Schlagwort-Archive: Geistiges Eigentum

Markenrecht, Urheberrecht, Copyright, Patentrecht, Datenbanken, Softwarepatent

Gezüchtete Tomate nicht patentierbar

In dem Streit über die Patentierbarkeit von Ergebnissen gewöhnlicher Züchtungen hat das Europäische Patentamt am 9. Dezember 2010 entschieden. Zumindest nach der Großen Beschwerdekammer werden die umstrittenen Anmeldungen  — es ging um Brokkoli- und Tomatenzüchtungen — nicht als Europäische Patente anerkannt. Wenn das Ergebnis von gewöhnlichen Kreuzungen und Selektion als solches nicht patentierbar sei, so führe auch  das Hinzufügen weiterer technischer Verarbeitungsschritte vor oder nach den einzelnen Schritten der  Kreuzung und Selektion nicht dazu, das das Ergebnis des Prozesses patentierbar ist. Die siebzig Seiten lange Entscheidung finden Sie hier.

Geistiges Eigentum v. Intellectual Property

Google Books bietet mit seinen statistischen Möglichkeiten und dem Ngram Viewer interessante Einblicke, wie oft Begriffe über einen längeren Zeitrum in den Büchern verwendet wurden. Für diese quantitativen Untersuchungen wurde von einigen Wissenschaftlern bereits ein Begriff erfunden: Culturomics.

Geistiges Eigentum

Nimmt man die Begriffe Geistiges Eigentum und das englische Pendant Intellectual Property, sind die Abweichungen der jeweiligen Entwicklungen immens. Dabei zeigen sich sehr interessante Unterschiede wie auch Parallelen.

In der Zeit von 1800 bis 2008 erlebte der Begriff geistiges Eigentum erst vor kurzem seinen neuen Höhepunkt. Der erste war um 1900 (1905), also just nach Inkrafttreten des BGB. Zwar wurden in die Zeit zwischen 1870/71 und 1900  auch die Gesetze über das Urheberrecht, das Patentrecht, den Musterschutz und das Markenrecht erlassen bzw. erneuert, jedoch fehlen im BGB praktisch sämtliche Bestimmungen zum den genannten Rechtsgebieten.

Geistiges Eigentum in Google Books 1800--2008

In der Rechtswissenschaft war es um 1880, als der Begriff zu seinem ersten Höhenflug in den Büchern ansetzte, weitgehend ausgemachte Sache, dass man den Begriff geistiges Eigentum als fachlich irreführend nicht nutzen sollte (auch wenn man sich über die Alternative nicht im Klaren war).

Allerdings wurde der Begriff geistiges Eigentum in Deutschland nicht ausschließlich im rechtlichen Sinne genutzt, sondern auch in der Bildung: Die Schüler sollten nicht nur das Wissen aufnehmen, sondern auch anwenden können. Erst dann sei das Wissen das „geistige Eigentum“ des Schülers oder Studenten geworden. Wer historische Konnotationen nicht beachtet, kann zu verzerrten Ergebnissen kommen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kristallisierte sich die Umschreibung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht als Zusammenfassung für die Rechtsgebiete  heraus.  In der Folgezeit ließ die Verwendung des Begriffs geistiges Eigentum nach, um erneut nach dem zweiten Weltkrieg — möglicherweise im Zusammenhang mit der Lobbyarbeit für die Neugestalung des Urhebergesetzes (1965) — einen neuen Aufschwung zu erleben. Der Höhepunkt war 1955. Ab Inkrafttreten des neuen Urhebergesetzes ließ die Nutzung wieder nach und stieg erst an, als auch der englische Begriff immer häufiger genutzt wurde.

So muss man bei diesen Statistiken vorsichtig sein: Wenn man den Begriff GRUR, die Abkürzung für „Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht“ (rote Linie in der folgenden Abbildung) dem geistigen Eigentum entgegensetzt, so scheint dieser Begriff die Diskussion vollständig zu beherrschen. Tatsächlich wird hier nur deutlich, dass die Verwendung des Begriffs GRUR stark zugenommen hat. Über das Verhältnis zum anderen Begriff geistiges Eigentum besagt die Statistik deshalb wenig, weil es eine Zeitschrift gibt, die sich GRUR nennt. Je öfter diese Zeitschrift zitiert wurde, desto höher ist deshalb auch der Wert in der Grafik. Allerdings lässt sich durchaus eine Korrelation mit dem Begriff geistiges Eigentum erkennen, also der Anstieg um 1950 (der allerdings auch mit dem Kartellrecht in Verbindung gebracht werden kann, denn zum 1.1. 1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft), sowie die erneute, ununterbrochene Zunahmen seit 1980.

GRUR in Google Books 1900--2008

Welche Aussagekraft solche Untersuchungen haben, steht auf einem anderen Blatt. Wer von dem aktuellen Verständnis eines Begriffs ausgeht, wird im Ergebnis nur die sehr begrenzte Erkenntnis über die Nutzung des Worts erzielen.  Die Kultur lässt sich mit einer rein quantitativen Methode kaum erfassen.

Andere, ganz erhebliche Ungenauigkeiten ergeben sich auch aus den Fehlern bei der Texterkennung. So wird beispielsweise eine auffällige Häufigkeit des Begriffs Immaterialgut angezeigt, die jedoch oft auf einer Verwechslung mit Immaterialität beruht.

Intellectual Property

Intellectual Property in Google Books 1800--2008

Der Begriff Intellectual Property begann erst um 1980 buchfähig zu werden. Während der Begriff bis 1900 praktisch kaum erschien und um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert nur kurzzeitig genutzt wurde, stieg die Zahl ab 1980 gewaltig an. Dabei muss man sich den Maßstab der beiden Grafiken vor Augen halten: In der deutschsprachigen Literatur endet die Skala bei 0,0006 Promille  (0,00006 %), in der englischsprachigen Literatur bei 0,004 Promille (0,0004%).

Trittbrettfahrer und Freerider

Interessant scheint auch die in Deutschland noch immer vorhandene Steigerung des Begriffs Trittbrettfahrer, der inzwischen im Englischen seinen Höhepunkt überwunden zu haben scheint.

Trittbrettfahrer in Google Books 1950--2008

Dieser Begriff Trittbrettfahrer wird oft zur Begründung von Monopolpositionen wie sie das geistige Eigentum schaffen kann benutzt und dient nicht nur den Presseverlegern bei ihrem unverhohlen geäußerten Wunsch nach mehr Geld bei der Überzeugungsarbeit.

Freerider in Google Books 1950--2008

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger begründet den von ihm vorgetragenen Wunsch nach einem Leistungsschutzrecht mit einer zirkulären Argumentation: „durch die Nicht-Verfolgbarkeit der Rechtsverletzungen entgehe ihnen bares Geld„. Gemeint sind die deutschen  Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, die keine eigenen Rechte haben (sondern nur die von den Urhebern abgeleiteten) und folglich auch keinen eigenen Rechtsverletzungen, die sie verfolgen könnten, zu beklagen haben.

Dabei lenken die Verlage von der Tatsache ab, dass sie auf einem bereits weitgehend gesättigten Markt tätig sind. Ihre besondere Leistung, mit der sie sich geltend machen wollen, wird  von den Kunden offenbar als nahezu wertlos eingeschätzt (andernfalls würden die Kunden ja etwas dafür bezahlen). Modelle, bei denen die die Nutzer etwas für die Leistung der Verleger bezahlen, sind im Internet ja kein Unding. Ein Unding ist in einer freien Marktwirtschaft eher die Vorstellung der Verleger, dass ihre von den Kunden als wertlos eingeschätzte Leistung vom Staat durch die Hintertür versilbert wird.


Ergänzung [9. 1. 2010]:  Vgl. hierzu auch:

Access to Knowledge in Africa

Sisule F. Musungu hat im Januar 2010 in einem Interview die Positionen im Staatenwettbewerb überschlägig wie folgt abgesteckt: Sollte die Liberalisierung des internationalen Handels weiter fortschreiten, könnten die industrialisierten Regionen im landwirtschaftlichen Bereich möglicherweise nicht mehr mit Staaten wie Brasilien konkurrieren. Auch bei den Industrieprodukten wäre der Wettbewerb gegen China und India bereits verloren. Das einzige, was den industrialisierten Staaten im internationalen Handel verblieben sei, wäre das geistige Eigentum. Dieses würde den wesentlichen Wettbewerbsvorsprung ausmachen. Dementsprechend würden die Europäische Union oder die Gruppe der Acht (G8, sie fasst die größten Industrienationen der Welt zusammen) das geistige Eigentum mit besonderem Nachdruck in der gesamten Welt durchsetzen wollen. Sisule Musungu hat auch das Vorwort zu dem im Juli 2010 veröffentlichen Buch Access to Knowledge in Africa geschrieben.

In Access to Knowledge in Africa geht es nicht um Patent- oder Markenrechte, sondern um den Einfluss des Urheberrechts auf den Zugang zum Wissen. Hier unterscheiden sich Urheberrecht und die technischen Schutzrechte, denn urheberrechtlich geschütztes Material kann für die essentielle Schul- und Ausbildung von Bedeutung sein, während Patente zumindest der Idee nach jeweils den neusten Stand der Technik zum Gegenstand haben sollten. Die Lesefähigkeit einerseits als persönliches Vermögen, andererseits als der Zugang zum geeigneten Lesestoff (ohne den die Lesefähigkeit nutzlos wäre und mangels Übung verkümmert), gehört in unserer Zeit zum Grundbedarf eines Menschen.  Inwieweit können die Bürger aus dem vorhandenen Wissen schöpfen? Die Herausgeber verweisen in der Einleitung auf die essentielle Bedeutung der Bildung für die gesellschaftliche und individuelle Entwicklung, sei es Armutsbekämpfung, wirtschaftliche Entwickung, Gesundheit oder Erweiterung der Entfaltungsmöglichkeiten des individuellen Potentials.

Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, verabschiedet am 10. Dezember 1948 durch die Resolution 217 A (III) der Vollversammlung der Vereinten Nationen
  1. Jeder hat das Recht auf Bildung. Die Bildung ist unentgeltlich, zum mindesten der Grundschulunterricht und die grundlegende Bildung. Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muß allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.
  2. Die Bildung muß auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muß zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und allen rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Nationen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.
  3. . . .

In der Milleniums-Erklärung der Vereinten Nationen (September 2000) wurde feierlich beschlossen, dass bis 2015 sicherzustellen sei, dass Kinder in der ganzen Welt, Jungen wie Mädchen, eine Primarschulbildung vollständig abschließen können und dass Mädchen wie Jungen gleichberechtigten Zugang zu allen Bildungsebenen haben. Allein die Notwendigkeit der Erklärung zeigt die unzureichende Umsetzung der Ziele, auch wenn in Afrika inzwischen drei Viertel der Kinder eine Grundschulbildung erhalten sollen.

