Weiterverkauf von Software: EuGH soll klären

Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH hat dem Gerichtshof der Europäischen Union am 3. Feburaur 2011 Fragen zur urheberrechtlichen Zulässigkeit des Vertriebs von gebrauchter (wie es in der Pressemitteilung in Anführungszeichen heißt)  Softwarelizenzen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Gebrauchte Software unterscheidet sich von der nagelneuen dadurch, dass jemand an den Rechtsinhaber bereits Entgelt für die Nutzung der Software bezahlt hat und diese Position unter Aufgabe der eigenen Rechte nun auf einen anderen übertragen will.  Das missfällt manchen Rechtsinhabern, denn der Käufer ist ja offenbar bereit Geld für die Nutzung des Software zu bezahlen (nur an den falschen, nämlich nicht an den Rechtsinhaber).  Geklagt hatte im vom BGH nun dem EuGH vorgelegten Fall der Konzern Oracle, der im geschäftlichen Vertrieb gebrauchter Softwarelizenzen einen Verstoß gegen sein Urheberrecht sah.

Das  OLG München entschied am 3. Juli 2008 (Az. 6 U 2759/07) ebenso wie das LG München I ganz im Sinne des Rechtsinhabers. Der Verkauf von Einzelplatzlizenzen sowie der Vertrieb von — sogenannten — „gebrauchen“ Lizenzen sei auch bei Übergabe eines Originaldatenträgers nicht zulässig.  Oracle  vertreibt in der Regel die Software in der Weise, dass die Kunden keinen Datenträger erhalten, sondern die Software von der Internetseite der Klägerin auf ihren Rechner herunterladen. In den Lizenzverträgen der Klägerin ist vorgesehen, dass das Nutzungsrecht, das Oracle seinen Kunden an den Computerprogrammen einräumt, nicht abtretbar ist.

Der Beklagte handelt mit Softwarelizenzen und bot im Oktober 2005 bereits benutzte (bezahlte) Lizenzen für Programme von Oracle  an, bei denen der  ursprüngliche Lizenznehmer bestätigt hatte, dass er rechtmäßiger Inhaber der Lizenzen gewesen sei, diese aber nicht mehr benutze und den Kaufpreis vollständig bezahlt habe. Kunden des Beklagten laden nach dem Erwerb dieses diffusen Rechts die entsprechende Software von der Internetseite von Oracle auf einen Datenträger herunter. Oracle vertrat die Rechtsauffassung, der Beklagte verletze dadurch, dass er die Erwerber der Lizenzen dazu veranlasse, die entsprechenden Computerprogramme zu vervielfältigen, das Urheberrecht an diesen Programmen und hat deshalb den  Beklagten  auf Unterlassung in Anspruch genommen. Kompliziert, denn offenbar wurde die Software von Oracle zur Verfügung gestellt und die dürfen die Software ja auf jeden Fall vervielfältigen. Die Kunden des Beklagten glauben aber offenbar, sie dürften rechtmäßig die Software von Oracle beziehen, während Oracle das an bestimmte Bedingungen geknüpft sehen will. Der beklagte Händler hat also selbst gar nicht die Bits und Bytes weitergegeben, sondern nur seinen Kunden — gegen Entgelt — gesagt, sie dürften die Software bei Oracle kopieren und müssten dafür nichts bezahlen, weil dafür bereits einmal bezahlt wurde.

Nachdem der Beklagte beide Instanzen verloren hat, hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH einige Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Die Kunden des Beklagten greifen durch das Herunterladen der Computerprogramme  in das nach § 69c Nr. 1 UrhG ausschließlich dem Rechtsinhaber zustehende Recht zur Vervielfältigung der Computerprogramme ein. Da der Beklagte seine Kunden durch das Angebot gebrauchter Lizenzen zu diesem Eingriff veranlasst, kann er auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, falls seine Kunden nicht zur Vervielfältigung der Programme berechtigt sind. Die Kunden des Beklagten können sich nach Auffassung des BGH allerdings möglicherweise auf die Regelung des § 69d Abs. 1 UrhG berufen, die Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG ins deutsche Recht umsetzt und daher richtlinienkonform auszulegen ist. Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG bedarf die Vervielfältigung eines Computerprogramms — solange nichts anderes vereinbart ist — nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig ist. Es stellt sich daher die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen derjenige, der eine gebrauchte Softwarelizenz erworben hat, als ,,rechtmäßiger Erwerber„ des entsprechenden Computerprogramms anzusehen ist. In diesem Zusammenhang kann sich auch die weitere Frage stellen, ob sich das Verbreitungsrecht des Rechtsinhabers erschöpft, wenn ein Computerprogramm mit seiner Zustimmung im Wege der Online-Übermittlung in Verkehr gebracht worden ist.

Früher, als die Nutzung von urheberrechtlichem Material noch mit dem klassischen Buch verbunden war, konnte jeder seine gesamte Bibliothek zum Antiquar tragen und gegen einen neue austauschen (aus dieser Vorstellungswelt stammt wohl auch der Begriff der gebrauchten Lizenzen).  Das Recht des Rechtsinhabers an dem einen Exemplar des urheberrechtlich geschützten Werks war „erschöpft“, wie es in der Rechtssprache heißt, wenn der Rechtsinhaber das Werkexemplar in den Verkehr gebracht hatte.  Jetzt gibt es kein Werkexemplar als körperlichen Anknüpfungspunkt mehr, sondern nur noch ein Recht und ein Vertrag.

Nachdem die Digitalisierung die Trennung von Inhalt und dem für die Nutzung notwendigen körperlichen Gerät herbeigeführt hat, dürften sich diese Änderungen bald in vielen Bereichen durchsetzen. Die Verbindung von dem Gerät (device) mit dem Handel (mit den Lizenzen) wird  so zu einem immer einträglicheren Geschäft, bei dem jeder Nutzer für jede Nutzung seinen Obulus wird entrichten müssen.

Morgens beim Device-Lesen und Device-Hören reduziert sich dann in der braven neuen Welt minütlich der Kontostand für die Nutzung des wertvollen Contents. Und wenn wir von einem Filmstar träumen, wird sich daraus  auch noch irgendeine kostenpflichtige Nutzung konstruieren lassen;  zur Not über ein Leistungsschutzrecht, denn ohne die Leistung der Filmfirma hätten wir ja gar nicht den schönen Traum träumen können. Immerhin: Presseerklärungen, Reden der Politiker und Werbung werden wir noch ohne Angst um den Geldbeutel konsumieren können (damit die Volksbildung für die Epsilon-Minus-Menschen nicht auf der Strecke bleibt).

