Archiv der Kategorie: Wettbewerbsrecht

Titel für das MPI in München gesucht

1966 wurde das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht gegründet. Irgendwann — 1993? — wurde das von dem Institut behandelte Rechtsgebiet umbenannt in gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht und dann — 2002? —  in Recht des Geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht. Man findet dementsprechend noch einige Reste der Bezeichnung: MPI für Geistiges Eigentum auf der Website dieses Instituts. Der Begriff des geistigen Eigentums hat nun offenbar ausgedient und wurde wieder in den begriffsjuristischen M(ar)ottenschrank verbannt.

Zum 1. Januar 2011 — nachdem das Steuerrecht von dem anderen Rechtsgebiet getrennt wurde  — wählte man die Bezeichnung Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht.

Wir rätseln zur Zeit, welche Bezeichnung als nächstes für das Rechtsgebiet Du weißt schon welches  kommen wird.  Bislang wurden vorgeschlagen:

  • MPI für das Recht des  geistigen Schaffens
  • MPI für das Recht der kulturellen Produktion
  • MPI für das Recht der Objektvergleichung und die Verbotsüberschreitungsfolgen
  • MPI zur Vermeidung der Ausweitung des Eigentumsbegriffes und geistiger Monopolbildung
  • Es, dessen Name nicht genannt werden darf (Nein! nicht Voldemort)
Weitere Ideen sind willkommen. Vorgeschlagen wurden bereits (teilweise nur als Kategorie):
  • geistiges Eigentum
  • Autorrecht und Erfinderrecht
  • literarisches Eigentum
  • Recht der Persönlichkeit
  • Immaterialgüterrecht
  • gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
  • Individualrecht
  • Schutz der Persönlichkeitssphäre
  • Privileg
  • künstlerisches Eigentum
  • Reflex einer Verbotsnorm
  • Monopol
  • persönliches Recht
  • Schrifteigentum
  • Persönlichkeitsrecht
  • Verlagsrecht
  • unzweifelhaftes Eigentum
  • unbestreitbares Eigentum
  • heiliges Eigentum
  • Menschenrecht
  • Ausschließlichkeitsrecht
  • Werkherrschaft

 


[Ergänzung: 25. 3. 2011]: Wie so oft in diesem Bereich handelt es sich bei der Frage nach der „richtigen Bezeichnung“ um aufgewärmte Debatten, die ähnlich sinnvoll sind wie die Frage nach der Henne und dem Ei. 1838 hat der Franzose Augustin Charles Renouard (von dem ungefähr 50 % der deutschen Juristen im 19. Jahrhundert abgeschrieben haben, wenn es ums Urheberrecht ging) schon festgestellt, dass das droit d’auteur eigentlich ein Monopol sei (allerdings ein notwendiges).  Eigentum (propriété) würde in den Ohren der Allgemeinheit aber besser klingen. Man könnte jeder Kritik entgegenhalten, dass man das Eigentum nicht im Namen des Monopols oder Privilegs angreifen dürfe.

Mit einer so dürftigen Begründung wollte man sich aber nicht zufrieden gegeben und es wurde hart daran gearbeitet, die richtige Begründung herauszustellen.  Viktor Böhmert etwa hat 1869 zum Patentschutz (es  lässt  sich Eins zu Eins auf das Urheberrecht übertragen) folgendes festgestellt:

Der Patentschutz wird nicht blos in Rücksichten der Zweckmässigkeit und Nützlichkeit, sondern auch aus Gründen des Rechts und der Billigkeit gefordert. Um dieser Institution eine möglichst unerschütterliche Rechtsbasis zu geben, stützt man sich entweder auf die Lehre vom sogenannten geistigen Eigenthum, oder man behauptet, dass die einseitige gewerbliche Ausbeutung der Geistesarbeit Anderer durch Reproduktion ihrer Erzeugnisse als ein Eingriff in die berechtigte Erwerbssphäre des Autors und als eine Störung der naturgemässen Ordnung der Wirthschaftsgemeinschaft zu betrachten sei.

Wenn es ums liebe Geld ging, wurden schon im 19. Jahrhundert der Börsenverein des Deutschen Buchhandels  oder der Verein der deutschen Ingenieure zu großen Philosophen. Wir zitieren hier die Ingenieure:  „Wenn wir sagen, der Erfinder habe ein Recht auf ein Erfindungspatent, so stehen wir damit nicht auf dem Boden des positiven Rechts, sondern auf dem Boden der Rechtsphilosophie. Wir sprechen damit aus, dass der Staat aus rechtsphilosophischen Gründen das geistige Eigenthum des Erfinders schützen soll.“ 1877 hat diese rechtsphilosophische Sicht sich durchgesetzt und es wurde ein Patentgesetz für das Kaiserreich erlassen.

(Keine) Neuigkeiten von der Leistungsschutzfront

Gehen wir einmal davon aus, dass der Bayerische Journalisten-Verband (BJV) seiner Journalistenpflicht nachgekommen ist und die Pressemitteilung die Diskussion zum Leistungsschutzrecht für Verleger am 24. Januar 2011 gut zusammenfasst hat. Demnach kann man leider  nur mit einer Nicht-Nachricht aufwarten.

Das Thema lautete ,,ob ein neues Leistungsschutzrecht überhaupt erforderlich ist und ob die Verlage durch Suchmaschinen wie Google tatsächlich so stark benachteiligt werden.„ Das ist insofern interessant, weil wir zur Zeit eigentlich nur eines wissen: Die Verleger wollen ein Leistungsschutzrecht, weil andere Rechteverwerter auch ein Leistungsschutzrecht haben. Die Filmhersteller, Tonträgerhersteller, Sendeunternehmen und  Datenbankhersteller seien bereits mit einem  Leistungsschutzrecht ausgestattet. Es sei daher nicht einzusehen, dass ein solches Recht den Presseverlegern vorenthalten werde.

Aber wie das überhaupt aussehen soll? Fehlanzeige: Anders als erwartet, so der BJV,  gab Prof. Schweizer keine Details dazu bekannt, wie das geplante Leistungsschutzgesetz in der Praxis umgesetzt werden soll. Offen blieb auch, ob eine eigene Verwertungsgesellschaft gegründet oder ob  die VG Wort mit der Beitreibung des erhofften Geldsegens betraut werden soll. Theoretisch kommen noch einzelne Verträge mit den Nutzern der Leistung der Verleger in Betracht, die jeder Presseverleger mit jedem Betroffenen abschließt. Wenn eine Verwertungsgesellschaft gegründet werden sollte, kann man spekulieren, wer die Nutznießer sein werden — wohl kaum die kleinen, die am ehesten Hilfe benötigen.

Tatsächlich weiß man bis heute noch nicht einmal, was überhaupt erfasst werden soll. So sprach Dr. Angelika Niebler, parlamentarische Geschäftsführerin der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, von den Googles und Apples dieser Welt. Nun bieten die beiden Unternehmen bislang — soweit bekannt — im Hinblick auf die Presse vollkommen unterschiedliche Leistungen an (wobei Apple  bis vor kurzem von der Presse hochgejubelt wurde  (vgl. z. B.  hier oder hier), bis ihnen auffiel, dass sie sich nur in die Fänge eines Unternehmens begeben hatten, das ihnen keinen Cent schenken will. Vielleicht ist der Geschäftsführerin der EVP-Fraktion auch nicht bekannt, was die genannten Unternehmen für Leistungen anbieten?

Vollkommen unklar bleibt weiterhin, wie die eigentlich dem Urheberrecht zugeordneten Beiträge der Journalisten sich von dem vom Leistungsschutzrecht erfassten Leistungen der Verleger unterscheiden sollen? Dr. Frey warnte davor, dass die Journalisten zu „Gefangenen des neuen Leistungsschutzrechtes“ werden könnten, wenn ihnen die Zweitverwertung ihrer Beiträge erschwert werde. Das würde aber voraussetzen, dass die Leistungen der Journalisten zugleich von dem Leistungsschutzrecht erfasst werden. Allerdings behauptet der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), dass das Urheberrecht der Autoren vom Leistungsschutzrecht für Presseverleger unberührt bleibe. Beide Rechte stünden trennscharf nebeneinander. Wie diese Trennung allerdings mit der anderen  Behauptung des BDZV, nur wer gesetzlich geschützte Werke gewerblich vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich macht, müsse die Zustimmung des Urhebers und des Leistungsschutzberechtigten einholen, zusammenpassen soll, steht in den Sternen. Entweder sind sie getrennt. Dann muss derjenige, der Werke gewerblich vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich macht, nur einen  fragen. Oder sind sind miteinander verbunden.  Dann  droht allerdings die Gefahr, dass die Journalisten beispielsweise etwaige Zweitnutzungsrechte doch nur mit Zustimmung des Leistungsschutzberechtigten nutzen können.

Die Vertreter des Deutschen Journalistenverbandes Rainer Reichert und des BJV Jutta Müller sagten, dass sie im Prinzip nicht gegen ein Leistungsschutzrecht seien, wenn es den Journalisten neue Einnahmen beschere. Nachdem das Leistungsschutzrecht offenbar die besonderen Leistungen der Verleger und nicht die der Journalisten erfassen soll, stellt sich allerdings die Frage nach der Berechtigung dieser Position. Erst Recht stellt sich die Frage nach der Berechtigung dieser Hoffnung, denn auf längere Frist werden Zahlungen auf das Leistungsschutzrecht in dieser oder jener Form werden die Zahlungen auf das Gesamtentgelt der Journalisten angerechnet werden. Nutzen wird es auf lange Frist den Verlegern, wie Prof. Peifer zu Recht feststellte.

So bleibt der Kritikpunkt von Dr. Nolte bestehen: Nachdem das Projekt nun einige Jahre alt ist, können wir  weiterhin nur rätseln und orakeln, was  die Verleger überhaupt konkret wollen (außer mehr Geld, das sie sich dann — nach den Vorstellungen der Journalisten — mit diesen teilen sollen).


Ergänzung [3. Feb. 2011]
Nachdem Apple den Verkauf von Zeitungsinhalten, Büchern, Musik etc. zumindest als zwingende Alternative für das Apple gehörende System fordert (mit hochprozentiger Beteiligung für die Apple-Leistung), sofern eine „App“ für das Gerät iPad genutzt wird, müssen nun in der Vorstellung der Verleger die moralischen Rollen getauscht werden: Google wechselt mit dem neuen System Android 3 in das Lager der Guten, während Apple zum Bösewicht erklärt wird. Natürlich ist das alles nur wegen der bösen, bösen Monopole der anderen (Apple, Google etc.) möglich, was aber selbstverständlich kein Hinderungsgrund ist, selbst lautstark eigene Monopole zu fordern, denn die eigenen sind gerecht und notwendig, die der anderen ungerecht und schädlich.


Ergänzung [23. Feb. 2011]

Angelika Niebler teilte in Ihrem Newsletter zu den Planungen auf EU-Ebene mit:  ,,Ende März [2011] werde die Europäische Kommission das Grünbuch für eine Strategie zum Schutz des geistigen Eigentums im Internet vorlegen, das bewusst keinen Vorschlag für ein europäisches Leistungsschutzrecht enthalten werde. Dafür gebe es zu große strukturelle Probleme. So sei z. B. nicht geklärt, wer das Geld eintreiben soll, wer letztendlich bezahlen muss und ob die Gebühr schon beim Ansehen von Seiten gelten soll.“

Ob es sich lediglich um ein rechtstechnisches Problem handelt, wie die Förderung der Presseverleger konkret gestaltet werden soll, blieb aber offen.