In Access to Knowledge in Africa untersucht einen bislang zu wenig beachteten Aspekt. In dem Buch werden in acht Kapiteln die Staaten Marokko, Ägypten, Ghana, Kenia, Uganda Mosambik, Südafrika und Senegal vorgestellt und dabei der Frage nachgegangen, ob und inwieweit das jedermann zustehende Recht auf Bildung durch das Urheberrecht beeinflusst wird. Es ist ein wichtiges Buch, dass Aspekte jenseits der gängigen Entwicklungshilfe untersucht. Der grobe Aufbau der einzelnen Beiträge ist jeweils gleich.

  • Kurzübersicht über die Staaten
  • Darstellung der gesetzlichen Regelungen zum Urheberrecht
  • Praxisbericht: Urheberrecht auf der einen, Zugang zu Information auf der anderen Seite
  • Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Ergänzt werden diese durch eine Einleitung und eine Zusammenfassung von den Herausgebern. Dieses etwas starre Schema ist manchmal zu strikt. So beschweren sich die Autoren Bassem Awad, Moatasem El-Gheriani und Perihan Abou Zeid sicherlich zu Recht, dass es schwer sei, die politische Geschichte Ägyptens in wenigen Zeilen zu schildern.

Afrika Satellitenaufnahme
Satellitenbild Afrikas (Wikimedia Commons)

Die Weltbank hat eine im Juli 2010 eine Übersicht über die Einkommen pro Kopf (2009) und die Kaufkraft veröffentlicht. Die Statistik ist, wie es sich in der Wettbewerbsgesellschaft gehört, mit einem Ranking versehen (wobei man sich natürlich auch fragen kann, welche besonderen Leistrungen und Tätigkeiten Monaco, Liechtenstein, Luxemburg, Bermuda, die Kanalinseln oder die Kaimaninseln auf die oberen Plätze gehoben haben).

Sieht man von Südafrika ab, gehören alle Staaten zu den ärmeren. Südafrika hat nach dieser Statistik in etwa das Niveau von Bulgarien oder Serbien mit einem pro-Kopf-Einkommen in Höhe von 5770 US-$ im Jahr. In Uganda oder Mosambik sind es hingegen nur 460 und 440 US-$ im Jahr.

Allerdings sind diese Statistiken nur bedingt aussagekräftig, denn die Verteilung der Einkommen wird nicht hinreichend berücksichtigt und das nominale durchschnittliche Einkommen ist in Relation zum allgemeinen Preisniveau zu setzen. So errechnet die Weltbank für Südafrika eine Kaufkraft pro Kopf von 10 060 US-$, während die EU-Mitglieder Estland, Ungarn und Slowakei in etwa 18 500 US-$ haben. Diese liegen aber noch vor den beiden anderen baltischen Staaten, Rumänien (14 460 US-$) und Bulgarien (12 290 US-$).

Ägypten nimmt trotz deutlich geringerem Pro-Kopf-Einkommen im Vergleich zu Südafrika nach einer Untersuchung im Rahmen des United Nations Development Programme (UNDP) auf dem Human Development Index eine vergleichsweise bessere Position ein.

Die anderen Staaten der Studie, also Marokko (4450 US-$), Ägypten (5690 US-$), Senegal (1790 US-$), Ghana (1480 US-$), Kenia (1570 US-$), Uganda (1190 US-$) und Mosambik (880 US-$) haben deutlich niedrigere Einkommen (jeweils in Kaufkraft). Selbst wenn man die niedrigeren Preise für viele Güter in diesen Ländern berücksichtigt: der Kauf von Büchern ist für die meisten Menschen in diesen Regionen eine ökonomische Unmöglichkeit.

Die verbreitete Armut führt dazu, dass die mageren finanziellen Mittel für die Subsistenz verbraucht werden. Lehrbücher sind beispielsweise in Mosambik in aller Regel zu teuer für Studenten. Ein Bibliothekar aus Ghana führt aus, dass der Preis für ein von Kluwer veröffentlichtes Buch 180 US-$ betrage, während es — im Inland produziert — 60 US-$ kosten könnte. Nur ein geringer Teil des Preises sei auf Steuern und Zölle zurückzuführen. Welche Bedeutung bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von ca. 1500 US-$ ein Unterschied von 120 US-$ zukommt, liegt auf der Hand. Ob Studenten bei einem Preis von nur 60 US-$ den tatsächlich Bücher kaufen würden, ist aber auch fraglich. Müsste der Preis nicht auf 6 US-$ sinken? Für diesen Preis lassen sich Bücher herstellen, was jedem klar ist, der die Handelsspannen in Deutschland kennt: Bei Belletristik liegt diese inzwischen bei ungefähr der Hälfte und trotzdem werden Taschenbücher en masse für den Standardpreis von neun oder zehn Euro angeboten. Diese niedrigen Preise würden einhergehen mit dem wirtschaftlichen Potential der jeweiligen Bevölkerung angemessenen Gewinnspannen. Bei Durchschnittseinkommen von 1000 oder auch 3000 US-$ im Jahr müsste der Gewinn je verkauftem Buch sich an diesen Beträgen orientieren und nicht am Standard in den reicheren Staaten. Andernfalls bleibt Bildung ein Luxusgut und die Entwicklung der Länder wird weiterhin unter diesem Mangel leiden. So liegen auch die Preise in Kenia in diesem Bereich wie man etwa der Preisliste des Kenya Literature Bureau (Bookpricelist 2010) entnehmen kann. Dort kostet etwa J.B.M. Ngugis Chicken Production (1980 veröffentlicht) ungefähr 2,50 Euro. Preise über sechs Euro sind eine Seltenheit bei diesem Verlag, der unter anderem für die nationale Bildung zuständig ist.

Praktisch kein Land hat das Urheberrecht auf eigene Initiative eingeführt. Ghana hat das Urheberrecht der ehemaligen Kolonialmacht Großbritanniens von 1911 übernommen, während Kenia die britischen Gesetze aus 1842, 1911 und 1956 miterlebte. In Marokko war es französisches, in Mosambik portugiesisches Recht. [Ergänzung vom 28. 3. 2013. Vgl. hierzu A. Peukert: The Colonial Legacy of the International Copyright System] Und in allen Ländern wird das geltendes Recht maßgeblich durch internationale Verträge geprägt. Die Berner Übereinkunft, das TRIPS-Abkommen (WTO) und die WIPO-Abkommen etwa für den Schutz von Tonträger-Herstellern geben in allen Ländern den Rahmen vor. Keines der Gesetze scheint auch nur annähernd an die Tradition des jeweiligen Landes oder dessen Bedürfnisse angepasst zu sein. In der Bevölkerung wird das Urheberrecht in der Regel nicht verstanden und wohl selten Ernst genommen.

Die Darstellungen des Urheberrechts in den Beiträgen zu den einzelnen Staaten folgt jedenfalls dem etwa in Deutschland bekannten Schema: Es wird jeweils dargestellt, welche Handlungen dem Rechtsinhaber vorbehalten sind, ob über den vermögensrechtlichen Bestandteil des Urheberrechts hinaus auch die sogenannten moral rights erfasst sind, wie lange der Schutz dauert (50 Jahre nach dem Tod des Urhebers sind nach der Revidierten Berner Übereinkunft die Mindestschutzdauer), ob es Schranken etwa für die Nutzung in Bibliotheken oder Schulen oder das dem Common Law eigene Recht auf Fair Use gibt. Hier bietet der Band eine gute und aufschlussreiche Übersicht.

Da die Gesetze im Kleinen allerdings — aus hiesiger Sicht — nur unzulänglich beachtet werden, umgekehrt aber die Entstehung einer eigenständigen Produktion von Material auf erhebliche Schwierigkeit stößt, scheinen vor allem die von den kenianischen Autoren Marisella Ouma and Bernard Sihanya dargestellten Kritiken den Kern zu treffen: Ben Sihanya hat in dem Artikel ‘Copyright law, teaching and research in Kenya’ die Funktion des Urheberrechts im Hinblick auf technische, wirtschaftliche und kulturelle Hinsicht untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Urheberrecht im wesentlichen an den westlichen Industriestaaten ausgerichtet sei als Folge der Kolonialisierung und der Tatsache, dass die die Personen, die für die Gestaltung des Rechts zuständig seien, sich an den Regelungen dieser Staaten orientierten. Da die Gesetze in der Praxis nur unzureichend umgesetzt seien, würden die Rechtsinhaber hohe Beträge durch unerlaubte Kopien verlieren.

Ob allerdings eine striktere Umsetzung des Rechts zu einer Besserung führen wird, ist zweifelhaft. Nach Henry Chakavas Buch Publishing in Africa: one man’s perspective ist die kenianische Verlagsindustrie in hohem Maße von der britischen abhängig. Chakava, selbst Autor, Verleger und Vorsitzender der Vereinigung der East African Educational Publishers (EAEP), sieht nur Verluste für die afrikanischen Staaten und Schwierigkeiten beim Aufbau einer eigenen Lesekultur (die schließlich Voraussetzung für eine Schreibkultur ist). Den internationalen Verträgen fehle es an Gerechtigkeit. Die dort festgelegte Reziprozität ist für die afrikanischen Staaten nachteilig. Die Gegenseitigkeit der Regelungen über die urheberrechtlich geschützten Werke sei im Ergebnis eine Einbahnstraße: Afrika hätte ,,very little or nothing to sell to the outside world“. 90 % der kenianischen Buchproduktion seien Textbücher, die sich kaum außerhalb der Grenzen des Nationalstaats vertreiben ließen, wobei der Großteil der Rechte den Verlagen aus dem Norden gehöre. Weil es beim Urheberrecht tatsächlich nicht um den Austausch von Gütern geht, sondern um Marktbeherrschung (Monopolcharakter), liegt der Vorteil bei den Verlagen aus dem Norden. Bei alldem wird auch deutlich, dass eine effizientere Durchsetzung des Rechts Kenia selbst wenig helfen würde.

Dementsprechend unklar fallen auch die Aussagen über die erhofften Wirkungen des Rechts aus. In allen Ländern gibt es Schwierigkeiten, selbst Bibliotheken angemessen auszustatten. Welche Vorteile die Regelungen für die dortige Bevölkerung haben sollen, bleibt völlig im Dunkeln. Es scheint jedenfalls — außerhalb der Folklore und der Musik — sich keine eigenständige Literatur und Verlagslandschaft zu entwickeln. Bücher werde an den Universitäten in der Regel nicht gekauft, sondern kopiert. Hier könnte Wettbewerb helfen, denn wenn Bücher einige hundert Mal kopiert wurden, ist der Druck immer billiger. Im übrigen scheint das Urheberrecht den Staaten so viele Vorteile zu verschaffen wie dem Fisch das Fahrrad. Es ist ein der Situation unangemessenes Instrument, das im Wesentlichen das Lernen überflüssig verteuert.

