Zusatzversorgungssystems, nach denen eine Arbeitnehmerin während der gesetzlichen Mutterschutzzeit keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente erwerbe, nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstießen. Die Versicherungsrente diene nicht der Absicherung des Versicherten im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit. Ihr Zweck erschöpfe sich vielmehr darin, dem aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidenden Arbeitnehmer einen versicherungstechnischen Gegenwert für die geleisteten Beiträge zu gewähren. Die Anwartschaft auf eine Versicherungsrente werde von der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung nicht erfasst, die nach ihrer Intention der Vermittlung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bei betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit dienen wolle. Die Richtlinie 92/85 sei nicht anwendbar, denn die den Mitgliedstaaten für deren Umsetzung gesetzte Frist sei
während der Zeit des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts noch nicht abgelaufen gewesen. Daher habe die VBL darauf vertrauen dürfen, für die Mutterschutzzeiten der Arbeitnehmerinnen keine zusätzlichen Leistungen erbringen zu müssen. Schließlich sei die eingeführte Regelung auch mit Artikel 119 EG-Vertrag vereinbar, da es sich um Modalitäten der Finanzierung eines betrieblichen Versorgungssystems mit feststehenden Leistungen handele, die nicht in den Anwendungsbereich dieses Artikels fielen.

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Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften macht entgegen der VBL geltend, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zusatzversorgungssystem nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 stehe einer nationalen Regelung wie § 29 Absatz 7 der Satzung der VBL entgegen, die den Erwerb von Anwartschaften auf eine Betriebsrente von der Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Versicherungsrente während des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs davon abhängig mache, ob und in welchem Umfang eine Arbeitnehmerin in diesem Zeitraum ein zusatzversorgungspflichtiges Entgelt erhalte. Der Umstand, dass die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie während der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Mutterschutzzeiten noch nicht abgelaufen gewesen sei, sei unerheblich, denn auch die vor dem Ablauf dieser Frist liegenden Mutterschutzzeiten müssten unabhängig davon, wann sie in Anspruch
genommen worden seien, als solche berücksichtigt werden. Für den Fall, dass sich der Gerichtshof dieser Auslegung von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/85 nicht anschließen sollte, trägt die Kommission vor, dass Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung der fraglichen nationalen Regelung entgegenstehe, soweit Mutterschutzzeiten vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 92/85 betroffen seien. Es erübrige sich, das Problem im Rahmen von Artikel 119 EG-Vertrag zu prüfen.

Würdigung durch den Gerichtshof

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Die beiden Vorlagefragen sind gemeinsam zu prüfen.

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Nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 96/97 muss jede Maßnahme zur Umsetzung dieser Richtlinie in Bezug auf die unselbständig Erwerbstätigen alle Leistungen abdecken, die für Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 gewährt werden.

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Die Mutterschutzzeiten, um die es im Ausgangsverfahren geht, wurden nach diesem Zeitpunkt, nämlich 1992, 1993 und 1994, in Anspruch genommen. Daher ist die Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung in Bezug auf die Berücksichtigung solcher Zeiten für die Zwecke der Berechnung der entsprechenden Anwartschaftszeiten anzuwenden.

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Nach Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung gehören zu den dem Grundsatz der Gleichbehandlung entgegenstehenden Bestimmungen solche, die sich unmittelbar oder mittelbar auf das Geschlecht stützen und die Unterbrechung der Aufrechterhaltung oder des Erwerbs von Ansprüchen während eines gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegten Mutterschaftsurlaubs oder Urlaubs aus familiären Gründen, der vom Arbeitgeber bezahlt wird, bewirken.

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Die Ansprüche, auf die sich Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie bezieht, umfassen die Anwartschaften auf künftige Renten, deren Erwerb durch die Anwendung nationaler Bestimmungen über den Mutterschaftsurlaub unterbrochen werden könnte.

29

Dem Vorbringen der VBL, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Versicherungsrente nicht von der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung erfasst werde, da ihr Sinn und Zweck darin bestehe, eine versicherungstechnische Gegenleistung für entrichtete Beiträge zu schaffen, und nicht in einer Absicherung im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit, kann nicht gefolgt werden. Denn es ergibt sich aus allen Angaben des Vorlagebeschlusses zu dieser Versicherungsrente, dass diese Teil einer Zusatzversorgungsregelung ist und den betroffenen Arbeitnehmern eine Leistung beim Eintritt des Risikos Alter oder Erwerbsunfähigkeit gewährleisten soll. Eine solche Versicherungsrente stellt damit eine Zusatzleistung dar, die in den durch die Artikel 2 und 4 der genannten Richtlinie festgelegten Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt und nicht unter den von dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlusstatbeständen aufgeführt
ist.

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Die Zeiten des Mutterschutzurlaubs im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung sind diejenigen, die gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegt sind und vom Arbeitgeber bezahlt werden.

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Nach dem Vorlagebeschluss erhielt die Klägerin während ihrer Zeiten des Mutterschaftsurlaubs neben dem staatlichen Mutterschaftsgeld gemäß § 13 Absatz 2 des Mutterschutzgesetzes den in § 14 Absatz 1 dieses Gesetzes vorgesehenen Zuschuss in Höhe der Differenz zwischen dem Mutterschaftsgeld und ihrem letzten Nettoarbeitsentgelt. Ihre Mutterschutzzeiten wurden somit teilweise von ihrem Arbeitgeber bezahlt. Dies genügt für die Annahme, dass der Urlaub im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie vom Arbeitgeber bezahlt wurde.

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Nach allem steht Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung einer nationalen Regelung wie § 29 Absatz 7 der Satzung der VBL entgegen, die die Unterbrechung des Erwerbs der Anwartschaften auf eine Versicherungsrente während der Zeiten des gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs durch die Aufstellung der Voraussetzung bewirkt, dass die Arbeitnehmerin während dieser Urlaubszeiten steuerpflichtigen Arbeitslohn bezieht.

33

Die Richtlinie 92/85 braucht nicht geprüft zu werden, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeiten des Mutterschaftsurlaubs vor Ablauf der für ihre Umsetzung gesetzten Frist am 19. Oktober 1994 in Anspruch genommen wurden.

34

Da sich die Beantwortung der Vorlagefragen auf die Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung stützt, braucht Artikel 119 EG-Vertrag nicht ausgelegt zu werden.
Daher sind die vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

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Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378 in der durch die Richtlinie 96/97 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, nach denen eine Arbeitnehmerin während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente, die Teil eines Zusatzversorgungssystems ist, erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen beim Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe g der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit in der durch die Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, nach denen eine Arbeitnehmerin während des teilweise vom Arbeitgeber bezahlten gesetzlichen Mutterschaftsurlaubs keine Anwartschaften auf eine Versicherungsrente, die Teil eines Zusatzversorgungssystems ist, erwirbt, weil die Entstehung solcher Anwartschaften davon abhängt, dass die Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs steuerpflichtigen Arbeitslohn erhält.

Mindestlohn und Entsenderichtlinie

Nach der Entscheidung des EuGH ist ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, bei der Kontrolle der Zahlung des Mindestlohns an einen aus einem anderen Mitgliedstaat entsandte Arbeitnehmer sämtliche Zulagen und und Zuschläge zu berücksichtigen. Qualitätsprämien und Schmutz-, Erschwernis- oder Gefahrenzulagen sind keine Lohnbestandteile, die bei der Berechnung des Mindestlohns zwingend zu berücksichtigen sind.

Immer mehr Unternehmen entsenden Arbeitnehmer für eine zeitlich begrenzte Arbeitsleistung in einen anderen Mitgliedstaat als den, in dem sie normalerweise ihre Arbeit verrichten. Das EU-Recht enthält im Rahmen der Bestimmungen zum Binnenmarkt auch Regelungen zur Entsendung von Arbeitnehmern.

Die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen ist in der Richtlinie 96/71 (Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1)) geregelt. Sie soll für fairen Wettbewerb sorgen und die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer garantieren. Hierzu müssen die Gesetze der Mitgliedstaaten koordiniert werden, um einen Kern zwingender Bestimmungen über ein Mindestmaß an Schutz festzulegen, das im Gastland von Arbeitgebern zu gewährleisten ist, die Arbeitnehmer in einen Mitgliedstaat entsenden, in dem eine Dienstleistung zu erbringen ist. Zu diesem Kern gehören insbesondere die Bestimmungen über den Mindestlohn. Sieht ein Mitgliedstaat einen Mindestlohn vor, gilt dieser daher auch für die entsandten Arbeitnehmer. Der Begriff des Mindestlohns wird durch die Rechtsvorschriften und Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in den der Arbeitnehmer entsandt wird.

Im Jahr 2002 hat die Kommission gegen Deutschland eine Vertragsverletzungsklage wegen bestimmter Teile der deutschen Regelung im Bereich der Arbeitnehmerentsendung erhoben. Diese Klage betrifft insbesondere die Vereinbarkeit der von Deutschland angewandten Methode für den Vergleich zwischen dem in den deutschen Bestimmungen festgelegten Mindestlohn und dem Lohn, den der Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich zahlt, mit der Richtlinie 96/71.

Die Kommission wirft Deutschland vor, dass es abgesehen vom Bauzuschlag sämtliche von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer des Baugewerbes gezahlten Zulagen oder Zuschläge nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkenne. Diese Nichtberücksichtigung führe – wegen der abweichenden Methode der Lohnberechnung in anderen Mitgliedstaaten – zu höheren Lohnkosten für Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten, die so daran gehindert würden, ihre Dienste in Deutschland anzubieten.

Deutschland weist diesen Vorwurf zurück und macht insoweit geltend, Arbeitsstunden, die außerhalb der üblichen Arbeitszeit geleistet würden, die besonders hohen Anforderungen an die Qualität des Ergebnisses genügen müssten oder die mit besonderen Erschwernissen und Gefahren verbunden seien, hätten im Vergleich zur Normalarbeitsstunde wirtschaftlich höheren Wert, und die hierfür gezahlten Zulagen dürften bei der Berechnung des Mindestlohns nicht berücksichtigt werden. Würden die entsprechenden Beträge bei der Berechnung berücksichtigt, so würde dem Arbeitnehmer der wirtschaftliche Gegenwert dieser Arbeitsstunden vorenthalten und das Verhältnis zwischen dem vom Arbeitgeber geschuldeten Lohn und der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistung zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert. Deutschland stützt sich auf die Richtlinie 96/71, wonach es Sache der Mitgliedstaaten sei, den Mindestlohnsatz zu bestimmen.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellt zunächst fest, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass gemäß der Richtlinie das Entgelt für Überstunden, die Beiträge für zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme, die als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlten Beträge und Pauschalbeträge, die nicht auf Stundenbasis berechnet werden, nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt werden dürfen. Abzustellen ist auf den Bruttolohn.