Geistiges Eigentum v. Intellectual Property

Google Books bietet mit seinen statistischen Möglichkeiten und dem Ngram Viewer interessante Einblicke, wie oft Begriffe über einen längeren Zeitrum in den Büchern verwendet wurden. Für diese quantitativen Untersuchungen wurde von einigen Wissenschaftlern bereits ein Begriff erfunden: Culturomics.

Geistiges Eigentum

Nimmt man die Begriffe Geistiges Eigentum und das englische Pendant Intellectual Property, sind die Abweichungen der jeweiligen Entwicklungen immens. Dabei zeigen sich sehr interessante Unterschiede wie auch Parallelen.

In der Zeit von 1800 bis 2008 erlebte der Begriff geistiges Eigentum erst vor kurzem seinen neuen Höhepunkt. Der erste war um 1900 (1905), also just nach Inkrafttreten des BGB. Zwar wurden in die Zeit zwischen 1870/71 und 1900  auch die Gesetze über das Urheberrecht, das Patentrecht, den Musterschutz und das Markenrecht erlassen bzw. erneuert, jedoch fehlen im BGB praktisch sämtliche Bestimmungen zum den genannten Rechtsgebieten.

Geistiges Eigentum in Google Books 1800--2008

In der Rechtswissenschaft war es um 1880, als der Begriff zu seinem ersten Höhenflug in den Büchern ansetzte, weitgehend ausgemachte Sache, dass man den Begriff geistiges Eigentum als fachlich irreführend nicht nutzen sollte (auch wenn man sich über die Alternative nicht im Klaren war).

Allerdings wurde der Begriff geistiges Eigentum in Deutschland nicht ausschließlich im rechtlichen Sinne genutzt, sondern auch in der Bildung: Die Schüler sollten nicht nur das Wissen aufnehmen, sondern auch anwenden können. Erst dann sei das Wissen das „geistige Eigentum“ des Schülers oder Studenten geworden. Wer historische Konnotationen nicht beachtet, kann zu verzerrten Ergebnissen kommen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kristallisierte sich die Umschreibung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht als Zusammenfassung für die Rechtsgebiete  heraus.  In der Folgezeit ließ die Verwendung des Begriffs geistiges Eigentum nach, um erneut nach dem zweiten Weltkrieg — möglicherweise im Zusammenhang mit der Lobbyarbeit für die Neugestalung des Urhebergesetzes (1965) — einen neuen Aufschwung zu erleben. Der Höhepunkt war 1955. Ab Inkrafttreten des neuen Urhebergesetzes ließ die Nutzung wieder nach und stieg erst an, als auch der englische Begriff immer häufiger genutzt wurde.

So muss man bei diesen Statistiken vorsichtig sein: Wenn man den Begriff GRUR, die Abkürzung für „Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht“ (rote Linie in der folgenden Abbildung) dem geistigen Eigentum entgegensetzt, so scheint dieser Begriff die Diskussion vollständig zu beherrschen. Tatsächlich wird hier nur deutlich, dass die Verwendung des Begriffs GRUR stark zugenommen hat. Über das Verhältnis zum anderen Begriff geistiges Eigentum besagt die Statistik deshalb wenig, weil es eine Zeitschrift gibt, die sich GRUR nennt. Je öfter diese Zeitschrift zitiert wurde, desto höher ist deshalb auch der Wert in der Grafik. Allerdings lässt sich durchaus eine Korrelation mit dem Begriff geistiges Eigentum erkennen, also der Anstieg um 1950 (der allerdings auch mit dem Kartellrecht in Verbindung gebracht werden kann, denn zum 1.1. 1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft), sowie die erneute, ununterbrochene Zunahmen seit 1980.

GRUR in Google Books 1900--2008

Welche Aussagekraft solche Untersuchungen haben, steht auf einem anderen Blatt. Wer von dem aktuellen Verständnis eines Begriffs ausgeht, wird im Ergebnis nur die sehr begrenzte Erkenntnis über die Nutzung des Worts erzielen.  Die Kultur lässt sich mit einer rein quantitativen Methode kaum erfassen.

Andere, ganz erhebliche Ungenauigkeiten ergeben sich auch aus den Fehlern bei der Texterkennung. So wird beispielsweise eine auffällige Häufigkeit des Begriffs Immaterialgut angezeigt, die jedoch oft auf einer Verwechslung mit Immaterialität beruht.

Intellectual Property

Intellectual Property in Google Books 1800--2008

Der Begriff Intellectual Property begann erst um 1980 buchfähig zu werden. Während der Begriff bis 1900 praktisch kaum erschien und um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert nur kurzzeitig genutzt wurde, stieg die Zahl ab 1980 gewaltig an. Dabei muss man sich den Maßstab der beiden Grafiken vor Augen halten: In der deutschsprachigen Literatur endet die Skala bei 0,0006 Promille  (0,00006 %), in der englischsprachigen Literatur bei 0,004 Promille (0,0004%).

Trittbrettfahrer und Freerider

Interessant scheint auch die in Deutschland noch immer vorhandene Steigerung des Begriffs Trittbrettfahrer, der inzwischen im Englischen seinen Höhepunkt überwunden zu haben scheint.

Trittbrettfahrer in Google Books 1950--2008

Dieser Begriff Trittbrettfahrer wird oft zur Begründung von Monopolpositionen wie sie das geistige Eigentum schaffen kann benutzt und dient nicht nur den Presseverlegern bei ihrem unverhohlen geäußerten Wunsch nach mehr Geld bei der Überzeugungsarbeit.

Freerider in Google Books 1950--2008

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger begründet den von ihm vorgetragenen Wunsch nach einem Leistungsschutzrecht mit einer zirkulären Argumentation: „durch die Nicht-Verfolgbarkeit der Rechtsverletzungen entgehe ihnen bares Geld„. Gemeint sind die deutschen  Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, die keine eigenen Rechte haben (sondern nur die von den Urhebern abgeleiteten) und folglich auch keinen eigenen Rechtsverletzungen, die sie verfolgen könnten, zu beklagen haben.

Dabei lenken die Verlage von der Tatsache ab, dass sie auf einem bereits weitgehend gesättigten Markt tätig sind. Ihre besondere Leistung, mit der sie sich geltend machen wollen, wird  von den Kunden offenbar als nahezu wertlos eingeschätzt (andernfalls würden die Kunden ja etwas dafür bezahlen). Modelle, bei denen die die Nutzer etwas für die Leistung der Verleger bezahlen, sind im Internet ja kein Unding. Ein Unding ist in einer freien Marktwirtschaft eher die Vorstellung der Verleger, dass ihre von den Kunden als wertlos eingeschätzte Leistung vom Staat durch die Hintertür versilbert wird.


Ergänzung [9. 1. 2010]:  Vgl. hierzu auch:

Reformation der Handwerksinnungen

Auszug aus Die Geschichte des Kurfürsten August von Sachsen in volkswirtschaftlicher Beziehung (1868) von Johannes Falke, der seit 1864 Archivar am Hauptstaatsarchiv in Dresden war.


Während der Regierung dieses Kurfürsten [August von Sachsen] hatte sich eine allgemeine Preissteigerung für die Producte der Land- und Forstwirthschaft sowohl wie des Bergbaus festgestellt, welche zur Folge hatte, dass auch die Handwerker ihre Erzeugnisse im Preise zu heben suchten. Als nach Ueberwindung der grossen Theurung zu Ende des sechsten und in den ersten Jahren des siebenten Jahrzehnts ein Abschlag der Getreidepreise eintrat, so dass dasselbe nach dem allgemeinen Zeugniss im Jahre 1578, »einige Jahre seither in gelindem und ziemlichem Preis« gestanden, erschienen die Preise in allen übrigen Zweigen der Volkswirthschaft, da sie nicht von der eingenommenen Höhe weichen wollten, in einem auffallenden Misverhältniss zu jenen. Mit dem Volk hatte auch die Regierung die Ueberzeugung, dass nach den Getreidepreisen sich auch alle übrigen richten und mit ihnen eben so schnell steigen wie fallen müssten, und schrieb deshalb das Stehenbleiben der gesteigerten Preise in den Handwerken bei fallendem Getreidepreis allein dem Eigennutz und der Habsucht der Producenten zu. Um diese Verhältnisse gründlich zu erforschen und die allgemeinen Preisverhältnisse mit denen des Getreides wieder in Uebereinstimmung zu bringen, beauftragte im Sommer 1578 der Kurfürst seine Räthe, von den Innungen zu Dresden schriftlichen Bericht über die Preisverhältnisse und deren Ursachen in jedem Handwerk besonders zu erfordern und dann solche Berichte zu einem Gesammtbericht zusammenzustellen.

Lucas Cranach: Kurfürst August v. Sachsen
August von Sachsen (Lucas Cranach d. J., um 1550, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden)

Alle stimmten darin überein, dass das Getreide seither in billigem und erträglichem Preise stehe, dass aber alle übrigen Producte, insbesondre alle Arbeitsstoffe der Handwerke um das Doppelte, manche um das Dreifache seit 20–30 Jahren gestiegen seien. Dagegen wollte fast keine Innung die Preissteigerung ihrer Arbeitsergebnisse zugestehen, manche vielmehr einen Preisabschlag derselben gegen früher behaupten. Das Tuchmacherwerk berichtete, früher habe man den Stein Landwolle für 36 gr., 3 fl. oder 2 Thlr. gekauft, jetzt zahle man 1 ? 4 gr. bis 3 Thlr., und dabei wolle jeder Verkäufer sogleich bar bezahlt sein, den Stein Schmeer früher für 1 Thlr. oder 30 gr., jetzt 56–60 gr., den Kübel Weid früher für 10–12 fl., jetzt 25–28 fl., den Centner Gallnüsse früher für 12–15 fl., jetzt 26–32 f., den Centner Röthe früher für 4 fl., jetzt 81/2 fl.; auch Alaun und Weinstein, Schmalz, Honig, Weidasche, so wie alle zu Markt kommenden Waaren seien jetzt fast noch einmal so theuer wie früher, so dass von den 22 Handwerksmeistern 11 die Arbeit ganz hätten einstellen müssen.