Access to knowledge in Africa (2010)
Access to knowledge in Africa (2010)

Access to Knowledge in Africa.
The Role of Copyright

Herausgegeben von Chris Armstrong, Jeremy de Beer, Dick Kawooya, Achal Prabhala und Tobias Schonwetter
366 + xvii Seiten, 2010 Claremount (Südafrika): UCT Press/IDRC

Preis (vermutlich in US-$): 51,69 $ zzgl. Versand/Verpackung: Bestellformular
(ISBN 978-1-91989-545-1)

Download: Access to Knowledge in Africa 2010
(e-ISBN 978-1-55250-490-1)

Das Buch wurde unter der Creative Commons Attribution-Noncommercial-Share Alike 2.5 South Africa License veröffentlicht, die Sie über den Link erreichen können. Sie können auch eine Abschrift unter folgender Adresse bekommen: Creative Commons, 171 Second Street, Suite 300, San Francisco, California, 94105, USA).

Ein erteilter Patentanspruch hat Rechtsnormcharakter

Der BGH behandelt ein Patent wie ein virtuelles Grundstück. Wer das Grundstück betreten will, muss den Inhaber um eine Genehmigung fragen. Diese wird entweder verweigert oder erteilt, wobei für die Erteilung zumeist ein Entgelt zu bezahlen ist. Da es sich um ein virtuelles Grundstück handelt, sind die Grenzen oft nicht so genau zu erkennen.

Dies ist insbesondere aus mehreren Gründen problematisch: Je leichter ein Patent zu erlangen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Dritter unbeabsichtigt das virtuelle Grundstück eines anderen nutzt. Umgekehrt werden immer mehr Patente erteilt. Je kleiner ein Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass es ein Patent übersieht oder nicht erkennt, dass das Patentamt einer altbekannten Technik eine Schutz gewährt hat oder einfach die komplex formulierten Patentansprüche schlichtweg nicht versteht. Würden die Unternehmen den Anforderungen der Rechtsprechung an die Überwachung des täglichen Patentgeschehens gestellt werden, erfüllen, würden zig-Tausende von kleinen und mittleren Unternehmen bis hin zu Programmierern mit der jedenfalls vollkommen unproduktiven Tätigkeit beschäftigen, herauszufinden, ob sie  nun ihr Arbeitsergebnis verwerten dürfen oder nicht.

Wenn man die rechtlichen Folgen eines Patentverletzung bedenkt,

  • Unterlassen für die Zukunft;
  • Auskunftsanspruch über Kunden, Verkaufszahlen, Umsätze oder Werbung — Rechnungslegung;
  • Schadensersatz oder Bezahlung eines fiktiven Lizenzentgelts;
  • unter Umständen — wenn man dem Begehren des Patentinhabers nicht nachgibt — Prozesskosten, die für die erste Instanz in der Regel schon  50.000 Euro und mehr betragen können.

können die Folgen gerade bei den kleineren Unternehmen das Ende bedeuten. Aber auch wenn man die Anmeldungen bei den verschiedenen Patentämtern beobachtet, entstehen ganz erhebliche Kosten, die insbesondere die Neueinsteiger und kleinen erheblich belasten. Wer neben den Inhabern an den Patenten besonders verdient und deren Vorteile gerne im großen und kleinen Kreis anpreist (wie McDonalds den Nährwert seiner Fritten), das kann man an den Google-Anzeigen oben auf dieser Seite erkennen.

Der Großteil der Patentstreitigkeiten betrifft zwei Fragen:

  1. Ist  das Patent überhaupt wirksam erteilt worden oder wurde das Patent vom Patentamt zu Unrecht geschaffen. Gerade in den Fällen, in denen die Frage zweifelhaft ist, ist es für Patentprüfer  einfachsten, einer Patentanmeldung stattzugeben, weil er dann am wenigsten Arbeit mit dem Patent hat. Das Patentamt überlässt es den Unternehmen, sich  über die Wirksamkeit des Patents zu  streiten.
  2. Wird durch einen bestimmten Gegenstand oder die Anwendung eines bestimmten Verfahrens das Patent verletzt.

In diesem Rahmen wird die Eigentumslogik des BGH noch bedenklicher. Wenn ein Patent erteilt, aber unverständlich formuliert wurde, dürfe der Richter (die  Patentkammern der Landgerichte sind mit spezialisierten Richtern besetzt) sich nicht darauf zurückziehen, dass er den Erfindungsgegenstand ganz oder teilweise nicht bestimmen könne. Kehrt man nochmals auf das Beispiel mit dem  Grundstück zurück, bedeutet dies: Wenn nach zwei Instanzen und Sachverständigengutachten die Grenzen des Grundstücks sich nicht genau feststellen lassen, darf der Richter nicht sagen, er kann das virtuelle Grundstück nicht genau erkennen und deshalb auch nicht sagen, ob der angebliche Verletzer nun das Grundstück betreten hat oder nicht.

Ist ein Patent einmal erteilt, muss vielmehr trotz unerkennbarer Grenzen ein virtueller Zaun ermittelt werden. Das geschieht im Zweifel vor den Zivilgerichten. Wenn diese Grenzen feststehen, darf der Inhaber von dem angeblichen Verletzer die oben genannten Ansprüche geltend machen. Wenn niemand gegen das erteilte Patent vorgeht, kann sich das teure Vergnügen noch oft wiederholen.

Der BGH bestätigte ferner  seine Auffassung, dass ein erteilter Patentanspruch Rechtsnormcharakter hat. Das bedeutet, der Patentanmelder kann das Patentamt veranlassen, Regelungen zu erlassen, die den Charakter von Gesetzen haben. Der Patentanmelder wird so zum kleinen Gesetzgeber. Wenn es sich um einen aktiven Patentanmelder handelt, der eine Vielzahl von Patenten innehat, kann er so schon zum großen Gesetzgeber werden, der in manchen Branchen genau bestimmen kann, wer was darf und wer nicht. In der Regel zermahlen die großen Patentinhaber die kleinen und sorgen so dafür, dass Neuensteiger schnell wieder zu Aussteigern werden.

Urteil

Leitsatz: Die Patentverletzungsklage darf nicht mit der Begründung abgewiesen werden, Angaben des Patentanspruchs seien unklar und ihr Sinngehalt sei unaufklärbar, so der BGH im Urteil vom 31. März 2009 (Aktenzeichen: X ZR 95/05, Vorinstanzen: OLG München, LG München I)

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterin Mühlens und die Richter Asendorf und Gröning
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Klägerin wird das am 16. Juni 2005 verkündete Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München aufgehoben.
  2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Begründung

  1. Tatbestand:

    Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 916 004 (Klagepatents), das zwölf Patentansprüche umfasst und dessen Anspruch 1 in der Verfahrenssprache ohne Bezugszeichen wie folgt lautet:

    ,,Straßenbaumaschine zum Bearbeiten von Fahrbahnen,

    • mit einem selbst fahrenden Fahrwerk bestehend aus einer lenkbaren vorderen Fahrwerkachse mit mindestens einem Stützrad und zwei hinteren Stützrädern,
    • mit einem im Bereich der hinteren Stützräder angeordneten Fahrstand für einen Fahrzeugführer auf einem von dem Fahrwerk getragenen Maschinenrahmen,
    • mit einer in oder an dem Maschinenrahmen gelagerten Arbeitseinrichtung, die auf einer Seite, nämlich auf der so genannten Nullseite des Maschinenrahmens, in etwa bündig mit diesem abschließt,
    • mit einem Antriebsmotor für die für den Antrieb der Arbeitseinrichtung und den Fahrbetrieb benötigte Antriebsleistung,
    • wobei das auf der Nullseite befindliche hintere Stützrad aus einer über die Nullseite vorstehenden äußeren Endposition in eine eingeschwenkte innere Endposition verschwenkbar ist, in der das Stützrad nicht über die Nullseite übersteht,
    • dadurch gekennzeichnet, dass das schwenkbare Stützrad über ein in einer horizontalen Ebene liegendes, mit einer Antriebsreinrichtung gekoppeltes Getriebe von der äußeren Endposition unter Beibehaltung der Laufrichtung in die innere parallel verschobene Endposition verschwenkbar ist.

  2. Die Beklagte vertreibt Kaltfräsen in zwei Ausführungsformen (xx1 = angegriffene Ausführungsform 1 und xx2 = angegriffene Ausführungsform 2).
  3. Die Klägerin nimmt die Beklagte deshalb wegen Patentverletzung auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung in Anspruch.
  4. Die Beklagte weist den Patentverletzungsvorwurf zurück. Beide angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten das die räumliche Anordnung des Fahrstandes betreffende Merkmal des Patentanspruchs 1 (= zweiter Spiegelstrich) nicht. Bei der angegriffenen Ausführungsform 2 seien ferner die nach dem ersten Spiegelstrich im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale teilweise und das im letzten Spiegelstrich benannte Merkmal nicht vorhanden. Im Übrigen stehe ihr auch ein Weiterbenutzungsrecht nach § 12 PatG zu.
  5. Das Landgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Beide angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten das die räumliche Anordnung des Fahrstandes betreffende Merkmal wortsinngemäß. Bei der angegriffenen Ausführungsform 2 seien ferner auch die beiden weiteren streitigen Merkmale wortsinngemäß bzw. in abgewandelter Form verwirklicht. Auf ein Vorbenutzungsrecht nach § 12 PatG könne sich die Beklagte nicht berufen, weil das hierfür ins Feld geführte Modell einer Fräse nicht von allen Merkmalen des Patentanspruchs 1 Gebrauch mache.
  6. Die Beklagte hat sich hiergegen mit der Berufung gewendet. Das Oberlandesgericht hat bei dem bereits erstinstanzlich hinzugezogenen gerichtlichen Sachverständigen ein Ergänzungsgutachten eingeholt und diesen Sachverständigen mündlich angehört. Aufgrund dieser Beweiserhebung hat es die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abgewiesen.
  7. Hiergegen wendet sich nunmehr die Klägerin mit der vom Senat zugelassenen Revision und dem Antrag, die landgerichtliche Verurteilung wieder herzustellen.
  8. Die Beklagte tritt diesem Begehren entgegen.
  9. Entscheidungsgründe:

    Die zulässige Revision der Klägerin hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