(Keine) Neuigkeiten von der Leistungsschutzfront

Gehen wir einmal davon aus, dass der Bayerische Journalisten-Verband (BJV) seiner Journalistenpflicht nachgekommen ist und die Pressemitteilung die Diskussion zum Leistungsschutzrecht für Verleger am 24. Januar 2011 gut zusammenfasst hat. Demnach kann man leider  nur mit einer Nicht-Nachricht aufwarten.

Das Thema lautete ,,ob ein neues Leistungsschutzrecht überhaupt erforderlich ist und ob die Verlage durch Suchmaschinen wie Google tatsächlich so stark benachteiligt werden.„ Das ist insofern interessant, weil wir zur Zeit eigentlich nur eines wissen: Die Verleger wollen ein Leistungsschutzrecht, weil andere Rechteverwerter auch ein Leistungsschutzrecht haben. Die Filmhersteller, Tonträgerhersteller, Sendeunternehmen und  Datenbankhersteller seien bereits mit einem  Leistungsschutzrecht ausgestattet. Es sei daher nicht einzusehen, dass ein solches Recht den Presseverlegern vorenthalten werde.

Aber wie das überhaupt aussehen soll? Fehlanzeige: Anders als erwartet, so der BJV,  gab Prof. Schweizer keine Details dazu bekannt, wie das geplante Leistungsschutzgesetz in der Praxis umgesetzt werden soll. Offen blieb auch, ob eine eigene Verwertungsgesellschaft gegründet oder ob  die VG Wort mit der Beitreibung des erhofften Geldsegens betraut werden soll. Theoretisch kommen noch einzelne Verträge mit den Nutzern der Leistung der Verleger in Betracht, die jeder Presseverleger mit jedem Betroffenen abschließt. Wenn eine Verwertungsgesellschaft gegründet werden sollte, kann man spekulieren, wer die Nutznießer sein werden — wohl kaum die kleinen, die am ehesten Hilfe benötigen.

Tatsächlich weiß man bis heute noch nicht einmal, was überhaupt erfasst werden soll. So sprach Dr. Angelika Niebler, parlamentarische Geschäftsführerin der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, von den Googles und Apples dieser Welt. Nun bieten die beiden Unternehmen bislang — soweit bekannt — im Hinblick auf die Presse vollkommen unterschiedliche Leistungen an (wobei Apple  bis vor kurzem von der Presse hochgejubelt wurde  (vgl. z. B.  hier oder hier), bis ihnen auffiel, dass sie sich nur in die Fänge eines Unternehmens begeben hatten, das ihnen keinen Cent schenken will. Vielleicht ist der Geschäftsführerin der EVP-Fraktion auch nicht bekannt, was die genannten Unternehmen für Leistungen anbieten?

Vollkommen unklar bleibt weiterhin, wie die eigentlich dem Urheberrecht zugeordneten Beiträge der Journalisten sich von dem vom Leistungsschutzrecht erfassten Leistungen der Verleger unterscheiden sollen? Dr. Frey warnte davor, dass die Journalisten zu „Gefangenen des neuen Leistungsschutzrechtes“ werden könnten, wenn ihnen die Zweitverwertung ihrer Beiträge erschwert werde. Das würde aber voraussetzen, dass die Leistungen der Journalisten zugleich von dem Leistungsschutzrecht erfasst werden. Allerdings behauptet der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), dass das Urheberrecht der Autoren vom Leistungsschutzrecht für Presseverleger unberührt bleibe. Beide Rechte stünden trennscharf nebeneinander. Wie diese Trennung allerdings mit der anderen  Behauptung des BDZV, nur wer gesetzlich geschützte Werke gewerblich vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich macht, müsse die Zustimmung des Urhebers und des Leistungsschutzberechtigten einholen, zusammenpassen soll, steht in den Sternen. Entweder sind sie getrennt. Dann muss derjenige, der Werke gewerblich vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich zugänglich macht, nur einen  fragen. Oder sind sind miteinander verbunden.  Dann  droht allerdings die Gefahr, dass die Journalisten beispielsweise etwaige Zweitnutzungsrechte doch nur mit Zustimmung des Leistungsschutzberechtigten nutzen können.

Die Vertreter des Deutschen Journalistenverbandes Rainer Reichert und des BJV Jutta Müller sagten, dass sie im Prinzip nicht gegen ein Leistungsschutzrecht seien, wenn es den Journalisten neue Einnahmen beschere. Nachdem das Leistungsschutzrecht offenbar die besonderen Leistungen der Verleger und nicht die der Journalisten erfassen soll, stellt sich allerdings die Frage nach der Berechtigung dieser Position. Erst Recht stellt sich die Frage nach der Berechtigung dieser Hoffnung, denn auf längere Frist werden Zahlungen auf das Leistungsschutzrecht in dieser oder jener Form werden die Zahlungen auf das Gesamtentgelt der Journalisten angerechnet werden. Nutzen wird es auf lange Frist den Verlegern, wie Prof. Peifer zu Recht feststellte.

So bleibt der Kritikpunkt von Dr. Nolte bestehen: Nachdem das Projekt nun einige Jahre alt ist, können wir  weiterhin nur rätseln und orakeln, was  die Verleger überhaupt konkret wollen (außer mehr Geld, das sie sich dann — nach den Vorstellungen der Journalisten — mit diesen teilen sollen).


Ergänzung [3. Feb. 2011]
Nachdem Apple den Verkauf von Zeitungsinhalten, Büchern, Musik etc. zumindest als zwingende Alternative für das Apple gehörende System fordert (mit hochprozentiger Beteiligung für die Apple-Leistung), sofern eine „App“ für das Gerät iPad genutzt wird, müssen nun in der Vorstellung der Verleger die moralischen Rollen getauscht werden: Google wechselt mit dem neuen System Android 3 in das Lager der Guten, während Apple zum Bösewicht erklärt wird. Natürlich ist das alles nur wegen der bösen, bösen Monopole der anderen (Apple, Google etc.) möglich, was aber selbstverständlich kein Hinderungsgrund ist, selbst lautstark eigene Monopole zu fordern, denn die eigenen sind gerecht und notwendig, die der anderen ungerecht und schädlich.


Ergänzung [23. Feb. 2011]

Angelika Niebler teilte in Ihrem Newsletter zu den Planungen auf EU-Ebene mit:  ,,Ende März [2011] werde die Europäische Kommission das Grünbuch für eine Strategie zum Schutz des geistigen Eigentums im Internet vorlegen, das bewusst keinen Vorschlag für ein europäisches Leistungsschutzrecht enthalten werde. Dafür gebe es zu große strukturelle Probleme. So sei z. B. nicht geklärt, wer das Geld eintreiben soll, wer letztendlich bezahlen muss und ob die Gebühr schon beim Ansehen von Seiten gelten soll.“

Ob es sich lediglich um ein rechtstechnisches Problem handelt, wie die Förderung der Presseverleger konkret gestaltet werden soll, blieb aber offen.