Die Fleischhauer klagten, dass sie in Polen, Pommern, Schlesien, Böhmen und Lausitz, woher sie ihr Schlachtvieh holten, seit 30 Jahren mit unerhörten Zöllen beschwert seien; von einem Ochsen müssten sie in Oppeln 5 gr. und darnach in allen Städten und Dörfern bis eine Meile vor Dresden 4, 3 und 1 pf. zahlen, und in ähnlicher Weise von Schöpsen und Schafen. Vor 20 Jahren kostete ein Paar der besten Ochsen 16–18 fl., jetzt 32–40 fl., Kälber jetzt die geringsten 1 fl., ein dippoldiswaldisches Kalb aber 2-2-1/2 Thlr.; dennoch müssten sie jedes Kalbfleisch das Pfd. um 5 pf. geben und hätten auf ihre oft wiederholte Bitte, das Pfd. des bessern um 1 pf. theurer verkaufen zu dürfen, noch nie eine Antwort bekommen. Früher hätten ein Paar Schöpse zu Schwiebus und Grossglogau 1 fl. gekostet, jetzt kosteten sie über 2 Thlr. ohne die Zölle, ein Paar Schafe früher 12–18 gr., jetzt 26–30 gr., Lämmer früher 10–12 gr., jetzt 18–24 gr. Auch klagten sie, dass die Fremden und Landschlächter im Herbst, wenn das Vieh billiger sei, den Markt zu Dresden mit Fleisch überführten, um Johannis bei Theuerung der Viehpreise aber ihnen allein die Versorgung der Stadt überliessen. Dabei fehle es in Dresden an einer Viehweise, so dass, wenn sie nur 100 Ochsen in Vorrath komme liessen, jeder derselben in wenigen Wochen um 3–4 fl. schlechter geworden sei, während die Schlächter zu Leipzig für mehr als 1000 Ochsen vom Rath Weise hätten. In allen umliegenden Städten gäbe man das Rindfleisch das Pfd. für 9 pf., während sie nur 8 pf. nehmen dürften, und desshalb bei allen Ochsenhändlern in Spott und Verachtung gerathen seien.

Ochsenzubereitung bei der Krönung von Maximillian II. (1562)
Ochsenbraten bei der Krönung von Maximillian II.

Die Schuster meinten, früher habe Ochsenleder 1-1/2 Thlr. gekostet, jetzt koste es 3 Thlr., Kuhleder früher 30 gr., jetzt 60 gr., ein Kalbfell früher 4–5 gr., jetzt 18 gr., ein Stein Hanf früher 20 gr., jetzt zwei alte ?. (40 gr.); in demselben Masse sei alles Uebrige, was sie zum Handwerk brauchten, im Preise gestiegen, weil die Gerber von Bautzen, Görlitz, Zittau alle Felle und Leder rings um Dresden aufkauften und in die Sechsstädte und nach Schlesien führten. Ebenso klagten die Lohgerber über den Vorkauf und Wucher im Handel mit Fellen und Leder, die Bäcker über die Platz- und Kuchenbäcker, welche letzteren an allen Thoren und Thüren und auf allen Plätzen zu Dresden sitzen dürften, über die Böhmen und die Bäcker von Siebenlehn, die ungestört Brod hereinbrächten und Korn aufkauften; während kein andere Handwerk Störer leide, habe das Bäckerhandwerk zu Dresden am meisten davon zu leiden. Die Büttner und Tischler klagten über die Theurung des Holzes; früher habe eine Eiche in der dresdnerischen Heide 15 gr. gekostet, jetzt koste sie 2 Thlr., die Fuhre von daher früher 5 gr., jetzt 1 Thlr., ein Schock Fassholz an der Elbe früher 6 gr., jetzt 15–16 gr., eine Tanne früher 8, jetzt 18 gr., ein Stein Leim früher 15–18 gr., jetzt 2 fl. 6 gr.

Leipziger Jungfrau Jost Amman
Leipziger Jungfrau von Jost Amman aus: Im Frauenzimmer wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen und Trachten etc. (1586)

Die Schneider meinten, dass, während die Arbeit an einem Kleide wegen vermehrter Stickerei schwerer und langwieriger geworden sei, sie doch schlechter bezahlt werden als früher, denn sie erhielten auch jetzt für ein solche Kleid nur 1 Thlr. bis 30 gr.; auch sei der Hauszins von 6–7 fl. auf 15–18 fl. gestiegen. — Die Hutmacher klagten über die Steigerung der Wolle von 1-1/2 fl. auf 3 Thlr., der Karden, des Leims, des Hauszinses von 5–6 fl. auf 10–12 fl.; vor 16 Jahren habe ein Geselle in der Woche 6 braunschweigsche Hüte gemacht, deren jeder für 12–14 gr. verkauft wurde, jetzt mache er zwei aus der besten Wolle und gelte jeder nur 1 fl. oder 1 Thlr., doch dem Bauersmann müssten sie die Hut immer noch um den alten Preis geben. — Die Weissgerber, Sattler, Beutler, Buchbinder klagten über die Steigerung der Felle und des Leders; das Hundert weisser Leder sei von 10 fl. auf 21 fl. gestiegen, Schaffelle von 20 auf 28 fl., Kalbfelle von 20 auf 35 Thlr., Bocksleder von 35 auf 50–55 Thlr., Schweinsleder das Buschel von 30 gr. auf 3 Thlr. — Auch werden, meinten die Buchbinder, ein Buch zu binden nicht mehr bezahlt als früher, und sei jetzt nichts unwerther und verächtlicher als die Bücher und der Handel mit denselben durch Hausirer verdorben. — Die Huf-, Messer- und Nagelschmiede, die Schwertfeger, Sporer, Büchsen- und Uhrmacher klagten über die Steigerung eines Steins Eisen von 5 und 5-1/2 gr. auf 8 gr. 8 pf., eines Pfundes Stahl von 8 pf. auf 18–20 pf., eines Kübels Holzkohlen von 8 pf. auf 3 gr., der Tonne Steinkohlen von 1-1/2 gr. auf 3-1/2 gr., eines Schragens (3 Klafter) Holz von 2 Thlr. auf 6 fl. Den Kupferschmieden war der Ctn. Kupfer von 10 auf 15 fl. gesteigert, den Fischern ein Paar Wasserstiefeln von 1 auf 3 fl., ein Kahn von 1-1/2 Thlr auf 4 Thlr., den Maurern dagegen der Wochenlohn von 30 gr. auf 18 gr. gesunken.

Saxonia Superioris Lusatiae
Schlesien, die Lausitzen und Sachsen im 17. Jahrhundert, Karte von Gerhard Mercator und Henricus Hondius

Der Kurfürst kam bald zu der Ueberzeugung, dass auf Grundlage dieser Berichte keine neue Ordnung zu machen sei, und befahl desshalb am 12. Septbr. 1578, durch die Innungsmeister aus jedem Handwerk zwei Meister wählen zu lassen, die bei Eid und Pflicht eine Satzung machen sollten, wie jede Arbeit zu geben und zu verlohnen sei. Am 18. Septbr. mussten sämmtliche Handwerksmeister schwören, dass die aller Steigerung der Waaren in ihrem Handwerk vorkommen, alle Arbeit zu billigem Preis geben und, so oft sie erfordert würden. mit Rath und That zur Aufrichtung guter Ordnung helfen und die übertheuerten Waaren nach billigem Werth schätzen wollten. Zugleich mussten die Innungen für alle ihre Arbeitserzeugnisse Taxen aufsetzen, welche aber sämmtlich vom Kurfürsten als zu hoch gegriffen verworfen wurden, worauf er dann am 9. Octob. 1578 an den Rath von Dresden ein Rescript folgenden Inhalts erliess: Obwohl die Materia, welche die Handwerker gebrauchen, etwas mehr als vor Alters gestiegen sei, sei es doch nicht so hoch, dass sie eine solche übermässige Steigerung zu machen Ursache hätten, auch sei das Getreide eine gute Zeit her in ziemlichem Kauf gewesen. Sie sollten desshalb forthin alle Artikel über Ordnung und gute Zucht einhalten, die unvermögenden Lehrjungen ohne Lehrgeld gelehrt werden, doch dafür etwa länger dienen, und keine Morgensprachen ohne Beisein eines vom Rathe mehr gehalten werden. Weil aber eine gewisse Taxe aller Arbeit eigentlich nicht angestellt werden könne und die übergebenen alle zu hoch seien, so sollte dieselbe in der Geschwornen Pflicht gestellt werden. Darauf folgten Antworten und Verordnungen auf die Beschwerden der einzelnen Zünfte, z. B. Schreiben an die Räthe von Leipzig und Naumburg wegen Abstellung des Betrugs im Pelzhandel, an eine Anzahl Nachbarstädte wegen Gleichstellung ihrer Fleischtaxe mit der zu Dresden. Die Handwerker, welche bestellte Arbeiten in der versprochenen Zeit nicht fertigten, sollten gestraft, die Strafe der Bäcker, nach welcher sie für jedes am Bridgewicht fehlende Loth 5 gr. zu zahlen hatten, geschärft, und auch die Kornhändler, welche den armen Bäckern Korn und Weizen auf Borg theuer aufhängen würden, gestraft werden. Die Schuster, Gerber, Tuchmacher, Kürschner, Leinweber und andre wurden getadelt, weil die die Waaren theurer gäben, als von Alters, die Maurer und Ziegeldecker, weil sie sich mit dem geordneten Lohn nicht begnügten und für einen Lehrjungen so viel Lohn ansetzten wie für einen Gesellschen. Alle vierzehn Tage sollte eine Schau der Schuhe und Stiefeln, der gegerbten Leder, Tuche, Felle, Leinwand u. a. Waaren gehalten und wenn die Mängel nicht abgeschafft würden, durch unverdächtige Personen eine Probe des Handwerks angestellt und darnach der Steigerung gesteuert werden. Eine solche Handwerksprobe wurde auch wirklich zu Anfang des folgenden Jahres gegen die Schuhmacher ausgeführt. Die beiden zu Hof geschworenen Schuhmachermeister mussten nehmlich eine Rindshaut, zwei Kuhleder, Kalbs- und Schaffelle mit allem Zubehör kaufen und dieselben in Gegenwart von zwei Rathsherren und drei anderen Meistern des Handwerks zu Manns-, Frauen-, Knaben- und Mädchenschuhen, zusammen 26 Paar, zerschneiden und diese Schuhe durch fünf Schuhknechte gegen einen Tagelohn von 8 pf. für jeden und entsprechender Kost fertigen lassen. So kamen die Schuhe zusammen auf 10 fl. 20 gr., nach Abzug des übrig gebliebenen Materials auf 10 fl. 3 pf., im Durchschnitt aber jedes Paar Schuhe auf 8 gr. 4 pf. 1-3/13 h. Als nun aber auf Befehl des Raths die geschworenen und ältesten Meister des Handwerks, ohne die Rechnung de beiden Meister zu kennen, die Schuhe bei Eid und Pflicht schätzen sollten, taxierten die die 26 Paar Schuhe zusammen auf 7 fl. 14 gr. 3 pf., als ein Paar Mannsschuhe zu 7 gr. bis 7 gr. 6 pf., ein Paar Frauenschuhe zu 5 gr. bis 5 gr. 6 pf., ein Paar Knabenschuhe 5 gr. bis 5 gr. 6 pf. und das Paar Mägdeschuhe zu 3 gr. 3 pr., demnach hatte man, so wurde geschlossen, 2 fl. 14 gr. 9 pf. mehr auf die Schuhe verwandt, als sie werth waren. Und noch dazu waren diese Schuhe nach der von der Innung aufgestellten, vom Kurfürsten verworfenen Taxe geschätzt, ein Beweis also, dass, da jene Arbeitern nach allgemeinem Brauche verlohnt und verköstigt wurden und eben so viel arbeiten mussten wie andre, eine Preissteigerung innerhalb dieses Handwerks durchaus gerechtfertigt war.