  10. 1. Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Patentverletzungsklage wie folgt begründet:
  11. Es müsse zunächst der Gegenstand der geschützten Erfindung festgestellt werden. Hierzu gehöre auch die Ermittlung des Sinngehalts der die räumliche Anordnung des Fahrstandes betreffenden Anweisung im Patentanspruch 1. Die nötige Feststellung, was das Patent unter diesem Merkmal verstehe, sei aber trotz der erfolgten Inanspruchnahme sachverständiger Hilfe nicht möglich, weil der gerichtliche Sachverständige sich außerstande gesehen habe, eine Definition dieses Merkmals anzugeben. Es könne deshalb nicht festgestellt werden, ob der Fahrstand der angegriffenen Ausführungsformen, der sich knapp vor den hinteren Stützrädern befinde, „im Bereich der hinteren Stützräder“ liege, und eine Prüfung der angegriffenen Ausführungsformen darauf, ob sie eine wortsinngemäße oder äquivalente Verletzung des Klagepatents darstellten, sei nicht möglich.
  12. 2. Mit dieser Begründung kann die Patentverletzungsklage nicht abgewiesen werden.
  13. a) Richtig ist allerdings, dass sich der Schutzbereich einer patentierten Lehre zum technischen Handeln, deren Verwirklichung behauptet ist, aus dem betreffenden Patentanspruch ergibt (Art. 69 EPÜ bzw. – für das deutsche Patentrecht – § 14 PatG) und dass deshalb im Patentverletzungsprozess der erste Schritt bei der Entscheidungsfindung darin besteht, den Wortlaut dieses Patentanspruchs dahin auszulegen, welcher Sinngehalt ihm zukommt (st. Rspr., z.B. BGHZ 171, 120 Tz. 18 f. – Kettenradanordnung; BGHZ 172, 108 Tz. 13 – Informationsübermittlungsverfahren I). Da im Streitfall der Patentanspruch 1 auch Angaben zur räumlichen Anordnung des Fahrstandes enthält, kann ferner nicht beanstandet werden, dass das Berufungsgericht auch insoweit eine inhaltliche Erfassung des geschützten Gegenstands für notwendig gehalten hat. Auch das steht in Einklang mit Art. 69 EPÜ (bzw. § 14 PatG) und berücksichtigt die Rechtsprechung des Senats, dass der Schutzbereich eines Patents keine Unterkombination der Merkmale der beanspruchten technischen Lehre umfasst (BGHZ 172, 798 Tz. 26 ff. – Zerfallszeitmessgerät).
  14. b) Im Übrigen beruht das angefochtene Urteil jedoch auf grundlegenden Rechtsfehlern, wie die Revision zu Recht rügt.
  15. (1) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil legen die Deutung nahe, das Berufungsgericht sei davon ausgegangen, der Sinngehalt eines Patentanspruchs bzw. eines zu ihm gehörenden Merkmals sei ein Umstand, der als oder wie eine klagebegründende Tatsache zur Überzeugung des Gerichts mittels gesetzlich zugelassener Beweismittel dargetan sein müsse; bei verbleibenden Zweifeln müsse deshalb die Klage abgewiesen werden („non liquet“).
  16. Dabei wird verkannt, dass ein erteilter Patentanspruch Rechtsnormcharakter hat (so wörtlich Sen.Beschl. v. 8.7.2008 – X ZB 13/06 Tz. 13, GRUR 2008, 887 – Momentanpol II) und es eine Rechtsfrage ist, was sich aus einem Patentanspruch als geschützter Gegenstand ergibt (st. Rspr. seit BGHZ 142, 7 – Räumschild, vgl. z.B. BGHZ 160, 204 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Damit verbietet es sich, diese Frage unbeantwortet zu lassen. Denn in der verbindlichen Beantwortung von Rechtsfragen besteht die Aufgabe des angerufenen Gerichts, von der es auch dann nicht entbunden ist, wenn die Rechtsnorm unklar oder deren Auslegung schwierig ist. Gerade im Hinblick auf die Patentauslegung hat der Senat auch schon wiederholt ausgesprochen, dass hiermit unter anderem etwaige Unklarheiten behoben werden müssen (z.B. BGHZ 150, 149 – Schneidmesser I; Sen.Urt. v. 28.10.2003 – X ZR 76/00, GRUR 2004, 413 – Geflügelkörperhalterung). Das duldet nicht, dass der Verletzungsrichter sich darauf zurückzieht, den Erfindungsgegenstand ganz oder teilweise nicht bestimmen zu können. In jedem Fall hat das Verletzungsgericht diejenige Bedeutung der Angaben des auszulegenden Patentanspruchs zu bestimmen, die nach dem sonstigen Inhalt der Patentansprüche unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen als sinnvoll erkannt werden kann. Nur das steht auch in Einklang mit der Erfahrung, dass Fachleute bestrebt sind, einem Patent einen sinnvollen Gehalt zu entnehmen (Sen.Beschl. v. 8.7.2008 – X ZB 13/06 Tz. 21, GRUR 2008, 887 – Momentanpol II; Sen.Urt. v. 23.10.2007 – X ZR 275/07 Tz. 19).
  17. Vergeblich verweist die Beklagte demgegenüber darauf, dass ausweislich Art. 84 Satz 2 EPÜ der Anmelder bei der Formulierung seiner Patentansprüche die Verantwortung für deren Klarheit und Deutlichkeit trage. Daraus folgt nicht die Zulässigkeit eines Verzichts auf ein Auslegungsergebnis im Patentverletzungsprozess. Eine Unklarheit im Ausdruck kann lediglich Anlass bieten, der betreffenden Angabe im Patentanspruch einen beschränkten Sinngehalt bis hin zum engstmöglichen sinnvollen Verständnis zuzuweisen, wenn anders der im Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ enthaltenen Vorgabe, bei der Patentauslegung auch ausreichende Rechtssicherheit für Dritte zu wahren, nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann. Nachdem ein Patent mit dem im Nachhinein vom Verletzungsgericht als unklar empfundenen Wortlaut erteilt ist, hat nur in diesem Sinne das Schlagwort Berechtigung, ein offenes Auslegungsergebnis gehe zu Lasten des Patentinhabers. Die Versagung jeglichen Patentschutzes, zu dem die vom Berufungsgericht für zulässig und geboten gehaltene Vorgehensweise führt, ist im Übrigen auch deshalb nicht mit der geltenden Gesetzeslage vereinbar, weil die Patenterteilung dem Patentinhaber aus jedem Patentanspruch Rechte zuweist, die der Verletzungsrichter so lange als gegeben hinzunehmen hat, als der betreffende Patentanspruch nicht widerrufen oder für nichtig erklärt ist (vgl. Sen.Beschl. v. 12.11.2002 – X ZR 176/01, GRUR 2003, 550 – Richterablehnung).
  18. c) Des Weiteren ist es rechtsfehlerhaft, der die räumliche Anordnung des Fahrstandes betreffenden Angabe im Patentanspruch 1 allein deshalb keinen die weitere Prüfung der Verletzungsfrage ermöglichenden Bedeutungsinhalt zuzuerkennen, weil der gerichtliche Sachverständige – wie sich das Berufungsgericht dessen Ergänzungsgutachten und mündliche Anhörung zusammenfassend ausgedrückt hat – nicht angeben konnte, was das Patent unter dem mit dieser Angabe umschriebenen Merkmal versteht. Denn hierin kommt zum Ausdruck, dass das Berufungsgericht selbst keine Wertung der betreffenden Angabe des Patentanspruchs 1 vorgenommen hat. Auch das missachtet, dass die Würdigung, was sich aus in einem Patentanspruch benannten Merkmalen im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt, eine Rechtsfrage ist. Denn diese muss das angerufene Gericht mittels eines wertenden Aktes eigenverantwortlich beantworten (st. Rspr., z.B. Sen.Urt. v. 17.4.2007 – X ZR 1/05 Tz. 20, GRUR 2007, 59 – Pumpeinrichtung; BGHZ 171, 120 Tz. 18 f. – Kettenradanordnung, jeweils m.w.N.). Hierbei hat das Gericht sich zwar an der Sicht des angesprochenen Fachmanns zu orientieren (st. Rspr., z.B. BGHZ 172, 297 Tz. 38 – Zerfallszeitmessgerät; 171, 120 Tz. 18 – Kettenradanordnung, jeweils m.w.N.). Da eine eigenverantwortliche Bewertung des Patentanspruchs durch das Gericht, welche Lehre dieser dem angesprochenen Fachmann vermittelt, erforderlich ist, heißt aber auch das nicht, dass das, was ein gerichtlicher Sachverständiger schriftlich oder mündlich ausgeführt hat, eine gerichtliche Entscheidung schon deshalb tragen könnte, weil das Gericht an der Sachkunde des Sachverständigen insoweit keine Zweifel hat und dieser deshalb insoweit als sachkundig gelten kann (vgl. näher Sen.Urt. v. 12.2.2008 – X ZR 153/05 Tz. 32, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe).
  19. 3. Das Berufungsgericht wird nach allem nunmehr die gebotene Auslegung des Patentanspruchs 1 vornehmen müssen und dabei in eigenständiger Würdigung des durch die Beschreibung und die Zeichnungen erläuterten Wortlauts auch den Sinngehalt der die räumliche Anordnung des Fahrstandes betreffenden Angabe bestimmen müssen. Wenn das Berufungsgericht eine Auslegung des Schutzanspruchs unterlassen hat, ist nämlich für eine Sachentscheidung des Senats aufgrund einer eigenen Auslegung des Anspruchs regelmäßig kein Raum (BGHZ 172, 298 Tz. 39 – Zerfallszeitmessgerät). Dies gilt im Streitfall schon deshalb, weil der Senat ohnehin eine abschließende Sachentscheidung nicht treffen könnte. Denn im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform 1 fehlen Feststellungen des Berufungsgerichts zu dem insoweit von der Beklagten geltend gemachten Weiterbenutzungsrecht, und im Hinblick auf die Ausführungsform 2 mangelt es an Feststellungen, die ein abschließendes Urteil über die Verwirklichung der beiden weiteren streitigen Merkmale des Patentanspruchs 1 erlauben.
  20. 4. Vorsorglich weist der Senat jedoch auf Folgendes hin:
  21. a) Die zur Erläuterung des Patentanspruchs 1 heranzuziehende allgemeine Beschreibung des Streitpatents befasst sich lediglich im Zusammenhang mit der Darstellung der aus der FR-A-264 27 73 vorbekannten Fräse überhaupt mit der Frage der räumlichen Anordnung eines Fahrstandes. Es wird bemängelt, dass von diesem Fahrstand, der als oberhalb der auf Höhe der hinteren Stützräder mit ihrer Achse angebrachten Fräswalze befindlich beschrieben ist (Sp. 1 Z. 34 f., 50 f.), der Arbeitsraum vor der Fräswalze wegen der bei dem bekannten Gerät gewählten, viel Platz benötigenden Vorrichtung zum Verschwenken des hinteren Stützrades nicht frei einsehbar sei (Sp. 1 Z. 53 ff.). Da die Lösung nach dem Streitpatent statt dessen ein horizontal liegendes Getriebe verlangt, das den vertikalen Platzbedarf für die Schwenkeinrichtung verringert (Kennzeichen des Patenanspruchs 1 und Sp. 2 Z. 23 ff.), könnte es eine sinnvolle und den Geboten der Rechtssicherheit genügende Deutung darstellen, Patentanspruch 1 solle mit seiner Angabe zur räumlichen Anordnung des Fahrstandes zum Ausdruck bringen, dass der aus der FR-A-264 27 73 bekannte Ort des Fahrstandes beibehalten werden könne und solle, und dass die Worte „im Bereich“ gewählt worden seien, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die hinteren Stützräder selbst in Fahrtrichtung gesehen einen gewissen Raum einnehmen und auch zwischen sich Platz beanspruchen.
  22. b) Wegen der insoweit erhobenen Gegenrüge der Beklagten wird sich das Berufungsgericht gegebenenfalls ferner in tatrichterlicher Würdigung des zu den angegriffenen Ausführungsformen Vorgebrachten damit befassen müssen, ob der Fahrstand tatsächlich, wie in dem angefochtenen Urteil eher beiläufig bemerkt, knapp vor den hinteren Stützrädern oder nach seiner ganzen Ausdehnung etwa in der Mitte zwischen den hinteren und den vorderen Stützrädern angeordnet ist.
  23. c) Sollte das Berufungsgericht wegen der bislang festgestellten oder der von der Beklagten behaupteten räumlichen Anordnung des Fahrstandes oder im Hinblick auf die anderen streitigen Merkmale eine wortsinngemäße Verwirklichung des Patentanspruchs 1 verneinen, sind schließlich die unter anderem in dem Urteil mit dem Schlagwort „Schneidmesser I“ (BGHZ 150, 149) wiedergegebenen Fragen zu behandeln, deren Beantwortung nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Wertung erlaubt, dass die betreffende Ausführungsform trotz vorhandener Abweichung vom Sinngehalt des Patentanspruchs in dessen Schutzbereich fällt. Insoweit erscheint im Hinblick auf die Angabe zur räumlichen Anordnung des Fahrstandes erwägenswert, dass die Wortwahl „im Bereich“ dem nacharbeitenden Fachmann ohnehin eine Entscheidung über den Ort abverlangt. Das könnte die Möglichkeit in den Blick rücken, den Fahrstand auch außerhalb des vom Wortsinn her vorgesehenen Bereichs anzuordnen, jedenfalls dann, wenn die betreffende Ausführungsform dies nach ihrer nicht durch den Patentanspruch 1 vorgegebenen Bauart trotz des erfindungsgemäßen platzsparenden Getriebes im Hinblick auf die erstrebte, im Vergleich zu der aus der FR-A-264 27 73 bekannten Fräse bessere Sicht als sinnvoll erscheinen lässt.