Gezüchtete Tomate nicht patentierbar

In dem Streit über die Patentierbarkeit von Ergebnissen gewöhnlicher Züchtungen hat das Europäische Patentamt am 9. Dezember 2010 entschieden. Zumindest nach der Großen Beschwerdekammer werden die umstrittenen Anmeldungen  — es ging um Brokkoli- und Tomatenzüchtungen — nicht als Europäische Patente anerkannt. Wenn das Ergebnis von gewöhnlichen Kreuzungen und Selektion als solches nicht patentierbar sei, so führe auch  das Hinzufügen weiterer technischer Verarbeitungsschritte vor oder nach den einzelnen Schritten der  Kreuzung und Selektion nicht dazu, das das Ergebnis des Prozesses patentierbar ist. Die siebzig Seiten lange Entscheidung finden Sie hier.

Abstruse Zensur im romantischen London


Lord Byron

Juli 1819 wurden Londons obere Schichte durch das Erscheinen von Don Juan, einem anonym veröffentlichten Versepos, erschüttert. Schon als Sechzehnjähriger verführt Don Juan die verheiratete Donna Julia. Deren naiven Versuche, der Beziehung das körperliche Element zu nehmen, scheitern kläglich. Ihr Ehemann Don Alfonso schöpft Verdacht, durchsucht mit Gehilfen ihr Schlafzimmer, zuerst ohne Erfolg. So blamiert er  sich und seine Gattin, doch kaum war die Tür geschlossen und Donna Julia allein im Schlafzimmer: „Vernehmt, was ich so gern verschwiegen hätte: Juan, beinah erstickt, schlüpft‘ aus dem Bette.“ Don Alfonso entdeckt den Jüngling dann doch. Donna Julia kommt in ein Kloster und Don Juan muss Sevilla verlassen und beginnt eine Reise mit Abenteuern und Liebschaften durch halb Europa, eine Mischung aus Candide und James Bond.

Die Anonymität der Veröffentlichung war an sich nicht auffällig, weil der überwiegende Teil der Belletristik in Großbritannien in der dieser Zeit anonym erschien, auch wenn der Text von einem der berühmtesten Autoren Europas, Lord Byron, stammte. Die Liebesabenteuer des Don Juan waren die Grundlage für eine respektlose Satire der Regency Gesellschaft, die die männlichen Phantasien aufs Korn nahm. Es war zugleich ein Angriff auf die Heuchelei, die vorgetäuschte Moral und den schlechten Geschmack der britischen Oberschicht.

König George IV. 1821

Der Prince of Wales und spätere George IV. führte einen ausschweifenden Lebenswandel: Verschwendungs- und Spielsucht, Alkohol, regelmäßige Affären und luxuriöse Paläste — er war trotz hoher Apanage ständig verschuldet. Er war allerdings nicht allein, sondern zugleich Vorbild. Seine Regentschaft gab der Epoche und deren Architektur, Literatur oder Mode den Namen Regency. Der (spätere) König stand über Jahre in engem Kontakt mit einen gesellschaftlichen Zentrum Londons dieser Zeit, dem Beau George Bryan Brummell. Dieser wiederum war vielleicht eine der Inspirationen für den Don Juan von Lord Byron. Zwischen 1799 und 1814 gab es in London kaum eine mondäne gesellschaftliche Veranstaltung, bei der die Anwesenheit des Dandys Brummell nicht als Erfolg, sein Fehlen als Katastrophe angesehen wurde. In den Zeitungsberichten über diese Ereignisse stand sein Name oft an erster Stelle. Er war nicht nur auf Almack’s Bällen (ein Ball war ein nahezu obligates Ereignis in den romantischen Romanen jener Zeit) regelmäßig anzutreffen, sondern genauso in Ascot, Brighton oder dem Watier-Club.

Dandys waren nicht nur für tagtäglich fünfstündige Gardrobe bekannt, sondern auch berüchtigt dafür, dass sie den Ehegatten Hörner aufsetzten und den Frauen gefielen, indem sie ihnen ungefällig waren. Während das Lohnniveau so niedrig war, dass in Arbeiterfamilien nicht nur die Ehefrauen, sondern sogar Kinder unter zehn Jahren oft über zwölf Stunden am Tag arbeiten mussten, entstand in der Oberschicht das Dandytum. Jules Barbey d’Aurevilly (Über das Dandytum und über George Brummell) sagte, das Dandytum zu beschreiben oder zu definieren, sei schwierig. Wer nur das Vordergründige sehe, erkenne nur die Kunst, sich gut anzuziehen, eine Diktatur des Putzes und der äußeren Eleganz.  Es sei eine Nuance in zivilisierten Gesellschaften, in denen der Anstand gerade noch über die Langeweile triumphiere.  Nirgendwo habe der Antagonismus zwischen dem Anstand und der Langeweile sich in den Sitten so deutlich bemerkbar gemacht wie in England, in der puritanischen Gesellschaft der Bibel und des Rechts.

Gillray: Three Graces in High Wind

Für die Damen wurde in dieser Zeit die Unterwäsche, der Petticoat, zu einer Notwendigkeit. Die Stoffe der Oberkleider waren hauchdünn, die Unterröcke aus stabilem Leinen oder aus Baumwolle. Die dekorativen Elemente des Unterrocks lugten unter dem Rock hervor. Der berühmte Karikaturist James Gillray veranschaulichte, wie aufschlussreich die  Kleider in der Regency-Zeit waren, selbst wenn Unterröcke getragen wurden.