Aus Johannes Falke: Die Geschichte des Kurfürsten August von Sachsen in volkswirthschaftlicher Beziehung, Lepzig: 1868.

Die Preisfrage ist nun: Wer hat in diesem verwirrenden Zahlenspiel verloren?

Gustav von Schmoller hat dies 1896 bündig beantwortet: „Die komplizierte Wochenmarkts- und Vorkaufsgesetzgebung ist in Summa nichts als ein raffiniertes System, Angebot und Nachfrage zwischen kaufendem Städter und verkaufendem Landmann so zu gestalten, daß der erstere in möglichst günstiger, der letztere in möglichst ungünstiger Position beim Konkurrenzlaufe sich befinde.“

Elf Worte, Schnipsel und das Leistungsschutzrecht der Presse

Der EuGH zeigte sich bekanntlich bei der Auslegung der Richtlinien der Europäischen Union zum Schutz des geistigen Eigentum gnädig: »Wörter als solche stellen keine vom Schutz erfassten Bestandteile dar.« Das exklusive Recht steht in der Theorie und auf dem Papier ja den Urhebern oder — bei einer Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers — deren Enkel zu (in der Wirklichkeit den Rechteverwertern). Die europäischen Bürger sind dem EuGH für das Urteil wohl auch (un-)ausgesprochen dankbar. Schließlich hat der EuGH geurteilt, dass wir all die neumodischen Wortkreationen wie Transistor, Relativitätstheorie, E-Mail oder telefonieren bereits jetzt benutzen können, ohne den jeweiligen Urheber um Erlaubnis zu fragen. Die Kommunikation wäre doch erheblich erschwert, wenn man nur den Wortschatz aus der Zeit vor 1900 frei benutzen dürfte. Auch die Abfassung des Urteils (Text hier) wäre vermutlich schwerer gefallen, weil der EuGH dann die Worte Datenbank, Scanner, TIFF-Format oder Optical Character Recognition nicht benutzen dürfte, ohne die kreativen Urheber dieser Wortschöpfungen (oder Erwerber des geistigen Eigentums) um Erlaubnis zu fragen. Einzelne Wörter sollen offenbar nicht unter das Urheberrecht fallen, obwohl manche Wortschöpfungen durchaus geeignet sein können, den schöpferischen Geist in origineller Weise zum Ausdruck zu bringen und nach dem Verständnis des EuGH eine geistige Schöpfung darstellen können (die dann zum Exklusivrecht führt).

Aber so ganz sicher war sich der EuGH offenbar nicht, denn sonst hätte er es ja nicht in das Urteil geschrieben und dieser Feststellung die ganze Randnummer 46 gewidmet. Wir haben es insoweit mit kreativer Tätigkeit zu tun und das Hauptziel der Regelungen zum Urheberrecht besteht bekanntlich darin, ein hohes Schutzniveau unter anderem zugunsten der Urheber sicherzustellen und diesen eine angemessene Vergütung für die Nutzung einschließlich der Vervielfältigung ihrer Werke zu ermöglichen, damit sie weiterhin schöpferisch und kreativ tätig sein können. Und wie jeder weiß, stellt das Urheberrecht heutzutage ja sicher, dass die Urheber angemessen entlohnt werden (zumindest für ihre Tätigkeit als Musiklehrer, Taxifahrer oder Professorin).

Da aber das Schutzniveau hoch zu sein hat, so der EuGH, könne nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Sätze oder sogar Satzteile urheberrechtlich geschützt sind. Solche Splitter eines Textes könnten dazu geeignet sein, dem Leser die Originalität einer Publikation wie etwa eines Zeitungsartikels zu vermitteln, indem sie ihm einen Bestandteil mitteilen, der als solcher Ausdruck der eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers dieses Artikels ist. Bei dieser verqueren ,,Schutz hier, Schutz da, Schutz dort“-Logik ist zu beachten: Nur das Schutzniveau muss hoch sein, nicht das Niveau des Geschützten.

Man muss sich nun genau überlegen, ob man noch »Wir sind Papst« verwendet, oder doch lieber »Unsereiner ist Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche« schreibt. Aber dafür ist es jetzt, nach dem Lesen, schon zu spät, denn diese originelle Schöpfung gehört nun dem Verfasser (und seinen Erben bis ins dritte Glied).

Nach dem EuGH kann jedenfalls ein Ausdruck eines Auszugs aus einem geschützten Werk, der aus elf aufeinander folgenden Wörtern des Werkes besteht, bereits urheberrechtlich geschützt sein. Die Rechtsinhaber haben damit nach dem (im Urteil nicht zitierten) Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 das ausschließliche Recht, die Verbreitung in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten. Man müsste also vorher eine Genehmigung einholen, es sei denn, die Nutzung des Schnipsel ist durch das Zitatrecht gedeckt. Kann geschützt sein bedeutet in diesem Fall, dass man sich im Zweifel darüber vor Gericht über mehrere Instanzen trefflich streiten kann.

Eine besondere Gefahr sah der EuGH darin, dass die Nutzer nichts besseres zu tun haben, als sich aus einzelnen Schnipseln von jeweils elf Worten eine längere Textpassage zusamenzureimen, die dann Originalität des betreffenden Werkes widerspiegeln kann. Diese Schnipsel-Rätselei könne dazu führen, dass eine geistige Schöpfung des Urhebers zum Ausdruck gebracht werde (es geht, wie gesagt, um Zeitungsartikel), was ja, wie gesehen, ohne Zustimmung des Rechtsinhabers nicht erlaubt ist. Das Recht gebietet es also, dass keinem Leser ohne Erlaubnis des Rechtsinhabers die Originalität einer Publikation wie etwa eines Zeitungsartikels durch Schnipsel aus dem Text vermittelt wird.

Verleger wollen dort ernten, wo andere gesät haben

Nun mag man sich fragen, wieso die deutsche Presse sich so für ein eigenes Leistungsschutzrecht stark macht, wenn bereits das Kopieren solcher kurzer Auszüge aus Texten verboten sein kann. Das Problem liegt darin, dass der EuGH mit seiner originellen Schnipsel-Logik immer noch eine gewisses Maß an Originalität (des Schnipsels) fordert. Mag diese Hürde inzwischen auch auf das Niveau Unterkante Bordstein (wo der Unrat in die Kanalisation gespült wird) gesunken sein, Sätze wie Oderhochwasser steigt weiter, Siemensaktie sinkt auf Jahrestief oder BND-Agenten-Affäre weitet sich aus überspringen selbst diese niedrige Messlatte nicht. Deutlich wird der Unterschied bei den Leistungsschutzrechten der Tonträgerhersteller. Von dem Leistungsschutzrecht werden die kleinsten Partikel erfasst, was bei den Schnipseln aus den genannten Gründen nicht feststeht und einzelne Worte, was man nochmals betonen muss, nach dem EuGH noch kein Verbotsrecht begründen.

Zauberformel Leistungsschutzrecht?

Dass diese Schnipsel nicht geschützt wurden, war lange Zeit nicht tragisch, denn damit konnte man kein Geld verdienen. Zwischen den Suchmaschinen und den von der Suchmaschine gefundenen Websites liegt eher ein symbiotisches Verhältnis vor. Zunächst waren die Produzenten (Verleger) froh, wenn ihnen jemand die Kundschaft (Leser) besorgte — die Angestellten in der Werbebranche und den Marketingabteilungen leben davon. Als im Internet die Suchmaschinen diese Tätigkeit (Kunden und Anbieter zusammenzubringen) unentgeltlich übernommen haben, wurden Millionen in SEO investiert — in die Optimierung der eigenen Website, damit sie in den Suchmaschinen möglichst gut gefunden wird. Zu dieser Zeit wurden seitens der Presse — wenig erstaunlich — keine Rufe laut, die Presse würde unentgeltlich von den Leistungen der Suchmaschinenbetreiber profitieren. Jetzt verdienen die Suchmaschinenbetreiber auf andere Art Geld und da wächst die Begehrlichkeit. Die Begründung, mit der man entsprechende Rechte durchsetzen kann, ist bekannt: Die Unternehmer müssten es derzeit hinnehmen, dass Dritte ihre Wertschöpfung unentgeltlich zur eigenen Gewinnzerzielung ausnutzen. Anders gesagt: Mit der nämlichen Argumentation, mit der der Bundesverband der Zeitungsverleger ein Leistungsschutzrecht fordert, könnten auch Suchmaschinenbetreiber ein Leistungsschutzrecht fordern, denn die Verleger profitieren auch von den Suchmaschinen. Die beiden Verlegerverbände behaupten, sie würden ein Verbotsrecht benötigen, aber sie wollen das Tun der Suchmaschinenbetreiber (etc.) gar nicht verbieten, sondern sich — ganz im Gegenteil — möglichst prominent unter den am häufigsten angezeigten Links befinden. Widersprüchlicher geht es kaum.

Worum es nun bei dem Leistungsschutzrecht geht, liegt auf der Hand. Solange kein Geld mit den Links verdient wurde, gab es auch kein Interesse an dem Recht. Die Forderung gründet also in dem Wunsch, dort zu ernten, wo man nicht gesät hat. Das macht jeder gern, weil der andere arbeitet, während man selbst kassiert. ,,Natürlicherweise“, wie etwa Fichte feststellte, ,,will jeder an dem anderen gewinnen, soviel als möglich, und den anderen an sich gewinnen lassen, sowenig als möglich; jeder will den anderen soviel als möglich für sich arbeiten lassen, und dagegen sowenig als möglich für ihn arbeiten.“

Viel mehr gibt es hierzu nicht zu sagen, außer vielleicht: Manche Tätigkeiten werden vom Markt nicht bezahlt. Wenn diese Leistung unter Marktbedingungen überhaupt nicht erbracht wird, muss man sich Gedanken machen, ob diese Leistung notwendig ist und ob sie auf andere Art zu finanzieren ist. Die Verleger engagieren sich jedoch scheinbar auf einem bereits weitgehend gesättigten Markt. Ihre besondere Leistung, mit der sie sich geltend machen wollen, wird jedenfalls von den Kunden offenbar als wertlos eingeschätzt (andernfalls würden die Kunden ja etwas dafür bezahlen). Modelle, bei denen die die Nutzer etwas für die Leistung der Verleger bezahlen, sind im Internet kein Unding. Ein Unding ist in einer freien Marktwirtschaft eher die Vorstellung der Verleger, dass ihre von den Kunden als wertlos eingeschätzte Leistung vom Staat durch die Hintertür versilbert wird.

Ein weiterer Aspekt ist die bestehende Aufsplitterung der Interessen der Leser, die sich in dem Medium Zeitung nicht spiegelt.  In der klassischen Zeitung findet man Politik, Sport, Kultur, Wirtschaft oder etwa Regionales. Die meisten Leser interessieren sich nur für einen Teil der in einem Medium vereinigten Themen. Das Internet erlaubt eine Spezialisierung, die es der alten Methode, viele Interessen unter einem Dach zu vereinigen, schwer macht. Durch das Internet sind die Möglichkeiten der Leser, ihre eigene Bewertung durch  Annahme oder Ablehnung des jeweiligen Angebots zum Ausdruck zu bringen, größer geworden. Die Leser haben an Macht hinzugewonnen. Erst dies erlaubt einen Wettbewerb, der nach unterschiedlichen Kriterien unterscheiden kann. Man kann auf Masse achten, man kann auf hochwertige Beiträge setzten,  man kann aber nicht einfach die Zeitung ins Netz stellen.