Während des Vertragsverletzungsverfahrens hat Deutschland mehrere Änderungen seiner Rechtsvorschriften erlassen und vorgeschlagen, die nach Feststellung des Gerichtshofes geeignet sind, verschiedene Unstimmigkeiten zwischen dem deutschen Recht und der Richtlinie zu beseitigen. Es handelt sich insbesondere um die Berücksichtigung der vom Arbeitgeber gezahlten Zulagen oder Zuschläge, die bei der Berechnung des Mindestlohns nicht das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern, und die Berücksichtigung des 13. und des 14. Monatsgehalts unter bestimmten Bedingungen. Da diese Änderungen jedoch zu spät erfolgt waren, um vom Gerichtshof berücksichtigt werden zu können, nämlich nach Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, stellt der Gerichtshof insoweit eine Vertragsverletzung fest.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass es völlig normal ist, dass der Arbeitnehmer, der auf Verlangen des Arbeitgebers ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leistet, einen Ausgleich für diese zusätzliche Leistung erhält, ohne dass sich dies auf die Berechnung des Mindestlohns auswirkt. Nach Auffassung des Gerichtshofes erfordert die Richtlinie nicht, dass ein solcher Ausgleich (der, wenn er bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt wird, das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung verändert) als Bestandteil des Mindestlohns angesehen wird. Insoweit weist der Gerichtshof die Klage der Kommission daher ab.

URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)

14. April 2005

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Richtlinie 96/71/EG — Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen — Unternehmen des Baugewerbes — Mindestlohn — Vergleich zwischen dem durch die Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, festgelegten Mindestlohn und dem von dem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich gezahlten Lohn — Nichtberücksichtigung sämtlicher von dem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlter Zulagen und Zuschläge als Bestandteile des Mindestlohns“

In der Rechtssache C-341/02

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 25. September 2002,

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Sack und H. Kreppel als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch W.-D. Plessing und A. Tiemann als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), K. Lenaerts, S. von Bahr und K. Schiemann,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2004,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragt mit ihrer Klageschrift, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 EG und Artikel 3 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) verstoßen hat, dass sie — abgesehen vom Bauzuschlag — sämtliche von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer des Baugewerbes gezahlten Zulagen oder Zuschläge nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkennt und dadurch die von diesen Arbeitgebern tatsächlich an ihre entsandten Arbeitnehmer gezahlten Lohnbestandteile unberücksichtigt lässt.

2 Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Nach der zwölften Begründungserwägung der Richtlinie 96/71 hindert das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten nicht daran, ihre Gesetze oder die von den Sozialpartnern abgeschlossenen Tarifverträge auf sämtliche Personen anzuwenden, die — auch nur vorübergehend — in ihrem Hoheitsgebiet beschäftigt werden, selbst wenn ihr Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.

4 In Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 96/71 — Anwendungsbereich — heißt es:

„Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer. . . in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden.“

5 Artikel 3 der Richtlinie 96/71 — Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen — bestimmt in den Absätzen 1 und 7:

„(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,

  • durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften und/oder
  • durch für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge. . . im Sinne des Absatzes 8, sofern sie die im Anhang genannten Tätigkeiten betreffen,

festgelegt sind:

. . .

c) Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;

. . .

Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.

. . .

(7) Die Absätze 1 bis 6 stehen der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegen.

Die Entsendungszulagen gelten als Bestandteil des Mindestlohns, soweit sie nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten wie z. B. Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden.“

Nationales Recht

6 Für das Baugewerbe gilt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) vom 26. Februar 1996 (BGBl. 1996 I, S. 227) in der Fassung, die bei Ablauf der Frist galt, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war.

7 § 1 Absatz 1 AEntG erstreckt die Geltung bestimmter allgemeinverbindlicher Tarifverträge auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und die von ihnen nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer. Dort heißt es:

„Die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages des [Bau]gewerbes . . . , die . . . die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze. . . zum Gegenstand haben, finden auch auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinem im räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer zwingend Anwendung . . . Ein Arbeitgeber im Sinne des Satzes 1 ist verpflichtet, seinem im räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages nach Satz 1 beschäftigten Arbeitnehmer mindestens die im Tarifvertrag vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren.“

8 Eine Liste der jeweils nach dem AEntG anzuwendenden Tarifverträge ist in dem von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebenen Merkblatt für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz (im Folgenden: Merkblatt) enthalten.

9 Nach § 2 des Tarifvertrags zur Regelung eines Mindestlohns im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: Tarifvertrag über den Mindestlohn) vom 26. Mai 1999 besteht der Mindestlohn aus dem Tarifstundenlohn und dem Bauzuschlag, die zusammen den Gesamttarifstundenlohn ergeben. Die Vorschriften dieses Tarifvertrags wurden mit der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25. August 1999 (BGBl. 1999 I, S. 1894) für allgemeinverbindlich erklärt.

10 Für den Zeitraum vom 1. September 2000 bis zum 31. August 2002 galt der Tarifvertrag über den Mindestlohn vom 2. Juni 2000, der am 17. August 2000 für allgemeinverbindlich erklärt wurde.

11 Regelungen betreffend den Erholungsurlaub, das während dieser Zeit zu zahlende Entgelt und das Urlaubskassenverfahren sowie Zuschläge, u. a. Erschwernis- und Mehrarbeitszuschläge, sind mit anderen allgemeinverbindlichen Tarifverträgen getroffen worden.

12 Gemäß Anlage 4 zum Merkblatt in der Fassung, die bei Ablauf der Frist galt, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, werden vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen oder Zuschläge, abgesehen vom Bauzuschlag, nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt. Hierzu zählen nach der betreffenden Anlage insbesondere Mehrarbeitszuschläge, Nachtzuschläge, Sonn- und Feiertagszuschläge, Auslösungen und Erschwerniszuschläge.

Vorverfahren

13 Nach Prüfung einer Beschwerde kam die Kommission zu der Auffassung, dass die in Deutschland angewandte Methode, sämtliche von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre in die Bundesrepublik Deutschland entsandten Arbeitnehmer des Baugewerbes gezahlten Zulagen und Zuschläge nicht als Bestandteile des Mindestlohns anzuerkennen, nicht mit der Richtlinie 96/71 vereinbar sei und gegen die in Artikel 49 EG verankerte Dienstleistungsfreiheit verstoße. Daher forderte sie die Bundesrepublik Deutschland am 3. April 2000 schriftlich zur Äußerung auf.

14 Mit Schreiben vom 21. Juni 2000 bestritt die deutsche Regierung gestützt u. a. auf Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 96/71 die behauptete Vertragsverletzung. Der Begriff der Mindestlohnsätze werde durch die Rechtsvorschriften oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt werde. Im Rahmen der Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns könnten aufgrund der in Deutschland geltenden Bestimmungen Zuschläge, die das vom Tarifvertrag definierte Verhältnis von Lohn und Arbeit beeinträchtigten, nicht berücksichtigt werden. Die deutsche Regierung erklärte sich jedoch bereit, bestimmte Leistungen zu berücksichtigen, die dieses Verhältnis nicht beeinträchtigen, und gegebenenfalls das Merkblatt entsprechend zu ändern.

15 Da die Kommission die Erläuterungen der Bundesrepublik Deutschland nicht für zufrieden stellend hielt, richtete sie am 2. April 2001 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an diese mit der Aufforderung, dieser Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

16 Nachdem die deutsche Regierung auf diese Stellungnahme mit einem Schreiben vom 31. Mai 2001 geantwortet hatte, in dem sie zwar einräumte, dass das Merkblatt in bestimmten Punkten nicht vollständig mit der Richtlinie 96/71 übereinstimme, aber zu mehreren Punkten ihr früheres Vorbringen wiederholte, hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

Zur Klage

Vorbringen der Parteien

17 Die Kommission ist der Auffassung, die deutsche Regelung verstoße dadurch gegen die Richtlinie 96/71 und gegen Artikel 49 EG, dass sie in Bezug auf Zulagen oder Zuschläge beim Vergleich zwischen dem in den deutschen Bestimmungen festgelegten Mindestlohnsatz und dem den entsandten Arbeitnehmern von ihren Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten tatsächlich gezahlten Lohn allein den Bauzuschlag als Bestandteil des Mindestlohns berücksichtige.

18 Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten könnten aufgrund der dort geltenden Bestimmungen verpflichtet sein, neben dem normalen Stundenlohn weitere Lohnbestandteile zu zahlen. Nach der deutschen Regelung könnten diese Bestandteile jedoch bei der Berechnung des Mindestlohns nicht berücksichtigt werden. Die Nichtberücksichtigung der Zulagen und Zuschläge führe zu höheren Lohnkosten als denen, die deutsche Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer tragen müssten, und Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten würden daran gehindert, ihre Dienste in Deutschland anzubieten. Zwar sei der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt werde, berechtigt, gemäß der Richtlinie 96/71 den Mindestlohnsatz zu bestimmen, er dürfe aber beim Vergleich dieses Satzes mit dem von den Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten gezahlten Lohn nicht seine eigene Lohnstruktur aufzwingen.

19 Insbesondere wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, dass sie als Bestandteile des Mindestlohns weder bestimmte Zulagen wie das 13. und das 14. Monatsgehalt noch Beiträge anerkenne, die Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an mit den deutschen Kassen vergleichbare Urlaubs- und Ausgleichskassen entrichteten, soweit diese Beträge in dem anderen Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar an den entsandten Arbeitnehmer geleistet würden.

20 Die deutsche Regierung kündigt eine Änderung des Merkblatts an, soweit es um vom Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gezahlte Zulagen und Zuschläge gehe, die das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und seinem Lohn nicht veränderten. Diese Zulagen und Zuschläge sollten grundsätzlich als Bestandteile des Mindestlohns anerkannt werden.

21 Demgegenüber würden die Zulagen und Zuschläge, die das Gleichgewicht zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der Gegenleistung, die er erhalte, veränderten, nach deutschem Recht nicht als Bestandteile des Mindestlohns angesehen und könnten beim Vergleich zwischen dem nach den deutschen Bestimmungen geschuldeten Satz und dem von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten gezahlten Lohn nicht als dessen Bestandteile anerkannt werden. Denn der Tarifvertrag über den Mindestlohn beschränke sich nicht auf die Festlegung eines absoluten Betrages, sondern enthalte weitere Regelungen über das Verhältnis zwischen dem vom Arbeitgeber zu zahlenden Lohn und der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistung. Die besonderen Zulagen seien in einem von dem Tarifvertrag über den Mindestlohn getrennten Rahmentarifvertrag geregelt.