Byron war nicht nur ein beliebter Autor, sondern ebenso ein berüchtigter Frauenliebling, der die Gunst der Frauen großzügig nutzte. Seine Affaire mit Caroline Lamb war ein Gesprächsthema der oberen Gesellschaft. Das soll nicht heißen, dass es keine anderen Frauen gab, sondern dass Frau Lamb Ehefrau eines angesehenen Aristokraten und Politikers war. Nachdem ihm 1816, neben dem übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsum, ausschweifende Sexualpraktiken vorgeworfen wurden, verließ er Großbritannien.  Byron, der in dieser Gesellschaft durchaus also Namen und Rang und lang genug daran teil hatte, schwor jedoch in Don Juan und seinem Leben dem Dandytum ab (mit einigen Rückfällen), so dass der Text zugleich als eine Selbsttherapie erscheint. Er habe es übertrieben, sei bereits im Sommer angelangt, während er nach Lebensjahren noch mitten im Frühling stünde. Auf Bildern zeigte Byron sich elegant, aber auch ohne das obligate modische Halstuch des Dandys. Am Ende des ersten Gesanges legte Byron dar, er folge den Prinzipien der klassischen englischen Poesie von Milton, Dryden und Pope, nicht dem Geschmack seiner romantischen Zeitgenossen, namentlich Coleridge, Wordsworth und Southey („Der Erste trinkt, dem Zweiten gehn die Schrauben im Kopfe los, der Dritt‘ ist schon verschroben“). Ruhm sei eine Illusion und als ein falsches Motiv für das Schreiben von Poesie. Es hätte keinen Sinn, in gewissen Zeitungen regelmäßig erwähnt zu werden.

Ballkleid um 1820 -- Bild: An analysis of country dancing von T. Wilson

Sein Sittenbild wurde — wie viele andere Satiren auch — in der anständigen Oberschicht scharf kritisiert.  Byron beschwerte sich am 1. Februar 1819 in einem Brief an seinen Verleger Murray über die frühen Reaktion auf den ersten Canto: Wenn die Kritiker gesagt hätten, sein Gedicht sei schlecht, so hätte er es geduldet. Aber sie würden ihm das Gegenteil sagen und dann von der Moral sprechen. Zum ersten Mal höre er das Wort Moral von Personen, die keine Schurken seien und die das Wort  mit einer bestimmten Absicht nutzten. Don Juan sei ein höchst moralisches Werk, nur, wenn die Leser die Moral nicht erkennen würden, sei dies deren Schuld, nicht die seinige.

Nach der Veröffentlichung und im Laufe der nächsten fünf Jahre — also praktisch bis zu seinem Tod — kämpfte Byron mit Zensur. 1819 wurde nicht nur in Deutschland die Zensur verschärft, sondern ebenfalls in Frankreich und Großbritannien (Six Acts).  Byron, der sich in diesen Jahren allerdings in Italien aufhielt, wurde wegen Unsittlichkeit angeklagt.

Almack's Club in der King Street: Heiratsmarkt der Oberschicht

Don Juan (Cantos) kam 1819 als Quartausgabe, je nach Qualität der Bindung, für 35 bis 40 Schilling (s.) auf den Markt — und es wurde nachgedruckt, „pirated“, wie man es schon damals nannte. Schuld war — nach Meinung von Lord Byron — sein Verleger Murray höchstpersönlich, weil er die ersten beiden Cantos nur als Quartausgabe für anderthalb Guineen auf den Markt gebracht habe (damals durchaus üblich), obwohl eine hohe Nachfrage bestand. Weil das Werk als pornographisch eingestuft wurde, verweigerte allerdings der Lordkanzler (Court of Chancery) den Erlass einer Verfügung gegen Nachdrucker. Unmoralische Werke würden vom Gesetz nicht geschützt werden. Der u. a. für die Zensur zuständige Lord Chamberlain hatte 1817 verfügt, dass unmoralische, volksverhetzende oder blasphemische Schriften nicht in den Genuss des Copyrights kommen sollten.

Das Bild zeigt deshalb eine für Großbritannien außergewöhnliche Entwicklung: In der Regel wurden Bücher nur als teure Quart-  oder Oktavausgaben in kleinen Auflagen von 500 oder 750 Exemplaren auf den Markt gebracht. Weil jedoch der Lordkanzler die Nachdrucke nicht verbot, kamen immer kleinere und billigere Ausgaben auf den Markt.

Original und Nachdrucke

Dem sittlichen Zweck wäre wohl eher durch das Copyright gedient worden, denn zahlreiche Nachdrucke machten das pornographische Machwerk zum bei weitem auflagenstärksten Werk moderner Literatur dieser Zeit. Ein halbes Dutzend der Nachdrucke lässt sich heute nur noch anhand eines einzigen archivierten Druckexemplars feststellen und es lässt sich kaum sagen, ob innerhalb einiger Jahre einhundert-  oder zweihundertausend Exemplare gedruckt wurden (St Clair: The Reading Nation in the Romantic Period).

Der Verleger von Lord Byron, John Murray II, jammert nach dem Erscheinen der ersten Nachdrucke wie es sich für einen ordentlichen Kaufmann gehört: Er würde verarmen. Aber für die weiteren Cantos zahlte der tatsächlich überaus vermögende Verleger seinem Bestsellerautor dennoch stattliche Honorare, auch wenn diese ebenfalls nachgedruckt wurden.

Mehr Erfolg mit der mittelbaren Zensur hätte das Gericht wohl gehabt, wenn sie das Copyright durchgesetzt hätte, denn dann hätte der Absatz selbst eines beliebten Werks beim Preis von 35 Schilling bei einer Auflage von wenigen Tausenden gestockt. Nachdrucke für zwei Schilling und sechs Pence hätte es nicht gegeben.  In Großbritannien hatte man  durchaus Erfahrung mit der mittelbaren Zensur über den Preis. Indem Zeitungen mit einer Steuer belegt wurden und die Steuern in kritischen Zeiten erhöhte (etwa nach der französischen Revolution oder auch 1819), bewahrte man die Unterschicht vor der überflüssigen Aufklärung.


Vergleiche hierzu auch: Geschichte und Wesen des Urheberrechts

Geistiges Eigentum v. Intellectual Property

Google Books bietet mit seinen statistischen Möglichkeiten und dem Ngram Viewer interessante Einblicke, wie oft Begriffe über einen längeren Zeitrum in den Büchern verwendet wurden. Für diese quantitativen Untersuchungen wurde von einigen Wissenschaftlern bereits ein Begriff erfunden: Culturomics.

Geistiges Eigentum

Nimmt man die Begriffe Geistiges Eigentum und das englische Pendant Intellectual Property, sind die Abweichungen der jeweiligen Entwicklungen immens. Dabei zeigen sich sehr interessante Unterschiede wie auch Parallelen.

In der Zeit von 1800 bis 2008 erlebte der Begriff geistiges Eigentum erst vor kurzem seinen neuen Höhepunkt. Der erste war um 1900 (1905), also just nach Inkrafttreten des BGB. Zwar wurden in die Zeit zwischen 1870/71 und 1900  auch die Gesetze über das Urheberrecht, das Patentrecht, den Musterschutz und das Markenrecht erlassen bzw. erneuert, jedoch fehlen im BGB praktisch sämtliche Bestimmungen zum den genannten Rechtsgebieten.