Für die meisten (ehemaligen) Universalanbieter bedeutet dies, dass sie in jedem Bereich ihres Angebots wettbewerbsfähige Leistungen anbieten müssen. Wenn sie das nicht tun, entscheiden sich die Leser durch Nichtbeachtung gegen das Angebot. Das bedeutet aber keinesfalls, dass damit diese Leistung aus Sicht der Konsumenten entfällt — sie wird nur von jemand anderen besser angeboten. Erst dies bietet die Möglichkeit, sich (auch) durch Qualität geltend zu machen. Dieser Wandel (den manche Verleger alter Schule anscheinend noch nicht nachvollzogen haben) führt dazu, dass breite, eine Vielzahl von Interessen abdeckende Angebote nur bestehen können, wenn sie in allen Bereichen auch die entsprechende Leistung erbringen. Große und thematisch weit greifende Angebote aus der Hand einzelner Pressemogulen haben es ohne entsprechende journalistische Leistung schwerer, während die Chancen der spezialisierten Angebote gestiegen sind. Presse(-industrie-)betriebe bekommen infolge des Wettbewerbs Schwierigkeiten, wollen aber diese ehemalige Position nicht aufgeben und hoffen nun auf das Leistungsschutzrecht.

Unsere Regierung wird dem Begehren der Verleger nach mehr Geld — natürlich für den guten Zweck (Demokratie, Qualitätsjournalismus) — wahrscheinlich nachgeben: Einen weiterer Rückschritt in eine Zukunft, in der sich wie in guten alten absolutistischen Zeiten die einflussreichen Königstreuen ihre Privilegien sichern. Die Demokratie schützt man wohl kaum, indem man einer Handvoll Konzernen, die 80 % der Zeitungslandschaft beherrschen, mehr Geld verschafft. Was Demokratie mit der Verteilung der Gewinne zwischen Google und Co. und den Pressekonzernen zu tun haben soll, das steht sowieso in den Sternen.

Das Schutzrecht verdrängt Qualitätsjournalismus

Und Qualitätsjournalismus beruht wohl im wesentlichen auf guten Journalisten, die die Verlage durch gute Bezahlung gewinnen können. Das hat aber alles nichts mit dem Leistungsschutzrecht zu tun, denn das unterscheidet nicht zwischen

  1. kaum geändert weitergegebenen Pressemitteilungen;
  2. den neusten Fußballergebnissen und
  3. Berichten welches Sternchen mit wem und wo und wie gekleidet gesehen wurde, obwohl sie doch vor drei Wochen mit dem (Sie wissen’s schon) geturtelt haben soll.

Der Qualitätsjournalismus dieser Qualität würde wahrscheinlich 99,9 % der Einnahmen der Presseverleger ausmachen, die sich aus dem Leistungsschutzrecht ergeben. Dass man keinen sinnvollen — gestritten wird um’s liebe Geld — wirtschaftlichen Anreize für Qualitätsjournalismus setzt, indem man Masse statt Qualität belohnt, liegt auf der Hand. Der schludrig zusammengeschnipselte Artikel bringt bei dem Leistungsschutzrecht finanziell das gleiche ein wie ein sorgfältiger Beitrag, den ein Autor möglicherweise im Laufe von Wochen ausgearbeitet hat. Im Ergebnis setzt man mit dem Leistungsschutzrecht also Anreize, den Qualitätsjournalismus zu verdrängen, weil bessere Arbeit in der Regel mehr kostet — auf der Einnahmenseite aber das Gleiche einbringt wie ein schnell geschriebener Beitrag.

Das eigentliche Problem

Das eigentliche Problem der Verleger liegt auf einer vollkommen anderen Ebene. Deutlich wird dies, wenn man  das Privatfernsehen mit dem Internet vergleicht. Die über Werbung finanzierten Fernsehsender können die Lieferung von Inhalt und Werbung kontrollieren. Beides liegt in einer Hand und reine Werbesender sind nicht sonderlich erfolgreich.  Im Internet funktioniert das System,  Werbung und Inhalt miteinander zu verknüpfen nur beschränkt. Die Aufspaltung der ehemals  in einem Medium geeinten Kosten- und Einnahmefaktoren wird im Privatfernsehen am deutlichsten. Werbung bringt Einnahmen, der Inhalt verursacht Kosten.

Auch die Zeitungen haben früher zahlreiche Anzeigen geschaltet und so die Einnahmen nicht nur über das Entgelt für die einzelne Zeitung, sondern sogar zum überwiegenden Teil über Werbung finanziert. Im Internet gelten andere Regeln: Nach und nach haben sich einzelne Websites die Rosinen der Zeitungen rausgepickt: Stellenangebote, Bekannschaftsanzeigen, Immobilien oder Mietwohnungen, die Internetwerbung überhaupt, werden im Internet in besonderen Portalen geschaltet, die den Presseverlegern diese Einnahmequellen sogar (zumindest zum Teil) auch im Druckbereich abgenommen haben. Allen voran scheint dies in Deutschland die Scout24-Gruppe zu sein.

Achtung

Da im Internet die Verknüpfung von Inhalt und Werbung in einem Medium eines Anbieters kaum noch funktioniert, ergeben sich die von den Verlegern monierten Probleme aus einer gänzlich anderen Sphäre, als derjenigen, auf die das Leistungsschutzrecht reagieren soll. Die Verleger konnten die Kontrolle über eine ehemals bedeutende Einnahmequelle, die sich aus der früher an Druckexemplare gebundenen Verbindung von Werbung und Inhalt ergab,  nicht erlangen und sind nunmehr in der unangenehmen Situation, in der sich der Großteil der Bevölkerung befindet, die — wenn überhaupt — nur noch mit geringen Gewinnen rechnen können.

Hieraus ergeben sich Umschichtungen in dem Gefüge der Gewinner und Verlierer des Marktsystems. Verleger sind plötzlich auf das Niveau zurückgeworfen worden, auf dem sich bislang vor allem die freiberuflichen Autoren befanden. Sie setzen nun auch einem mächtigen Gegner gegenüber. Die Symbiose von Verleger und Autor führte in der Regel zu folgender Aufteilung: Die Ehre, zur Kenntnis genommen zu werden, kam dem Urheber zu, während der Verleger die Gewinne hatte.

Diese Verschiebungen des Ertrags sind dem marktwirtschaftlichen System eigen, bei dem in der Verwertungskette regelmäßig derjenige sich den Löwenanteil sichert, der die letzte Position in der Verwertungs- oder Wertschöpfungskette innehat, die zugleich noch mit Marktmacht verbunden ist. Das sind nicht die Verleger, denn in der Kette der Vermarktung der Werbung haben sie keine besondere Position.


Ergänzung: [28. Okt. 2010]
Wie der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG am 14. 9. 2010 in der Neuen Züricher Zeitung erklärte, erwägen die deutschen Verlage, ihre (bislang nicht existenten) Online-Rechte für gewerbliche Nutzung von einer Verwertungsgesellschaft wahrnehmen zu lassen, eine Art ,,Online-GEMA„, die Lizenzverträge zwischen der Verwertungsgesellschaft und Unternehmen, die Online-Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften gewerblich nutzen, erzwingen können soll. wie Hans-Peter Siebenhaar im Handelsblatt darlegte.

Verwertungsgesellschaften haben mit ,,Rechten“ im eigentlichen Sinne oder Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun. Sie dürfen eine Art private Sondersteuer für abstrakte Tatbestände erheben, bei denen das zu schaffende ,,Recht“ nur eine Legitimationsfunktion hat und den eigentlichen Tatbestand der Subvention der Rechtsinhaber verdeckt.

Auch die GEZ, die für die öffentlich-rechtlichen Sender die Gelder beitreibt, knüpft nicht an die Nutzung von bestimmten durch das Recht erfasste Inhalte an, sondern an den Besitz eines Empfangsgeräts. Ab 2013 soll dies durch eine ,,Wohnungsabgabe“ ersetzt werden, so dass der Tatbestand, dass man in Deutschland wohnt zum Anknüpfungspunkt wird. Immerhin — Taubblinde werden auf Antrag von der Wohnungsabgabe zugunsten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten befreit.


Ergänzung: [31. Dez. 2010]

Was konkret  Gegenstand des Leistungsschutzrechts sein soll, ist selbst zum Ende 2010 nicht klar.

Mario Sixtus vermutet, dass die Verleger nicht etwa die Texte selbst honoriert haben wollen, sondern das Zusammentragen und online stellen der Texte. Nach dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger soll das Leistungsschutzrecht ,,seiner Natur nach Inhalte (Texte, Textausschnitte etc.) nur in ihrer Eigenschaft als Element des Presseerzeugnisses schützen“, was wohl auf ein  Sonderrecht der Zunft der Hersteller von Presseerzeugnissen hinauslaufen müsste.

Ob das bloße Übernehmen einer Textpassage ohne entsprechenden Link auf den vollständigen Text oder einen anderen Hinweis das entsprechende Unternehmen auch von dem Tatbestand erfasst sein soll, ist nicht erkennbar. Wenn man die von den Presseverlegern als Parallele herangezogenen Leistungsschutzrechte der Tonträgerhersteller betrachtet, können eigentlich nur irgendwelche Wortreihen oder gar einzelne Worte erfasst werden, dies allein, weil sie in einem Presseerzeugnis veröffentlicht wurden (und der eigentliche Text — etwa ein Text aus dem 19. Jahrhundert — bereits seit langem gemeinfrei ist).