22 Arbeitsstunden, die außerhalb der üblichen Arbeitszeit geleistet würden, die besonders hohen Anforderungen an die Qualität des Ergebnisses genügen müssten oder die mit besonderen Erschwernissen und Gefahren verbunden seien, hätten im Vergleich zur Normalarbeitsstunde wirtschaftlich höheren Wert, und die hierfür gezahlten Zulagen dürften bei der Berechnung des Mindestlohns nicht berücksichtigt werden. Würden die entsprechenden Beträge bei der Berechnung berücksichtigt, so würde dem Arbeitnehmer der wirtschaftliche Gegenwert dieser Arbeitsstunden vorenthalten.

23 Die Kommission unterliege in ihrer Klageschrift einem Missverständnis in Bezug auf das deutsche Recht. Sie gehe zu Unrecht davon aus, dass ein Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat nach deutschem Recht verpflichtet sei, im Falle einer Arbeit, die mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sei, neben dem Mindestlohn auch die deutschen Zuschläge zu zahlen.

Würdigung durch den Gerichtshof

24 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt, einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, das Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat erbringt, die Verpflichtung aufzuerlegen, seinen Arbeitnehmern die durch die nationalen Vorschriften dieses Staates festgelegten Mindestlöhne zu zahlen (Urteile vom 3. Februar 1982 in den Rechtssachen 62/81 und 63/81, Seco und Desquenne & Giral, Slg. 1982, 223, Randnr. 14, vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94, Guiot, Slg. 1996, I-1905, Randnr. 12, vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C-369/96 und C-376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, I-8453, Randnr. 33, vom 15. März 2001 in der Rechtssache C-165/98, Mazzoleni und ISA, Slg. 2001, I-2189, Randnrn. 28 und 29, und vom 24. Januar 2002 in der Rechtssache C-164/99, Portugaia Construcoes, Slg. 2002, I-787, Randnr. 21). Die Anwendung dieser Vorschriften muss geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, nämlich den Schutz der entsandten Arbeitnehmer, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Arblade u. a., Randnr. 35, Mazzoleni und ISA, Randnr. 26, und vom 12. Oktober 2004 in der Rechtssache C-60/03, Wolff & Müller, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 34).

25 Diese Rechtsprechung findet ihre Bestätigung in Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 96/71, wonach die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in dieser Richtlinie genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind. Nach Absatz 1 Unterabsatz 2 wird der Begriff der „Mindestlohnsätze“ bestimmt „durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats . . . , in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird“.

26 Hier ist unstreitig, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des AEntG von der in der Richtlinie 96/71 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Vorschriften über den Mindestlohnsatz im eigenen Hoheitsgebiet zu erlassen. Wie den Randnummern 7 bis 10 dieses Urteils zu entnehmen ist, ist die Geltung bestimmter allgemeinverbindlicher Tarifverträge wie desjenigen über den Mindestlohn mit § 1 Absatz 1 AEntG auf Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer erstreckt worden. Eine Liste der gemäß dem AEntG in jedem Fall anzuwendenden Tarifverträge ist im Merkblatt enthalten.

27 Die Parteien der vorliegenden Rechtssache streiten jedoch über die Methode für den Vergleich zwischen dem aufgrund der deutschen Bestimmungen geschuldeten Mindestlohnsatz und dem Lohn, den die Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ihren entsandten Arbeitnehmern tatsächlich zahlen. Damit stellt sich die Frage, welche Zulagen und Zuschläge ein Mitgliedstaat als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigen muss, wenn er prüft, ob dieser ordnungsgemäß gezahlt worden ist.

28 Gemäß Anlage 4 zum Merkblatt werden vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen oder Zuschläge, abgesehen vom Bauzuschlag, in Deutschland nicht als Bestandteile des Mindestlohns angesehen. Den Akten ist zu entnehmen, dass neben dem Bauzuschlag insoweit die Zahlungen berücksichtigt werden, die im Arbeitsvertrag als Differenzausgleich zwischen dem heimischen Lohn und dem nach dem AEntG geschuldeten Lohn ausgewiesen sind. Nach Auffassung der Kommission sind jedoch grundsätzlich alle Zulagen und Zuschläge, die den entsandten Arbeitnehmern von ihren Arbeitgebern mit Sitz außerhalb Deutschlands gezahlt werden, bei der Berechnung des Mindestlohns zu berücksichtigen.

29 Die Parteien sind sich darüber einig, dass gemäß Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c und Absatz 7 Unterabsatz 2 der Richtlinie 96/71 das Entgelt für Überstunden, die Beiträge für zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme, die als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlten Beträge und Pauschalbeträge, die nicht auf Stundenbasis berechnet werden, nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt werden dürfen. Abzustellen ist auf den Bruttolohn.

30 Die deutsche Regierung bestreitet nicht, dass das Merkblatt nicht vollständig der Richtlinie 96/71 entspricht. Sie hat es im Übrigen nach Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, in dem von der Kommission empfohlenen Sinne geändert, indem sie das Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Berücksichtigung der Zulagen und Zuschläge umgekehrt hat. Infolge dieser Änderung würden bei der Kontrolle der Zahlung des Mindestlohns alle zusätzlichen Zahlungen berücksichtigt, die der Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat leiste, soweit das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers verändert werde.

31 Außerdem erklärt die deutsche Regierung in ihrer Klagebeantwortung, es sei vorgesehen, das Merkblatt dahin zu ergänzen, dass das 13. und das 14. Monatsgehalt als Bestandteile des Mindestlohns anerkannt würden, sofern sie während der Entsendung des Arbeitnehmers nach Deutschland regelmäßig, anteilig, tatsächlich und unwiderruflich gezahlt und ihm zum vorgesehenen Fälligkeitsdatum zur Verfügung gestellt würden. Die Kommission führt in ihrer Erwiderung aus, dass dieser Änderungsvorschlag die nationale Regelung insoweit mit der Richtlinie 96/71 vereinbar machen könne.

32 Tatsächlich sind die solchermaßen von der deutschen Regierung erlassenen und vorgeschlagenen Änderungen geeignet, verschiedene Unstimmigkeiten zwischen der streitigen nationalen Regelung und der Richtlinie 96/71 zu beseitigen.

33 Das Vorliegen einer Vertragsverletzung ist jedoch anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt wurde (vgl. u. a. Urteile vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache C-63/02, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2003, I-821, Randnr. 11, und vom 16. Dezember 2004 in der Rechtssache C-313/03, Kommission/Italien, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 9). Später eingetretene Änderungen können vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden (vgl. u. a. Urteil vom 18. November 2004 in der Rechtssache C-482/03, Kommission/Irland, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 11).

34 Was die Beiträge betrifft, die von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an den deutschen Kassen vergleichbare Urlaubs- und Ausgleichskassen entrichtet werden, so geht aus der Antwort der deutschen Regierung auf die mit Gründen versehene Stellungnahme hervor, dass sie dem Urlaubsentgelt und dem Urlaubsgeld in Deutschland entsprechen. Die deutsche Regierung trägt in ihrer Gegenerwiderung vor, dass der Streit unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen zu der anteiligen Auszahlung des Urlaubsgeldes und den Fälligkeitsregeln ausgeräumt sein müsste. Sie hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass das Urlaubsgeld anteilig und bei Fälligkeit des Lohns gezahlt werden müsse.

35 Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Sie muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren er das Vorliegen dieser Vertragsverletzung prüfen kann, wobei sie sich nicht auf Vermutungen stützen darf (vgl. u. a. Urteile vom 25. Mai 1982 in der Rechtssache 96/81, Kommission/Niederlande, Slg. 1982, 1791, Randnr. 6, und vom 29. April 2004 in der Rechtssache C-194/01, Kommission/Österreich, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 34).

36 Weder die mit Gründen versehene Stellungnahme noch die Klageschrift, noch die Erwiderung der Kommission lassen jedoch erkennen, ob der Vorwurf, dass bei der Berechnung des Mindestlohns Beiträge, die Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an den deutschen Kassen vergleichbare Urlaubs- und Ausgleichskassen entrichteten, nicht berücksichtigt würden, einen eigenständigen Vorwurf darstellt oder ob er im Gegenteil mit dem Vorwurf zusammenfällt, dass bei der betreffenden Berechnung das 13. und das 14. Monatsgehalt nicht berücksichtigt würden. Dass es den Behauptungen der Kommission zu den Beiträgen an die Urlaubskassen an Klarheit mangelte, wird dadurch bestätigt, dass die deutsche Regierung Schwierigkeiten hatte, auf diese Behauptungen zu reagieren.

37 Die Kommission hat daher nicht mit hinreichender Klarheit den genauen Umfang ihres Vorwurfs dargelegt und dem Gerichtshof nicht die erforderlichen Anhaltspunkte für die Feststellung geliefert, ob die Tatsache, dass die Beklagte Beiträge wie die hier in Rede stehenden nicht bei der Bestimmung des Mindestlohns berücksichtigt, einen Verstoß gegen die Verpflichtungen aus Artikel 3 der Richtlinie 96/71 darstellt.

38 Schließlich muss die noch streitige Hauptfrage untersucht werden, ob die vom Arbeitgeber gezahlten Zulagen und Zuschläge, die nach Auffassung der deutschen Regierung das Gleichgewicht zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern, als Bestandteile des Mindestlohns anzusehen sind. Es handelt sich u. a. um Qualitätsprämien und Schmutz-, Erschwernis- oder Gefahrenzulagen.

39 Entgegen der Auffassung der Kommission können die Zulagen und Zuschläge, die nicht durch die Rechtsvorschriften oder die Praktiken des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, bestimmt werden und die das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern, nicht aufgrund der Richtlinie 96/71 als Bestandteile des Mindestlohns betrachtet werden.

40 Es ist nämlich völlig normal, dass der Arbeitnehmer, der auf Verlangen des Arbeitgebers ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leistet, einen Ausgleich für diese zusätzliche Leistung erhält, ohne dass dieser bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt wird.

41 Allerdings ergibt sich aus den Randnummern 30 bis 33 dieses Urteils, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 der Richtlinie 96/71 verstoßen hat.

42 Da eine Vertragsverletzung auf der Grundlage der Richtlinie 96/71 festgestellt worden ist, braucht die Klage nicht im Hinblick auf Artikel 49 EG geprüft zu werden.