Geistiges Eigentum in Google Books 1800--2008

In der Rechtswissenschaft war es um 1880, als der Begriff zu seinem ersten Höhenflug in den Büchern ansetzte, weitgehend ausgemachte Sache, dass man den Begriff geistiges Eigentum als fachlich irreführend nicht nutzen sollte (auch wenn man sich über die Alternative nicht im Klaren war).

Allerdings wurde der Begriff geistiges Eigentum in Deutschland nicht ausschließlich im rechtlichen Sinne genutzt, sondern auch in der Bildung: Die Schüler sollten nicht nur das Wissen aufnehmen, sondern auch anwenden können. Erst dann sei das Wissen das „geistige Eigentum“ des Schülers oder Studenten geworden. Wer historische Konnotationen nicht beachtet, kann zu verzerrten Ergebnissen kommen.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kristallisierte sich die Umschreibung Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht als Zusammenfassung für die Rechtsgebiete  heraus.  In der Folgezeit ließ die Verwendung des Begriffs geistiges Eigentum nach, um erneut nach dem zweiten Weltkrieg — möglicherweise im Zusammenhang mit der Lobbyarbeit für die Neugestalung des Urhebergesetzes (1965) — einen neuen Aufschwung zu erleben. Der Höhepunkt war 1955. Ab Inkrafttreten des neuen Urhebergesetzes ließ die Nutzung wieder nach und stieg erst an, als auch der englische Begriff immer häufiger genutzt wurde.

So muss man bei diesen Statistiken vorsichtig sein: Wenn man den Begriff GRUR, die Abkürzung für „Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht“ (rote Linie in der folgenden Abbildung) dem geistigen Eigentum entgegensetzt, so scheint dieser Begriff die Diskussion vollständig zu beherrschen. Tatsächlich wird hier nur deutlich, dass die Verwendung des Begriffs GRUR stark zugenommen hat. Über das Verhältnis zum anderen Begriff geistiges Eigentum besagt die Statistik deshalb wenig, weil es eine Zeitschrift gibt, die sich GRUR nennt. Je öfter diese Zeitschrift zitiert wurde, desto höher ist deshalb auch der Wert in der Grafik. Allerdings lässt sich durchaus eine Korrelation mit dem Begriff geistiges Eigentum erkennen, also der Anstieg um 1950 (der allerdings auch mit dem Kartellrecht in Verbindung gebracht werden kann, denn zum 1.1. 1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft), sowie die erneute, ununterbrochene Zunahmen seit 1980.

GRUR in Google Books 1900--2008

Welche Aussagekraft solche Untersuchungen haben, steht auf einem anderen Blatt. Wer von dem aktuellen Verständnis eines Begriffs ausgeht, wird im Ergebnis nur die sehr begrenzte Erkenntnis über die Nutzung des Worts erzielen.  Die Kultur lässt sich mit einer rein quantitativen Methode kaum erfassen.

Andere, ganz erhebliche Ungenauigkeiten ergeben sich auch aus den Fehlern bei der Texterkennung. So wird beispielsweise eine auffällige Häufigkeit des Begriffs Immaterialgut angezeigt, die jedoch oft auf einer Verwechslung mit Immaterialität beruht.

Intellectual Property

Intellectual Property in Google Books 1800--2008

Der Begriff Intellectual Property begann erst um 1980 buchfähig zu werden. Während der Begriff bis 1900 praktisch kaum erschien und um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert nur kurzzeitig genutzt wurde, stieg die Zahl ab 1980 gewaltig an. Dabei muss man sich den Maßstab der beiden Grafiken vor Augen halten: In der deutschsprachigen Literatur endet die Skala bei 0,0006 Promille  (0,00006 %), in der englischsprachigen Literatur bei 0,004 Promille (0,0004%).

Trittbrettfahrer und Freerider

Interessant scheint auch die in Deutschland noch immer vorhandene Steigerung des Begriffs Trittbrettfahrer, der inzwischen im Englischen seinen Höhepunkt überwunden zu haben scheint.

Trittbrettfahrer in Google Books 1950--2008

Dieser Begriff Trittbrettfahrer wird oft zur Begründung von Monopolpositionen wie sie das geistige Eigentum schaffen kann benutzt und dient nicht nur den Presseverlegern bei ihrem unverhohlen geäußerten Wunsch nach mehr Geld bei der Überzeugungsarbeit.

Freerider in Google Books 1950--2008

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger begründet den von ihm vorgetragenen Wunsch nach einem Leistungsschutzrecht mit einer zirkulären Argumentation: „durch die Nicht-Verfolgbarkeit der Rechtsverletzungen entgehe ihnen bares Geld„. Gemeint sind die deutschen  Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, die keine eigenen Rechte haben (sondern nur die von den Urhebern abgeleiteten) und folglich auch keinen eigenen Rechtsverletzungen, die sie verfolgen könnten, zu beklagen haben.

Dabei lenken die Verlage von der Tatsache ab, dass sie auf einem bereits weitgehend gesättigten Markt tätig sind. Ihre besondere Leistung, mit der sie sich geltend machen wollen, wird  von den Kunden offenbar als nahezu wertlos eingeschätzt (andernfalls würden die Kunden ja etwas dafür bezahlen). Modelle, bei denen die die Nutzer etwas für die Leistung der Verleger bezahlen, sind im Internet ja kein Unding. Ein Unding ist in einer freien Marktwirtschaft eher die Vorstellung der Verleger, dass ihre von den Kunden als wertlos eingeschätzte Leistung vom Staat durch die Hintertür versilbert wird.


Ergänzung [9. 1. 2010]:  Vgl. hierzu auch:

Das Mittel des Urheberrechts nützt dem durchschnittlichen Urheber nicht

Das Urheberrecht verfolgt einen legitimen öffentlichen Zweck. Es ist in der geltenden Fassung aber nicht geeignet, die Erreichung des Zwecks zu fördern.

Das Mittel des Urheberrechts, das vor allem über die Erhöhung des Preises arbeitet, nützt dem durchschnittlichen Urheber nicht, weil es die Nachfrage reduziert. Geistiges Eigentum ohne Nachfrage hat aber keinen wirtschaftlichen Wert. Die künstliche Verknappung des Angebots durch geistiges Eigentum erhöht weder den Wert des Guts, noch schafft sie eine Nachfrage. Wie in allen anderen Branchen gilt auch für die Urheber: »Das schönste Privilegium stampft noch keine Kundschaft aus dem Boden.«

Sackgasse?
Das durchschnittliche Honorar fällt langfristig niedriger aus als es bei einer besseren Gestaltung möglich wäre. Zugleich wird die Verbreitung der Werke reduziert, was ebenfalls nicht dem Interesse der Urheber entspricht. Wenn die Preise exzessiv hoch sind (und sie können bei allgemeiner Verfügbarkeit von Kopiertechniken nur mit einem Ausschlussrecht hoch sein), fügt man dem Publikum und dem Großteil der Urheber (wohl auch den kleinen Verlegern) bedeutende Nachteile zu.