Wird die Evolution privatisiert?

2002 erhielt die Firma Plant Bioscience ein Patent (EP1069819) auf ein Verfahren, mit dem bei der Zucht von Brokkoli der Anteil eines bestimmten Inhaltsstoffs in den Pflanzen erhöht werden kann. Obwohl dieses Verfahren konventionelle Züchtungsschritte enthält, hat das Europäische Patentamt (EPA)  die  Selektion als technisches und damit patentfähiges Verfahren betrachtet.  Bei dem Verfahren werden bestimmte Gene in der Pflanze ermittelt und gekennzeichnet und so die ausgewählten Brokkolipflanzen mit einer hohen Konzentration des gewünschten Stoffs in der Pflanzenzucht eingesetzt.

Homunculus
Schaffung des Homunculus in Goethes Faust II

Dass Früchte oder andere Pflanzen patentiert werden können, ist ja keine Neuheit. Jedoch geht es nunmehr um das Ergebnis gewöhnlicher Züchtungen. Das Patentamt hat in diesem Rahmen auch ein Problem mit dem Begriff der Natur oder dem Verständnis, was als natürlicher Vorgang anzusehen ist. Einerseits werden nach dem Gesetz Verfahren, die vollständig auf natürlichen Phänomenen beruhen, als im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen angesehen. Andererseits werden Kreuzung und Selektion als Beispiele für natürliche Phänomene genannt. Die technische Beschwerdekammer des Patentamts sieht darin einen Widerspruch, weil das systematisches Kreuzen und Selektieren der traditionellen Pflanzenzüchtung in der Natur ohne den Eingriff des Menschen nicht vorkommen würde. Verständlicherweise ist es für einen Menschen schwer zu ermitteln, was in der Natur ohne den Menschen vorkommen würde und was nicht, denn der Mensch ist Bestandteil dieser Natur und der Mensch greift ständig — auch durch Züchtung und Selektion — in diese Natur ein. Insofern ist dieses Tun ein natürliches Phänomen. Die Beschwerdekammer möchte nun wissen, ob ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen, das auf Kreuzung und Selektion beruht, deshalb patentierbar ist, weil es mit einem technischen Schritt verbunden ist. Dieser technische Schritt liegt darin, dass man die Selektion mit technischen Mitteln unterstützt. Allerdings beschränkt sich das Patent nicht auf diese Methode, sondern greift darüberhinaus, denn nach den Ansprüchen 9 bis 11 sollen genießbare Brassica-Pflanzen, genießbare Teile einer Brokkoli-Pflanze und Samen einer Brokkoli-Pflanze exklusiv vom Patentanmelder genutzt werden dürfen, wenn sie mit diesem Verfahren hergestellt wurde.

Das erscheint auf den ersten Blick gleich, ist es aber tatsächlich nicht. Wenn das Patent beispielsweise in Deutschland eingetragen ist, in Frankreich hingegen nicht, so kann man in Frankreich das Verfahren nutzen und Brokkoli nach dem Verfahren anbauen und verkaufen. In Deutschland dürfte man das Verfahren nicht nutzen. Da jedoch auch das Ergebnis der Anwendung des Verfahrens geschützt ist, darf man in Deutschland auch keinen nach diesem Verfahren hergestellten Brokkoli etwa aus Frankreich kaufen. Das Patent entfaltet also nicht nur in den Staaten, in denen Brokkoli angebaut wird, sondern auch in den Staaten, in denen (importierter) Brokkoli konsumiert wird, seine Wirkung. Damit wird das Ergebnis eines evolutionären Vorgangs patentiert, denn nicht der Patentanmelder hat die Brokkolipflanze geschaffen, sondern die üblichen Vorgänge in der Natur (auch wenn diese beeinflusst wurden).

Montesanto hat vor kurzem vom EuGH zu lesen bekommen, dass ohne den besonderen Schutz die Vermarktung nicht verboten werden kann. Die betroffene genetisch veränderte Sojapflanze wird in Argentinien, wo für die Erfindung von Monsanto kein Patentschutz besteht, in großem Umfang angebaut und nach Europa importiert. Das sei zulässig, so der EuGH. Es wäre jedoch nicht mehr zulässig, wenn die Tomate oder die Brokkolifrüchte selbst geschützt werden (wie in den streitigen Patenten vorgesehen).

Ein ähnlicher Fall ist das Patent EP 1211926 B1: Das israelische Landwirtschaftsministerium meldete im Jahr 2000 ein Patent auf ein Zuchtverfahren von Tomaten mit geringem Wassergehalt und dessen Produkte an, das 2003 erteilt wurde.

Geschützt wird mit von dem Patent nicht nur das Verfahren, sondern auch die auf üblichem Wege gezüchteten Tomaten. Obwohl das Patent aus nichts anderem als dem  biologischen Verfahren zur Züchtung einer bestimmten Tomatensorte beinhaltet, wurde das Patent vom Europäischen Patentamt im Jahr 2003 erteilt.  Geschützt wurde mit dem Patent folgendes „Verfahren zum Züchten von Tomatenpflanzen, die Tomaten mit verringertem Fruchtwassergehalt erzeugen, umfassend die Schritte:

  • Kreuzen von mindestens einer Lycopersicum esculentum-Pflanze mit einem Lycopersicon spp., um Hybridsamen zu erzeugen;
  • Sammeln der ersten Generation von Hybridsamen;
  • Züchten von Pflanzen aus der ersten Generation von Hybridsamen;
  • Bestäuben der Pflanzen der jüngsten Hybridgeneration;
  • Sammeln der Samen, die von der jüngsten Hybridgeneration erzeugt wurden;
  • Züchten von Pflanzen aus Samen der jüngsten Hybridgeneration;
  • Gestatten, dass die Pflanzen über den Punkt des normalen Reifens hinaus an dem Stängel verbleiben;und Durchmustern auf verringerten Fruchtwassergehalt, wie durch die verlängerte Konservierung der reifen Frucht und Faltung der Fruchthaut angezeigt.“
Tomate am Strauch. Valter Jacinto. Some rights reserved. Licensed under Creative Commons
Tomate am Strauch. Valter Jacinto. Some rights reserved. Licensed under Creative Commons

Es handelt sich um da bekannte Verfahren: Kreuzen, Sammeln der Samen, Züchten, Bestäuben, Sammeln der Samen usw. Nach Anspruch 15 ist auch das Ergebnis geschätzt, nämlich eine Tomatenfrucht, gekennzeichnet durch eine Fähigkeit der natürlichen Dehydratisierung, während sie sich auf einer Tomatenpflanze befindet, wobei die natürliche Dehydratisierung als Faltung der Haut der Tomatenfrucht definiert ist, wenn man die Frucht nach einem normalen reifen Erntezustand auf der Pflanze bleiben lässt, wobei die natürliche Dehydratisierung im Allgemeinen nicht von einem mikrobiellen Verderben begleitet ist. Das spielt sich offenbar alles im Rahmen eines natürlichen Vorgangs ab. Dass man keine verfaulten Tomaten patentieren wollte, ist selbstverständlich.

Die wasserarmen Tomaten sind für die Ketchup-Herstellung besonders geeignet. Inhalt des Patents ist die Kreuzung verschiedener Tomatenarten und die Tatsache, die Tomate etwas länger als gewöhnlich an der Staude zu lassen. Gegen die Patentierung legte das niederländische Unternehmen Unilever im Jahr 2004 Einspruch ein und verlangte aus denselben Gründen wie im Brokkoli-Verfahren den Widerruf des Patents. Auch dieses Verfahren befindet sich vor der Beschwerdeinstanz des EPA.

§ 9 des deutschen Patentgesetzes
Das Patent hat die Wirkung, dass allein der Patentinhaber befugt ist, die patentierte Erfindung im Rahmen des geltenden Rechts zu benutzen. Jedem Dritten ist es verboten, ohne seine Zustimmung

  1. ein Erzeugnis, das Gegenstand des Patents ist, herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen;
  2. ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, anzuwenden oder, wenn der Dritte weiß oder es auf Grund der Umstände offensichtlich ist, daß die Anwendung des Verfahrens ohne Zustimmung des Patentinhabers verboten ist, zur Anwendung im Geltungsbereich dieses Gesetzes anzubieten;
  3. das durch ein Verfahren, das Gegenstand des Patents ist, unmittelbar hergestellte Erzeugnis anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.