43 Daher ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 der Richtlinie 96/71 verstoßen hat, dass sie — abgesehen vom Bauzuschlag — die von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer des Baugewerbes gezahlten Zulagen oder Zuschläge, die nicht das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern, nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkennt.

44 Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Kosten

45 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof jedoch beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission und die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, haben sie jeweils ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

  1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 3 der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen verstoßen, dass sie — abgesehen vom Bauzuschlag — die von Arbeitgebern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten an ihre nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer des Baugewerbes gezahlten Zulagen oder Zuschläge, die nicht das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers und der von ihm erhaltenen Gegenleistung verändern, nicht als Bestandteile des Mindestlohns anerkennt.
  2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  3. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Unterschriften.

BGH bekräftigt Rechtsprechung zu Briefkastengesellschaften

Wie nach den maßgeblichen Entscheidungen des EuGH nicht anders zu erwarten war, urteilte der BGH, dass auf eine englische Limited trotz des Sitzes in Deutschland englisches Recht anzuwenden ist. Wenn die deutschen Gründungsvorschriften nicht beachtet wurden, führt dies nicht zum Durchgriff auf den Geschäftsführer.

Die Leitsätze des Urteils (Akzenzeichen: II ZR 5/03, Verkündet am: 14. März 2005) lauten wie folgt:

a) Die Haftung des Geschäftsführers für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einer gemäß Companies Act 1985 in England gegründeten private limited company mit tatsächlichem Verwaltungssitz in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich nach dem am Ort ihrer Gründung geltenden Recht.

b) Der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) steht entgegen, den Geschäftsführer einer solchen englischen private limited company mit Verwaltungssitz in Deutschland wegen fehlender Eintragung in einem deutschen Handelsregister der persönlichen Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG für deren rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten zu unterwerfen.

Somit steht denn fest, dass Gründer sich unter den verschiedene angebotenen Gesellschaften innerhalb der EU die ihnen am gelegensten kommende Gesellschaftsform auswählen können. Das ist zur Zeit noch die englische Limited, da diese in der Regel mit 100 britschen Pfund Stammkapital (wenige EUR genügen) gegründet wird. Es dürfte allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis bspw. Malta oder Zypern mit besseren Angeboten die Nachfrage nach Gesellschaften auf sich ziehen werden – so wie in den USA der Kleinststaat Delaware mit weniger als 1 Mio. Einwohner Gründungsstaat von über 50 % der börsennotierten Gesellschaften ist.

Wie allerdings mit Gesellschaften aus Liechtenstein verfahren werden soll, die wohl ebenso anerkannt werden müssen, ist noch unklar. Während in Deutschland der Fiskus inzwischen die Möglichkeit hat, die Bankkonten einzusehen, ist es bei den liechtensteinischen Treuhandgesellschaften praktisch unmöglich, herauszufinden, wer wirtschaftlicher Eigentümer ist. Und Liechteinstein gilt nachwievor als unkooperative Steueroase — bspw. hat außer Österreich kein anderer Mitgliedstaat mit dem Fürstentum ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von technischen Gasen befasst, stellte der U. Ltd. (nachfolgend U. Ltd.) für vertraglich vereinbarte Gaslieferungen und Vermietung von Gasflaschen in den Jahren 2000 und 2001 einen – unstreitigen – Gesamtbetrag von 3.393,87 DM in Rechnung. Die U. Ltd., deren Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Beklagte ist, wurde schon vorher – am 11. Februar 2000 – gemäß dem Companies Act 1985 im Companies House, C./UK als private limited company mit eingetragenem (Haupt-)Sitz in L. registriert. Die gesamte Geschäftstätigkeit der Gesellschaft fand hingegen – von ihrem tatsächlichen Verwaltungssitz in G. aus – nur in Deutschland statt, ohne dass deren Eintragung in ein deutsches Handelsregister erfolgt wäre. Die Rechnungen der Klägerin blieben unbezahlt. Auf einen gegen die U. Ltd. gestellten Insolvenzantrag wurde durch Beschlug des Amtsgerichts H. vom 20. September 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt.

Die Klägerin nahm daraufhin wegen der unbeglichenen Rechnungen den Beklagten als für die U. Ltd. Handelnden persönlich in Anspruch und erwirkte gegen ihn einen Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts H. vom 16. Juli 2002. Auf den Einspruch des Beklagten hat das zuständige Amtsgericht S. den Vollstreckungsbescheid – mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderungen – aufrecht erhalten. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Beklagte hafte wegen Fehlens einer Eintragung der U. Ltd. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung in einem deutschen Handelsregister als handelnder Gesellschafter-Geschäftsführer analog § 11 Abs. 2 GmbHG persönlich für die in ihrem Namen begründeten Kaufpreis- und Mietzinsverbindlichkeiten gegenüber der Klägerin. Europarechtliche Normen stünden einer persönlichen Haftung des Beklagten nicht entgegen. Zwar verstoße es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: EuGH) im Urteil vom 5. November 2002 (ZIP 2002, 2037 – Überseering) gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG), wenn einer nach dem Recht eines Mitgliedstaates wirksam gegründeten Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat, in den sie ihren Verwaltungssitz verlegt habe, die Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen werde; jedoch rechtfertigten zwingende Gründe des Gemeinwohls Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Im Gläubigerinteresse sei durch Anwendung der Sitztheorie sicherzustellen, dass eine im Ausland gegründete Kapitalgesellschaft mit Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland – wie hier die U. Ltd. – den deutschen Gründungsvorschriften unterworfen werde. Ihrer Umgehung müsse durch eine persönliche Haftung der für die Auslandsgesellschaft handelnden Personen analog § 11 Abs. 2 GmbHG begegnet werden.

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.

1. Das Berufungsurteil ist allerdings nicht bereits wegen Fehlens eines Tatbestandes gemäß § 540 ZPO als eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben. Zwar enthält das Urteil des Landgerichts über die – insoweit zulässige – Inbezugnahme der tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils hinsichtlich des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) hinaus keine Ausführungen zum zweitinstanzlichen Begehren des Beklagten als Berufungskläger. Jedoch ist – was ausreicht (vgl. BGH, Urt. v. 26. Februar 2003 – VIII ZR 262/02, NJW 2003, 747 m.w.Nachw.; st.Rspr.) – dem Gesamtzusammenhang der Begründung des Berufungsurteils (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Beklagte mit der Berufung gegen seine Verurteilung durch das Amtsgericht sein Klageabweisungsbegehren unverändert weiterverfolgt.

2. Das Urteil des Landgerichts hat aber deshalb keinen Bestand, weil die Gleichsetzung der wirksam als limited liability company gegründeten und damit nach englischem Recht rechtsfähigen U. Ltd. mit einer – mangels Eintragung in einem deutschen Handelsregister – nicht als GmbH existenten Gesellschaft (§ 11 Abs. 1 GmbHG) und die daraus abgeleitete persönliche Handelndenhaftung des Beklagten als Geschäftsführer analog § 11 Abs. 2 GmbHG für die Verbindlichkeiten der U. Ltd. aus den von ihm selbst in deren Namen abgeschlossenen Kauf- und Mietverträgen mit der Klägerin mit der in Art. 43 und 48 EG garantierten Niederlassungsfreiheit unvereinbar ist.

a) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die in einem Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat – unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes – in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (vgl. EuGH, Urt. v. 5. November 2002 – Rs C-208/00, ZIP 2002, 2037 – Überseering; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 30. September 2003 – Rs C-167/01, ZIP 2003, 1885 – Inspire Art; vgl. auch BGHZ 154, 185, 189; vgl. ferner zur vergleichbaren Rechtslage beim Deutsch-Amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag: BGHZ 153, 353, 356 f.; Sen.Urt. v. 5. Juli 2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1402 m.w.Nachw.; BGH, Urt. v. 13. Oktober 2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230, 2231). Aus der Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer solchen Gesellschaft folgt zugleich, dass deren Personalstatut auch in bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach einer etwaigen diesbezüglichen persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist (vgl. BGHZ 154, 185, 189 – auch zur passiven Parteifähigkeit; BGH, Urt. v. 23. April 2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 f.; Sen.Urt. v. 5. Juli 2004 aaO, S. 1403).

Danach scheidet im vorliegenden Fall eine Haftung des Beklagten analog § 11 Abs. 2 GmbHG für die von ihm als Geschäftsführer namens der U. Ltd. rechtsgeschäftlich begründeten Verbindlichkeiten aus; nach dem für das Personalstatut dieser private limited company (Kapitalgesellschaft) maßgeblichen englischen Recht haftet deren Geschäftsführer als Leitungsorgan – wie im deutschen GmbH-Recht – grundsätzlich nicht persönlich für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten.

b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des EuGH ist es selbst unter Gläubigerschutzgesichtspunkten mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn das Landgericht im vorliegenden Fall hinsichtlich der Frage einer Haftung des Gesellschafter-Geschäftsführers der U. Ltd. deren maßgebliches Personalstatut (ausnahmsweise) nicht an das am Ort ihrer Gründung geltende Recht, sondern an das Recht ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes anknüpfen will.