Erweiterter Vortrag von Eckhard Höffner: Vortrag Berlin (14. 12. 2010)

[Ergänzung: 18. 1. 2011]: Hier gibt es Aufnahmen.

[Ergänzung: 24. 3. 2011]: Stellungnahme des  Aktionsbündnisses ,,Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ zu der Veranstaltung Internet & Gesellschaft Collaboratory

Entwickelt der BGH ein neuartiges absolutes Recht?

Der unter anderem für das Grundstücksrecht zuständige 5. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten die ungenehmigte Herstellung und Verwertung von Foto- und Filmaufnahmen der von ihr verwalteten Gebäude und Gartenanlagen zu gewerblichen Zwecken untersagen darf, wenn sie Eigentümerin ist und die Aufnahmen von ihren Grundstücken aus hergestellt worden sind. Die Stiftung verwaltet über 150 historische Bauten und rund 800 ha Gartenanlagen in Berlin und Brandenburg, unter anderem den Touristenmagnet Sanssouci in Potsdam, Cecilienhof, Park und Schloss Rheinsberg, Jagdschloss Grunewald oder das Schloss Charlottenburg.

Der Streitpunkt

Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die durch Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg errichtet wurde, hat die Aufgabe, die ihr übergebenen Kulturgüter zu bewahren, unter Berücksichtigung historischer, kunst- und gartenhistorischer und denkmalpflegerischer Belange zu pflegen, ihr Inventar zu ergänzen, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die Auswertung dieses Kulturbesitzes für die Interessen der Allgemeinheit, insbesondere in Wissenschaft und Bildung, zu ermöglichen und auch die wissenschaftliche und publizistische Aufarbeitung und Dokumentation des Kulturdenkmalbestandes sowie die Öffentlichkeitsarbeit.

Postkarte mit dem Schloss Charlottenburg um 1900

Die Stiftung wehrt sich dagegen, dass Foto- und Filmaufnahmen der von ihr verwalteten Kulturgüter ohne ihre – hier nicht erteilte – Genehmigung zu gewerblichen Zwecken angefertigt und vermarktet werden. Nach dem geltenden deutschen Recht (UrhG) hat derjenige, der die Aufnahmen macht, daran zumindest ein Leistungsschutzrecht (§ 72 Abs. 1 UrhG) und zwar unabhängig von der Frage, ob er berechtigt war, die Bilder aufzunehmen oder nicht. Inhaber dieses Rechts  ist jedenfalls nicht die Stiftung.

Nach dem Beschluss des Stiftungsrates vom 3. Dezember 1998 über die Richtlinien über Foto-, Film- und Fernsehaufnahmen stiftungseigener Baudenkmale, deren Ausstattung sowie der Gartenanlagen bedürfen solchen Aufnahme der vorherigen Zustimmung. Ausgenommen sind Aufnahmen von Gebäuden und Anlagen, die sich an öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen befinden (§ 59 UrhG) und Außenaufnahmen zu privaten Zwecken von geringem Umfang. Die Zustimmung erfolgt im Rahmen einer vorherigen schriftlichen Vereinbarung über ein angemessenes Nutzungsentgelt. An den Eingängen der der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Parkanlagen sei jeweils ein Schild Parkordnung mit dem Hinweis aufgestellt: „Foto-, Film- und Fernsehaufnahmen zu gewerblichen Zwecken bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Stiftung“ (ich war am 16. Dezember 2010 am Schloss Charlottenburg und habe dort kein Schild gesehen).

Die Stiftung gibt diverse Informationsbroschüren, ein Jahrbuch und das aktuelle Jahresprogramm heraus. Sie erstellt Postkarten, Bildbände und Broschüren mit Aufnahmen ihrer Bauten und Gärten und bietet diese zum Verkauf an.

Die Stiftung verlangt in drei Verfahren eine Verbreitung der Bilder zu gewerblichen Zwecken zu unterlassen, ihr Auskunft über die Zahl der Foto- und Filmaufnahmen und der damit erzielten Einnahmen zu erteilen und die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des der Klägerin entstandenen Schadens. In einem ging es um eine Fotoagentur, die teils eigene, teils fremde Fotos vermarktet. Der Beklagte des zweiten Verfahrens hat Filmaufnahmen von Gebäuden und Gartenanlagen auf den Anwesen der Stiftung in einer DVD über Potsdam verarbeitet, die er gewerblich vertreibt. Die Beklagte des dritten Verfahrens betreibt als Diensteanbieter eine Internetplattform, auf der gewerblich und freiberuflich tätige Fotografen Fotos zum entgeltlichen Herunterladen ins Internet stellen können. Sie hat ca. 4 Millionen Bilder in dem Bildportal gespeichert, darunter etwa 1.000 Fotos von Kulturgütern, die die Klägerin verwaltet (z.B. Parkanlagen, Skulpturen, Außen- und Innenansichten historischer Gebäude).

In den Internetforen wird das Thema zumeist unter dem Gesichtspunkt „Panoramafreiheit“ — § 59 UrhG — abgehandelt. Diese Vorschrift hat allerdings mit dem Thema nicht viel zu tun, denn § 59 betrifft urheberrechtlich geschützte Werke, wozu aber die denkmalgeschützten Gebäude nicht gehören, denn deren Schutz ist abgelaufen. § 59 UrhG kann deshalb allenfalls als ein Hinweis verstanden werden:  Selbst wenn das abgebildete Objekt urheberrechtlich geschützt ist, ist es zulässig, von öffentlich zugänglichen Plätzen aus diese abzubilden und die Abbildungen zu vervielfältigen. Für urheberrechtlich nicht geschützte Werke kann demzufolge nichts anderes gelten.

Welchen Schutz bietet das Eigentum?

Das Landgericht Potsdam hat den Klagen stattgegeben, das Oberlandesgericht Brandburg hat sie abgewiesen. Das Eigentumsrecht beschränke sich auf den Schutz der Sachsubstanz und deren Verwertung. Die Ablichtung der Sache und die Verwertung von Ablichtungen stellten keinen Eingriff in das Eigentumsrecht dar. Das Verwertungsrecht stehe vielmehr dem Urheber der Ablichtung zu.