Nachdem es jedem gewerblich Tätigen verboten ist, die geschütze Tomate ohne Zustimmung des Patentinhabers herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, sind die Befürchtungen mancher nicht unberechtigt. Laut Spiegel-Online fürchtet Greenpeace-Patentexperte Christoph Then, dass wenige Konzerne sich künftig die Rechte an den wichtigsten Lebensmitteln sichern und damit die ganze Nahrungsmittelproduktion kontrollieren könnten: „Nicht nur Verbraucher werden zu Sklaven der Großkonzerne, sondern auch Landwirte, weil sie auf das Saatgut einiger weniger angewiesen sind.“

Im laufenden Verfahren findet am 20. und 21. Juli 2010 in München eine mündliche Verhandlung zu der Brokoli-Frage statt. Die Große Beschwerdekammer befasst sich damit, ob die marker-gestützte Selektion ein biologisches Zuchtverfahren oder ein technisches Verfahren und damit patentfähig ist. Im Anschluss an die Verhandlung ist das Urteil nicht zu erwarten — es dürfte aber wohl noch in diesem Jahr veröffentlicht werden.

Maßgeblich für die Patentierungspraxis im Bereich Biotechnologie ist die 1998 verabschiedete EU-Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen, die u.a. die Patentfähigkeit von Pflanzen und Tieren grundsätzlich bejaht. Der Verwaltungsrat des Europäischen Patentamts (EPA)  hat die Richtlinie in das Europäische Patentübereinkommen übernommen. Die Biopatentrichtlinie kann jedoch nicht alle Praxisfälle regulieren und definiert auch die Grenzen zwischen klassischer Züchtung, Kreuzung, Selektion und modernen Züchtungsmethoden mit biotechnologischen Mitteln nicht eindeutig.

Das EPA entschuldigte sich schon im Voraus, wenn es nunmehr Vorgänge in der Natur oder deren Ergebnisse für patentenfähig erklärt werden sollten. Die Frage nach der Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren stünde nicht zur Diskussion:

„Die Rolle des Europäischen Patentamts beschränkt sich auf die Überprüfung, ob eine Patentanmeldung eine neuartige und wirtschaftlich nutzbare technische Entwicklung ist, die auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Eine soziale, ökonomische oder ökologische Folgenabschätzung liegt nicht in seiner Kompetenz und Möglichkeit. Dies ist eine Aufgabe des Gesetzgebers bzw. der zuständigen europäischen und nationalen Regulierungsbehörden.“

Auf den Gesetzgeber zu vertrauen, scheint aber eine hoffnungslose Angelegenheit, so lange sich der Irrglaube hält, geistiges Eigentum fördere die Innovation. Das Patent beruht auf der Biopatentrichtlinie. Diese hatte zum Ziel, eine Harmonisierung der unterschiedlichen Patentrechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der Biopatente zu erreichen. Ein wirksamer und harmonisierter Schutz – so Erwägungsgrund 3 der Richtlinie – sei wesentliche Voraussetzung dafür, dass Investitionen auf dem Gebiet der Biotechnologie fortgeführt und gefördert würden. Irgendwelche Aussagen, ob und in welchem Umfang die Umsetzung der Richtlinie vorteilhafte Wirkungen hat, lässt sich bislang nicht sagen. Die nachteiligen liegen auf der Hand: Einige Unternehmen können in einen weiteren Bereich ohne den lästigen Wettbewerb ihre Interessen verfolgen.

Vgl. hierzu:

  • Interview mit der Biologin Ruth Tippe in der Süddeutschen Zeitung;
  • der Brokkoli-Fall bei No Patents on Seeds;
  • Tomaten mit niedrigem Wassergehalt und Produkte dieses Verfahrens bei No Patents on Seeds;
  • Spiegel-Online vom 20. 7. 2010
  • Süddeutsche Zeitung vom 20. 7. 2010
  • Verhandlungsbericht vom 21. 7. 2010 bei Heise Online
  • Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des deutschen Bundestags vom  17. 06. 2009, in dem vor allem steht, dass diese Entwicklung nicht beabsichtigt gewesen sei:
    Sowohl die für das Europäische Patentamt geltenden Regelungen als auch das deutsche Patentgesetz sehen vor, für „im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“ Patente nicht zu erteilen. Der Deutsche Bundestag hat mit der Umsetzung der Biopatent-Richtlinie die Absicht verbunden, den Gegensatz des nicht patentierbaren biologischen Verfahrens zur patentierbaren technischen Erfindung ausreichend sicher zu beschreiben. Der Deutsche Bundestag erwartet daher, dass die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer zu einer Interpretation führt, die für eine klare Abgrenzung biotechnologischer Erfindungen von herkömmlichen landwirtschaftlichen Tätigkeiten wie Züchtung und Kreuzung sorgt und die Patentierung herkömmlicher landwirtschaftlicher Tätigkeiten wie Züchtung und Kreuzung ausschließt.

Ausschließlichkeitsrechte und Wettbewerb

Rechtssache C–451/03 — Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl gegen Giuseppe Calafiori (Vorabentscheidungsersuchen der Corte d’appello Mailand) zu den Themen „Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Für Unternehmen geltende Wettbewerbsvorschriften – Staatliche Beihilfen – Steuerbeistandszentren – Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen – Ausschließliches Recht – Vergütung dieser Tätigkeiten“

Urteil des Gerichtshofes
vom 30. März 2006

Leitsätze des Urteils

  1. Wettbewerb – öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren – Schaffung einer beherrschenden Stellung. (Artikel 82 EG und 86 Absatz 1 EG)Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG ist als solche noch nicht mit Artikel 82 EG unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht.(vgl. Randnr. 23)
  2. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des GerichtshofesWeist im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tätigkeit mit keinem ihrer Elemente über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinaus, so kann eine Antwort dem vorlegenden Gericht dennoch von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschriebe, dass einem Staatsbürger dieses Mitgliedstaats die Rechte zustehen, die einem Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zuständen. Ein solches Ersuchen ist daher als zulässig anzusehen, da zu prüfen ist, ob die Bestimmungen des Vertrages, um deren Auslegung ersucht wird, der Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung entgegenstehen, soweit diese auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen angewandt würde. (vgl. Randnrn. 28-30)
  3. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr. (Artikel 43 EG und 49 EG)Die Artikel 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen Steuerbeistandszentren (CAF) vorbehält, die in Form von Aktiengesellschaften zu errichten sind, auf der Grundlage einer Genehmigung des Finanzministeriums tätig werden und nur von bestimmten, in einem Decreto legislativo bezeichneten Rechtssubjekten errichtet werden können. Eine solche Regelung schließt nämlich zum einen den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig aus und ist, indem sie die Möglichkeit zur Gründung von CAF bestimmten Rechtssubjekten vorbehält, die strikte Voraussetzungen erfüllen, darunter bei einigen dieser Rechtssubjekte sogar die Voraussetzung, dass sie ihren Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben, zum anderen geeignet, die Ausübung des Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Rechts, sich zur Erbringung der fraglichen Dienstleistungen in dem entsprechenden Mitgliedstaat niederzulassen, zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen. (vgl. Randnrn. 7, 33-34, 50, Tenor 1)
  4. Staatliche Beihilfen – Begriff. (Artikel 87 Absatz 1 EG)Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, ist als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren, wenn zum einen die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und wenn zum anderen der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. (vgl. Randnr. 72, Tenor 2)

Schlussantäge des Generalanwalts D. Ruiz–Jarabo Colomer vom 28. Juni 2005

URTEIL DES GERICHTSHOFES

30. März 2006 (Verfahrenssprache: Italienisch)

„Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Für Unternehmen geltende Wettbewerbsvorschriften – Staatliche Beihilfen – Steuerbeistandszentren – Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen – Ausschließliches Recht – Vergütung dieser Tätigkeiten“

In der Rechtssache C-451/03 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Corte d’appello Mailand (Italien) mit Entscheidung vom 15. Oktober 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Oktober 2003, in dem Verfahren

Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl
gegen
Giuseppe Calafiori,
unterstützt durch:Pubblico Ministero,

erlässt DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung (…)

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl, vertreten durch F. Capelli und M. Valcada, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und V. Di Bucci als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2005 folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 4 EG, 10 EG, 82 EG, 86 EG und 98 EG im Bereich Wettbewerb, der Artikel 43 EG, 48 EG und 49 EG in den Bereichen Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr sowie des Artikels 87 EG im Bereich staatliche Beihilfen.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl (im Folgenden: ADC Servizi) und dem Notar Guiseppe Calafiori über dessen Weigerung, den Beschluss der Gesellschafterversammlung von ADC Servizi über eine Änderung ihres Gesellschaftsvertrags im Handelsregister Mailand einzutragen.

Nationaler rechtlicher Rahmen

3 Der nationale rechtliche Rahmen kann, so wie er sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, wie folgt zusammengefasst werden.

4 Nach dem Decreto legislativo Nr. 241 vom 9. Juli 1997, ergänzt durch das Decreto legislativo Nr. 490 vom 28. Dezember 1998 (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 241/97), sind allein die Centri di Assistenza Fiscale (Steuerbeistandszentren, im Folgenden: CAF) berechtigt, bestimmte Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen auszuüben, darunter die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der jährlichen Einkommensteuererklärung der Arbeitnehmer und der ihnen gleichgestellten Personen.

5 Artikel 34 Absatz 4 des Decreto legislativo Nr. 241/97 überträgt den CAF eine ausschließliche Befugnis zur Abwicklung der mit einem vereinfachten Formblatt (Formblatt 730) vorgenommenen Einkommensteuererklärung, darunter die Überlassung einer Kopie der ausgefüllten Erklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer an den Steuerpflichtigen, die Mitteilung des Ergebnisses der Erklärung an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber, damit ein Ausgleich an der Quelle vorgenommen werden kann, und die Übersendung der Erklärungen an die Finanzverwaltung.

6 Ferner ist den CAF nach Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe b des Decreto legislativo Nr. 241/97 die Kontrolle der Übereinstimmung der in der Erklärung angegebenen Daten mit ihren Anlagen vorbehalten.

7 Die CAF sind in Form von Aktiengesellschaften zu errichten, die auf der Grundlage einer Genehmigung des Finanzministeriums tätig werden. Sie können nur von den in den Artikeln 32 und 33 des Decreto legislativo Nr. 241/97 bezeichneten Rechtssubjekten errichtet werden. Dabei handelt es sich u. a. um Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, von diesen beauftragte Gebietsorganisationen mit mindestens 50 000 Mitgliedern, bestimmte steuerabzugsverpflichtete Arbeitgeber mit mindestens 50 000 Beschäftigten und Arbeitnehmervereinigungen, die Fürsorgewerke (istituti di patronato) gegründet haben und mindestens 50 000 Mitglieder zählen. Einige der im Decreto legislativo Nr. 241/97 genannten Rechtssubjekte sind nur dann zur Errichtung von CAF befugt, wenn sie in Italien niedergelassen sind.