Zwar ist nach der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen der Gläubiger u.a. unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können (EuGH, ZIP 2002 aaO Tz. 92 – Ãœberseering; EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 132 f. – Inspire Art). Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass eine Behinderung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch nationale Maßnahmen allenfalls unter vier engen Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann: Die Maßnahmen müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 133 m.w.Nachw. – Inspire Art). Danach stellt sogar die bewusste Ausnutzung unterschiedlicher Rechtssysteme für sich allein genommen noch keinen Missbrauch dar, auch wenn sie in der offenen Absicht erfolgt, die „größte Freiheit“ zu erzielen und mit einer ausländischen Briefkastengesellschaft die zwingenden inländischen Normativbestimmungen zu umgehen (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 96 f., 137 ff. m.w.Nachw. – Inspire Art). Da die Bestimmungen über das Mindestkapital insoweit mit der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit unvereinbar sind, gilt zwangsläufig dasselbe für die Sanktionen, die an die Nichterfüllung der fraglichen Verpflichtungen geknüpft sind, d.h. die Anordnung einer persönlichen (gesamtschuldnerischen) Haftung der Geschäftsführer in dem Fall, dass das Kapital nicht den im nationalen Recht vorgeschriebenen Mindestbetrag erreicht oder während des Betriebes unter diesen sinkt. Folglich rechtfertigen weder Art. 46 EG noch der Gläubigerschutz die Bekämpfung der missbräuchlichen Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit oder die Erhaltung der Lauterkeit des Handelsverkehrs die Behinderung der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit, wie sie nationale Rechtsvorschriften über das Mindestkapital und eine persönliche (gesamtschuldnerische) Haftung der Geschäftsführer darstellen (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 142 – Inspire Art).

c) Eine persönliche Haftung des Beklagten analog § 11 Abs. 2 GmbHG kann schließlich – entgegen der Ansicht der Klägerin – auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Beklagte als Geschäftsführer es entgegen §§ 13 d ff. HGB unterlassen hat, die „Zweigniederlassung“ der U. Ltd. zum Handelsregister anzumelden. Zwar verpflichtet Art. 12 der 11. Richtlinie 89/666/EWG des Rates vom 21. Dezember 1999 die Mitgliedstaaten, geeignete Maßregeln für den Fall anzudrohen, dass die erforderliche Offenlegung der Zweigniederlassungen im Aufnahmestaat unterbleibt. Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten, denen zwar die Wahl der Sanktion verbleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleiche Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion nicht nur wirksam und abschreckend, sondern auch verhältnismäßig sein muss (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 62, 133 – Inspire Art). Schon danach bleibt festzustellen, dass die offenbar vom Berufungsgericht befürwortete Sanktion der persönlichen Haftung des Beklagten als Geschäftsführer wegen Nichterfüllung der Anmeldungspflicht weder gesetzlich vorgesehen ist noch etwa im Wege der Rechtsfortbildung in Betracht käme. Als zulässige Sanktion im Sinne der 11. Richtlinie des Rates sieht das deutsche Recht in § 14 HGB allein die Festsetzung von Zwangsgeld für den Fall der Nichterfüllung der Anmeldepflicht pp. vor, nicht hingegen haftungsrechtliche Konsequenzen.

III.

Aufgrund der unter Nr. II, 2 aufgezeigten Rechtsfehler unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung (§ 562 ZPO). Mangels Endentscheidungsreife ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Der Klägerin ist auf ihre Gegenrüge hin unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie eines fairen Verfahrens (Art. 2, 20 GG) Gelegenheit zu geben, in der wiedereröffneten Berufungsinstanz ihr Klagebegehren nunmehr auf – bislang nicht geltend gemachte – etwaige Haftungstatbestände des materiellen englischen Rechts oder des (deutschen) Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) zu stützen und hierzu weiteren Sachvortrag zu halten.

Arbeitnehmerüberlassung ausl. Unternehmen und Sozialversicherung

Nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen hat ein im Ausland sitzender gewerbsmäßiger Verleiher von Arbeitnehmern (Arbeitnehmerüberlassung) in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Bei dem Vollzug von Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland gilt demnach unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Beschäftigten oder ihrer Arbeitgeber deutsches Sozialversicherungsrecht. Zur Durchgriffshaftung auf Handelnden (Sitztheorie – EU-Beitritt).

1. Instanz: Sozialgericht Düsseldorf, Aktenzeichen, S 22 RA 157/03 ER, Beschluss vom 25.07.2003
2. Instanz: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 2 B 9/03 KR ER, Beschluss vom 17.01.2005 rechtskräftig

Entscheidung

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.07.2003 wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird auf 5.198.994,59 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Vollstreckung einer Beitragsnachforderung in Höhe von etwa 5,2 Millionen Euro.

Der Antragsteller ist ungarischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in M. Er wurde im Juli 2002 von der Staatsanwaltschaft L – u.a. – angeklagt, als Verleiher gewerbsmäßig Ausländer einem Dritten ohne Erlaubnis überlassen zu haben. Er habe ab 1995 in Ungarn verschiedene Kapitalgesellschaften gegründet oder übernommen, angeblich unselbständige Zweigniederlassungen dieser Gesellschaften in M angemeldet und alle wesentlichen Aktivitäten dieser Unternehmen von dort aus als formeller bzw. faktischer Geschäftsführer bestimmt. Insbesondere habe er mit deutschen Unternehmen aus dem Bereich der Blech- und Fleischverarbeitung Verträge geschlossen, die als Werkverträge bezeichnet worden seien, bei denen es sich aber tatsächlich um – unerlaubte – Arbeitnehmerüberlassung gehandelt habe (Anklageschrift vom 16.07.2002). Während die als Mittäter angeklagten ungarischen Staatsangehörigen L und I durch Urteil des Landgerichts Köln vom 11.09.2000 rechtskräftig zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, ist das Verfahren gegen den Antragsteller weiter rechtshängig. Der Antragsteller wurde aus der zunächst angeordneten Untersuchungshaft aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit im November 2002 – zunächst vorläufig – entlassen. Später wurde der Haftbefehl aufgehoben (Beschluss vom 15.04.2003).

Die Antragsgegnerin ist aufgrund dieses Sachverhalts in ein Beitragsprüfungsverfahren eingetreten (§ 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)) und hat eine Beitragsnachforderung – einschließlich Säumniszuschlägen – von knapp 5,2 Millionen Euro festgestellt. Der Antragsteller habe als verantwortlich Handelnder der Firmen D Kft, Dr. Q N und Partner Kft, N1 Kft und N2 Kft, alle Q-Straße 00 in M, ungarische Arbeitnehmer deutschen Unternehmen zur Arbeitsleistung überlassen, ohne im Besitz der dafür nach dem Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – AÜG) erforderlichen Erlaubnis zu sein. Als Entgelt zahlender Verleiher hafte er für die nach deutschem Sozialversicherungsrecht zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge daher neben dem jeweiligen Entleiher als Gesamtschuldner (Bescheid vom 09.10.2002). Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 04.11.2002 Widerspruch ein (Widerspruchsschreiben vom 31.10.2002) und beantragte die Aussetzung der Vollziehung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Die Antragsgegnerin lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab (Bescheid vom 03.12.2002).

Der Antragsteller hat beim Sozialgericht (SG) Köln begehrt, im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 31.10.2002 gegen den Beitragsbescheid vom 09.10.2002 herzustellen (Antragsschrift vom 22.05.2003). Er sei lediglich Geschäftsführer der Firma Dr. N und Partner Kft gewesen. Den übrigen Firmen sei er bei ihren geschäftlichen Aktivitäten lediglich behilflich gewesen. Der Beitragsbescheid sei offensichtlich rechtswidrig. Arbeitnehmerüberlassung sei bisher nicht erwiesen. Außerdem sei eine persönliche Inanspruchnahme des Antragstellers für die vier ungarischen Firmen ausgeschlossen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei erforderlich, weil das Hauptzollamt in E die Vollstreckung aus dem Bescheid vom 09.10.2002 angekündigt habe. Diese Zwangsvollstreckung treibe ihn in den Ruin.

Die Antragsgegnerin meint, der Antragsteller habe in Deutschland ein Firmenkonsortium gegründet, die „N-Gruppe“, und sei als formeller bzw. faktischer Geschäftsführer aller Firmen aufgetreten. Bei den mit deutschen Unternehmen geschlossenen Verträgen habe es sich um Scheinwerkverträge gehandelt, tatsächlich habe unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen. Es handele sich deshalb um inländische Beschäftigungsverhältnisse, die faktisch nur in Deutschland ausgeübt worden seien. Deshalb liege auch keine Einstrahlung vor.

Das SG Düsseldorf, an das das SG Köln die Sache zuständigkeitshalber verwiesen hatte, hat den Antrag abgelehnt. Die Abwägung der Interessen an der Vollziehung des Bescheides einerseits und an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs andererseits falle im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung zugunsten der sofortigen Vollziehbarkeit aus. Der Beitragsbescheid sei nicht offensichtlich rechtswidrig. Der Vorwurf der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung stehe weiter im Raum. Die mitangeklagten L und I seien insoweit rechtskräftig verurteilt worden. Es spreche Einiges dafür, dass die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Antragsgegnerin – auch soweit diese eine Entsendung verneine – zutreffe. Sei aber der Beitragsbescheid nicht offensichtlich rechtswidrig, müsse es beim gesetzlichen Regelfall der sofortigen Vollziehbarkeit verbleiben, da der Antragsteller Tatsachen, die den Schluss auf ein überwiegendes Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs begründen könnten, nicht geltend gemacht habe (Beschluss vom 25.07.2003).

Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 25.08.2003).

Während des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 19.09.2003). Dagegen hat der Antragsteller am 22.10.2003 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben (Aktenzeichen (Az) S 22 RA 297/03).