Dem hat der BGH nun einen Riegel vorgeschoben. Er hat die erste Grundfrage, nämlich, ob die Stiftung als Grundstückseigentümerin die Herstellung und Verwertung von Foto- oder Filmaufnahmen der von ihr verwalteten Kulturgüter zu gewerblichen Zwecken von ihrer — an ein Entgelt geknüpften — Zustimmung abhängig machen darf, bejaht.

Schloss Charlottenburg (heute Berlin)

Der BGH knüpft dabei wie zuvor schon das LG Potsdam an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, die durch zwei Entscheidungen geprägt wurde, die unter den Bezeichnungen „Schloss Tegel“ (I ZR 99/73) und „Friesenhaus“ (I ZR 54/87) bekannt geworden sind. Danach kann der Eigentümer die Herstellung und Verwertung von Fotos nicht untersagen, wenn sie von außerhalb seines Grundstücks aufgenommen worden sind. Er kann sie hingegen untersagen, wenn sie von seinem Grundstück aus aufgenommen worden sind. Das ist eine Folge des Eigentumsrechts. Der Eigentümer kann bestimmen, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen jemand sein Grundstück betritt. Dem Grundstückeigentümer stehe das ausschließliche Recht zur Anfertigung und Verwertung von Fotografien zu, die von seinem Grundstück aus aufgenommen worden sind.

Keine besonderen Regelungen für die Stiftung

Die zweite Grundfrage, nämlich, ob die Stiftung des öffentlichen Rechts (anders als ein Privatmann) unter Berücksichtigung der Vorschriften über ihre Aufgaben den Interessenten die Gebäude und Parkanlagen unentgeltlich für gewerbliche Zwecke zugänglich machen muss, verneint der Senat. Der Staatsvertrag beschreibe die Aufgabenstellung der Stiftung dahin, dass sie die ihr übergebenen Kulturgüter bewahren, unter Berücksichtigung historischer, kunst- und gartenhistorischer und denkmalpflegerischer Belange pflegen, ihr Inventar ergänzen und der Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Aus der Satzung, die das Nähere dazu regelt, ergebe sich zwar, dass die Gärten und Parkanlagen als Erholungsgebiet zu gewährleisten sind und kein Eintrittsgeld erhoben wird. Aus ihr ergibt sich aber auch, dass schon diese Verpflichtung nur gilt, soweit Erhaltung und Pflege des Kulturguts, denen im Zweifel der Vorrang einzuräumen ist, das erlauben. Außerdem gelte die Kostenfreiheit nicht für Foto- und Filmaufnahmen zu gewerblichen Zwecken. Vielmehr sei die Stiftung ermächtigt, hierfür Entgelte zu verlangen. Die Fotografien dürfen  — wenn der entsprechende Obolus entrichtet wurde — nach dem Verständnis des BGH gewerblich genutzt werden.

Rechtsfolge

Der Unterlassungsanspruch — keine zukünftige Verbreitung — und der Auskunftsanspruch sei demnach gegeben. Der Unterlassungsanspruch ist bei einer bloßen Rechtsverletzung gegeben. Niemand muss hinnehmen, dass sein Recht rechtswidrig beeinträchtigt wird. An solche Rechtsverletzungen knüpft regelmäßig auch ein bereicherungsrechtlicher Anspruch (Eingriffskondiktion), nach der der Verletzer die Vorteile auszugleichen hat, die er nach einem schuldlosen Eingriff in ein fremdes Recht hat.

Schloss Charlottenburg, das Bild und der Zaun

Ob auch ein Schadensersatzanspruch besteht, hängt hingegen vom Verschulden ab. Das ist nach dem BGH eine Frage der Kenntnis des Verbreiters. Wenn der Verbreiter weiß (oder sich schuldhaft dieser Erkenntnis verschließt), dass er mit seinen Handlungen Rechte anderer verletzt, handelt er schuldhaft.

In einem Verfahren (V ZR 44/10) lag die Besonderheit darin, dass die Beklagte selbst keine Foto- oder Filmaufnahmen von Gebäuden und Gartenanlagen der Klägerin angefertigt hatte und sie auch nicht selbst verwertet, sondern nur einen virtuellen Marktplatz zur eigenständigen Verwertung durch die Fotografen und Fotoagenturen bereitstellt.

Hier folgte der 5. Senat  der Rechtsprechung des 1. Zivilsenats, die durch Entscheidungen mit den Schlagworten „Internet I bis III“ (I ZR 304/01, I ZR 35/04 und I ZR 73/05), „jugendgefährdende Medien bei ebay“ ( I ZR 18/04) und „Sommer unseres Lebens“ ( I ZR 121/08) bekannt geworden ist. Danach muss der Betreiber eines virtuellen Marktplatzes die dort angebotenen Fotos nur überprüfen, wenn er eine Verletzung von Immaterialgüterrechten und Eigentumsrechten oder andere Rechtsverletzungen erkennen kann. Daran fehle es, weil den Bildern von Gebäuden und Gartenanlagen der Klägerin nicht anzusehen ist, ob sie ohne Genehmigung aufgenommen wurden oder nicht.

Ein neues Ausschließlichkeitsrecht?

Eine — zumindest nach der Pressemitteilung des BGH — merkwürdige und aus rechtswissenschaftlicher Sicht unlogische Entscheidung, weil hier Immaterialgüterrecht, Sachenrecht und Vertragsrecht vermischt werden und ein eigenartiges neues Recht konstruiert wird.

Vertragliche Vereinbarung maßgeblich

Nimmt man einmal an, an den Eingängen zu den genannten Anlagen der Stiftung würde mit jedem, der die Anlage betritt, vereinbart werden: Foto-, Film- und Fernsehaufnahmen zu gewerblichen Zwecken bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Stiftung. Dieser Vertrag führt zu einer vertraglichen Bindung zwischen der Stiftung und dem Besucher des Parks. Für Dritte ist die Vereinbarung ohne Bedeutung.

Nach dem BGH können aber auch Dritte auf Unterlassung der Verbreitung in Anspruch genommen werden;  selbst dann, wenn Sie von der vertragswidrigen Aufnahme keine Kenntnis hatten. Man muss  sich die Frage stellen, was Dritte die Vereinbarungen zwischen dem Fotografen und der Stiftung angehen? Die Stiftung hat einen vertraglichen Anspruch gegen den Fotografen aus den allgemeinen Geschäftsbedingungen (Parkordnung). Gegenüber Dritten wirkt dieser Vertrag aber nicht. Offenbar soll es aber trotzdem Dritten verboten werden können, die Bilder zu nutzen (Folge: Unterlassung und Auskunft). Wissen die Dritten vom Vertragsverstoß desjenigen, der die Aufnahmen gemacht hat, sind sie außerdem zum Schadensersatz verpflichtet (welcher Schaden hier im Raum stehen soll, ist noch eine ganz andere Frage).