Ausschließlichkeitsrechte und Wettbewerb

Rechtssache C–451/03 — Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl gegen Giuseppe Calafiori (Vorabentscheidungsersuchen der Corte d’appello Mailand) zu den Themen „Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Für Unternehmen geltende Wettbewerbsvorschriften – Staatliche Beihilfen – Steuerbeistandszentren – Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen – Ausschließliches Recht – Vergütung dieser Tätigkeiten“

Urteil des Gerichtshofes
vom 30. März 2006

Leitsätze des Urteils

  1. Wettbewerb – öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren – Schaffung einer beherrschenden Stellung. (Artikel 82 EG und 86 Absatz 1 EG)Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG ist als solche noch nicht mit Artikel 82 EG unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht.(vgl. Randnr. 23)
  2. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des GerichtshofesWeist im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tätigkeit mit keinem ihrer Elemente über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinaus, so kann eine Antwort dem vorlegenden Gericht dennoch von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschriebe, dass einem Staatsbürger dieses Mitgliedstaats die Rechte zustehen, die einem Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zuständen. Ein solches Ersuchen ist daher als zulässig anzusehen, da zu prüfen ist, ob die Bestimmungen des Vertrages, um deren Auslegung ersucht wird, der Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung entgegenstehen, soweit diese auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen angewandt würde. (vgl. Randnrn. 28-30)
  3. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr. (Artikel 43 EG und 49 EG)Die Artikel 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen Steuerbeistandszentren (CAF) vorbehält, die in Form von Aktiengesellschaften zu errichten sind, auf der Grundlage einer Genehmigung des Finanzministeriums tätig werden und nur von bestimmten, in einem Decreto legislativo bezeichneten Rechtssubjekten errichtet werden können. Eine solche Regelung schließt nämlich zum einen den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig aus und ist, indem sie die Möglichkeit zur Gründung von CAF bestimmten Rechtssubjekten vorbehält, die strikte Voraussetzungen erfüllen, darunter bei einigen dieser Rechtssubjekte sogar die Voraussetzung, dass sie ihren Sitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben, zum anderen geeignet, die Ausübung des Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Rechts, sich zur Erbringung der fraglichen Dienstleistungen in dem entsprechenden Mitgliedstaat niederzulassen, zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen. (vgl. Randnrn. 7, 33-34, 50, Tenor 1)
  4. Staatliche Beihilfen – Begriff. (Artikel 87 Absatz 1 EG)Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, ist als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren, wenn zum einen die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und wenn zum anderen der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind. (vgl. Randnr. 72, Tenor 2)

Schlussantäge des Generalanwalts D. Ruiz–Jarabo Colomer vom 28. Juni 2005

URTEIL DES GERICHTSHOFES

30. März 2006 (Verfahrenssprache: Italienisch)

„Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Für Unternehmen geltende Wettbewerbsvorschriften – Staatliche Beihilfen – Steuerbeistandszentren – Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen – Ausschließliches Recht – Vergütung dieser Tätigkeiten“

In der Rechtssache C-451/03 betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Corte d’appello Mailand (Italien) mit Entscheidung vom 15. Oktober 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Oktober 2003, in dem Verfahren

Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl
gegen
Giuseppe Calafiori,
unterstützt durch:Pubblico Ministero,

erlässt DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung (…)

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl, vertreten durch F. Capelli und M. Valcada, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und V. Di Bucci als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Juni 2005 folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 4 EG, 10 EG, 82 EG, 86 EG und 98 EG im Bereich Wettbewerb, der Artikel 43 EG, 48 EG und 49 EG in den Bereichen Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr sowie des Artikels 87 EG im Bereich staatliche Beihilfen.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti Srl (im Folgenden: ADC Servizi) und dem Notar Guiseppe Calafiori über dessen Weigerung, den Beschluss der Gesellschafterversammlung von ADC Servizi über eine Änderung ihres Gesellschaftsvertrags im Handelsregister Mailand einzutragen.

Nationaler rechtlicher Rahmen

3 Der nationale rechtliche Rahmen kann, so wie er sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, wie folgt zusammengefasst werden.

4 Nach dem Decreto legislativo Nr. 241 vom 9. Juli 1997, ergänzt durch das Decreto legislativo Nr. 490 vom 28. Dezember 1998 (im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 241/97), sind allein die Centri di Assistenza Fiscale (Steuerbeistandszentren, im Folgenden: CAF) berechtigt, bestimmte Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen auszuüben, darunter die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der jährlichen Einkommensteuererklärung der Arbeitnehmer und der ihnen gleichgestellten Personen.

5 Artikel 34 Absatz 4 des Decreto legislativo Nr. 241/97 überträgt den CAF eine ausschließliche Befugnis zur Abwicklung der mit einem vereinfachten Formblatt (Formblatt 730) vorgenommenen Einkommensteuererklärung, darunter die Überlassung einer Kopie der ausgefüllten Erklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer an den Steuerpflichtigen, die Mitteilung des Ergebnisses der Erklärung an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber, damit ein Ausgleich an der Quelle vorgenommen werden kann, und die Übersendung der Erklärungen an die Finanzverwaltung.

6 Ferner ist den CAF nach Artikel 35 Absatz 2 Buchstabe b des Decreto legislativo Nr. 241/97 die Kontrolle der Übereinstimmung der in der Erklärung angegebenen Daten mit ihren Anlagen vorbehalten.

7 Die CAF sind in Form von Aktiengesellschaften zu errichten, die auf der Grundlage einer Genehmigung des Finanzministeriums tätig werden. Sie können nur von den in den Artikeln 32 und 33 des Decreto legislativo Nr. 241/97 bezeichneten Rechtssubjekten errichtet werden. Dabei handelt es sich u. a. um Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, von diesen beauftragte Gebietsorganisationen mit mindestens 50 000 Mitgliedern, bestimmte steuerabzugsverpflichtete Arbeitgeber mit mindestens 50 000 Beschäftigten und Arbeitnehmervereinigungen, die Fürsorgewerke (istituti di patronato) gegründet haben und mindestens 50 000 Mitglieder zählen. Einige der im Decreto legislativo Nr. 241/97 genannten Rechtssubjekte sind nur dann zur Errichtung von CAF befugt, wenn sie in Italien niedergelassen sind.

8 Weiterhin ist in Artikel 33 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehen, dass die CAF einen oder mehrere Verantwortliche für den Beistand in Steuerfragen benennen, bei denen es sich um in der Liste der Diplomkaufleute oder der der Buchprüfer eingetragene Personen handeln muss.

9 Die fragliche Regelung sieht vor, dass für die den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten eine Vergütung aus dem Staatshaushalt gezahlt wird, die ursprünglich auf 25 000 LIT je ausgefüllter und übermittelter Erklärung festgelegt worden war und später auf rund 14 Euro angehoben wurde.

Ausgangsrechtsstreit

10 Die ADC Servizi, die in Mailand niedergelassen ist, hatte den Beistand und die Beratung in Buchhaltungs- und Verwaltungsfragen zum Zweck.

11 Am 25. Februar 2003 beschloss die außergewöhnliche Gesellschafterversammlung dieser Gesellschaft die Annahme eines neuen Gesellschaftsvertrags, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Gesellschaft auch Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen für Unternehmen, Arbeitnehmer und ihnen gleichgestellte Personen sowie Rentner ausübte.

12 Der protokollführende Notar, Herr Calafiori, weigerte sich, die Eintragung dieses Beschlusses im Handelsregister Mailand zu veranlassen, da er die Änderung des Gesellschaftsvertrags, mit der die Gesellschaft zur Ausübung der genannten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen ermächtigt wurde, als einen Verstoß gegen Artikel 34 des Decreto legislativo Nr. 241/97 ansah.

13 Die ADC Servizi beantragte beim Tribunale Mailand, die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister Mailand anzuordnen. Mit Beschluss vom 15. Mai 2003 wies dieses Gericht die Klage ab.

14 Die ADC Servizi legte gegen diesen Beschluss ein Rechtsmittel bei der Corte d’appello Mailand ein und machte geltend, dass die Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97, indem sie bestimmte Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehielten, gegen den EG-Vertrag verstießen.

15 Die Corte d’appello Mailand ist der Ansicht, dass sich im Hinblick auf die Entscheidung des bei ihr anhängigen Rechtsstreits Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stellten.

16 Sie führt zunächst aus, dass Arbeitnehmer, Rentner und ihnen gleichgestellte Personen dazu gebracht würden, sich an die CAF auch mit Fragen zu wenden, die diesen nach der fraglichen Regelung nicht vorbehalten seien, wodurch der Wettbewerb auf dem entsprechenden Markt verfälscht werde. Folglich stehe dieses System im Widerspruch zu den Artikeln 10 EG, 81 EG, 82 EG und 86 EG.

17 Die Corte d’appello Mailand legt weiter dar, dass der Umstand, dass die Erstellung und die Abgabe von Steuererklärungen bestimmten Rechtssubjekten, die präzise Voraussetzungen erfüllten, vorbehalten seien, nicht nur für den inländischen Wirtschaftsteilnehmer, sondern auch für den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer ein Hindernis für die Ausübung seiner Tätigkeit darstelle, das eine nach den Artikeln 43 EG, 48 EG und 49 EG verbotene Beschränkung darstellen könne.

18 Schließlich werde die in Randnummer 9 dieses Urteils genannte Vergütung, die ausschließlich zugunsten der CAF vorgesehen und aus dem Staatshaushalt zu zahlen sei, möglicherweise vom Verbot der Artikel 87 EG und 88 EG erfasst.

Vorlagefragen

19 Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat die Corte d’appello Mailand beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Sind die Artikel 4 EG, 10 EG, 82 EG, 86 EG und 98 EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie derjenigen entgegenstehen, die sich aus dem Decreto legislativo Nr. 241/97 in Verbindung mit dem Testo unico betreffend die Einkommensteuern (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 917 vom 22. Dezember 1986) und dem Gesetz Nr. 413 vom 30. Dezember 1991 ergibt und die das Recht, bestimmte Tätigkeiten der Steuerberatung auszuführen, einer einzigen Gruppe von Rechtssubjekten, den CAF, vorbehält und den anderen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors auch dann, wenn sie eine Ermächtigung zur Berufsausübung im Bereich der steuerlichen und buchhalterischen Beratung besitzen (Diplom-Betriebswirte, Buchprüfer, Rechtsanwälte und Arbeitsberater), die Ausübung der den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten unter gleichen Voraussetzungen und Modalitäten versagt?
  2. Sind die Artikel 43 EG, 48 EG und 49 EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie derjenigen entgegenstehen, die sich aus dem Decreto legislativo Nr. 241/97 in Verbindung mit dem Testo unico betreffend die Einkommensteuern (Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 917) und dem Gesetz Nr. 413 vom 30. Dezember 1991 ergibt und die das Recht, bestimmte Tätigkeiten der Steuerberatung auszuführen, einer einzigen Gruppe von Rechtssubjekten, den CAF, vorbehält und den anderen Wirtschaftsteilnehmern des Sektors auch dann, wenn sie eine Ermächtigung zur Berufsausübung im Bereich der steuerlichen und buchhalterischen Beratung besitzen (Diplom-Betriebswirte, Buchprüfer, Rechtsanwälte und Arbeitsberater), die Ausübung der den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten unter gleichen Voraussetzungen und Modalitäten versagt?
  3. Ist Artikel 87 EG dahin auszulegen, dass eine Maßnahme, wie sie sich aus der Regelung des Decreto legislativo Nr. 241/97, insbesondere dessen Artikel 38, ergibt und die zugunsten der CAF eine Vergütung zulasten des Staatshaushalts für die Tätigkeiten des Artikels 34 Absatz 4 und für die Tätigkeiten des Artikels 37 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorsieht, eine staatliche Beihilfe darstellt?

Zur ersten Frage

20 Einleitend ist darauf zu verweisen, dass in den Artikeln 4 EG und 98 EG die Grundprinzipien der Wirtschaftpolitik der Gemeinschaftsordnung definiert werden und der Kontext dargelegt wird, in dem die Wettbewerbsvorschriften der Artikel 82 EG und 86 EG stehen. Die Bezugnahme des nationalen Gerichts auf die Artikel 4 EG und 98 EG erfordert somit keine gegenüber der Antwort auf die Frage nach der Auslegung der Artikel 82 EG und 86 EG eigene Antwort.

21 Folglich ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die Artikel 82 EG und 86 EG einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

22 Nach Artikel 82 EG ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen verboten.

23 Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG ist als solche noch nicht mit Artikel 82 EG unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (Urteil vom 25. Oktober 2001 in der Rechtssache C–475/99, Ambulanz Glöckner, Slg. 2001, I–8089, Randnr. 39).