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsteller vor, das SG habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, aus welchem Rechtsgrund er für die geltend gemachten Gesamtsozialversicherungsbeiträge hafte. Keiner der eingesetzten Arbeitnehmer habe in einem Beschäftigungsverhältnis zu ihm gestanden. Auch liege nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine Arbeitnehmerüberlassung vor. Sogar die Staatsanwaltschaft L habe angeregt, zur Frage, ob Arbeitnehmerüberlassung vorliege, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Durch die Einzugsstelle werde zwischenzeitlich die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 09.10.2002 betrieben. Dieses Vorgehen sei nicht mehr verhältnismäßig. Die Antragsgegnerin versuche, die Existenz des Antragstellers zu vernichten. Es werde insoweit die Einrede der Vorausklage gegen die ungarischen Kapitalgesellschaften, mit denen die Beschäftigungsverhältnisse bestanden, erhoben. Inlandsvermögen des Antragstellers zur Sicherung der streitigen Beitragsforderung der Antragsgegnerin sei nicht vorhanden. Soweit das Landgericht Köln aus Anlass des Strafverfahrens zunächst den Arrest in das Vermögen des Antragstellers sowie der ungarischen Unternehmen angeordnet habe, habe es sämtliche Arrestbefehle zwischenzeitlich aufgehoben. Damit sei bewiesen, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht nachgewiesen werden konnte. Tatsächlich werde die Arbeitgebereigenschaft des Antragstellers unterstellt, obwohl sie tatsächlich nicht gegeben sei. Er sei auch nicht faktischer Arbeitgeber der ungarischen Arbeitnehmer gewesen, da diese ausschließlich dem Weisungsrecht der ungarischen Firmen unterlegen hätten. Wenn überhaupt, so hafte der Antragsteller nur subsidiär wie ein Bürge. Das Vorbringen der Antragsgegnerin, es liege keine Entsendung vor, sei unbeachtlich, da der Antragsteller hierzu nicht angehört worden sei und der Bescheid vom 09.10.2002 dazu auch keine Ausführungen erhalte. Der Antragsteller habe persönlich keine Arbeitsverträge geschlossen. Eine Betriebsstätte im Inland sei lediglich unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten entstanden. Die Antragsgegnerin trage lediglich unbegründete Scheinargumente vor. Die Werkverträge mit den deutschen Unternehmen seien von den Mitarbeitern L und I ausgehandelt worden. Nach alldem bestehe keine große Wahrscheinlichkeit, dass die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren obsiegen werde.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.07.2003 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 09.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.09.2003 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint weiter, der Antragsteller hafte persönlich, weil er faktisch Geschäftsführer einer Reihe von ungarischen Gesellschaften gewesen sei. Für die von diesen beschäftigten Arbeitnehmern fehle es an den Entsendevoraussetzungen nach § 5 SGB IV. Die von der Einzugsstelle zwischenzeitlich eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen begründeten keine abweichende Beurteilung, sie stellten insbesondere keinen Anordnungsgrund dar. Etwaige Fehler der Zwangsvollstreckung seien im Vollstreckungsverfahren geltend zu machen. Das Vorliegen einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung, auf die sie im Bescheid vom 09.10.2002 abgestellt habe, sei nur ein Aspekt unter mehreren, der die Beitragspflicht begründe. Die Haftung des Antragstellers hänge weder davon ab, ob tatsächlich Arbeitnehmerüberlassung vorliege, noch davon, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege. Die Versicherungspflicht beruhe allein darauf, dass keine
Entsendung vorliege, und sich deshalb die Beschäftigungsverhältnisse nach deutschem Sozialversicherungsrecht beurteilten. Tatsächlich habe es sich um inländische Arbeitsverhältnisse gehandelt. Der Antragsteller habe zusammen mit L und I eine selbständige Unternehmung gegründet und einen eigenen Betrieb in Deutschland errichtet. Eine Entsendung sei nicht bewiesen. Insoweit trage der Antragsteller auch die Beweislast. Seine persönliche Haftung ergebe sich aus §§ 11 Abs 2 des GmbH-Gesetzes und § 128 Handelsgesetzbuch (HGB). Liege keine Arbeitnehmerüberlassung vor, habe der Antragsteller jedenfalls eine eigene Arbeitsorganisation mit Betrieb im Inland geschaffen. Dann sei aber das deutsche Sozialversicherungsrecht anzuwenden. Soweit der Antragsteller etwa seine Vollmachten überschritten haben sollte, hafte er nach §§ 166, 179 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) persönlich. Er sei im
Geschäftsverkehr in eigenem Namen aufgetreten und habe Verträge in eigenem Namen, aber auch für die verschiedenen ungarischen Gesellschaften geschlossen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, ist zulässig. Insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis nicht dadurch entfallen, dass sich der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs teilweise durch den Erlass des Widerspruchsbescheides erledigt hat. Dem hat der Antragsteller Rechnung getragen, indem er jetzt nur noch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage begehrt. Darin liegt nur eine Beschränkung seines Begehrens nach § 86 b Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), mithin keine Antragsänderung im Rechtssinne (vgl § 99 Abs 3 Nr 2 SGG).

Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung anzuordnen, zielt grundsätzlich darauf ab, diese Entscheidung für die Dauer des gesamten Verfahrens bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung zu erreichen. Das entspricht dem Interesse an effektivem Rechtsschutz. Dementsprechend war bereits in der Rechtsprechung zur Vorläufer-Regelung in § 80 Abs 5 VwGO bis zur Schaffung von § 80b VwGO durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz (6. VwGOÄndG vom 01.12.1996, BGBl I 1626) anerkannt, dass die durch Beschluss angeordnete aufschiebende Wirkung bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts andauert, wenn das Gericht sie nicht befristet (BVerwGE 78, 192ff, 208 = DVBl 1988, 289f = NVwZ 1988, 251, 255). Dem stimmte die Literatur zu (vgl. z.B. Kopp, VwGO, 10. Auflage, § 80 Rdnr 34; Scholle in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr 295, Fn 1073; Ruppert, NVwZ 1997, 654ff, 655 Fn 21 und 22, jeweils mwN). An diese Rechtslage hat der Gesetzgeber mit der Schaffung von § 86b SGG angeknüpft, ohne die Regelung des § 80 b VwGO zu übernehmen. Damit erfasst der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zugleich jenen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der (später erhobenen) Klage.

Begründet ist die Beschwerde jedoch nicht. Die Voraussetzungen dafür, die begehrte Anordnung zu erlassen, sind nicht erfüllt. Zu entscheiden ist nach pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz von der Regel ausgeht, dass bei der Entscheidung über Beitragspflichten die aufschiebende Wirkung entfällt (§ 86a Abs 2 Nr 1 2. Fall SGG). Nur ausnahmsweise kann nach dem Rechtsgedanken der insoweit entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 86 a Abs 3 Satz 2 SGG (Meyer-Ladewig. SGG. Kommentar. 7. Auflage 2002, § 86b Rdnr 12) die aufschiebende Wirkung anzuordnen sein, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung [ …] eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dies ist hier, wie das SG im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, nicht der Fall. Bei der gebotenen lediglich summarischen Prüfung bestehen weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (dazu im Folgenden 1.) noch hätte die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge (dazu im Folgenden 2.).

(1) Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen nur, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Das entspricht der gesetzlichen Wertung des § 86a Abs 2 SGG, nur im Ausnahmefall davon abzusehen, Beiträge sofort entrichten zu lassen, um die Erfüllung der Aufgaben zu sichern, denen die Beiträge zu dienen bestimmt sind. Im Zweifel sind Beiträge zunächst zu erbringen. Das Risiko, im Ergebnis zu Unrecht in Vorleistung treten zu müssen, trifft nach dieser Wertung den Zahlungspflichtigen (vgl dementsprechend OVG NW, Beschluss (B.) v. 31.03.2004, Az.: 11 B 116/04; vom 17.03.1994, Az.: 15 B 3022/99, NWVBl 1994, 337f mwN; VGH B-W, B.v. 27.01.1984, Az.: 14 S 2429/83, DVBl 1984, 345; OVG Rh.-Pf. B. v. 21.05.1992, Az.: 7 B 10444/92 NVwZ-RR 1992, 1426; OVG Hbg., B.v. 23.04.1991, Az.: Bs II 16/91, DVBl 1991, 1325; OVG Saarl., B.v. 30.06.1986, Az.: 2 W 803/86, DÖV 1987, 1115; Renck NVwZ 1992, 338; Zeihe, Das SGG und seine Anwendung, 7. Auflage, Stand 01.11.2004, § 86a Rdnr. 33; Meyer-Ladewig, aaO, § 86a Rn 27, jeweils mwN, auch zu aA).

Bei summarischer Prüfung ist ein Erfolg des Antragstellers und Klägers im Hauptsacheverfahren nicht wahrscheinlicher als ein Misserfolg. Nach Lage der Akten spricht Einiges dafür, dass der Antragsteller für die von der Antragsgegnerin ihm gegenüber nach § 28p Abs 1 SGB IV geltend gemachte Beitragsforderung als Arbeitsentgelt zahlender Verleiher im Rahmen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung nach § 28e Abs 2 Sätze 3 und 4 SGB IV persönlich haftet, weil die eingesetzten Arbeitnehmer bei den jeweiligen Betrieben der Blech- und/oder Fleischverarbeitung auf Grund einer gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung tätig geworden sind, ohne dass dies erlaubt war.

Der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ist nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam, wenn der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung hat. Über eine solche Erlaubnis verfügten weder der Antragsteller noch die Firmen, für die er auftrat.

Es spricht bei summarischer Prüfung auch Einiges dafür, dass es sich in der Sache um gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung handelt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist nicht jeder drittbezogene Arbeitseinsatz eine Arbeitnehmerüberlassung iSd AÜG. Diese ist vielmehr durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet (BAGE 87, 186 = AP AÜG § 1 Nr. 24 = EzA AÜG § 1 Nr. 9, zu I 1 der Gründe mwN).

Bei der Arbeitnehmerüberlassung werden dem Entleiher die Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Der Entleiher setzt sie nach seinen Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer ein. Die Arbeitskräfte sind voll in den Betrieb des Entleihers eingegliedert und führen ihre Arbeiten allein nach dessen Weisungen aus. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt hat. Von der Arbeitnehmerüberlassung ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten auf Grund eines Werk- oder Dienstvertrags zu unterscheiden. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der im Vertrag vorgesehenen Dienste oder
für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen der Weisung des Arbeitgebers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Der Werkbesteller kann jedoch, wie sich aus § 645 Abs 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werkes erteilen. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht erfasst (ständige Rechtsprechung vgl BAG BAGE 67, 124 = AP AÜG § 10 Nr. 8 = EzA AÜG § 10 Nr. 3, zu III 1 der Gründe; BAGE 77, 102 = AP AÜG § 1 Nr. 16 = EzA AÜG § 1 Nr. 4, zu IV 2 a der Gründe; BAG AP Nr 6 zu § 9 AÜG).

Über die rechtliche Einordnung eines Vertrags entscheidet der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem Geschäftsinhalt tatsächlich nicht entspricht. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen Ausführung des Vertrags ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben. Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp (BAGE 67, 124 = AP AÜG § 10 Nr. 8 = EzA AÜG § 10 Nr. 3, zu II 2 der Gründe mwN). Einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung sind zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt. Dabei muss diese abweichende Vertragspraxis den auf Seiten der Vertragspartner zum Vertragsabschluß berechtigten Personen bekannt gewesen und von ihnen zumindest geduldet worden sein; denn sonst kann eine solche Vertragsdurchführung nicht als Ausdruck des wirklichen Geschäftswillens der Vertragspartner angesehen werden (BAG aaO, zu IV 2 der Gründe; BAG AP Nr 6 zu § 9 AÜG).

Nach dem aufgrund der tatsächlichen Durchführung und der praktischen Handhabung ermittelten wirklichen Willen der Vertragspartner spricht viel dafür, dass hier (unerlaubte) Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen ist. Der Antragsteller hat mit den Unternehmen der Fleisch- und/oder Blechverarbeitung selbst oder über L und/oder I Verträge abgeschlossen, in deren Folge er diesen Unternehmen ungarische Arbeitskräfte zur Verfügung stellte, die planmäßig in die dortigen Betriebsabläufe integriert wurden und ihre Tätigkeit nach den Weisungen der jeweiligen Unternehmen verrichteten. Eine maßgebliche Einflussnahme des Antragstellers oder seiner Gehilfen L oder I auf die Tätigkeit der ungarischen Arbeitnehmer in den jeweiligen Unternehmen ist ebenso wenig erkennbar wie eine fachspezifische Sachkunde oder eine vertragliche Absprache, die ihnen eine derartige Einflussnahme ermöglicht hätte. Tatsächlich spricht nach dem aktenkundigen, von der Staatsanwaltschaft L, dem Hauptzollamt B und der Beklagten ermittelte Sachverhalt, der sich in Auswertung des bei der Durchsuchung am 16.01.2002 beschlagnahmten Beweismaterials, der Aufzeichnungen über die erfolgte Telefonüberwachung und der Aussagen der gehörten Zeugen und (Mit)-Beschuldigten ergibt, alles dafür, dass der Antragsteller mit seinen Helfern L und/oder I geeignete Arbeitnehmer lediglich ausgewählt und den jeweiligen Vertragspartnern zu Verfügung gestellt haben, und diese im Folgenden die Arbeit allein nach den Weisungen des entleihenden Unternehmens versehen haben.