Kein besonderes Recht an der eigenen Sache

Ein besonderes Recht am eigenen Gebäude (wie das Recht am eigenen Bild) gibt es nicht. Das OLG Brandenburg hat in der Vorinstanz zutreffend festgestellt, dass es kein Vorrecht des Eigentümers gibt, das Bild seines Eigentums zu verwerten. Das heißt, die Stiftung kann das Fotografieren hinter dem Zaun und die Verbreitung  von solchen Bildern nicht verbieten. Werden die Bilder von außerhalb  aufgenommen, sind die Aufnahmen — unabhängig von der Absicht des Fotografen und vom Gegenstand der Fotografie — zulässig. Auch die gewerbliche Verbreitung der Aufnahmen kann nicht unterbunden werden (was auch der BGH nicht in Frage stellt).

Macht der Fotograf im Geltungsbereich der Parkordnung Aufnahmen zu gewerblichen Zwecken, was eine Frage der von außen nicht erkennbaren Absicht des Fotografen ist, ist das Fotografieren nach den vertraglichen Vereinbarungen unzulässig. Werden die Aufnahmen hingegen zu privaten Zwecken gemacht, ist das Fotografieren  zulässig. Wandelt sich die Einstellung des Fotografen etwa einen Tag, nachdem er die Aufnahmen gemacht hat, dürfte das demnach keinen Einfluss mehr haben.

Dem scheint aber nicht so zu sein, denn offenbar soll aus dem vertraglichen Anspruch ein absolutes Verwertungsverbot für die Aufnahmen folgen, wenn die Aufnahmen gewerblich genutzt werden. Dabei können die Aufnahmen an sich durchaus genutzt werden, aber nur, wenn die  Stiftung zugestimmt hat. Die Zustimmung wird regelmäßig gegen Entgelt erteilt. Das Recht an der Fotografie, im Zweifel also das Leistungsschutzrecht,  ist veräußerlich.

Zwar wird nicht  Befugnis zur Veräußerung  von einer vertraglichen Regelung abhängig gemacht, aber die Rechtsprechung läuft im Ergebnis darauf hinaus. Dies steht kaum im Einklang mit § 137 BGB, der bestimmt: Die Befugnis zur Verfügung über ein veräußerliches Recht kann nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder beschränkt werden. Die Wirksamkeit einer Verpflichtung, über ein solches Recht nicht zu verfügen, wird durch diese Vorschrift nicht berührt.

Eigentumsrecht und Handlungsfreiheit

Noch problematischer ist die Verknüpfung zwischen dem Eigentum an dem Grundstück und der Verwertungsmöglichkeit des Bildes. Aus dem Eigentum an dem Grundstück fließen zwar gewisse Unterlassungsansprüche, die jedoch nur das Grundstück, nicht jedoch die Aufnahme, betreffen.

Nach dem BGH ergeben sich aus dem Vertrag absolut wirkende Rechte an der Aufnahmen (genauer an dem Recht des Fotografen im Hinblick auf die Aufnahme), denn sie kann Dritten die Nutzung untersagen, obwohl diese Dritten nicht vertraglich gebunden sind. Könnte die Stiftung auch einem Musiker das Komponieren (überhaupt oder zu gewerblichen Zwecken) in der Parkanlage verbieten und welche Folgen hätte dies für die Rechte an der Komposition? Hätte die Stiftung auch Unterlassungsansprüche gegen den Musiker, wenn dieser vertragswidrig auf dem Grundstück komponiert? Wieso sollten für das Komponieren andere Regeln gelten wie für das Fotografieren, wenn es nur auf die vertragliche Vereinbarung ankommt und ein besonderes Recht an der eigenen Sache nicht gibt? Oder soll es doch auf ein Recht an der Sache — also dem Eigentum am abgebildeten Objekt — ankommen?

Mit dem so konstruierten Recht des Eigentümers wird die Aufnahme — abhängig von der Absicht des Fotografen — zum res extra commercium, weil auch gegen Dritte (unabhängig vom Verschulden) Unterlassungsansprüche bestehen: im Ergebnis ein absolutes Handelsverbot. Aus dem Hausrecht ergibt sich kein absolutes  Recht der Stiftung an den Lichtbildaufnahmen des Fotografen, sondern nur ein dem Charakter der sogenannten Immaterialgüterrechte entsprechendes Verbotsrecht.  Besser wäre es gewesen, wenn der BGH sich an dem Urteil vom 06.07.2000 (I ZR 244/97) orientiert hätte. Die auf die Aufnahme folgenden Veräußerungshandlungen bedürfen nicht mehr der Zustimmung der Stiftung. Sie ist daher auch daran gehindert, diese Weiterverbreitungshandlungen davon abhängig zu machen, dass sie den von ihr aufgestellten Bedingungen entsprechen.

Wir dürfen gespannt sein, wie der BGH die Entscheidung begründet, denn es scheint sich um neuartiges geistiges Eigentum zu handeln. Rechtswissenschaftlich nachvollziehbar lässt sich dieses „ausschließliche Recht“ des Eigentümers zur Verwertung von Fotografien, die von seinem Grundstück aus aufgenommen worden sind, auf den ersten Blick nur über eine vertraglich Konstruktion retten: Stillschweigend mit dem Betreten der Parkanlage hat der Fotograf mit der Stiftung vereinbart, dass  alle Nutzungsrechte an Fotografien, die er zu gewerblichen Zwecken aufnimmt, auf die Stiftung übertragen werden.


Hier findet sich nunmehr der Wortlaut des Urteils gegen den Betreiber der Internetplattform. Wie bereits in der Presseerklärung angekündigt, orientierte der BGH sich an der Erkennbarkeit: Der Betreiber einer Internetplattform sei „als Störer für eine Beeinträchtigung des Grundstückseigentums durch ungenehmigte Verwertung von Fotos des Grundstücks auf seiner Plattform nur bei einer für ihn erkennbaren Eigentumsverletzung verantwortlich“. Von der Erkennbarkeit muss man spätestens nach dem ersten konkreten Hinweis auf die „ungenehmigte Verwertung“ ausgehen. Auf Dauer kann also die Datei auch nicht auf der Internetplattform angeboten werden. Sie ist nach einem hinreichend genauen Hinweis zu löschen.