8 Weiterhin ist in Artikel 33 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehen, dass die CAF einen oder mehrere Verantwortliche für den Beistand in Steuerfragen benennen, bei denen es sich um in der Liste der Diplomkaufleute oder der der Buchprüfer eingetragene Personen handeln muss.

9 Die fragliche Regelung sieht vor, dass für die den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten eine Vergütung aus dem Staatshaushalt gezahlt wird, die ursprünglich auf 25 000 LIT je ausgefüllter und übermittelter Erklärung festgelegt worden war und später auf rund 14 Euro angehoben wurde.

Ausgangsrechtsstreit

10 Die ADC Servizi, die in Mailand niedergelassen ist, hatte den Beistand und die Beratung in Buchhaltungs- und Verwaltungsfragen zum Zweck.

11 Am 25. Februar 2003 beschloss die außergewöhnliche Gesellschafterversammlung dieser Gesellschaft die Annahme eines neuen Gesellschaftsvertrags, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Gesellschaft auch Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen für Unternehmen, Arbeitnehmer und ihnen gleichgestellte Personen sowie Rentner ausübte.

12 Der protokollführende Notar, Herr Calafiori, weigerte sich, die Eintragung dieses Beschlusses im Handelsregister Mailand zu veranlassen, da er die Änderung des Gesellschaftsvertrags, mit der die Gesellschaft zur Ausübung der genannten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen ermächtigt wurde, als einen Verstoß gegen Artikel 34 des Decreto legislativo Nr. 241/97 ansah.

13 Die ADC Servizi beantragte beim Tribunale Mailand, die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister Mailand anzuordnen. Mit Beschluss vom 15. Mai 2003 wies dieses Gericht die Klage ab.

14 Die ADC Servizi legte gegen diesen Beschluss ein Rechtsmittel bei der Corte d’appello Mailand ein und machte geltend, dass die Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97, indem sie bestimmte Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehielten, gegen den EG-Vertrag verstießen.

15 Die Corte d’appello Mailand ist der Ansicht, dass sich im Hinblick auf die Entscheidung des bei ihr anhängigen Rechtsstreits Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellten.

16 Sie führt zunächst aus, dass Arbeitnehmer, Rentner und ihnen gleichgestellte Personen dazu gebracht würden, sich an die CAF auch mit Fragen zu wenden, die diesen nach der fraglichen Regelung nicht vorbehalten seien, wodurch der Wettbewerb auf dem entsprechenden Markt verfälscht werde. Folglich stehe dieses System im Widerspruch zu den Artikeln 10 EG, 81 EG, 82 EG und 86 EG.

17 Die Corte d’appello Mailand legt weiter dar, dass der Umstand, dass die Erstellung und die Abgabe von Steuererklärungen bestimmten Rechtssubjekten, die präzise Voraussetzungen erfüllten, vorbehalten seien, nicht nur für den inländischen Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch für den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer ein Hindernis für die Ausübung seiner Tätigkeit darstelle, das eine nach den Artikeln 43 EG, 48 EG und 49 EG verbotene Beschränkung darstellen könne.

18 Schließlich werde die in Randnummer 9 dieses Urteils genannte Vergütung, die ausschließlich zugunsten der CAF vorgesehen und aus dem Staatshaushalt zu zahlen sei, möglicherweise vom Verbot der Artikel 87 EG und 88 EG erfasst.

Vorlagefragen

19 Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat die Corte d’appello Mailand beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Sind die Artikel 4 EG, 10 EG, 82 EG, 86 EG und 98 EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie derjenigen entgegenstehen, die sich aus dem Decreto legislativo Nr. 241/97 in Verbindung mit dem Testo unico betreffend die Einkommensteuern (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 917 vom 22. Dezember 1986) und dem Gesetz Nr. 413 vom 30. Dezember 1991 ergibt und die das Recht, bestimmte Tätigkeiten der Steuerberatung auszuführen, einer einzigen Gruppe von Rechtssubjekten, den CAF, vorbehält und den anderen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors auch dann, wenn sie eine Ermächtigung zur Berufsausübung im Bereich der steuerlichen und buchhalterischen Beratung besitzen (Diplom-Betriebswirte, Buchprüfer, Rechtsanwälte und Arbeitsberater), die Ausübung der den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten unter gleichen Voraussetzungen und Modalitäten versagt?
  2. Sind die Artikel 43 EG, 48 EG und 49 EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie derjenigen entgegenstehen, die sich aus dem Decreto legislativo Nr. 241/97 in Verbindung mit dem Testo unico betreffend die Einkommensteuern (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 917) und dem Gesetz Nr. 413 vom 30. Dezember 1991 ergibt und die das Recht, bestimmte Tätigkeiten der Steuerberatung auszuführen, einer einzigen Gruppe von Rechtssubjekten, den CAF, vorbehält und den anderen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors auch dann, wenn sie eine Ermächtigung zur Berufsausübung im Bereich der steuerlichen und buchhalterischen Beratung besitzen (Diplom-Betriebswirte, Buchprüfer, Rechtsanwälte und Arbeitsberater), die Ausübung der den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten unter gleichen Voraussetzungen und Modalitäten versagt?
  3. Ist Artikel 87 EG dahin auszulegen, dass eine Maßnahme, wie sie sich aus der Regelung des Decreto legislativo Nr. 241/97, insbesondere dessen Artikel 38, ergibt und die zugunsten der CAF eine Vergütung zulasten des Staatshaushalts für die Tätigkeiten des Artikels 34 Absatz 4 und für die Tätigkeiten des Artikels 37 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorsieht, eine staatliche Beihilfe darstellt?

Zur ersten Frage

20 Einleitend ist darauf zu verweisen, dass in den Artikeln 4 EG und 98 EG die Grundprinzipien der Wirtschaftpolitik der Gemeinschaftsordnung definiert werden und der Kontext dargelegt wird, in dem die Wettbewerbsvorschriften der Artikel 82 EG und 86 EG stehen. Die Bezugnahme des nationalen Gerichts auf die Artikel 4 EG und 98 EG erfordert somit keine gegenüber der Antwort auf die Frage nach der Auslegung der Artikel 82 EG und 86 EG eigene Antwort.

21 Folglich ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Artikel 82 EG und 86 EG einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

22 Nach Artikel 82 EG ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen verboten.

23 Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG ist als solche noch nicht mit Artikel 82 EG unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (Urteil vom 25. Oktober 2001 in der Rechtssache C–475/99, Ambulanz Glöckner, Slg. 2001, I–8089, Randnr. 39).

24 Folglich ist nicht nur zu klären, ob die nationale Regelung bewirkt, dass den CAF besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG verliehen werden, sondern auch, ob eine solche Regelung zum Missbrauch einer beherrschenden Stellung führen konnte.

25 Unabhängig von der Frage, ob den CAF mit der nationalen Regelung solche besonderen oder ausschließlichen Rechte verliehen wurden, ist jedoch festzustellen, dass dem Gerichtshof weder mit der Vorlageentscheidung noch mit den schriftlichen Erklärungen die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte an die Hand gegeben werden, die ihm die Feststellung erlauben würden, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung oder eines missbräuchlichen Verhaltens im Sinne von Artikel 82 EG erfüllt sind.

26 Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof nicht in der Lage, die erste Frage sachgerecht zu beantworten.

Zur zweiten Frage

27 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 43 EG und 49 EG einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

28 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die italienische Regierung diese Frage für unzulässig hält, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tätigkeit mit keinem ihrer Elemente über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweise.

29 Dazu ist zu bemerken, dass eine Antwort dem vorlegenden Gericht nichtsdestoweniger von Nutzen sein kann, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht in einem Verfahren der vorliegenden Art vorschriebe, dass einem italienischen Staatsbürger die gleichen Rechte zustehen, die einem Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zuständen (vgl. Beschluss vom 17. Februar 2005 in der Rechtssache C–250/03, Mauri, Slg. 2005, I–1267, Randnr. 21).

30 Somit ist zu prüfen, ob die Bestimmungen des Vertrages, um deren Auslegung ersucht wird, der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, soweit diese auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen angewandt würde.

31 Die Artikel 43 EG und 49 EG schreiben die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs vor; als solche Beschränkungen sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheiten unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. u. a. Urteil vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C–439/99, Kommission/Italien, Slg. 2002, I–305, Randnr. 22).

32 Insoweit ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das Decreto legislativo Nr. 241/97 den CAF eine ausschließliche Befugnis überträgt, den Steuerpflichtigen bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen und insbesondere Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Personen Dienstleistungen des Steuerbeistands bei der Erstellung der Steuererklärung in der vereinfachten Form anzubieten.

33 Was den freien Dienstleistungsverkehr betrifft, so schließt eine solche nationale Regelung, indem sie die genannten Tätigkeiten den CAF vorbehält, den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig aus.

34 Was die Niederlassungsfreiheit anbelangt, so ist eine solche Regelung, indem sie die Möglichkeit zur Gründung von CAF bestimmten Rechtssubjekten vorbehält, die strikte Voraussetzungen erfüllen, darunter bei einigen dieser Rechtssubjekte, wie sich aus den vorgelegten Informationen ergibt, die Voraussetzung, dass sie ihren Sitz in Italien haben, geeignet, die Ausübung des Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Rechts, sich zur Erbringung der fraglichen Dienstleistungen in Italien niederzulassen, zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen.

35 Dass den CAF eine ausschließliche Befugnis übertragen wird, bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen anzubieten, stellt somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs dar, die nach den Artikeln 43 EG und 49 EG grundsätzlich verboten ist.

36 Die Bestimmungen der nationalen Regelung, nach denen nur bestimmte, bereits in Italien niedergelassene Rechtssubjekte CAF gründen können, sind diskriminierend. Solche Bestimmungen können nur mit den in den Artikeln 46 EG und 55 EG vorgesehenen Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt werden, die im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht worden sind (vgl. Urteil vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache C–263/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I–4195, Randnr. 15).

37 Dagegen können diejenigen Bestimmungen der in Rede stehenden nationalen Regelung, die für alle im Aufnahmemitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gelten, gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen und soweit sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2002 in der Rechtssache C–79/01, Payroll u. a., Slg. 2002, I–8923, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Insoweit kann das Allgemeininteresse am Schutz der Empfänger der betreffenden Dienstleistungen vor einem Schaden, der ihnen durch Dienstleistungen entstehen könnte, die von Personen erbracht werden, die nicht die erforderlichen beruflichen oder persönlichen Qualifikationen besitzen, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C–76/90, Säger, Slg. 1991, I–4221, Randnrn. 15 bis 17).