Der Sachverhalt deutet auch auf eine persönliche Haftung des Antragstellers als Entgelt zahlender Verleiher hin.

Auf die Beschäftigungsverhältnisse der in Deutschland auf der Grundlage von Verträgen mit deutschen Unternehmen aus dem Bereich der Blech- und/oder Fleischverarbeitung zur Arbeitsleistung eingesetzten ungarischen Arbeitnehmer findet deutsches Sozialversicherungsrecht Anwendung. Das ergibt sich aus dem in § 3 Nr 1 Viertes Buch Sozialgesetz (SGB IV) niedergelegten Territorialitätsprinzip, wonach die Vorschriften über die Versicherungspflicht, soweit sie eine Beschäftigung voraussetzen, für alle Personen gelten, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs beschäftigt sind. Danach streitet eine Vermutung dafür, dass bei Vollzug von Beschäftigungsverhältnissen im Inland unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Beschäftigten oder ihrer Arbeitgeber deutsches Sozialversicherungsrecht gilt, sofern nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen der Einstrahlung nach § 5 SGB IV vorliegen. Gemäß § 5 SGB IV gelten die deutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist.

Nach Lage der Akten bestehen erhebliche Bedenken, ob dies der Fall ist. Einstrahlung setzt nämlich voraus, dass während der inländischen Beschäftigung das ausländische Vertragsverhältnis fortbesteht (BSG SozR 3-4100 § 141 b Nr 9). Davon kann nur ausgegangen werden bei fortbestehender hinreichender Intensität der tatsächlichen und rechtlichen Bindung zu dem entsendenden Unternehmen (BSG SozR 3-2400 § 5 Nr 2). Liegt der Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses dagegen im Inland, liegt keine Einstrahlung vor (BSG aaO). Davon ist auszugehen, wenn die Arbeitsleistung einem inländischen (Teil-)Betrieb mit eigener Wirtschaftsführung sowie eigener Gewinn- und Verlustrechnung zugerechnet wird, der das Arbeitsentgelt zahlt und als Betriebsausgabe absetzt (BSG aaO). So dürfte es hier aber liegen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob überhaupt die Grundvoraussetzungen der Entsendung, nämlich ein
Beschäftigungsverhältnis mit Schwerpunkt im Ausland bei zeitweiliger, vorübergehender Tätigkeit für dieses Unternehmen im Inland vorliegen. Dies setzte etwa voraus, dass die Beschäftigung aufgrund von Weisungen des ausländischen Arbeitnehmers schwerpunktmäßig im Ausland erfolgt und im Rahmen der arbeitsvertraglichen Pflichten lediglich vorübergehend im Inland ausgeübt wird, etwa aufgrund vertraglicher Beziehungen ausländischen Beschäftigungsunternehmens beim Vertragspartner im Inland. So liegt der Fall aber hier gerade nicht. Denn alle maßgeblichen Vereinbarungen sind im Inland durch den Antragsteller – nach seiner Behauptung für ungarische Unternehmen – getroffen worden. Die ungarischen Gesellschaften haben alle einen Betriebssitz im Inland und firmieren insoweit unter der Privatanschrift des Antragstellers. Der Antragsteller bzw. die genannten ungarischen Firmen haben das Arbeitsentgelt an die beschäftigten Arbeitnehmer im Inland gezahlt. Die ungarischen Firmen haben auch steuerrechtlich – wie der Antragsteller selbst einräumt – ihren Betriebssitz im Inland. Es ist nichts Erhebliches dazu behauptet oder sonst bekannt, dass diese Unternehmen in Ungarn ebenfalls gleichartige Unternehmenzwecke im Bereich der Blech- und/oder Fleischverarbeitung verfolgen und die hier tätigen Arbeitnehmer insoweit in Ungarn entsprechend einsetzen. Anknüpfungspunkt dafür, dass sie etwa schwerpunktmäßig in Ungarn tätig sind und die hier eingesetzten Arbeitnehmer dort im Wesentlichen beschäftigen, mit der Folge, dass die Tätigkeit in Deutschland nur als vorübergehende Entsendung zu qualifizieren wäre, finden sich nicht, vgl dazu Nrn 3.3.1 und 4.1 der Richtlinien zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmern bei Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) und Einstrahlung (§ 5 SGB IV) vom 20. November 1997. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das zentrale Weisungsrecht, dem die eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen, weiter von einem ausländischen entsendenden Unternehmen ausgeübt wird. Nach allem was bekannt ist, wurde es offenbar von den hier ansässigen (Teil-)Betrieben aus vom Antragsteller selbst ausgeübt.

Etwas anderes ergibt sich weder aus über- noch aus zwischenstaatlichem Recht, § 6 SGB IV.

EU Recht – etwa die EWG-Verordnung 1408/71 – kommt unmittelbar nicht zur Anwendung, da Ungarn erst zum 01. Mai 2004 Vollmitglied der Europäischen Union geworden ist (A Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 2 des EU-Beitrittsvertrags vom 16.04.2003, EU-Beitrittsvertragsgesetz vom 18.09.2003, BGBl II, 1408ff), und es sich um in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte handelt. Anhaltspunkte dafür, dass für die beigetretenen Staaten EU-Vorschriften rückwirkend in Kraft gesetzt werden sollten, enthält der EU- Beitrittsvertrag nicht (vgl im Gegenteil B Art 2, Art 4, Art 53; Schlussakte II 13. „Erklärung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Ungarn“). Aus Art 37ff des Europaabkommens vom 16.12.1991 zur Gründung einer Assoziation zwischen den europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und der Republik Ungarn andererseits (Gesetz vom 26.08.1993, BGBl II 1993, 1473ff) ergibt sich nichts Abweichendes. Dort ist
ausschließlich die Gleichbehandlung der jeweiligen Arbeitnehmer geregelt. Auch das zum 01.05.2000 in Kraft getretene Gesetz vom 04.10.1999 zum Abkommen vom 02. Mai 1998 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Ungarn über Soziale Sicherheit (SVA) mit Schlussprotokoll und Durchführungsvereinbarung vom gleichen Tage (zum Inkrafttreten vgl Art 42 des Gesetzes iVm der Bekanntmachung vom 23.03.2000, BGBl II, 644) sieht keine abweichende Regelung vor, sondern setzt die entsprechenden Begriffe der „Beschäftigung“ bzw. „Entsendung“ voraus (vgl Art 6 und 7 SVA, Nr 5f Schlussprotokoll). Bescheinigungen im Sinne von Art 4 Abs 3 der Durchführungsvereinbarung sind offenbar nicht ausgestellt worden, so dass zu deren Verbindlichkeit Überlegungen entbehrlich sind.

Auch auf die Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Ungarischen Volksrepublik über die Entsendung ungarischer Arbeitnehmer aus in der Ungarischen Volksrepublik ansässigen Unternehmen zur Beschäftigung auf der Grundlage von Werkverträgen vom 03.01.1989 (BGBl II, 245), zuletzt geändert durch Vereinbarung vom 17.12.1997/ 08.04.1998 (Bekanntmachung vom 28.05.1998, BGBl II, 1396) kann sich der Antragsteller nicht berufen. Wie bereits zu § 5 SGB IV ausgeführt, bestehen erhebliche Bedenken, von einem Entsendungsfall (hier: iS von Art 1 dieser Vereinbarung) auszugehen. Dass die hierfür erforderliche Arbeitserlaubnis – u.U. zu Unrecht – erteilt worden ist, steht der – im Rahmen der summarischen Prüfung – originären rechtlichen Bewertung des Sachverhalts in diesem Zusammenhang nicht entgegen. Die abschließende Klärung dieser Frage muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Vor diesem Hintergrund spricht auch Einiges dafür, das der Antragsteller als Verleiher persönlich in Anspruch genommen werden darf. Er ist nämlich nach der tatsächlichen Praxis, wie sie sich in den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der großen Strafkammer abgezeichnet hat, als tatsächlicher Verleiher aufgetreten. Danach führte er alle maßgeblichen Verhandlungen entweder selbst oder durch die – seiner Weisung unterstehenden – I und/oder L geführt hat. Er hatte danach die volle Verfügungsgewalt über die eingehenden Gelder und sorgte für die Bezahlung der Arbeitnehmer. Insoweit wird insbesondere auf Bl 106-110 der Anklageschrift verwiesen. Von seiner Verfügungsgewalt machte er danach auch Gebrauch, indem er nach Belieben Gelder zwischen „Firmen-“ und „Privat-Konten“ verschob. Die formal zwischengeschalteten ungarischen Firmen, die alle unter seiner Privatanschrift gemeldet waren, dienten dem entsprechend nur zum Schein als Vertragspartner. Nach den tatsächlichen Verhältnissen und der praktischen Durchführung der Verträge war dagegen nach dem Stand der Ermittlungen der Antragsteller Vertragspartner. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse lassen erwarten, dass auch die noch erforderlichen Ermittlungen des SG im Klageverfahren nicht zu einem anderen Ergebnis führen werden. Diese Bewertung entspricht auch den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Köln vom 11.09.2002, durch das L und I u.a. wegen der – auch dem Antragsteller vorgeworfenen – Verstöße gegen das AÜG rechtskräftig zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt worden sind.