24 Folglich ist nicht nur zu klären, ob die nationale Regelung bewirkt, dass den CAF besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von Artikel 86 Absatz 1 EG verliehen werden, sondern auch, ob eine solche Regelung zum Missbrauch einer beherrschenden Stellung führen konnte.

25 Unabhängig von der Frage, ob den CAF mit der nationalen Regelung solche besonderen oder ausschließlichen Rechte verliehen wurden, ist jedoch festzustellen, dass dem Gerichtshof weder mit der Vorlageentscheidung noch mit den schriftlichen Erklärungen die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte an die Hand gegeben werden, die ihm die Feststellung erlauben würden, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung oder eines missbräuchlichen Verhaltens im Sinne von Artikel 82 EG erfüllt sind.

26 Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof nicht in der Lage, die erste Frage sachgerecht zu beantworten.

Zur zweiten Frage

27 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 43 EG und 49 EG einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

28 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die italienische Regierung diese Frage für unzulässig hält, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tätigkeit mit keinem ihrer Elemente über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweise.

29 Dazu ist zu bemerken, dass eine Antwort dem vorlegenden Gericht nichtsdestoweniger von Nutzen sein kann, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht in einem Verfahren der vorliegenden Art vorschriebe, dass einem italienischen Staatsbürger die gleichen Rechte zustehen, die einem Staatsbürger eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Gemeinschaftsrechts zuständen (vgl. Beschluss vom 17. Februar 2005 in der Rechtssache C–250/03, Mauri, Slg. 2005, I–1267, Randnr. 21).

30 Somit ist zu prüfen, ob die Bestimmungen des Vertrages, um deren Auslegung ersucht wird, der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, soweit diese auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen angewandt würde.

31 Die Artikel 43 EG und 49 EG schreiben die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs vor; als solche Beschränkungen sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheiten unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. u. a. Urteil vom 15. Januar 2002 in der Rechtssache C–439/99, Kommission/Italien, Slg. 2002, I–305, Randnr. 22).

32 Insoweit ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass das Decreto legislativo Nr. 241/97 den CAF eine ausschließliche Befugnis überträgt, den Steuerpflichtigen bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen und insbesondere Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Personen Dienstleistungen des Steuerbeistands bei der Erstellung der Steuererklärung in der vereinfachten Form anzubieten.

33 Was den freien Dienstleistungsverkehr betrifft, so schließt eine solche nationale Regelung, indem sie die genannten Tätigkeiten den CAF vorbehält, den Zugang von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern zum Markt der fraglichen Dienstleistungen vollständig aus.

34 Was die Niederlassungsfreiheit anbelangt, so ist eine solche Regelung, indem sie die Möglichkeit zur Gründung von CAF bestimmten Rechtssubjekten vorbehält, die strikte Voraussetzungen erfüllen, darunter bei einigen dieser Rechtssubjekte, wie sich aus den vorgelegten Informationen ergibt, die Voraussetzung, dass sie ihren Sitz in Italien haben, geeignet, die Ausübung des Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Rechts, sich zur Erbringung der fraglichen Dienstleistungen in Italien niederzulassen, zu erschweren oder sogar unmöglich zu machen.

35 Dass den CAF eine ausschließliche Befugnis übertragen wird, bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen anzubieten, stellt somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs dar, die nach den Artikeln 43 EG und 49 EG grundsätzlich verboten ist.

36 Die Bestimmungen der nationalen Regelung, nach denen nur bestimmte, bereits in Italien niedergelassene Rechtssubjekte CAF gründen können, sind diskriminierend. Solche Bestimmungen können nur mit den in den Artikeln 46 EG und 55 EG vorgesehenen Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt werden, die im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht worden sind (vgl. Urteil vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache C–263/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I–4195, Randnr. 15).

37 Dagegen können diejenigen Bestimmungen der in Rede stehenden nationalen Regelung, die für alle im Aufnahmemitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gelten, gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen und soweit sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2002 in der Rechtssache C–79/01, Payroll u. a., Slg. 2002, I–8923, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Insoweit kann das Allgemeininteresse am Schutz der Empfänger der betreffenden Dienstleistungen vor einem Schaden, der ihnen durch Dienstleistungen entstehen könnte, die von Personen erbracht werden, die nicht die erforderlichen beruflichen oder persönlichen Qualifikationen besitzen, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C–76/90, Säger, Slg. 1991, I–4221, Randnrn. 15 bis 17).

39 Wie jedoch der Generalanwalt in Nummer 49 seiner Schlussanträge betont hat, sind einige der den CAF vorbehaltenen Dienstleistungen wie die Aushändigung einer Kopie der Steuererklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer, die Übersendung der Steuererklärungen an die Finanzverwaltung sowie die Mitteilung des Ergebnisses der Steuererklärung an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber im Wesentlichen einfacher Art und erfordern keine besonderen beruflichen Qualifikationen.

40 Offenkundig kann es die Natur dieser Dienstleistungen nicht rechtfertigen, ihre Ausübung den Inhabern einer besonderen beruflichen Qualifikation vorzubehalten.

41 Auch wenn demgegenüber bestimmte den CAF vorbehaltene Tätigkeiten vielschichtiger sind, insbesondere die Prüfung der Übereinstimmung der in der Steuererklärung gemachten Angaben mit ihren Anlagen, ist nicht ersichtlich, dass die zur Errichtung von CAF befugten Einrichtungen Gewähr für besondere berufliche Befähigungen zur Ausführung dieser Aufgaben bieten.

42 Wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, benennen die CAF nach Artikel 33 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 241/97 als für die Ausführung dieser Aufgaben Verantwortliche Personen, die in der Liste der Diplomkaufleute oder der der Buchprüfer eingetragen sind, d. h. Berufsträger, die die den CAF vorbehaltenen Tätigkeiten im eigenen Namen nicht ausüben können.

43 Angesichts dieser Umstände sind die Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97, soweit sie den CAF eine ausschließliche Befugnis übertragen, bestimmte Dienstleistungen der Beratung und des Beistands in Steuerfragen anzubieten, offenbar nicht geeignet, das in Randnummer 38 dieses Urteils genannte Allgemeininteresse zu gewährleisten.

44 In der mündlichen Verhandlung hat die italienische Regierung geltend gemacht, dass die fragliche nationale Regelung jedenfalls gemäß den Artikeln 45 Absatz 1 EG und 55 EG gerechtfertigt sei, wonach die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr nicht für Tätigkeiten gälten, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden seien.

45 Dazu ist darauf zu verweisen, dass die Artikel 45 EG und 55 EG als Ausnahmen vom Grundprinzip der Niederlassungsfreiheit so auszulegen sind, dass sich ihre Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die diese Bestimmungen den Mitgliedstaaten zu schützen erlauben, unbedingt erforderlich ist (Urteile vom 15. März 1988 in der Rechtssache 147/86, Kommission/Griechenland, Slg. 1988, 1637, Randnr. 7, und vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache C–114/97, Kommission/Spanien, Slg. 1998, I–6717, Randnr. 34).

46 Somit muss sich die in diesen Artikeln vorgesehene Ausnahmeregelung nach ständiger Rechtsprechung auf Tätigkeiten beschränken, die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen (Urteile vom 21. Juni 1974 in der Rechtssache 2/74, Reyners, Slg. 1974, 631, Randnr. 45, vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache C–42/92, Thijssen, Slg. 1993, I–4047, Randnr. 8, Kommission/Spanien, Randnr. 35, und vom 31. Mai 2001 in der Rechtssache C–283/99, Kommission/Italien, Slg. 2001, I–4363, Randnr. 20).

47 Es ist festzustellen, dass die Überprüfung der Übereinstimmung der Angaben in der Steuererklärung mit deren Anlagen, auch wenn sie tatsächlich von der Finanzverwaltung selten in Frage gestellt wird, keine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt, sondern eine Maßnahme, mit der die Erfüllung von der Finanzverwaltung obliegenden Aufgaben vorbereitet oder erleichtert werden soll.

48 Ebenso verhält es sich mit den anderen Aufgaben, die in den Artikeln 34 und 35 des Decreto legislativo Nr. 241/97 aufgeführt sind und die das nationale Gericht in seiner Vorlageentscheidung nennt, nämlich die Überlassung einer Kopie der ausgefüllten Steuererklärung und der Aufstellung über die geschuldete Steuer an den Steuerpflichtigen, die Mitteilung des Ergebnisses der Steuererklärungen an die abzugsverpflichteten Arbeitgeber und die Übersendung der Erklärungen an die Finanzverwaltung.

49 Folglich ist festzustellen, dass den CAF vorbehaltene Tätigkeiten wie die in der Vorlageentscheidung genannten von der in den Artikeln 45 EG und 55 EG vorgesehenen Ausnahmeregelung nicht erfasst werden.

50 Angesichts des Vorstehenden ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Artikel 43 EG und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den CAF vorbehält.

Zur dritten Frage

51 Das vorlegende Gericht nimmt mit seiner dritten Frage gleichzeitig auf mehrere Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 241/97 Bezug: auf Artikel 38 über die Zahlung einer Vergütung an die CAF, auf Artikel 34 Absatz 4 über die von den CAF ausgeübten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen sowie auf Artikel 37 Absatz 2 über die von anderen Einheiten erbrachten Tätigkeiten des Beistands in Steuerfragen.

52 In der Begründung seiner Entscheidung bezieht sich dieses Gericht jedoch nur auf die Zahlung einer Vergütung an die CAF.

53 Daher ist die Prüfung der dritten Frage auf die Vergütung zu beschränken, die den CAF nach den Artikeln 34 Absatz 4 und 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 gezahlt wird.

54 Somit ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage im Wesentlichen wissen will, ob eine Vergütung, wie sie die CAF nach den Artikeln 34 Absatz 4 und 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 für die Erstellung und Übermittlung einer Steuererklärung beziehen, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellt.

55 Die Qualifizierung als „Beihilfe“ verlangt nach ständiger Rechtsprechung, dass alle in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Urteile vom 21. März 1990 in der Rechtssache C–142/87, Belgien/Kommission, „Tubemeuse“, Slg. 1990, I–959, Randnr. 25, vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C–278/92 bis C–280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I–4103, Randnr. 20, vom 16. Mai 2002 in der Rechtssache C–482/99, Frankreich/Kommission, Slg. 2002, I–4397, Randnr. 68, und vom 24. Juli 2003 in der Rechtssache C–280/00, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Slg. 2003, I–7747, Randnr. 74).

56 Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss sie geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen.

57 Die erste Voraussetzung ist erfüllt, da die in Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehene Vergütung vom Staatshaushalt zu tragen ist.

58 Was die zweite Voraussetzung betrifft, so dürften den CAF nach Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 bedeutende Beträge gezahlt werden, und es könnte Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten gestattet werden, CAF zu gründen, die in den Genuss dieser Beträge kommen. Die fragliche Maßnahme ist daher geeignet, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

59 Was die dritte und die vierte Voraussetzung angeht, so gelten als Beihilfen Maßnahmen gleich welcher Art, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 84).

60 Dagegen wird eine staatliche Maßnahme nicht von Artikel 87 Absatz 1 EG erfasst, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugute kommt, zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 87).