39 Wie jedoch der Generalanwalt in Nummer 49 seiner Schlussanträge betont hat, sind einige der den CAF vorbehaltenen Dienstleistungen wie die Aushändigung einer Kopie der Steuererklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer, die Übersendung der Steuererklärungen an die Finanzverwaltung sowie die Mitteilung des Ergebnisses der Steuererklärung an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber im Wesentlichen einfacher Art und erfordern keine besonderen beruflichen Qualifikationen.

40 Offenkundig kann es die Natur dieser Dienstleistungen nicht rechtfertigen, ihre Ausübung den Inhabern einer besonderen beruflichen Qualifikation vorzubehalten.

41 Auch wenn demgegenüber bestimmte den CAF vorbehaltene Tätigkeiten vielschichtiger sind, insbesondere die Prüfung der Übereinstimmung der in der Steuererklärung gemachten Angaben mit ihren Anlagen, ist nicht ersichtlich, dass die zur Errichtung von CAF befugten Einrichtungen Gewähr für besondere berufliche Befähigungen zur Ausführung dieser Aufgaben bieten.

42 Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, benennen die CAF nach Artikel 33 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 als für die Ausführung dieser Aufgaben Verantwortliche Personen, die in der Liste der Diplomkaufleute oder der der Buchprüfer eingetragen sind, d. h. Berufsträger, die die den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten im eigenen Namen nicht ausüben können.

43 Angesichts dieser Umstände sind die Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97, soweit sie den CAF eine ausschließliche Befugnis übertragen, bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen anzubieten, offenbar nicht geeignet, das in Randnummer 38 dieses Urteils genannte Allgemeininteresse zu gewährleisten.

44 In der mündlichen Verhandlung hat die italienische Regierung geltend gemacht, dass die fragliche nationale Regelung jedenfalls gemäß den Artikeln 45 Absatz 1 EG und 55 EG gerechtfertigt sei, wonach die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr nicht für Tätigkeiten gälten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien.

45 Dazu ist darauf zu verweisen, dass die Artikel 45 EG und 55 EG als Ausnahmen vom Grundprinzip der Niederlassungsfreiheit so auszulegen sind, dass sich ihre Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die diese Bestimmungen den Mitgliedstaaten zu schützen erlauben, unbedingt erforderlich ist (Urteile vom 15. März 1988 in der Rechtssache 147/86, Kommission/Griechenland, Slg. 1988, 1637, Randnr. 7, und vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache C–114/97, Kommission/Spanien, Slg. 1998, I–6717, Randnr. 34).

46 Somit muss sich die in diesen Artikeln vorgesehene Ausnahmeregelung nach ständiger Rechtsprechung auf Tätigkeiten beschränken, die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen (Urteile vom 21. Juni 1974 in der Rechtssache 2/74, Reyners, Slg. 1974, 631, Randnr. 45, vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache C–42/92, Thijssen, Slg. 1993, I–4047, Randnr. 8, Kommission/Spanien, Randnr. 35, und vom 31. Mai 2001 in der Rechtssache C–283/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I–4363, Randnr. 20).

47 Es ist festzustellen, dass die Überprüfung der Übereinstimmung der Angaben in der Steuererklärung mit deren Anlagen, auch wenn sie tatsächlich von der Finanzverwaltung selten in Frage gestellt wird, keine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt, sondern eine Maßnahme, mit der die Erfüllung von der Finanzverwaltung obliegenden Aufgaben vorbereitet oder erleichtert werden soll.

48 Ebenso verhält es sich mit den anderen Aufgaben, die in den Artikeln 34 und 35 des Decreto legislativo Nr. 241/97 aufgeführt sind und die das nationale Gericht in seiner Vorlageentscheidung nennt, nämlich die Überlassung einer Kopie der ausgefüllten Steuererklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer an den Steuerpflichtigen, die Mitteilung des Ergebnisses der Steuererklärungen an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber und die Übersendung der Erklärungen an die Finanzverwaltung.

49 Folglich ist festzustellen, dass den CAF vorbehaltene Tätigkeiten wie die in der Vorlageentscheidung genannten von der in den Artikeln 45 EG und 55 EG vorgesehenen Ausnahmeregelung nicht erfasst werden.

50 Angesichts des Vorstehenden ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Artikel 43 EG und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

Zur dritten Frage

51 Das vorlegende Gericht nimmt mit seiner dritten Frage gleichzeitig auf mehrere Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97 Bezug: auf Artikel 38 über die Zahlung einer Vergütung an die CAF, auf Artikel 34 Absatz 4 über die von den CAF ausgeübten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen sowie auf Artikel 37 Absatz 2 über die von anderen Einheiten erbrachten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen.

52 In der Begründung seiner Entscheidung bezieht sich dieses Gericht jedoch nur auf die Zahlung einer Vergütung an die CAF.

53 Daher ist die Prüfung der dritten Frage auf die Vergütung zu beschränken, die den CAF nach den Artikeln 34 Absatz 4 und 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 gezahlt wird.

54 Somit ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage im Wesentlichen wissen will, ob eine Vergütung, wie sie die CAF nach den Artikeln 34 Absatz 4 und 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 für die Erstellung und Übermittlung einer Steuererklärung beziehen, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellt.

55 Die Qualifizierung als „Beihilfe“ verlangt nach ständiger Rechtsprechung, dass alle in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Urteile vom 21. März 1990 in der Rechtssache C–142/87, Belgien/Kommission, „Tubemeuse“, Slg. 1990, I–959, Randnr. 25, vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C–278/92 bis C–280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I–4103, Randnr. 20, vom 16. Mai 2002 in der Rechtssache C–482/99, Frankreich/Kommission, Slg. 2002, I–4397, Randnr. 68, und vom 24. Juli 2003 in der Rechtssache C–280/00, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Slg. 2003, I–7747, Randnr. 74).

56 Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss sie geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.

57 Die erste Voraussetzung ist erfüllt, da die in Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehene Vergütung vom Staatshaushalt zu tragen ist.

58 Was die zweite Voraussetzung betrifft, so dürften den CAF nach Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 bedeutende Beträge gezahlt werden, und es könnte Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten gestattet werden, CAF zu gründen, die in den Genuss dieser Beträge kommen. Die fragliche Maßnahme ist daher geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

59 Was die dritte und die vierte Voraussetzung angeht, so gelten als Beihilfen Maßnahmen gleich welcher Art, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 84).

60 Dagegen wird eine staatliche Maßnahme nicht von Artikel 87 Absatz 1 EG erfasst, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugute kommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 87).

61 Ein derartiger Ausgleich ist im konkreten Fall jedoch nur dann nicht als staatliche Beihilfe zu qualifizieren, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 88).

62 Erstens muss das durch einen derartigen Ausgleich begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein, und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 89).

63 Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat die von den CAF nach Artikel 34 Absatz 4 des Decreto legislativo Nr. 241/97 gegenüber Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Personen erbrachten Dienstleistungen des Beistands in Steuerfragen, die den Steuerpflichtigen bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Verpflichtungen helfen und die Erfüllung der den Finanzbehörden obliegenden Aufgaben erleichtern sollen, als „gemeinwirtschaftlich“ qualifiziert.

64 Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent festzulegen, um zu verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 90).

65 Der Ausgleich, der für jede erstellte und der Finanzverwaltung übermittelte Erklärung auf rund 14 Euro festgelegt wurde, ist geeignet, dieser Voraussetzung Genüge zu tun.

66 Drittens darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 92).

67 Viertens ist der Ausgleich auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 93).

68 Die Prüfung dieser beiden letzten Voraussetzungen hinsichtlich der Höhe der fraglichen Vergütung macht eine Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits erforderlich.

69 Dabei ist zu beachten, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu entscheiden oder die von ihm ausgelegten Gemeinschaftsvorschriften auf nationale Maßnahmen oder Gegebenheiten anzuwenden, da diese Fragen in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gerichts fallen (vgl. Urteile vom 19. Dezember 1968 in der Rechtssache 13/68, Salgoil, Slg. 1968, 680, 690, vom 23. Januar 1975 in der Rechtssache 51/74, Van der Hulst, Slg. 1975, 79, Randnr. 12, vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C–320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I–285, Randnr. 11, vom 5. Oktober 1999 in den Rechtssachen C–175/98 und C–177/98, Lirussi und Bizzaro, Slg. 1999, I–6881, Randnr. 38, und vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache C–282/00, RAR, Slg. 2003, I–4741, Randnr. 47).

70 Es ist somit Sache des nationalen Gerichts, im Licht des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob die in Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehene Vergütung eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellt.

71 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass das nationale Gericht nicht befugt ist, die Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist ausschließlich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zuständig, die dabei der Kontrolle des Gemeinschaftsrichters unterliegt (vgl. Urteile vom 21. November 1991 in der Rechtssache C–354/90, Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I–5505, Randnr. 14, vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C–39/94, SFEI u. a., Slg. 1996, I–3547, Randnr. 42, und vom 17. Juni 1999 in der Rechtssache C–295/97, Piaggio, Slg. 1999, I–3735, Randnr. 31).

72 Angesichts des Vorstehenden ist auf die dritte Frage zu antworten, dass eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren ist, wenn

  • die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und
  • der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.

Kosten

73 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

  1. Die Artikel 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den Steuerbeistandszentren vorbehält.
  2. Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, ist als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren, wenn
    • die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und
    • der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.
  3. Unterschriften.


Schutz des geistigen Eigentums in Russland

Veranstaltung am 20. März 2009 in Mannheim

Russland hat gute Voraussetzungen, sich schnell von der aufziehenden Krise zu erholen und wird ein wichtiger Markt bleiben. Insbesondere in Krisensituationen wie der heutigen werden dort die Weichen im Wettbewerb neu gestellt. Dabei müssen deutsche Unternehmen ihren wichtigsten Wettbewerbsvorteil, ihr Spitzen-Know-How, auf diesem Mark rechtzeitig schützen. Ein wirksamer Patent-, Marken- oder Gebrauchsmusterschutz beugt hohen materiellen und Image-Verlusten vor.

Namhafte Russland-Experten referieren am 20. März in Mannheim über die Besonderheiten beim Schutz des geistigen Eigentums in Russland. Geschäftsführung, Exportmanager, Markenschutz- und Patentbeauftragte müssen bei diesem Thema besonders sensibel sein, weil bereits ein ,einfacher` Exportvertrag eine gesonderte Schutzklausel für den Know-How- und Markenschutz beinhalten sollte. Weitere Themen der Veranstaltung sind Know-How-Schutz in Auftrags-, Lizenz- und Franchise-Verträgen. Darüber hinaus wird Patentschutz in Russland behandelt. Erfahrungsberichte aus deutschen Unternehmen kommen aus den Bereichen Maschinenbau, Software und Software-Outsourcing und aus der Praxis der Rechtsdurchsetzung beim Schutz des geistigen Eigentums in Russland. Ausführliches Programm unter: www.mannheim.ihk.de/russland