Darauf, dass es sich bei den – wie dargelegt, nur zum Schein zwischengeschalteten – Unternehmen nach ungarischem Recht um Gesellschaften handelte, bei denen – ähnlich wie bei der GmbH deutschen Rechts – die persönliche Haftung der Gesellschafter ausgeschlossen ist, kann der Antragsteller sich nicht berufen. Es spricht zunächst – wie dargelegt – viel dafür, dass diese Firmen nur zum Schein zwischengeschaltet waren. Deshalb kommt es nicht darauf an, dass – vorbehaltlich einer abweichenden zwischenstaatlichen Vereinbarung (vgl BGHZ 153, 353ff), die zwischen Deutschland und Ungarn nicht besteht (auch der deutsch-ungarische „Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“ vom 06.02.1992, BGBl 1992 II S 474ff, enthält eine solche Regelung nicht), sich der Status einer in Deutschland tätigen ausländischen Gesellschaft nach inländischem, deutschem Recht beurteilt (sog Sitztheorie, vgl BGHZ 153, 353ff; 151, 204ff; 78, 318ff; 53, 18ff). Danach entsteht eine solche (Kapital-) Gesellschaft erst mit der Eintragung in das Handelsregister (§ 11 Abs 1 GmbH-Gesetz). Anhaltspunkte, von einer Vorgesellschaft oder einer GmbH iG auszugehen, bestehen nicht. Die Anwendung deutschen Rechts muss erst recht gelten, wenn – was hier nahe liegt – von vorneherein beabsichtigt war, unternehmerische Tätigkeit ausschließlich im Inland zu entfalten (BGHZ 53, 181ff) oder den Sitz nach Gründung im Ausland ins Inland zu verlegen (BGHZ 151, 204ff). In solchen Fällen gilt die ausländische Kapitalgesellschaft nach deutschem Recht als Personengesellschaft nach § 14 Abs 2 BGB (in Kraft seit dem 30.06.2000 gemäß Gesetz vom 27.06.2000, BGBl I, 897, 1139; vgl zur BGB-Gesellschaft: BGH aaO; BGHZ 146, 341ff; BGH NJW 2002, 271f). Die Einwände, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) gegen die sog Sitztheorie erhoben hat (EuGHE I 2002, 9919ff, Urteil vom 05.11.2002 Az
C-208/00)
, greifen für Zeiträume und Sachverhalte nicht, auf die europäisches Recht – wie hier, vgl oben – keine Anwendung findet. Eine entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens dieser Rechtsprechung fordert der Vertrag vom 06.02.1992 gerade nicht.

Die vom Antragsteller erhobene Einrede der Vorausklage geht ins Leere, weil eine solche – subsidiäre – Haftung im deutschen Recht nicht vorgesehen ist. Die Beitragsforderungen sind auch nicht – teilweise – verjährt, weil der Antragsteller die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat, was zur Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist führt, § 25 Abs 1 Satz 2 SGB IV. Es spricht nach dem zuvor Gesagten Einiges dafür, dass der Antragsteller seine gesamte unternehmerische Tätigkeit in Deutschland planmäßig gestaltet und durchgeführt hat, um das Bestehen von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zu verschleiern.

(2) Die Vollziehung des Beitragsbescheides stellt für den Antragsteller auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dar. Das Gesetz sieht vielmehr bei Beitragsschulden vor, dass im Regelfall das Interesse an der Vollziehung des Beitragsbescheides das Interesse des in Anspruch Genommenen, vor der endgültigen Zahlung eine Beitragspflicht in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen, überwiegt. Tatsachen, die es rechtfertigten, ihn ausnahmsweise vorläufig zu entpflichten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Allein die Höhe der Beitragsforderung und die mit der Zahlung für ihn verbundenen ökonomischen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen unbilligen Härte, da es sich lediglich um die Erfüllung der gesetzlich auferlegten Pflichten handelt. Es erscheint in Anbetracht dessen auch nicht unverhältnismäßig, es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei der – vorläufigen – Zahlungspflicht zu belassen. Im Streitverfahren betreffend die Aufhebung der Arrestbefehle sind Landgericht und Oberlandesgericht Köln von einer Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Arreste ausgegangen, weil das Strafverfahren auch aufgrund von aus der Sphäre des Staates kommenden Umständen unnötig (und damit unverhältnismäßig) verzögert werde. Solche Überlegungen können im hier maßgeblichen Betragsrecht von vorneherein nicht zum Tragen kommen, weil die gerichtliche Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dazu führt, dass es beim gesetzlich angeordneten Regelfall verbleibt, zumal das bisherige Beweisergebnis eine Bestätigung der Haftungsentscheidung erwarten lässt.

Darüber hinaus gehende Umstände, die eine unbillige Härte darstellen könnten, hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Sie sind – angesichts der bisherigen vergeblichen Vollstreckungsversuche – auch sonst nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §§ 197a SGG, 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Da sich der Antragsteller gegen die festgesetzte Beitragsschuld mit der Begründung wendet, diese bestehe insgesamt nicht, ist der Streitwert in Höhe von 5.198.994,59 Euro festzusetzen. Auch nach der Neubekanntmachung des Gerichtskostengesetzes (Im Folgenden: nF) durch Art 1 des Kostenmodernisierungsgesetzes (KostRMoG) vom 05.05.2004 (BGBl I, 718 ff) richtet sich die Festsetzung des Streitwerts noch nach dem Gerichtskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.12.1975 (BGBl I, 3047 ff; im Folgenden: aF), weil das Beschwerdeverfahren vor dem 01.07.2004 (dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neufassung des GKG, Art 8 KostRMoG) anhängig geworden ist, § 72 Nr 1 GKG nF. Auf dieser Basis beträgt der Streitwert nach § 13 Abs 2 GKG aF 5.198.994,59 Euro. Die Entscheidung über den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren obliegt dem SG, § 25 Abs 2 Satz 1 GKG aF.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

Eigenheimzulage: Klage vor dem EuGH

Die Europäische Kommission hat beschlossen, wegen diskriminierender Bestimmungen zur Eigenheimzulage beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen Deutschland zu erheben.

Deutschen Rechtsvorschriften zufolge kann die Zulage, die in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtigen für den Bau oder den Erwerb eines Eigenheims gewährt wird, in Bezug auf Gebäude außerhalb Deutschlands nicht gezahlt werden. Dies liegt daran, dass die Eigenheimzulage nicht nur das private Wohnungseigentum, sondern auch die deutsche Bauwirtschaft fördern soll. Damit verstößt aber Deutschland nach Auffassung der Kommission gegen die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Freizügigkeit. Die deutsche Regierung hatte die beanstandeten Bestimmungen in ihrer Antwort auf eine formelle Aufforderung der Kommission zur Änderung verteidigt und eine Änderung abgelehnt.

Nach dem deutschen Eigenheimzulagegesetz wird der Bau oder der Erwerb eines Eigenheims unterstützt, wenn zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sind: Der Antragsteller muss in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sein, und das Gebäude muss in Deutschland gelegen sein. In der Regel sind zwar nur in Deutschland ansässige Personen in diesem Land unbeschränkt steuerpflichtig, aber aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen und anderen Regelungen des internationalen Rechts können manchmal auch nicht in Deutschland ansässige Personen dort unbeschränkt steuerpflichtig sein.

Die Kumulierung dieser beiden Kriterien hat zur Folge, dass Personen, etwa Grenzgänger, die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sind, aber ein Eigenheim außerhalb Deutschlands erwerben, nicht in den Genuss der Zulage gelangen. Nach Auffassung der Kommission verstößt die räumliche Beschränkung der Zulage gegen Artikel 18, 39 und 43 des EG-Vertrags.

Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung von Bayer (Adalat) nicht nachgewiesen

Der Bayer-Konzern ist einer der größten europäischen Chemie- und Pharmakonzerne. Er ist in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft mit nationalen Tochtergesellschaften vertreten. Er produziert und vermarktet u. a. unter dem Warenzeichen „Adalat“ oder „Adalate“ eine Arzneimittelreihe, die zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen dient.

Der Preis der Arzneimittel wird in den meisten Mitgliedstaaten direkt oder indirekt von den zuständigen nationalen Behörden festgesetzt. Von 1989 bis 1993 lagen die Preise für Adalat in Frankreich und Spanien weit unter den Preisen im Vereinigten Königreich. Diese Preisunterschiede von etwa 40 % veranlassten die Großhändler in Spanien (ab 1989) und in Frankreich (ab 1991), große Mengen dieses Arzneimittels in das Vereinigte Königreich auszuführen.

Aufgrund dieser Parallelimporte entstand der britischen Tochtergesellschaft von Bayer ein Umsatzverlust von 230 Millionen DM. Der Bayer-Konzern änderte daraufhin seine Lieferpolitik und erfüllte die Bestellungen der spanischen und französischen Großhändler nicht mehr in vollem Umfang.

Nach Beschwerden betroffener Großhändler erließ die Kommission am 10. Januar 1996 eine Entscheidung, mit der sie Bayer aufforderte, ihre gegen Artikel 81 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßende Praxis zu ändern, und verhängte gegen Bayer eine Geldbuße in Höhe von 3 Millionen ECU.

Auf Klage von Bayer erklärte das Gericht diese Entscheidung am 26. Oktober 2000 für nichtig (Urteil vom 26. Oktober 2000 in der Rechtssache T-41/96).

Nach Ansicht des Gerichts hatte die Kommission nicht nachgewiesen, dass Bayer und ihre spanischen und französischen Großhändler eine „Vereinbarung“ im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 über die Begrenzung der Parallelausfuhren von Adalat in das Vereinigte Königreich getroffen hatten.

Die Bestandteile einer Vereinbarung zwischen Unternehmen seien weder dem Verhalten des Bayer-Konzerns noch der Haltung der Großhändler zu entnehmen. Keine der von der Kommission vorgelegten Unterlagen enthalte einen Anhaltspunkt für Bestrebungen von Bayer, die Ausfuhren der Großhändler zu unterbinden, oder dafür, dass die Lieferungen von der Einhaltung dieses angeblichen Verbotes abhängig gewesen wären. Die Kommission habe auch nicht dargelegt, dass sich die Großhändler dieser Politik angeschlossen hätten; ihre Reaktion lasse vielmehr auf eine ablehnende Haltung schließen. Die Kommission habe somit nicht nachgewiesen, dass die Großhändler dem Verhalten des Herstellers ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hätten.

Schließlich reiche die Feststellung der Kommission, dass die Parteien ihre Geschäftsbeziehungen beibehielten, zum Beweis für die Existenz einer Vereinbarung nicht aus, denn der Begriff der Vereinbarung beruhe auf einer Willensübereinstimmung zwischen den Wirtschaftsteilnehmern.

Im Januar 2001 haben der Bundesverband der Arzneimittel-Importeure und die Europäische Kommission beim Gerichtshof ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts eingelegt.

Der Gerichtshof weist heute das Rechtsmittel zurück und bestätigt das Urteil des Gerichts.


EuGH, Urteil vom 6. 1. 2004 in den verbundenen Rs C-2/01 P und C-3/01 P, Bundesverband der Arzneimittel-Importeure und Kommission der Europäischen Gemeinschaften/Bayer AG