61 Ein derartiger Ausgleich ist im konkreten Fall jedoch nur dann nicht als staatliche Beihilfe zu qualifizieren, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sind (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 88).

62 Erstens muss das durch einen derartigen Ausgleich begünstigte Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein, und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 89).

63 Insoweit ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat die von den CAF nach Artikel 34 Absatz 4 des Decreto legislativo Nr. 241/97 gegenüber Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Personen erbrachten Dienstleistungen des Beistands in Steuerfragen, die den Steuerpflichtigen bei der Erfüllung ihrer steuerlichen Verpflichtungen helfen und die Erfüllung der den Finanzbehörden obliegenden Aufgaben erleichtern sollen, als „gemeinwirtschaftlich“ qualifiziert.

64 Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent festzulegen, um zu verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 90).

65 Der Ausgleich, der für jede erstellte und der Finanzverwaltung übermittelte Erklärung auf rund 14 Euro festgelegt wurde, ist geeignet, dieser Voraussetzung Genüge zu tun.

66 Drittens darf der Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 92).

67 Viertens ist der Ausgleich auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 93).

68 Die Prüfung dieser beiden letzten Voraussetzungen hinsichtlich der Höhe der fraglichen Vergütung macht eine Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits erforderlich.

69 Dabei ist zu beachten, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, über den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu entscheiden oder die von ihm ausgelegten Gemeinschaftsvorschriften auf nationale Maßnahmen oder Gegebenheiten anzuwenden, da diese Fragen in die ausschließliche Zuständigkeit des nationalen Gerichts fallen (vgl. Urteile vom 19. Dezember 1968 in der Rechtssache 13/68, Salgoil, Slg. 1968, 680, 690, vom 23. Januar 1975 in der Rechtssache 51/74, Van der Hulst, Slg. 1975, 79, Randnr. 12, vom 8. Februar 1990 in der Rechtssache C–320/88, Shipping and Forwarding Enterprise Safe, Slg. 1990, I–285, Randnr. 11, vom 5. Oktober 1999 in den Rechtssachen C–175/98 und C–177/98, Lirussi und Bizzaro, Slg. 1999, I–6881, Randnr. 38, und vom 15. Mai 2003 in der Rechtssache C–282/00, RAR, Slg. 2003, I–4741, Randnr. 47).

70 Es ist somit Sache des nationalen Gerichts, im Licht des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob die in Artikel 38 Absatz 1 des Decreto legislativo Nr. 241/97 vorgesehene Vergütung eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG darstellt.

71 In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass das nationale Gericht nicht befugt ist, die Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist ausschließlich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften zuständig, die dabei der Kontrolle des Gemeinschaftsrichters unterliegt (vgl. Urteile vom 21. November 1991 in der Rechtssache C–354/90, Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon, Slg. 1991, I–5505, Randnr. 14, vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C–39/94, SFEI u. a., Slg. 1996, I–3547, Randnr. 42, und vom 17. Juni 1999 in der Rechtssache C–295/97, Piaggio, Slg. 1999, I–3735, Randnr. 31).

72 Angesichts des Vorstehenden ist auf die dritte Frage zu antworten, dass eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren ist, wenn

  • die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und
  • der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.

Kosten

73 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

  1. Die Artikel 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren entgegenstehen, die das Recht zur Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Beratung und des Beistands in Steuerfragen den Steuerbeistandszentren vorbehält.
  2. Eine Maßnahme, mit der ein Mitgliedstaat die Zahlung eines vom Staatshaushalt zu tragenden Ausgleichs zugunsten bestimmter Unternehmen vorsieht, die damit betraut sind, den Steuerpflichtigen bei der Erstellung von Steuererklärungen und ihrer Übermittlung an die Finanzverwaltung beizustehen, ist als staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG zu qualifizieren, wenn
    • die Höhe des Ausgleichs über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken, und
    • der Ausgleich nicht auf der Grundlage einer Analyse der Kosten bestimmt wird, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.
  3. Unterschriften.


Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch Ausnutzung des Patentschutzes

Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung eine Geldbuße in Höhe von 46 Mio. Euro und der erstgenannten Klägerin eine weitere Geldbuße in Höhe von 14 Mio. Euro wegen Verstößen gegen Artikel 82 EG und Artikel 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auferlegt. Sie hat festgestellt, dass der AstraZeneca-Konzern seit 1993 gegenüber Patentanwälten, nationalen Gerichten und Patentämtern bewusst unrichtige Angaben gemacht hätten, um ergänzende Schutzzertifikate zu erhalten, auf die sie, wie sie gewusst hätten, für ihr patentiertes Produkt „Omeprazole“, den in ihrem Arzneimittel „Losec“ enthaltenen Wirkstoff, keinen Anspruch gehabt hätten. Außerdem hätten die Klägerinnen 1998/99 die Strategie verfolgt, ihre „Losec“-Kapseln selektiv vom Markt zu nehmen, sie durch „Losec“-Tabletten zu ersetzen und die Löschung der Verkehrsgenehmigung für die Kapseln in Dänemark, Norwegen und Schweden zu beantragen. Beide Verstöße seien in der Absicht begangen worden, den Wettbewerb durch Generika und Parallelimporte in unlauterer Weise zu beschränken.

Der AstraZeneca-Konzern focht die Feststellungen der Kommission auch aus aus rechtlichen und sachlichen Gründen an. Was die angeblichen unrichtigen Angaben in Bezug auf Patente angehe, so könnten derartige irreführenden Angaben bei der Beantragung gewerblicher Schutzrechte rechtlich keinen Missbrauch darstellen, sofern und solange die unredlich erworbenen Rechte nicht durchgesetzt würden oder durchgesetzt werden könnten. Außerdem seien die Klägerinnen nach zutreffender Auslegung von Artikel 82 EG nicht verpflichtet, eine Verkehrsgenehmigung für ein Produkt, das von ihnen nicht mehr vertrieben werde, nur deshalb aufrechtzuerhalten, weil dies den Wettbewerb für Generika und Parallelhändler erleichtern würde.

Das Gericht bestätigt im Wesentlichen die Entscheidung der Kommission, mit der diese festgestellt hat, dass der AstraZeneca-Konzern seine beherrschende Stellung missbrauchte, indem er das Inverkehrbringen von generischem Losec verhinderte Die Geldbuße wird jedoch von 60 Mio. Euro auf 52,5 Mio. Euro herabgesetzt, weil die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass sich der Widerruf der Arzneimittelzulassungen in bestimmten Mitgliedstaaten auf die Paralleleinfuhren auswirken konnte.

Mit Entscheidung vom 15. Juni 2005 (Entscheidung C (2005) 1757 final der Kommission vom 15. Juli 2005 in einem Verfahren nach Artikel 82 [EG] und
Artikel 54 EWR-Abkommen (Sache COMP/A.37.507/F3 – AstraZeneca)) verhängte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von 46 Mio. Euro gegen die AstraZeneca plc (Vereinigtes Königreich) und ihre Tochtergesellschaft AstraZeneca AB (Schweden) sowie eine zusätzliche Geldbuße in Höhe von 14 Mio. Euro gegen die AstraZeneca AB wegen Missbrauchs ihrer beherrschenden Stellung durch Ausnutzung des Systems des Patentschutzes und der Verfahren zur Zulassung von Arzneimitteln allein zu dem Zweck, den Markteintritt von generischen Arzneimitteln, die mit ihrem Magengeschwür-Arzneimittel Losec konkurrierten, zu verhindern oder zu verzögern oder Paralleleinfuhren von Losec zu verhindern.

Die Kommission stellte zum einen fest, dass AstraZeneca bei den Patentämtern in Belgien, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und dem Vereinigten Königreich absichtlich irreführende Angaben gemacht habe, um für Losec durch ein ergänzendes Schutzzertifikat eine Verlängerung des Patentschutzes zu erreichen. Diese Verlängerung habe ein Ausgleich für die Zeit vor der Zulassung des Arzneimittels sein sollen, während deren das Unternehmen dieses Arzneimittel nicht habe vermarkten können. AstraZeneca habe den nationalen Patentämtern den Zeitpunkt der Erstzulassung des Arzneimittels vorenthalten, wodurch sie einen ergänzenden Schutz habe erhalten können, der ihr nicht zugestanden habe.

Zum anderen wurde AstraZeneca dafür belangt, dass sie für Losec in Kapselform in Dänemark, Norwegen und Schweden den Widerruf der Zulassung beantragt habe, um erstens die Vermarktung generischer Arzneimittel hinauszuzögern und zu erschweren und zweitens Paralleleinfuhren von Losec zu verhindern. Nach dem zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Unionsrecht habe das Referenzarzneimittel im betreffenden Mitgliedstaat noch zugelassen sein müssen, damit ein generisches Arzneimittel im vereinfachten Verfahren zugelassen werden könne, das schneller und für den Antragsteller billiger sei. Aufgrund des von AstraZeneca beantragten Widerrufs der Zulassungen für Losec in Kapselform habe dieses vereinfachte Verfahren nicht angewandt werden können, und es habe somit länger gedauert und sei schwieriger gewesen, die Marktzulassungen für die generischen Arzneimittel einzuholen, deren Markteinführung sich entsprechend verzögert habe.

Die AstraZeneca plc und die AstraZeneca AB haben beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission erhoben und hilfsweise die Herabsetzung der festgesetzten Geldbußen beantragt.

Mit seinem heutigen Urteil weist das Gericht die meisten der von AstraZeneca vorgebrachten Argumente zurück und stellt fest, dass sie ihre beherrschende Stellung in zweifacher Weise missbraucht hat. Erstens hat AstraZeneca tatsächlich vor den nationalen Patentämtern irreführende Angaben gemacht. Zweitens bedeutet der Umstand, dass die Pharmaunternehmen in der Regel berechtigt sind, den Widerruf von Marktzulassungen ihrer Produkte zu verlangen, nicht, dass dieses Verhalten dem in Art. 82 EG vorgesehenen Verbot entzogen ist. Das Gericht erklärt jedoch die Entscheidung der Kommission für nichtig, soweit darin festgestellt wird, dass der Widerruf der Marktzulassungen von Losec in Kapselform in Dänemark und Norwegen geeignet war, Paralleleinfuhren zu beschränken.

Nach Auffassung des Gerichts hat die Kommission angesichts des rechtlichen Kontextes nicht nachgewiesen, dass der Widerruf der Marktzulassungen geeignet war, Paralleleinfuhren in Dänemark und Norwegen zu beschränken, geschweige denn, dass das Ende oder der starke Rückgang der Paralleleinfuhren von Losec in diese beiden Länder durch das Verhalten von AstraZeneca verursacht war. In Anwendung des Grundsatzes, dass Zweifel dem Adressaten der den Verstoß feststellenden Entscheidung zugute kommen müssen, setzt das Gericht die der AstraZeneca AB und der AstraZeneca plc gesamtschuldnerisch auferlegte Geldbuße auf 40 250 000 Euro und die der AstraZeneca AB auferlegte Geldbuße auf 12 250 000 Euro herab.

Urteil des EuGH vom 1. Juli 2010 in der Rechtssache T-321/05 AstraZeneca / Kommission